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Mährisches Tagblatt. Nr. 41, Olmütz, 21.02.1898.

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[Spaltenumbruch]

jeder zehnte war ein Gründer. Man bot auch
mir eine Verwaltungsrathsstelle an, wenn ich
bleiben wollte. Allein mir war dies tolle materielle
Treiben -- toller, als ich es selbst in Amerika
gesehen hatte -- ganz unheimlich. Jedermann
war so reich, so großartig verschwenderisch -- ich
kam mir selbst recht arm vor. Als ich eines
Vormittags in Regenwetter mit Regenschirm, die
Stiefel geschützt mit Kautschukgaloschen bei einem
Bekannten eintrat, und er verwundert auf meine
wasserdichten Ueberschuhe herabsah, fragte ich:
Solche Schuhe sind bei schlechtem Wetter sehr
proctisch -- ich wundere mich, daß man sie nicht
auch in Wien trägt. Da antwortete er gedehnt:
Ja, bei solchem Wetter nehmen wir halt einen
Fiaker!

Seit 1848 und seit 1872 hat sich in Wien
Vieles geändert. Der volkswirthschaftliche Auf-
schwung hat dem Krach Platz gemacht und die
Wiener werden wohl jetzt auch öfter den
Kautschuküberschuh als den Fiaker benützen. Die
Geschäftsstockung wurde sehr geschickt benützt
um Stimmung zu machen gegen Liberale und
Juden. Die Masse betet wieder vor solchen
Götzen, die man 1848 in Trümmer geschlagen
hatte. Im Rathhaus sitzt ein vielseitiger,
versatiler Mann und alles Liberale jede Huma-
nität ist geboycottet. Welche Wendung -- in
Folge einer sehr genau auf die Schwachheit und
Dummheit der Menschen ber[ech]neten Wühlerei!
Nun solche plötzliche und radicale Wechsel kommen
auch hier in New-York und in ganz Amerika
öfter vor. Das Volk verlangt von der Partei
vor Allem: Gute Geschäfte! Die Parteileiter ver-
sprechen dieselben natürlich. Sind sie nicht im
Stande, nach den Wahlen ihr Versprechen einzu-
lösen, so fallen sie bei den nächsten Wahlen und
müssen Anderen Platz machen.

Bei der letzten Abstimmung in New-York
wurde die Vereinigung der Stadt New-York mit
Brooklyn und anderen Vororten angenommen
und dadurch ein neues Stadtwesen von drei
Millionen Einwohnern geschaffen. Aber die Lei-
tung und Verwaltung dieser Riesenstadt wurde
der Trammany-Partei in die Hand gegeben. Wie
drüben in Wien: Die anständigen Leute zer-
splitterten ihre Stimmen auf verschiedene Wahl-
tickets, und Tammany mußte siegen, da seine
Stimmen auf einem Ticket abgegeben wurden.
Das ist für New-York von unheilvollen Folgen.
Es bedeutet die Besetzung aller Stadtämter vom
Bürgermeister bis zum Polizeimann und Po-
lizeirichter herab mit blinden Anhängern von
Tammany, und dieselbe Plünderung der reichen
Stadt wie jene zur Zeit als der Tammany-
Führer Tweed die Stadt um 14 Millionen be-
stohlen hatte. -- Ein großes Unglück für New-
York, aber die Stadt geht deshalb nicht unter
und man fängt jetzt schon an zu organisiren
[Spaltenumbruch] und zu arbeiten um Tammany in den nächsten
Wahlen in vier Jahren zu schlagen.

So sollten auch die liberalen Wiener früh
aufstehen und fleißig an die Arbeit gehen, um
die politische Ehre Wiens wieder herzustellen, wie
damals vor 50 Jahren Studenten, Bürger und
Arbeiter zu einer todesmuthigen Schaar geeint,
die Ehre von ganz Oesterreich retteten und ganz
Deutschland vom Metternich'schen Alpdruck be-
freiten. Ihr habt es im politischen Kampfe viel
bequemer als wir in 1848. Ihr braucht nicht
ener Leben auf den Barrikaden auf's Spiel zu
setzten. Im Fall einer Niederlage werdet ihr nicht
in die Cas matten von Olmütz oder Munkacs abge-
führt, auch nicht als gemeine Soldaten in ein
Regiment gesteckt. Eure Waffen sind die Rede,
die Versammlung, die Presse. Freilich muß jede
Partei ihr Gewissen erforschen, ihre Fehler und
Sünden bekennen und ein reines Gewand an-
ziehen. Vielleicht wächst die deutsche Kraft, wenn
die Liberalen etwas mehr Nationales und Sociales
in ihr Programm aufnehmen, wenn die Natio-
nalen ihren albernen Antisemitismus streichen
und wenn die Socialen sich im Bereiche des
Möglichen halten.


Hans Kudlich.



Politische Nachrichten.
(Die Lage)

Dem "Tagesboten aus Mähren"
wird aus Wien gemeldet, daß im Ministerium
des Innern vor einigen Tagen zwischen der Regie-
rung einerseits und den Vertrauensmännern der
Deutschen Fortschrittspartei und der Deutschen
Volkspartei in Mähren andererseits eine Be-
sprechung rein informativen Characters stattge-
funden hat. -- Die "Ostdeutsche Rundschau"
schreibt zur inneren Lage: Jetzt zerbricht man sich
den Kopf über den Nachfolger des Minister-
präsidenten Baron Gautsch'. Langes Leben haben
wir dem Ministerium Gautsch nie vorausgesagt,
wir können aber beim besten Willen nicht einsehen,
warum Gautsch jetzt schon gehen sollte. Es hat
sich für ihn seit dem Amtsantritte gar nichts ge-
ändert: die Feuerprobe im Abgeordnetenhause
hat er noch nicht bestanden und wenn er sich
vor derselben überhaupt fürchtet, nun dann hätte
er das Ministerpräsidium überhaupt nicht an-
nehmen sollen. Die Entscheidung liegt nach wie
vor im Abgeordnetenhause und die Stimmung,
die Gautsch vorfinden wird, hängt lediglich von
ihm ab. Bis jetzt hat sich seit dem 5. April
nichts geändert. Baron Gautsch kann also un-
möglich erwarten, eine andere Stimmung zu
finden als am Tage der letzten Parlaments-
sitzung. Die Deutschen haben nichts Anderes zu-
thun, als zu erwarten, wie sich Baron Gautsch
entscheidet. Für die Festigkeit der deutschen
Opposition im Reichsrathe ist die Gesinnung der
Wähler Gewähr.


[Spaltenumbruch]
(Aus dem böhmischen Landtage.)

Wie
bereits gemeldet, beantragten in der am 19. d.
stattgefundenen Sitzung des böhmischen Landtages
die Abg. Lippert und Genossen, aus der
Mitte des Hauses eine Deputation an das Hof-
lager zu einer geeigneten Zeit zu entsenden. um
dem Kaiser anläßlich des fünfzigjährigen Regie-
rungsjubiläums die Huldigung Böhmens zu
überbringen. In formaler Beziehung beantragte
er, eine achtzehngliederige Commission solle über
den Antrag binnen vierundzwanzig Stunden dem
Hause berichten. Der Oberstlandmarschall erklärte,
er werde bezüglich der Dringlichkeit nach Erle-
digung der Tagesordnung abstimmen lassen. Am
Schlusse der Sitzung, in welcher zumeist land-
wirthschaftliche Angelegenheiten erledigt wurden,
brachte der Oberlandmarschall sodann den Dring-
lichkeitsantrag des Abg. Lippert auf Entsen-
dung einer Huldigungs-Deputation an den
Kaiser zur Verhandlung und erklärte, es dürfe
nur die Frage der Dringlichkeit besprochen wer-
den. Der Antragsteller, Abg. Lippert, betonte,
die Motive des Antrages seien für jeden Oester-
reicher selbstverständlich. Dem von anderer Seite
eingebrachten, im Wesentlichen gleichlautenden An-
trage können die Deutschen nicht beistimmen, weil
er von der Commission stammt, welche im Jahre
1895 eingesetzt wurde und aus welcher die Deut-
schen ausgetreten sind; er befürwortete die Dring-
lichkeit. Abg. Graf Buquoy begrüßte namens
des Großgrundbesitzes freudig den meritorischen
Inhalt des Antrages, welcher neuerdings darthue,
daß in der Huldigung für den Kaiser unter den
Völkern Oesterreichs keine Meinungsverschieden-
heit herrsche. Da in dem Wunsche, die
Gefühle der Huldigung auszudrücken, Alle
einig seien, können Alle mit Vertrauen darauf
rechnen, daß der Oberstlandmarschall die Verhand-
lungen rechtzeitig einleiten werde. Des Redners
Partei stimme daher gegen die Dringlichkeit. Abg.
Engel betonte, der Antrag der Deutscheu sei be-
reits in dem Antrage seiner Partei enthalten.
Die Adreßcommission habe schon den Huldigungs-
Act von der Adresse abgetrennt. Damit sei den
Deutschen ein genügendes Entgegenkommen be-
wiesen worden. Wenn die Deutschen nicht mit
den Tschechen stimmen wollen, sei es bedauerlich.
Der Redner bat den Oberstlandmarschall, den
Antrag der Commission baldmöglichst auf die
Tagesordnung zu setzen. Bei der Abstimmung
wurde die Dringlichkeit des Antrages, für die nur
die Deutschen stimmten, abgelehnt.




Proceß Zola.


Zola traf um 11 Uhr 40 Minuten vor
dem Justizpalast ein und wurde mit vereinzelten
Pfiffen empfangen.




[Spaltenumbruch]

santer als Genf, aber ihr fehlt das amüsante, zer-
streuende Leben und Treiben. Hier ist alles
mehr kleinstädtisch, spießbürgerlich. Das Theater
ist ein hübsches Gebäude, aber die Vorstellungen
mehr als mittelmäßig, und es wäre manchmal
wünschenswerth und vortheilhaft, wenn auch der
einzige Zuschuß, den die Stadt gewährt, die
Beleuchtung nämlich, unterbliebe. Concerte wer-
den -- wie auch in Genf -- schier übergenug
veranstaltet, aber leider verirrt sich nur selten
eine unserer Berühmtheiten hierher, obwohl sie
auf ein dankbares Publicum und reichen Zuspruch
rechnen dürfte. Die Gesellschaftskreise sind streng
geschieden und die Fremden darum meist darauf
angewiesen, sich ihren eigenen Landsleuten anzu-
schließen. Die Deutschen haben ihren Verein, in
dem sie sich zwanglos zusammensinden, die
Engländer bilden in dem etwas tiefer am See
gelegenen Ouchy eine Colonie für sich, und die
Russen, Männlein und Weiblein, die in größerer
Anzahl hier studieren, halten ebenso getreulich
zusammen. Die größte Rolle spielen die Studen-
ten, was in einer Stadt, die so ungezählte Pen-
sionen mit so ungezählten Mädchen hat, die sich
nicht allein zu Damen ausbilden, sondern auch
flirten und tanzen wollen, wohl kein Wunder ist.
Eine Studentenverbindung, die "Societe de
belles-lettres"
veranstaltet alljährlich vor Weih-
nachten eine Theateranfführung, in der nach
classischer Sitte auch die weiblichen Rollen von
Herren dargestellt werden, und zwar so vorzüg-
lich, daß man fast vergessen kann, daß es Herren-
[Spaltenumbruch] Damen sind, die mit so viel Geschick und Grazie
die überreich gespendeten Blumen und Kränze in
Empfang nehmen. Die Anerkennung, die diese
Liebesmühe in klingender Münze einbringt, wird
größtentheils für wohlthätige Zwecke verwendet.
Im großen Ganzen aber machen die hiesigen
Studenten nicht den kecken, frischen Eindruck, wie
in den deutschen Universitätsstädten die studierende
Jugend. Von der sogenannten akademischen
Schneidigkeit läßt sich nicht viel entdecken, auch
dann nicht, wenn die "flotten Burschen" in fest-
lichem Wichs erscheinen.

Das zu beobachten, hatte man erst kürzlich, am
24. Jänner, die beste Gelegenheit. An diesem Tage
nämlich feierte Lausanne und mit ihm zugleich der
Canton Waadt den 100jährigen Gedenktag an
die Befreiung von den Bernern. Schon wochen-
lang vorher war beinahe von nichts anderem
die Rede, und auch jetzt noch bildet dieses
Ereigniß einen Theil des Tagesgesprächs. Das
Festprogramm ließ denn auch an Reichhaltigkeit
nichts zu wünschen übrig. Kanonendonner er-
öffnete den Tag und schon Früh um 8 Uhr
wurde in Gegenwart der versammelten Schul-
jugend und einer Menge Volks der Freiheitsbaum
gepflanzt. In allen Kirchen, und auch in der
großen Kathedrale, die sonst das ganze Jahr
über geschlossen ist, fanden Gottesdienst und Fest-
predigt statt. An einem wirklich hübsch arran-
girten Festzuge, der Gelegenheit gab, die male-
rischen alten Schweizertrachten zu bewundern,
betheiligten sich auch die Studenten, sowie alle
[Spaltenumbruch] Vereine und Gewerkschaften. Das Endziel des
Zuges war die große freie Place Beaulion, wo
dann die schwungvollsten Reden gehalten und
zum Schluß unter allgemeiner Begeisterung die
Nationalhymne abgesungen wurde. Eine beson-
dere Weihe erhielt das Fest dadurch, daß der
derzeitige Bundespräsident der Schweiz, selbst
ein Waadtländer, eigens von Bern nach Lau-
sanne gekommen war, um die Feier mitzubegehen.
Die Stadt hatte ein hochzeitliches Gewand an-
gethan: Kränze, Festons und Fahnen, wohin
das Auge nur blickte. Besonders bot die alte
Stadt ein entzückendes Bild, in deren schmalen
Gassen die Guirlanden und die Fahnen so dicht
hingen, daß man wie unter einem Baldachin
dahinschritt.

Solche Feste freilich bringt das Jahr auch
hier nur äußerst selten. Zu denjenigen Sehens-
würdigkeiten dagegen, die es immer von neuem
bietet, gehört -- was den Neid jeder deutschen
Hausfrau erregen könnte -- der Gemüsemarkt
von Lausanne, der sich bergauf und bergab durch
die engen Straßen der inneren Stadt hinzieht.
Und nicht allein eine Hausfrau, nein, jeder, der
ein offenes Auge hat für das Schöne und An-
muthige, wo immer es auch sich findet, muß bei
diesem Anblick seine Freude haben. Wie ist da
jede Sorte von Gemüsen aller Art zierlich und
appetitlich in länglich-schmale flache Körbchen
geordnet, die auf der Erde säuberlich und accurat
aneinander gereiht sind. Kein Durcheinander,
nirgends ein welkes Blättchen! Der Spinat


[Spaltenumbruch]

jeder zehnte war ein Gründer. Man bot auch
mir eine Verwaltungsrathsſtelle an, wenn ich
bleiben wollte. Allein mir war dies tolle materielle
Treiben — toller, als ich es ſelbſt in Amerika
geſehen hatte — ganz unheimlich. Jedermann
war ſo reich, ſo großartig verſchwenderiſch — ich
kam mir ſelbſt recht arm vor. Als ich eines
Vormittags in Regenwetter mit Regenſchirm, die
Stiefel geſchützt mit Kautſchukgaloſchen bei einem
Bekannten eintrat, und er verwundert auf meine
waſſerdichten Ueberſchuhe herabſah, fragte ich:
Solche Schuhe ſind bei ſchlechtem Wetter ſehr
proctiſch — ich wundere mich, daß man ſie nicht
auch in Wien trägt. Da antwortete er gedehnt:
Ja, bei ſolchem Wetter nehmen wir halt einen
Fiaker!

Seit 1848 und ſeit 1872 hat ſich in Wien
Vieles geändert. Der volkswirthſchaftliche Auf-
ſchwung hat dem Krach Platz gemacht und die
Wiener werden wohl jetzt auch öfter den
Kautſchuküberſchuh als den Fiaker benützen. Die
Geſchäftsſtockung wurde ſehr geſchickt benützt
um Stimmung zu machen gegen Liberale und
Juden. Die Maſſe betet wieder vor ſolchen
Götzen, die man 1848 in Trümmer geſchlagen
hatte. Im Rathhaus ſitzt ein vielſeitiger,
verſatiler Mann und alles Liberale jede Huma-
nität iſt geboycottet. Welche Wendung — in
Folge einer ſehr genau auf die Schwachheit und
Dummheit der Menſchen ber[ech]neten Wühlerei!
Nun ſolche plötzliche und radicale Wechſel kommen
auch hier in New-York und in ganz Amerika
öfter vor. Das Volk verlangt von der Partei
vor Allem: Gute Geſchäfte! Die Parteileiter ver-
ſprechen dieſelben natürlich. Sind ſie nicht im
Stande, nach den Wahlen ihr Verſprechen einzu-
löſen, ſo fallen ſie bei den nächſten Wahlen und
müſſen Anderen Platz machen.

Bei der letzten Abſtimmung in New-York
wurde die Vereinigung der Stadt New-York mit
Brooklyn und anderen Vororten angenommen
und dadurch ein neues Stadtweſen von drei
Millionen Einwohnern geſchaffen. Aber die Lei-
tung und Verwaltung dieſer Rieſenſtadt wurde
der Trammany-Partei in die Hand gegeben. Wie
drüben in Wien: Die anſtändigen Leute zer-
ſplitterten ihre Stimmen auf verſchiedene Wahl-
tickets, und Tammany mußte ſiegen, da ſeine
Stimmen auf einem Ticket abgegeben wurden.
Das iſt für New-York von unheilvollen Folgen.
Es bedeutet die Beſetzung aller Stadtämter vom
Bürgermeiſter bis zum Polizeimann und Po-
lizeirichter herab mit blinden Anhängern von
Tammany, und dieſelbe Plünderung der reichen
Stadt wie jene zur Zeit als der Tammany-
Führer Tweed die Stadt um 14 Millionen be-
ſtohlen hatte. — Ein großes Unglück für New-
York, aber die Stadt geht deshalb nicht unter
und man fängt jetzt ſchon an zu organiſiren
[Spaltenumbruch] und zu arbeiten um Tammany in den nächſten
Wahlen in vier Jahren zu ſchlagen.

So ſollten auch die liberalen Wiener früh
aufſtehen und fleißig an die Arbeit gehen, um
die politiſche Ehre Wiens wieder herzuſtellen, wie
damals vor 50 Jahren Studenten, Bürger und
Arbeiter zu einer todesmuthigen Schaar geeint,
die Ehre von ganz Oeſterreich retteten und ganz
Deutſchland vom Metternich’ſchen Alpdruck be-
freiten. Ihr habt es im politiſchen Kampfe viel
bequemer als wir in 1848. Ihr braucht nicht
ener Leben auf den Barrikaden auf’s Spiel zu
ſetzten. Im Fall einer Niederlage werdet ihr nicht
in die Caſ matten von Olmütz oder Munkacs abge-
führt, auch nicht als gemeine Soldaten in ein
Regiment geſteckt. Eure Waffen ſind die Rede,
die Verſammlung, die Preſſe. Freilich muß jede
Partei ihr Gewiſſen erforſchen, ihre Fehler und
Sünden bekennen und ein reines Gewand an-
ziehen. Vielleicht wächſt die deutſche Kraft, wenn
die Liberalen etwas mehr Nationales und Sociales
in ihr Programm aufnehmen, wenn die Natio-
nalen ihren albernen Antiſemitismus ſtreichen
und wenn die Socialen ſich im Bereiche des
Möglichen halten.


Hans Kudlich.



Politiſche Nachrichten.
(Die Lage)

Dem „Tagesboten aus Mähren“
wird aus Wien gemeldet, daß im Miniſterium
des Innern vor einigen Tagen zwiſchen der Regie-
rung einerſeits und den Vertrauensmännern der
Deutſchen Fortſchrittspartei und der Deutſchen
Volkspartei in Mähren andererſeits eine Be-
ſprechung rein informativen Characters ſtattge-
funden hat. — Die „Oſtdeutſche Rundſchau“
ſchreibt zur inneren Lage: Jetzt zerbricht man ſich
den Kopf über den Nachfolger des Miniſter-
präſidenten Baron Gautſch’. Langes Leben haben
wir dem Miniſterium Gautſch nie vorausgeſagt,
wir können aber beim beſten Willen nicht einſehen,
warum Gautſch jetzt ſchon gehen ſollte. Es hat
ſich für ihn ſeit dem Amtsantritte gar nichts ge-
ändert: die Feuerprobe im Abgeordnetenhauſe
hat er noch nicht beſtanden und wenn er ſich
vor derſelben überhaupt fürchtet, nun dann hätte
er das Miniſterpräſidium überhaupt nicht an-
nehmen ſollen. Die Entſcheidung liegt nach wie
vor im Abgeordnetenhauſe und die Stimmung,
die Gautſch vorfinden wird, hängt lediglich von
ihm ab. Bis jetzt hat ſich ſeit dem 5. April
nichts geändert. Baron Gautſch kann alſo un-
möglich erwarten, eine andere Stimmung zu
finden als am Tage der letzten Parlaments-
ſitzung. Die Deutſchen haben nichts Anderes zu-
thun, als zu erwarten, wie ſich Baron Gautſch
entſcheidet. Für die Feſtigkeit der deutſchen
Oppoſition im Reichsrathe iſt die Geſinnung der
Wähler Gewähr.


[Spaltenumbruch]
(Aus dem böhmiſchen Landtage.)

Wie
bereits gemeldet, beantragten in der am 19. d.
ſtattgefundenen Sitzung des böhmiſchen Landtages
die Abg. Lippert und Genoſſen, aus der
Mitte des Hauſes eine Deputation an das Hof-
lager zu einer geeigneten Zeit zu entſenden. um
dem Kaiſer anläßlich des fünfzigjährigen Regie-
rungsjubiläums die Huldigung Böhmens zu
überbringen. In formaler Beziehung beantragte
er, eine achtzehngliederige Commiſſion ſolle über
den Antrag binnen vierundzwanzig Stunden dem
Hauſe berichten. Der Oberſtlandmarſchall erklärte,
er werde bezüglich der Dringlichkeit nach Erle-
digung der Tagesordnung abſtimmen laſſen. Am
Schluſſe der Sitzung, in welcher zumeiſt land-
wirthſchaftliche Angelegenheiten erledigt wurden,
brachte der Oberlandmarſchall ſodann den Dring-
lichkeitsantrag des Abg. Lippert auf Entſen-
dung einer Huldigungs-Deputation an den
Kaiſer zur Verhandlung und erklärte, es dürfe
nur die Frage der Dringlichkeit beſprochen wer-
den. Der Antragſteller, Abg. Lippert, betonte,
die Motive des Antrages ſeien für jeden Oeſter-
reicher ſelbſtverſtändlich. Dem von anderer Seite
eingebrachten, im Weſentlichen gleichlautenden An-
trage können die Deutſchen nicht beiſtimmen, weil
er von der Commiſſion ſtammt, welche im Jahre
1895 eingeſetzt wurde und aus welcher die Deut-
ſchen ausgetreten ſind; er befürwortete die Dring-
lichkeit. Abg. Graf Buquoy begrüßte namens
des Großgrundbeſitzes freudig den meritoriſchen
Inhalt des Antrages, welcher neuerdings darthue,
daß in der Huldigung für den Kaiſer unter den
Völkern Oeſterreichs keine Meinungsverſchieden-
heit herrſche. Da in dem Wunſche, die
Gefühle der Huldigung auszudrücken, Alle
einig ſeien, können Alle mit Vertrauen darauf
rechnen, daß der Oberſtlandmarſchall die Verhand-
lungen rechtzeitig einleiten werde. Des Redners
Partei ſtimme daher gegen die Dringlichkeit. Abg.
Engel betonte, der Antrag der Deutſcheu ſei be-
reits in dem Antrage ſeiner Partei enthalten.
Die Adreßcommiſſion habe ſchon den Huldigungs-
Act von der Adreſſe abgetrennt. Damit ſei den
Deutſchen ein genügendes Entgegenkommen be-
wieſen worden. Wenn die Deutſchen nicht mit
den Tſchechen ſtimmen wollen, ſei es bedauerlich.
Der Redner bat den Oberſtlandmarſchall, den
Antrag der Commiſſion baldmöglichſt auf die
Tagesordnung zu ſetzen. Bei der Abſtimmung
wurde die Dringlichkeit des Antrages, für die nur
die Deutſchen ſtimmten, abgelehnt.




Proceß Zola.


Zola traf um 11 Uhr 40 Minuten vor
dem Juſtizpalaſt ein und wurde mit vereinzelten
Pfiffen empfangen.




[Spaltenumbruch]

ſanter als Genf, aber ihr fehlt das amüſante, zer-
ſtreuende Leben und Treiben. Hier iſt alles
mehr kleinſtädtiſch, ſpießbürgerlich. Das Theater
iſt ein hübſches Gebäude, aber die Vorſtellungen
mehr als mittelmäßig, und es wäre manchmal
wünſchenswerth und vortheilhaft, wenn auch der
einzige Zuſchuß, den die Stadt gewährt, die
Beleuchtung nämlich, unterbliebe. Concerte wer-
den — wie auch in Genf — ſchier übergenug
veranſtaltet, aber leider verirrt ſich nur ſelten
eine unſerer Berühmtheiten hierher, obwohl ſie
auf ein dankbares Publicum und reichen Zuſpruch
rechnen dürfte. Die Geſellſchaftskreiſe ſind ſtreng
geſchieden und die Fremden darum meiſt darauf
angewieſen, ſich ihren eigenen Landsleuten anzu-
ſchließen. Die Deutſchen haben ihren Verein, in
dem ſie ſich zwanglos zuſammenſinden, die
Engländer bilden in dem etwas tiefer am See
gelegenen Ouchy eine Colonie für ſich, und die
Ruſſen, Männlein und Weiblein, die in größerer
Anzahl hier ſtudieren, halten ebenſo getreulich
zuſammen. Die größte Rolle ſpielen die Studen-
ten, was in einer Stadt, die ſo ungezählte Pen-
ſionen mit ſo ungezählten Mädchen hat, die ſich
nicht allein zu Damen ausbilden, ſondern auch
flirten und tanzen wollen, wohl kein Wunder iſt.
Eine Studentenverbindung, die „Société de
belles-lettres“
veranſtaltet alljährlich vor Weih-
nachten eine Theateranfführung, in der nach
claſſiſcher Sitte auch die weiblichen Rollen von
Herren dargeſtellt werden, und zwar ſo vorzüg-
lich, daß man faſt vergeſſen kann, daß es Herren-
[Spaltenumbruch] Damen ſind, die mit ſo viel Geſchick und Grazie
die überreich geſpendeten Blumen und Kränze in
Empfang nehmen. Die Anerkennung, die dieſe
Liebesmühe in klingender Münze einbringt, wird
größtentheils für wohlthätige Zwecke verwendet.
Im großen Ganzen aber machen die hieſigen
Studenten nicht den kecken, friſchen Eindruck, wie
in den deutſchen Univerſitätsſtädten die ſtudierende
Jugend. Von der ſogenannten akademiſchen
Schneidigkeit läßt ſich nicht viel entdecken, auch
dann nicht, wenn die „flotten Burſchen“ in feſt-
lichem Wichs erſcheinen.

Das zu beobachten, hatte man erſt kürzlich, am
24. Jänner, die beſte Gelegenheit. An dieſem Tage
nämlich feierte Lauſanne und mit ihm zugleich der
Canton Waadt den 100jährigen Gedenktag an
die Befreiung von den Bernern. Schon wochen-
lang vorher war beinahe von nichts anderem
die Rede, und auch jetzt noch bildet dieſes
Ereigniß einen Theil des Tagesgeſprächs. Das
Feſtprogramm ließ denn auch an Reichhaltigkeit
nichts zu wünſchen übrig. Kanonendonner er-
öffnete den Tag und ſchon Früh um 8 Uhr
wurde in Gegenwart der verſammelten Schul-
jugend und einer Menge Volks der Freiheitsbaum
gepflanzt. In allen Kirchen, und auch in der
großen Kathedrale, die ſonſt das ganze Jahr
über geſchloſſen iſt, fanden Gottesdienſt und Feſt-
predigt ſtatt. An einem wirklich hübſch arran-
girten Feſtzuge, der Gelegenheit gab, die male-
riſchen alten Schweizertrachten zu bewundern,
betheiligten ſich auch die Studenten, ſowie alle
[Spaltenumbruch] Vereine und Gewerkſchaften. Das Endziel des
Zuges war die große freie Place Beaulion, wo
dann die ſchwungvollſten Reden gehalten und
zum Schluß unter allgemeiner Begeiſterung die
Nationalhymne abgeſungen wurde. Eine beſon-
dere Weihe erhielt das Feſt dadurch, daß der
derzeitige Bundespräſident der Schweiz, ſelbſt
ein Waadtländer, eigens von Bern nach Lau-
ſanne gekommen war, um die Feier mitzubegehen.
Die Stadt hatte ein hochzeitliches Gewand an-
gethan: Kränze, Feſtons und Fahnen, wohin
das Auge nur blickte. Beſonders bot die alte
Stadt ein entzückendes Bild, in deren ſchmalen
Gaſſen die Guirlanden und die Fahnen ſo dicht
hingen, daß man wie unter einem Baldachin
dahinſchritt.

Solche Feſte freilich bringt das Jahr auch
hier nur äußerſt ſelten. Zu denjenigen Sehens-
würdigkeiten dagegen, die es immer von neuem
bietet, gehört — was den Neid jeder deutſchen
Hausfrau erregen könnte — der Gemüſemarkt
von Lauſanne, der ſich bergauf und bergab durch
die engen Straßen der inneren Stadt hinzieht.
Und nicht allein eine Hausfrau, nein, jeder, der
ein offenes Auge hat für das Schöne und An-
muthige, wo immer es auch ſich findet, muß bei
dieſem Anblick ſeine Freude haben. Wie iſt da
jede Sorte von Gemüſen aller Art zierlich und
appetitlich in länglich-ſchmale flache Körbchen
geordnet, die auf der Erde ſäuberlich und accurat
aneinander gereiht ſind. Kein Durcheinander,
nirgends ein welkes Blättchen! Der Spinat


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[[2]/0002] jeder zehnte war ein Gründer. Man bot auch mir eine Verwaltungsrathsſtelle an, wenn ich bleiben wollte. Allein mir war dies tolle materielle Treiben — toller, als ich es ſelbſt in Amerika geſehen hatte — ganz unheimlich. Jedermann war ſo reich, ſo großartig verſchwenderiſch — ich kam mir ſelbſt recht arm vor. Als ich eines Vormittags in Regenwetter mit Regenſchirm, die Stiefel geſchützt mit Kautſchukgaloſchen bei einem Bekannten eintrat, und er verwundert auf meine waſſerdichten Ueberſchuhe herabſah, fragte ich: Solche Schuhe ſind bei ſchlechtem Wetter ſehr proctiſch — ich wundere mich, daß man ſie nicht auch in Wien trägt. Da antwortete er gedehnt: Ja, bei ſolchem Wetter nehmen wir halt einen Fiaker! Seit 1848 und ſeit 1872 hat ſich in Wien Vieles geändert. Der volkswirthſchaftliche Auf- ſchwung hat dem Krach Platz gemacht und die Wiener werden wohl jetzt auch öfter den Kautſchuküberſchuh als den Fiaker benützen. Die Geſchäftsſtockung wurde ſehr geſchickt benützt um Stimmung zu machen gegen Liberale und Juden. Die Maſſe betet wieder vor ſolchen Götzen, die man 1848 in Trümmer geſchlagen hatte. Im Rathhaus ſitzt ein vielſeitiger, verſatiler Mann und alles Liberale jede Huma- nität iſt geboycottet. Welche Wendung — in Folge einer ſehr genau auf die Schwachheit und Dummheit der Menſchen berechneten Wühlerei! Nun ſolche plötzliche und radicale Wechſel kommen auch hier in New-York und in ganz Amerika öfter vor. Das Volk verlangt von der Partei vor Allem: Gute Geſchäfte! Die Parteileiter ver- ſprechen dieſelben natürlich. Sind ſie nicht im Stande, nach den Wahlen ihr Verſprechen einzu- löſen, ſo fallen ſie bei den nächſten Wahlen und müſſen Anderen Platz machen. Bei der letzten Abſtimmung in New-York wurde die Vereinigung der Stadt New-York mit Brooklyn und anderen Vororten angenommen und dadurch ein neues Stadtweſen von drei Millionen Einwohnern geſchaffen. Aber die Lei- tung und Verwaltung dieſer Rieſenſtadt wurde der Trammany-Partei in die Hand gegeben. Wie drüben in Wien: Die anſtändigen Leute zer- ſplitterten ihre Stimmen auf verſchiedene Wahl- tickets, und Tammany mußte ſiegen, da ſeine Stimmen auf einem Ticket abgegeben wurden. Das iſt für New-York von unheilvollen Folgen. Es bedeutet die Beſetzung aller Stadtämter vom Bürgermeiſter bis zum Polizeimann und Po- lizeirichter herab mit blinden Anhängern von Tammany, und dieſelbe Plünderung der reichen Stadt wie jene zur Zeit als der Tammany- Führer Tweed die Stadt um 14 Millionen be- ſtohlen hatte. — Ein großes Unglück für New- York, aber die Stadt geht deshalb nicht unter und man fängt jetzt ſchon an zu organiſiren und zu arbeiten um Tammany in den nächſten Wahlen in vier Jahren zu ſchlagen. So ſollten auch die liberalen Wiener früh aufſtehen und fleißig an die Arbeit gehen, um die politiſche Ehre Wiens wieder herzuſtellen, wie damals vor 50 Jahren Studenten, Bürger und Arbeiter zu einer todesmuthigen Schaar geeint, die Ehre von ganz Oeſterreich retteten und ganz Deutſchland vom Metternich’ſchen Alpdruck be- freiten. Ihr habt es im politiſchen Kampfe viel bequemer als wir in 1848. Ihr braucht nicht ener Leben auf den Barrikaden auf’s Spiel zu ſetzten. Im Fall einer Niederlage werdet ihr nicht in die Caſ matten von Olmütz oder Munkacs abge- führt, auch nicht als gemeine Soldaten in ein Regiment geſteckt. Eure Waffen ſind die Rede, die Verſammlung, die Preſſe. Freilich muß jede Partei ihr Gewiſſen erforſchen, ihre Fehler und Sünden bekennen und ein reines Gewand an- ziehen. Vielleicht wächſt die deutſche Kraft, wenn die Liberalen etwas mehr Nationales und Sociales in ihr Programm aufnehmen, wenn die Natio- nalen ihren albernen Antiſemitismus ſtreichen und wenn die Socialen ſich im Bereiche des Möglichen halten. Hoboken, im Februar 1898. Hans Kudlich. Politiſche Nachrichten. (Die Lage) Dem „Tagesboten aus Mähren“ wird aus Wien gemeldet, daß im Miniſterium des Innern vor einigen Tagen zwiſchen der Regie- rung einerſeits und den Vertrauensmännern der Deutſchen Fortſchrittspartei und der Deutſchen Volkspartei in Mähren andererſeits eine Be- ſprechung rein informativen Characters ſtattge- funden hat. — Die „Oſtdeutſche Rundſchau“ ſchreibt zur inneren Lage: Jetzt zerbricht man ſich den Kopf über den Nachfolger des Miniſter- präſidenten Baron Gautſch’. Langes Leben haben wir dem Miniſterium Gautſch nie vorausgeſagt, wir können aber beim beſten Willen nicht einſehen, warum Gautſch jetzt ſchon gehen ſollte. Es hat ſich für ihn ſeit dem Amtsantritte gar nichts ge- ändert: die Feuerprobe im Abgeordnetenhauſe hat er noch nicht beſtanden und wenn er ſich vor derſelben überhaupt fürchtet, nun dann hätte er das Miniſterpräſidium überhaupt nicht an- nehmen ſollen. Die Entſcheidung liegt nach wie vor im Abgeordnetenhauſe und die Stimmung, die Gautſch vorfinden wird, hängt lediglich von ihm ab. Bis jetzt hat ſich ſeit dem 5. April nichts geändert. Baron Gautſch kann alſo un- möglich erwarten, eine andere Stimmung zu finden als am Tage der letzten Parlaments- ſitzung. Die Deutſchen haben nichts Anderes zu- thun, als zu erwarten, wie ſich Baron Gautſch entſcheidet. Für die Feſtigkeit der deutſchen Oppoſition im Reichsrathe iſt die Geſinnung der Wähler Gewähr. (Aus dem böhmiſchen Landtage.) Wie bereits gemeldet, beantragten in der am 19. d. ſtattgefundenen Sitzung des böhmiſchen Landtages die Abg. Lippert und Genoſſen, aus der Mitte des Hauſes eine Deputation an das Hof- lager zu einer geeigneten Zeit zu entſenden. um dem Kaiſer anläßlich des fünfzigjährigen Regie- rungsjubiläums die Huldigung Böhmens zu überbringen. In formaler Beziehung beantragte er, eine achtzehngliederige Commiſſion ſolle über den Antrag binnen vierundzwanzig Stunden dem Hauſe berichten. Der Oberſtlandmarſchall erklärte, er werde bezüglich der Dringlichkeit nach Erle- digung der Tagesordnung abſtimmen laſſen. Am Schluſſe der Sitzung, in welcher zumeiſt land- wirthſchaftliche Angelegenheiten erledigt wurden, brachte der Oberlandmarſchall ſodann den Dring- lichkeitsantrag des Abg. Lippert auf Entſen- dung einer Huldigungs-Deputation an den Kaiſer zur Verhandlung und erklärte, es dürfe nur die Frage der Dringlichkeit beſprochen wer- den. Der Antragſteller, Abg. Lippert, betonte, die Motive des Antrages ſeien für jeden Oeſter- reicher ſelbſtverſtändlich. Dem von anderer Seite eingebrachten, im Weſentlichen gleichlautenden An- trage können die Deutſchen nicht beiſtimmen, weil er von der Commiſſion ſtammt, welche im Jahre 1895 eingeſetzt wurde und aus welcher die Deut- ſchen ausgetreten ſind; er befürwortete die Dring- lichkeit. Abg. Graf Buquoy begrüßte namens des Großgrundbeſitzes freudig den meritoriſchen Inhalt des Antrages, welcher neuerdings darthue, daß in der Huldigung für den Kaiſer unter den Völkern Oeſterreichs keine Meinungsverſchieden- heit herrſche. Da in dem Wunſche, die Gefühle der Huldigung auszudrücken, Alle einig ſeien, können Alle mit Vertrauen darauf rechnen, daß der Oberſtlandmarſchall die Verhand- lungen rechtzeitig einleiten werde. Des Redners Partei ſtimme daher gegen die Dringlichkeit. Abg. Engel betonte, der Antrag der Deutſcheu ſei be- reits in dem Antrage ſeiner Partei enthalten. Die Adreßcommiſſion habe ſchon den Huldigungs- Act von der Adreſſe abgetrennt. Damit ſei den Deutſchen ein genügendes Entgegenkommen be- wieſen worden. Wenn die Deutſchen nicht mit den Tſchechen ſtimmen wollen, ſei es bedauerlich. Der Redner bat den Oberſtlandmarſchall, den Antrag der Commiſſion baldmöglichſt auf die Tagesordnung zu ſetzen. Bei der Abſtimmung wurde die Dringlichkeit des Antrages, für die nur die Deutſchen ſtimmten, abgelehnt. Proceß Zola. Paris, 19. Februar. Zola traf um 11 Uhr 40 Minuten vor dem Juſtizpalaſt ein und wurde mit vereinzelten Pfiffen empfangen. ſanter als Genf, aber ihr fehlt das amüſante, zer- ſtreuende Leben und Treiben. Hier iſt alles mehr kleinſtädtiſch, ſpießbürgerlich. Das Theater iſt ein hübſches Gebäude, aber die Vorſtellungen mehr als mittelmäßig, und es wäre manchmal wünſchenswerth und vortheilhaft, wenn auch der einzige Zuſchuß, den die Stadt gewährt, die Beleuchtung nämlich, unterbliebe. Concerte wer- den — wie auch in Genf — ſchier übergenug veranſtaltet, aber leider verirrt ſich nur ſelten eine unſerer Berühmtheiten hierher, obwohl ſie auf ein dankbares Publicum und reichen Zuſpruch rechnen dürfte. Die Geſellſchaftskreiſe ſind ſtreng geſchieden und die Fremden darum meiſt darauf angewieſen, ſich ihren eigenen Landsleuten anzu- ſchließen. Die Deutſchen haben ihren Verein, in dem ſie ſich zwanglos zuſammenſinden, die Engländer bilden in dem etwas tiefer am See gelegenen Ouchy eine Colonie für ſich, und die Ruſſen, Männlein und Weiblein, die in größerer Anzahl hier ſtudieren, halten ebenſo getreulich zuſammen. Die größte Rolle ſpielen die Studen- ten, was in einer Stadt, die ſo ungezählte Pen- ſionen mit ſo ungezählten Mädchen hat, die ſich nicht allein zu Damen ausbilden, ſondern auch flirten und tanzen wollen, wohl kein Wunder iſt. Eine Studentenverbindung, die „Société de belles-lettres“ veranſtaltet alljährlich vor Weih- nachten eine Theateranfführung, in der nach claſſiſcher Sitte auch die weiblichen Rollen von Herren dargeſtellt werden, und zwar ſo vorzüg- lich, daß man faſt vergeſſen kann, daß es Herren- Damen ſind, die mit ſo viel Geſchick und Grazie die überreich geſpendeten Blumen und Kränze in Empfang nehmen. Die Anerkennung, die dieſe Liebesmühe in klingender Münze einbringt, wird größtentheils für wohlthätige Zwecke verwendet. Im großen Ganzen aber machen die hieſigen Studenten nicht den kecken, friſchen Eindruck, wie in den deutſchen Univerſitätsſtädten die ſtudierende Jugend. Von der ſogenannten akademiſchen Schneidigkeit läßt ſich nicht viel entdecken, auch dann nicht, wenn die „flotten Burſchen“ in feſt- lichem Wichs erſcheinen. Das zu beobachten, hatte man erſt kürzlich, am 24. Jänner, die beſte Gelegenheit. An dieſem Tage nämlich feierte Lauſanne und mit ihm zugleich der Canton Waadt den 100jährigen Gedenktag an die Befreiung von den Bernern. Schon wochen- lang vorher war beinahe von nichts anderem die Rede, und auch jetzt noch bildet dieſes Ereigniß einen Theil des Tagesgeſprächs. Das Feſtprogramm ließ denn auch an Reichhaltigkeit nichts zu wünſchen übrig. Kanonendonner er- öffnete den Tag und ſchon Früh um 8 Uhr wurde in Gegenwart der verſammelten Schul- jugend und einer Menge Volks der Freiheitsbaum gepflanzt. In allen Kirchen, und auch in der großen Kathedrale, die ſonſt das ganze Jahr über geſchloſſen iſt, fanden Gottesdienſt und Feſt- predigt ſtatt. An einem wirklich hübſch arran- girten Feſtzuge, der Gelegenheit gab, die male- riſchen alten Schweizertrachten zu bewundern, betheiligten ſich auch die Studenten, ſowie alle Vereine und Gewerkſchaften. Das Endziel des Zuges war die große freie Place Beaulion, wo dann die ſchwungvollſten Reden gehalten und zum Schluß unter allgemeiner Begeiſterung die Nationalhymne abgeſungen wurde. Eine beſon- dere Weihe erhielt das Feſt dadurch, daß der derzeitige Bundespräſident der Schweiz, ſelbſt ein Waadtländer, eigens von Bern nach Lau- ſanne gekommen war, um die Feier mitzubegehen. Die Stadt hatte ein hochzeitliches Gewand an- gethan: Kränze, Feſtons und Fahnen, wohin das Auge nur blickte. Beſonders bot die alte Stadt ein entzückendes Bild, in deren ſchmalen Gaſſen die Guirlanden und die Fahnen ſo dicht hingen, daß man wie unter einem Baldachin dahinſchritt. Solche Feſte freilich bringt das Jahr auch hier nur äußerſt ſelten. Zu denjenigen Sehens- würdigkeiten dagegen, die es immer von neuem bietet, gehört — was den Neid jeder deutſchen Hausfrau erregen könnte — der Gemüſemarkt von Lauſanne, der ſich bergauf und bergab durch die engen Straßen der inneren Stadt hinzieht. Und nicht allein eine Hausfrau, nein, jeder, der ein offenes Auge hat für das Schöne und An- muthige, wo immer es auch ſich findet, muß bei dieſem Anblick ſeine Freude haben. Wie iſt da jede Sorte von Gemüſen aller Art zierlich und appetitlich in länglich-ſchmale flache Körbchen geordnet, die auf der Erde ſäuberlich und accurat aneinander gereiht ſind. Kein Durcheinander, nirgends ein welkes Blättchen! Der Spinat

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 41, Olmütz, 21.02.1898, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches41_1898/2>, abgerufen am 19.04.2024.