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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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sie wollte das Vorparlement zum Central-Ausschuß aller Demokraten, zum perma¬
nenten Comite d'insurrection machen. Sie wollte mit Bewußtsein den Rechtsbo¬
den aufgeben, und die Theilnahme an dem Ausschuß der Nation nicht von irgend
einem rechtlichen Anspruch, sondern an dem Grade der liberalen Exaltation ab¬
hängig machen. Die Majorität verwarf diese Ansicht, ohne doch auch unbedingt
den Rechtsboden festzuhalten. Sie dekretirte die Form der neuen Constituante,
beauftragte mit der Ausführung dieses Decrets den alten -- zu purificirenden --
Bundestag und hinterließ einen Sicherheits-Ausschuß, über diese Ausführung zu
wachen. Blum wurde mit hineingewählt und erhielt sogar die Stelle eines Vice-
präsidenten.

Nachdem der Ausschuß durch sein festes Auftreten die Regierungen veranlaßt
hatte, die Nationalversammlung in der Weise, wie das Vorparlement es bestimmt
hatte, wirklich auszuschreiben, blieb ihm eine rein negative, langweilige Aufgabe;
denn die unausgesetzte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht
müde. Er fühlte sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die moralische
Befähigung, irgend etwas -- Unbestimmtes -- aber wesentlich Wohlthätiges für
das Vaterland durchzusetzen. Nun waren alle Leute, die mit ihrer Regierung,
ihrem Magistrat oder mit sonst etwas unzufrieden waren, geneigt, sich an den
Ausschuß zu wenden, bei ihm ihre Regierung zu verklagen und ihn um Sonnen¬
schein und schönes Wetter zu bitten. Von einer demokratischen Behörde konnte
man wenigstens eine gefällige Aufnahme aller Adressen erwerben. Da der Aus¬
schuß sonst nichts zu thun hatte, so konnte er sich damit beschäftigen, über alle
Adressen und Petitionen zu berathen und Briefe abzufassen. Eine Beschäftigung,
die dem Beschäftigten selber so imponirt, daß man sich nicht wundern darf, wenn
der größte Theil des Ausschusses der Ansicht war, die einzige Behörde zu sein,
deren Beschlüsse allgemein anerkannt wären.

Im Anfang, wo man es vorzugsweise mit der Reaction der Fürsten zu thun
hatte, dominirte im Ausschuß die revolutionäre Idee. Aber schon damals ließ
Robert Blum, der inzwischen bei Volksversammlungen der gefeierte Volksfreund,
durch seine Reden nach alter Art der Liebling der Galerie geworden war, in den
von ihm abhängigen Blättern di[e] Majorität des Ausschusses als eine reactionäre
verschreien und mit der leidenden Miene eines verkannten Patrioten es sich als
eine verdienstvolle Aufopferung auslegen, daß er zum Wohl des Vaterlandes noch
länger in einer so schlechten Gesellschaft verbleibe. Dagegen hütete er sich wohl,
sich mit den eigentlichen Republikanern zu compromittiren; er hätte dadurch seine
Stellung "über den Parteien" gefährdet.

Anders wurde die Lage des Ausschusses, nachdem Hecker's Partei in Baden
es zum offnen Aufstand brachte; jetzt mußte er den "Empörern" die Zähne weisen.
Blum war damals von Frankfurt abwesend, an der Spitze einer Commission, die
den Auftrag hatte, die Streitigkeiten zwischen den rheinischen Schiffen und den

sie wollte das Vorparlement zum Central-Ausschuß aller Demokraten, zum perma¬
nenten Comité d'insurrection machen. Sie wollte mit Bewußtsein den Rechtsbo¬
den aufgeben, und die Theilnahme an dem Ausschuß der Nation nicht von irgend
einem rechtlichen Anspruch, sondern an dem Grade der liberalen Exaltation ab¬
hängig machen. Die Majorität verwarf diese Ansicht, ohne doch auch unbedingt
den Rechtsboden festzuhalten. Sie dekretirte die Form der neuen Constituante,
beauftragte mit der Ausführung dieses Decrets den alten — zu purificirenden —
Bundestag und hinterließ einen Sicherheits-Ausschuß, über diese Ausführung zu
wachen. Blum wurde mit hineingewählt und erhielt sogar die Stelle eines Vice-
präsidenten.

Nachdem der Ausschuß durch sein festes Auftreten die Regierungen veranlaßt
hatte, die Nationalversammlung in der Weise, wie das Vorparlement es bestimmt
hatte, wirklich auszuschreiben, blieb ihm eine rein negative, langweilige Aufgabe;
denn die unausgesetzte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht
müde. Er fühlte sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die moralische
Befähigung, irgend etwas — Unbestimmtes — aber wesentlich Wohlthätiges für
das Vaterland durchzusetzen. Nun waren alle Leute, die mit ihrer Regierung,
ihrem Magistrat oder mit sonst etwas unzufrieden waren, geneigt, sich an den
Ausschuß zu wenden, bei ihm ihre Regierung zu verklagen und ihn um Sonnen¬
schein und schönes Wetter zu bitten. Von einer demokratischen Behörde konnte
man wenigstens eine gefällige Aufnahme aller Adressen erwerben. Da der Aus¬
schuß sonst nichts zu thun hatte, so konnte er sich damit beschäftigen, über alle
Adressen und Petitionen zu berathen und Briefe abzufassen. Eine Beschäftigung,
die dem Beschäftigten selber so imponirt, daß man sich nicht wundern darf, wenn
der größte Theil des Ausschusses der Ansicht war, die einzige Behörde zu sein,
deren Beschlüsse allgemein anerkannt wären.

Im Anfang, wo man es vorzugsweise mit der Reaction der Fürsten zu thun
hatte, dominirte im Ausschuß die revolutionäre Idee. Aber schon damals ließ
Robert Blum, der inzwischen bei Volksversammlungen der gefeierte Volksfreund,
durch seine Reden nach alter Art der Liebling der Galerie geworden war, in den
von ihm abhängigen Blättern di[e] Majorität des Ausschusses als eine reactionäre
verschreien und mit der leidenden Miene eines verkannten Patrioten es sich als
eine verdienstvolle Aufopferung auslegen, daß er zum Wohl des Vaterlandes noch
länger in einer so schlechten Gesellschaft verbleibe. Dagegen hütete er sich wohl,
sich mit den eigentlichen Republikanern zu compromittiren; er hätte dadurch seine
Stellung „über den Parteien“ gefährdet.

Anders wurde die Lage des Ausschusses, nachdem Hecker's Partei in Baden
es zum offnen Aufstand brachte; jetzt mußte er den „Empörern“ die Zähne weisen.
Blum war damals von Frankfurt abwesend, an der Spitze einer Commission, die
den Auftrag hatte, die Streitigkeiten zwischen den rheinischen Schiffen und den

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[380/0015] sie wollte das Vorparlement zum Central-Ausschuß aller Demokraten, zum perma¬ nenten Comité d'insurrection machen. Sie wollte mit Bewußtsein den Rechtsbo¬ den aufgeben, und die Theilnahme an dem Ausschuß der Nation nicht von irgend einem rechtlichen Anspruch, sondern an dem Grade der liberalen Exaltation ab¬ hängig machen. Die Majorität verwarf diese Ansicht, ohne doch auch unbedingt den Rechtsboden festzuhalten. Sie dekretirte die Form der neuen Constituante, beauftragte mit der Ausführung dieses Decrets den alten — zu purificirenden — Bundestag und hinterließ einen Sicherheits-Ausschuß, über diese Ausführung zu wachen. Blum wurde mit hineingewählt und erhielt sogar die Stelle eines Vice- präsidenten. Nachdem der Ausschuß durch sein festes Auftreten die Regierungen veranlaßt hatte, die Nationalversammlung in der Weise, wie das Vorparlement es bestimmt hatte, wirklich auszuschreiben, blieb ihm eine rein negative, langweilige Aufgabe; denn die unausgesetzte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht müde. Er fühlte sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die moralische Befähigung, irgend etwas — Unbestimmtes — aber wesentlich Wohlthätiges für das Vaterland durchzusetzen. Nun waren alle Leute, die mit ihrer Regierung, ihrem Magistrat oder mit sonst etwas unzufrieden waren, geneigt, sich an den Ausschuß zu wenden, bei ihm ihre Regierung zu verklagen und ihn um Sonnen¬ schein und schönes Wetter zu bitten. Von einer demokratischen Behörde konnte man wenigstens eine gefällige Aufnahme aller Adressen erwerben. Da der Aus¬ schuß sonst nichts zu thun hatte, so konnte er sich damit beschäftigen, über alle Adressen und Petitionen zu berathen und Briefe abzufassen. Eine Beschäftigung, die dem Beschäftigten selber so imponirt, daß man sich nicht wundern darf, wenn der größte Theil des Ausschusses der Ansicht war, die einzige Behörde zu sein, deren Beschlüsse allgemein anerkannt wären. Im Anfang, wo man es vorzugsweise mit der Reaction der Fürsten zu thun hatte, dominirte im Ausschuß die revolutionäre Idee. Aber schon damals ließ Robert Blum, der inzwischen bei Volksversammlungen der gefeierte Volksfreund, durch seine Reden nach alter Art der Liebling der Galerie geworden war, in den von ihm abhängigen Blättern die Majorität des Ausschusses als eine reactionäre verschreien und mit der leidenden Miene eines verkannten Patrioten es sich als eine verdienstvolle Aufopferung auslegen, daß er zum Wohl des Vaterlandes noch länger in einer so schlechten Gesellschaft verbleibe. Dagegen hütete er sich wohl, sich mit den eigentlichen Republikanern zu compromittiren; er hätte dadurch seine Stellung „über den Parteien“ gefährdet. Anders wurde die Lage des Ausschusses, nachdem Hecker's Partei in Baden es zum offnen Aufstand brachte; jetzt mußte er den „Empörern“ die Zähne weisen. Blum war damals von Frankfurt abwesend, an der Spitze einer Commission, die den Auftrag hatte, die Streitigkeiten zwischen den rheinischen Schiffen und den

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/15>, abgerufen am 28.03.2024.