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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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derungen des unzufriedenen Volks den städtischen Behörden vorzutragen, obgleich
er wissen konnte, daß diese nicht im Stande waren, irgend etwas zu bewilligen.
Er ermahnte das Volk, in einer "gewaltigen, aber ruhigen" Demonstration ihm
zu folgen: ernst und feierlich, denn man begrabe einen Todten. Die Anträge gin¬
gen weit genug und die Behörden gaben eine ausweichende Antwort. Sie hatten
aber auch nicht das Herz, der aufgeregten Menge, die sich auf dem Markt drängte,
entgegenzutreten. Blum trat also auf den Balkon des Rathhauses und hielt eine
feurige Rede, in der er die Feinde des Volks stark heruntermachte, das Volk in
feiner "Größe, Kraft und Mäßigung" sehr lobte, im Uebrigen aber die Versiche¬
rung gab, es stände alles sehr gut, man werde die Schlachtopfer des Despotismus
feierlich begraben, dabei sehr schöne Reden halten und ohne Furcht gegen die Ty¬
rannen losziehen können. Das feierliche Begräbniß fand statt, Blum konnte sei¬
nem Pathos wieder Ausdruck verleihen, er regte, nach seiner Weise, das Volk
durch Schilderung der erlittenen Mißhandlungen auf und setzte hinzu, es solle
durch Ordnung, Ruhe und Gesetzlichkeit seine Macht von Neuem dem staunenden
Europa zu erkennen geben. Der Leipziger nimmt so etwas immer wörtlich. Es
wurden noch einige wilde Reden und Versammlungen gehalten, dann besänftigte
sich die Fluth der Revolution. Die Messe stand vor der Thür, der Verkehr drohte
zu stocken und der Leipziger schrie: die Fremden sind an Allem Schuld! Die
Fremden wurden also in Masse ausgewiesen, die Aufwiegler aus dem Volk zu
schweren Strafen verurtheilt, das Militär belobt, die Behörden leisteten in der
Residenz Abbitte und man zog endlich sogar den wackern Vermittler zur Verant¬
wortung. Es geschah ihm zwar nichts, aber er hatte nun seine volksthümliche
Thätigkeit durch die Märtyrerkrone geheiligt. Das Strohfeuer des Liberalismus
war mit sich zufrieden, denn es hatte geknistert.

Aus dem grandiosen Schlachtgewühl ging es jetzt an die Details des Fort¬
schritts. Die radikale Partei der sächsischen Kammer, deren Eigenthümlichkeit darin
besteht, sich ohne allgemeinen Plan mit der Vehemenz eines wüthend gemachten
Stiers auf jede einzelne Frage zu stürzen, gerieth über das Recht des außeror¬
dentlichen Landtags mit der Regierung und den Liberalen selbst in Streit und
verband sich enger mit der Partei der Vaterlandsblätter in Leipzig. Blum trat
jetzt, obgleich er noch keine officielle Stellung hatte, an die Spitze einer politischen
Partei. Seine Gegner, die Leipziger Honoratioren, schaarten sich um Professor
Biedermann, der in seinen Ansichten so weit ging als wohl die Radikalen selbst,
der sich aber feiner ausdrückte und deshalb bei den Demokraten von reinem Wasser
in den Geruch aristokratischer Gesinnung kam. Dadurch localisirte sich der Prin-
cipienstreit und wurde plastischer: es kam nicht mehr auf die Sache an, sondern
auf die Personen. Man beobachtete sich gegenseitig, wie man sich räusperte und
wie man spuckte, man sah zu, ob der Gegner nicht reactionäre Gesichter schnitt.
In solcher Fehde müssen die Honoratioren zu kurz kommen; sie dürfen die Mittel

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derungen des unzufriedenen Volks den städtischen Behörden vorzutragen, obgleich
er wissen konnte, daß diese nicht im Stande waren, irgend etwas zu bewilligen.
Er ermahnte das Volk, in einer „gewaltigen, aber ruhigen“ Demonstration ihm
zu folgen: ernst und feierlich, denn man begrabe einen Todten. Die Anträge gin¬
gen weit genug und die Behörden gaben eine ausweichende Antwort. Sie hatten
aber auch nicht das Herz, der aufgeregten Menge, die sich auf dem Markt drängte,
entgegenzutreten. Blum trat also auf den Balkon des Rathhauses und hielt eine
feurige Rede, in der er die Feinde des Volks stark heruntermachte, das Volk in
feiner „Größe, Kraft und Mäßigung“ sehr lobte, im Uebrigen aber die Versiche¬
rung gab, es stände alles sehr gut, man werde die Schlachtopfer des Despotismus
feierlich begraben, dabei sehr schöne Reden halten und ohne Furcht gegen die Ty¬
rannen losziehen können. Das feierliche Begräbniß fand statt, Blum konnte sei¬
nem Pathos wieder Ausdruck verleihen, er regte, nach seiner Weise, das Volk
durch Schilderung der erlittenen Mißhandlungen auf und setzte hinzu, es solle
durch Ordnung, Ruhe und Gesetzlichkeit seine Macht von Neuem dem staunenden
Europa zu erkennen geben. Der Leipziger nimmt so etwas immer wörtlich. Es
wurden noch einige wilde Reden und Versammlungen gehalten, dann besänftigte
sich die Fluth der Revolution. Die Messe stand vor der Thür, der Verkehr drohte
zu stocken und der Leipziger schrie: die Fremden sind an Allem Schuld! Die
Fremden wurden also in Masse ausgewiesen, die Aufwiegler aus dem Volk zu
schweren Strafen verurtheilt, das Militär belobt, die Behörden leisteten in der
Residenz Abbitte und man zog endlich sogar den wackern Vermittler zur Verant¬
wortung. Es geschah ihm zwar nichts, aber er hatte nun seine volksthümliche
Thätigkeit durch die Märtyrerkrone geheiligt. Das Strohfeuer des Liberalismus
war mit sich zufrieden, denn es hatte geknistert.

Aus dem grandiosen Schlachtgewühl ging es jetzt an die Details des Fort¬
schritts. Die radikale Partei der sächsischen Kammer, deren Eigenthümlichkeit darin
besteht, sich ohne allgemeinen Plan mit der Vehemenz eines wüthend gemachten
Stiers auf jede einzelne Frage zu stürzen, gerieth über das Recht des außeror¬
dentlichen Landtags mit der Regierung und den Liberalen selbst in Streit und
verband sich enger mit der Partei der Vaterlandsblätter in Leipzig. Blum trat
jetzt, obgleich er noch keine officielle Stellung hatte, an die Spitze einer politischen
Partei. Seine Gegner, die Leipziger Honoratioren, schaarten sich um Professor
Biedermann, der in seinen Ansichten so weit ging als wohl die Radikalen selbst,
der sich aber feiner ausdrückte und deshalb bei den Demokraten von reinem Wasser
in den Geruch aristokratischer Gesinnung kam. Dadurch localisirte sich der Prin-
cipienstreit und wurde plastischer: es kam nicht mehr auf die Sache an, sondern
auf die Personen. Man beobachtete sich gegenseitig, wie man sich räusperte und
wie man spuckte, man sah zu, ob der Gegner nicht reactionäre Gesichter schnitt.
In solcher Fehde müssen die Honoratioren zu kurz kommen; sie dürfen die Mittel

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[375/0010] derungen des unzufriedenen Volks den städtischen Behörden vorzutragen, obgleich er wissen konnte, daß diese nicht im Stande waren, irgend etwas zu bewilligen. Er ermahnte das Volk, in einer „gewaltigen, aber ruhigen“ Demonstration ihm zu folgen: ernst und feierlich, denn man begrabe einen Todten. Die Anträge gin¬ gen weit genug und die Behörden gaben eine ausweichende Antwort. Sie hatten aber auch nicht das Herz, der aufgeregten Menge, die sich auf dem Markt drängte, entgegenzutreten. Blum trat also auf den Balkon des Rathhauses und hielt eine feurige Rede, in der er die Feinde des Volks stark heruntermachte, das Volk in feiner „Größe, Kraft und Mäßigung“ sehr lobte, im Uebrigen aber die Versiche¬ rung gab, es stände alles sehr gut, man werde die Schlachtopfer des Despotismus feierlich begraben, dabei sehr schöne Reden halten und ohne Furcht gegen die Ty¬ rannen losziehen können. Das feierliche Begräbniß fand statt, Blum konnte sei¬ nem Pathos wieder Ausdruck verleihen, er regte, nach seiner Weise, das Volk durch Schilderung der erlittenen Mißhandlungen auf und setzte hinzu, es solle durch Ordnung, Ruhe und Gesetzlichkeit seine Macht von Neuem dem staunenden Europa zu erkennen geben. Der Leipziger nimmt so etwas immer wörtlich. Es wurden noch einige wilde Reden und Versammlungen gehalten, dann besänftigte sich die Fluth der Revolution. Die Messe stand vor der Thür, der Verkehr drohte zu stocken und der Leipziger schrie: die Fremden sind an Allem Schuld! Die Fremden wurden also in Masse ausgewiesen, die Aufwiegler aus dem Volk zu schweren Strafen verurtheilt, das Militär belobt, die Behörden leisteten in der Residenz Abbitte und man zog endlich sogar den wackern Vermittler zur Verant¬ wortung. Es geschah ihm zwar nichts, aber er hatte nun seine volksthümliche Thätigkeit durch die Märtyrerkrone geheiligt. Das Strohfeuer des Liberalismus war mit sich zufrieden, denn es hatte geknistert. Aus dem grandiosen Schlachtgewühl ging es jetzt an die Details des Fort¬ schritts. Die radikale Partei der sächsischen Kammer, deren Eigenthümlichkeit darin besteht, sich ohne allgemeinen Plan mit der Vehemenz eines wüthend gemachten Stiers auf jede einzelne Frage zu stürzen, gerieth über das Recht des außeror¬ dentlichen Landtags mit der Regierung und den Liberalen selbst in Streit und verband sich enger mit der Partei der Vaterlandsblätter in Leipzig. Blum trat jetzt, obgleich er noch keine officielle Stellung hatte, an die Spitze einer politischen Partei. Seine Gegner, die Leipziger Honoratioren, schaarten sich um Professor Biedermann, der in seinen Ansichten so weit ging als wohl die Radikalen selbst, der sich aber feiner ausdrückte und deshalb bei den Demokraten von reinem Wasser in den Geruch aristokratischer Gesinnung kam. Dadurch localisirte sich der Prin- cipienstreit und wurde plastischer: es kam nicht mehr auf die Sache an, sondern auf die Personen. Man beobachtete sich gegenseitig, wie man sich räusperte und wie man spuckte, man sah zu, ob der Gegner nicht reactionäre Gesichter schnitt. In solcher Fehde müssen die Honoratioren zu kurz kommen; sie dürfen die Mittel 48*

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/10>, abgerufen am 23.04.2024.