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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 21. Köln, 21. Juni 1848.

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[Deutschland]
** Köln. 20. Juni.

Wieder eine neue Wendung in der posenschen Angelegenheit!

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
19 Köln, 20. Juni.

Der Wilde, sagt man, zählt seinen Ruhm nach den eingebrachten Scalps, der christlich-germanische Kriegsmann den seinen nach den Tagesbefehlen, in denen er genannt worden, (Herr Pfuel nach der Zahl der geschorenen oder gebrannten Polenköpfe) - und die Frankfurter Nationalversammlung rechnet ihre Ehre nach den gesegneten Ferientagen, welche sie feiert, denn dies sind stets die großen Momente, wo sie sich nicht kompromittirt.

Es ist eine wunderbar erbauende Geschichte um die parlamentarischen Schulübungen dieser erleuchteten Versammlung. Das Volk von Wien und Berlin, emporgejagt durch die Erschütterung der Pariser Februartage, zerschmettert das alte Joch seines von "Gottes Gnaden" ihm auferlegten Despotismus und die zagenden Fürsten beugen sich vor der blutigen Errungenschaft seines souveränen Rechts; plötzlich schießen wie Pilze an allen Orten unbekannte Volksfreunde empor, sie halten Reden über die Größe der deutschen Nation, erklären dem Volk, daß es jetzt auf "gesetzlichem" Wege seine Souveränetät und die Einheit des 34spaltigen Landes feststellen müsse, und das Volk sendet diese biedern theilnehmenden Freunde gen Frankfurt. Und was haben die Volksfreunde in Frankfurt gethan?

Die Versammlung hält seit länger als einem Monat Sitzungen, was für das Volk die Summe von circa 200,000 Thalern ausmacht, - abgerechnet die geheimen Kosten. Und was hat die Versammlung bisher gethan?

Diese Frage ist im Volk laut und immer lauter geworden, bis sie in der Sitzung vom 17. die Versammlung selbst in ihrer Beschaulichkeit unterbricht. Hören wir, wie die Freunde der Volkssouveränetät ihr Gewissen erforschen.

Der Abgeordnete Jordan erinnert die Versammlung daran, daß es nicht darauf ankomme, ob sie sich selbst genug sei, sondern daß draußen ihre Mandatare auf sie warten. Er sagt: "Und was meinen Sie, was draußen über unser Feiern gesagt werde? Kaum sind die Feiertage vorüber, die der Kalender uns diktirt, so machen wir neue Feiertage.. Während Ereignisse sich wie Lawinen stürzen, legen wir, denen das Volk seine Zukunft anvertraut, die Hände in den Schooß, und machen Feiertage. Im Süden ein blutiger Konflikt zwischen einem König und seiner Hauptstadt, wo es noch ungewiß ist, ob das Haus der Bourbonen in Neapel überhaupt noch existirt, - was thun wir? wir halten Feiertage. Eine deutsche Stadt im Süden ist bedroht vom Bombardement der Italiener, und wir? was geht es uns an, wir halten Feiertage. In Berlin betritt eine hohe Person in Generalsuniform die Rednerbühne und spricht das Motto des alten Systems aus, recht um den Unwillen zu provoziren, und schon ist Bürgerblut in den Straßen geflossen; doch das geht uns nichts an, wir, wir halten Feiertage. Diejenigen, welche seit 50 Jahren alle Lasten der Gesellschaft getragen, haben sich gewaltig geschüttelt, und drohen unsere ganze bisherige Kultur zerstören. Noch warten sie auf uns, aber ich fürchte, sie werden nicht mehr lange warten, und dann wird es heißen: es ist zu spät!"

Die Versammlung erschrickt. Die Erinnerung, daß nicht sie selbst, sondern daß das Volk draußen die Sauverainität übe, wirkt sogar auf die Rechte, welche diesmal zu trommeln und zu pfeifen vergißt. Der "edle Gagern" versucht vergebens den Redner zu unterbrechen, der sich in seiner Anklage nicht beirren läßt.

Da erscheint Herr Jakob Venedey auf der Tribüne.

"Ein Hohn gegen unsere Versammlung, wie er dieser Tage hier in einer andern Versammlung ausgesprochen wurde, ist ein Verrath am Vaterlande!"

Herr Venedey rettet die bedrohte Souverainität der Versammlung; er erklärt, daß dem beschränkten Volksverstand draußen nicht das Recht zustehe, die weisen Maßregeln der souverainen "Konstituirenden" mit Gelächter zu begrüßen; Jeder, der sich über die souverainen Bürger Venedey, Eisenmann, Jahn u. s. w. einen "unehrerbietigen Tadel" erlaubt, ist als "Landesverräther" dem preußischen Landrecht verfallen. Und um seinen Worten Nachdruck zu geben, fügt er mit salbungsvoller Rührung hinzu:

"Ich muß noch ein Wort sagen, was mir lange auf dem Herzen gelegen; ich bin 18 Jahre lang Flüchtling in Frankreich gewesen..."

Das Wort, welches Hr. Jakob Venedey so "lange auf dem Herzen" getragen, verfeht seine Wirkung auf mildherzige Menschenfreunde nicht. Er hat es in Paris in der Demokratenversammlung im Salle-Valentino, im Kölner Gürzenich bei der Wahl zum Vorparlament, in Homburg bei den Wahlen zur Nationalversammlung überall mit gleichem Erfolg versucht. Kaum daß er jetzt seinen Busen geöffnet und den "Patriotismus mit allen seinen Geschwüren" an den Tag gelegt, so strömt ihm der goldene Regen des Beifalls, die Pfennige der Popularität vor die Füße. Hoffen wir, daß das Ministerium Camphausen die Dulderschaft Venedey's taxiren möge, wie die Baiern den Biedermann Eisenmann taxirt haben; Herr Venedey wird dabei billig die Unterstützungen in Abzug stellen, welche er in Paris von den armen deutschen Arbeitern erhielt, als er seinen "Geächteten" herausgab.

Die Versammlung fühlt sich unter dem Beistand solcher populären Dulder wiederum sicher gegen den "Hohn der Vaterlandsverräther," und als Kapp in der weiteren Verhandlung davon spricht, daß man "auf einem vulkanischen Boden" stehe, können sich die Ritter der Rechten schon zu einem Hohngelächter aufraffen. Die "souveräne" Versammlung ist sich selbst genug. Das Volk, dessen Souveränetät bei den Wahlen exploitirt wurde, ist nichts mehr, es hat zu erwarten, was die Konstituirenden, die Dulder und die Geduldeten über seine Zukunft beschließen.

"Diejenigen, welche alle Lasten der Gesellschaft getragen haben, warten auf uns; doch, was geht das uns an, wir, wir haben Feiertage!"

7 Bernkastel, 17. Juni.

Noch niemals habe ich die Volksmeinung sich mit solcher Einmüthigkeit und Entschiedenheit aussprechen hören, als es hier und in der ganzen Umgegend geschah bei der Nachricht, daß unser Deputirter, Hr. A. Reichensperger, Landgerichtsrath, gegen den Behrends'schen Antrag für die motivirte Tagesordnung gestimmt habe.

Von hier aus wurde mit aller Energie auf die Zusammenberufung einer Kreisvolksversammlung gedrungen, welche nächster Tage stattfinden und worin sich herausstellen wird, was man von dem genannten Herrn hält.

Nächstens der Bericht hierüber.

* Berlin, 17. Juni.

Sie wissen schon, daß die Vereinbarungssitzung heute ausgesetzt und bis zum Dienstag vertagt werden mußte, weil der Ministerpräsident Camphausen erklärte, das Ministerium sei nicht mehr vollständig. Auch Patow soll abtreten.

Das neugestaltete Ministerium, streut man aus, wolle nur provisorisch gelten, da das ganze Ministerium Camphausen nur noch beabsichtige, die Adreßdebatte zu seiner Rechtfertigung abzuwarten und dann abzutreten. Hansemann arbeitet unterdessen durch Mittel jeder Art darauf hin, als Premier-Phönix aus der Asche des jetzigen Ministeriums hervorzugehn. Wie aber auch immer die ministeriellen Combinationen sich gestalten mögen, man wird sich aus dem linken Centrum ergänzen müssen. Schon die ziemlich sichre Kandidatur von Rodbertus weist darauf hin. Das linke Centrum, in viele kleine, sich gegenseitig bekämpfende Unterfraktionen gespalten, ist aber unfähig, ein Ministerium zu stützen. Die Leistung eines aus ihm hervor gegangenen Ministeriums würde von der Linken abhangen. Die Linke steigt daher an dem parlamentarischen Barometer.

Heute Morgen unterhielt man sich sehr lebhaft - von dem Gerüchte, Petersburg habe ein Ultimatur, eine quasi Kriegserklärung erlassen. Die längst gehegte Ueberzeugung von einer Allianz zwischen dem preußischen und dem russischen Hofe, gab Anlaß zu leidenschaftlichen Aeußerungen. Nicht nur die pommerschen Gutsbesitzer, selbst rheinländische Conservative sollen auf den Listen des sogenannten Russenbundes, an dessen Spitze eine hochgestellte Person stehe, ihre Namen unterzeichnet haben. Wie dem auch sei, von allen Seiten ist man über einen Punkt einig, über das Ausbrechen eines Kriegs mit Rußland in kürzester Frist. Die Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird, muß manches Dunkel in unsern Staatsangelegenheiten aufhellen, namentlich auch die Stellungen einzelner Persönlichkeiten, - ob sie Betrüger waren, ob Betrogene.

Der Kriegskommissarias Griesheim in seiner Erklärung über die Stürmung des Zeughauses betrachtet sie zuerst als politisches Ereigniß, um die Demagogen zu bezüchtigen. Durch politische Reden habe man die Masse aufgewiegelt. Hinterher wird aus dem politischen Ereigniß ein Kriminalfall, um die Masse zu brandmarken. Raub und Plünderung sei ihr Motiv gewesen. Man habe deßhalb auch hauptsächlich mit Silber beschlagene Waffen weggenommen, wobei der gute Herr freilich vergaß, daß es ganz dunkel im Zeughaus war, und durchaus die Zeit zu langer Untersuchung der Waffen fehlte. Es war ein wirklich genialer Einfall des Herrn Griesheim, die Uebergabe des Zeughauses an das Volk mit der Uebergabe der Festungen im Jahre 1806 an die Franzosen zu vergleichen.

Was übrigens den Hauptmann von Natzmer betrifft, so stellt sich nun hinaus, daß er alle Vertheidigungsmaßregeln ergriffen und sogar die Treppen hatte abbrechen lassen, daß er aber erklärte, abziehen zu wollen, als man drohte, das Zeughaus in Brand zu stecken. Er hat so Menschenleben gerettet und was Herrn Griesheim ungleich wichtiger erscheinen muß, er hat einen großen Theil der Kriegsmaterialien vor völliger Vernichtung gesichert. Durch den Verlust von 1100 neuen Gewehren, ist Herrn Griesheim zufolge der preuß. Staat schon in die größte Gefahr versetzt worden. Offenbar mußte er untergehn nach dem Verlust des sämmtlichen Materials, und Griesheim begrüßt den Hauptmann von Natzmer nicht als Retter des Vaterlands?

Die Linke und Rechte standen sich während dieser Auseinandersetzung drohend gegenüber, die heftigsten Unterbrechungen folgten sich. Viele verließen mit großer Entrüstung den Sitzungssaal. Was wohl Berlin sagen wird? Es ist vorherzusehen, daß die beruhigende Wirkung der Kammerbeschlüsse von vorgestern auf die Stadt, durch die Erklärung des Herrn Vicekriegsministers völlig paralysirt ist.

107 Breslau, 17. Juni.

Der Oberpräsident Pinder ist vorgestern wohlbehalten hierher zurückgekehrt. Man erzählt mir zugleich, daß dies in Folge einer Adresse der Bauern aus dem hiesigen Kreise, von welchen er zum Deputirten nach Berlin gewählt worden war, geschehen ist. Gewiß ist, daß er sein Mandat niedergelegt hat. Somit wird eine neue Wahl für den hiesigen Landkreis nothwendig. Das Benehmen Pinders hat den Leuten über ihre, durch allerlei Mittelchen, wie sie die Herren vom schlesischen konstitutionellen Centralverein gewohnt sind, zu Wege gebrachte Wahl die Augen geöffnet. Schon nach den ersten 14 Tagen kratzten sie sich hinter den Ohren und meinten : ja, die Andern hatten doch Recht, daß sie uns vor Milde, Pinder & Comp. warnten. Hoffentlich werden sie diesmal ihre Interessen besser wahrzunehmen wissen.

119 Neisse, 16. Juni.

Gestern wurde den hiesigen Offizieren mitgetheilt, daß Neisse aufs schnellste in Belagerungszustand versetzt werden soll. Zu diesem Zwecke sind bereits 5000 Arbeiter gedungen. Die Staatsforsten werden zur Herbeischaffung von Pallisaden bedeutend gelichtet werden. Hier kann man dies Räthsel nicht lösen; im Publikum zirkuliren die wunderbarsten Gerüchte. Heute wird hier ein demokratischer Verein gegründet; vorläufig sind allerdings erst 20 Personen unterschrieben; doch gerade in einem so reaktionären Nest, wie Neisse, ist der Anfang schwerer, als anderswo. - Vorige Woche war ich in der Gegend um Langenbielau. Ich überzeugte mich von der Furchtbarkeit der dortigen Noth. War sie gleich schon seit vielen Jahren gräßlich, so hat sie doch jetzt den höchsten Gipfel erreicht. Es muß zum Biegen oder Brechen kommen. Die Fabrikanten haben jetzt zwei Drittel ihrer bisherigen Arbeiter entlassen; viele stellen ihr Geschäft ganz ein, sobald die noch vorräthigen Garne verwebt sind. Der fortwährende Hunger hat die Leute zum größten Theil schon so erschlafft, daß sie gleich dem Vieh ruhig ihre völlige Auflösung abwarten. Jetzt erst sehen wir ganz die Früchte jener heillosen väterlichen Regierung "von Gottes Gnaden" vor unsern Augen. Jetzt erst treten die sonst von der Censur, Polizei und der Büreaukratie verheimlichten und in absichtliches, erzwungenes Dunkel gehüllten Thatsachen ans Tageslicht. Zu folgenden Thatsachen könnte ich noch tausend andere aus Vergangenheit und Gegenwart anführen.

Dem Weber Göbel auf dem Butterberge starb ein Kind vor Hunger und Frost. Man sah diese Familie um eine Suppe, aus warmen Wasser und etlichen Runkelrübenschnitten bestehend, versammelt. In den ersten Häusern gegen Weigelsdorf fand man in der Wohnung des Weber Weiß ein Weib mit 5 Kindern, kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch, ein Paar Kinder nackt auf dem Stroh und ein einjähriges Kind ein und einen halben Tag ohne alle Nahrung dem Hungertode nahe. Der Weber Engel aus Ernsdorf ist vor Hunger halb blind geworden. In Steinkunzendorf wandeln viele Menschen bei lebendigem Leibe umher wie Leichen. Der Holzmacher Weber ist in einem Viehstalle vor Hunger gestorben. Außer diesem haben noch Mehre auf ähnliche Weise ihr unglückliches Leben ausgehaucht. Es sind Fälle vorgekommen, daß vor Hunger Gestorbene ohne Bahre auf Schiebkarren nach dem Kirchhofe gefahren wurden. Eine Mutter vergrub ihr Kind aus Mittellosigkeit selbst in einen Garten. Ein Vater erwürgte sein Kind in der Verzweiflung, weil es nicht Kleienbrei essen wollte. Kleien und erfrorene Kartoffeln tragen das Ihrige zum Hungertyphus bei. Die Sterbefälle aus Entkräftung wegen Hunger in Langenbielau, Steinkunzendorf, Steinseifersdorf, Schmiedegrund, Kaschbach, Friedrichshain, Stollbergsdorf, Tannhausen u. a. O. sind unzählig.

Leipzig, 17. Juni.

Am 13. Juni gegen Mittag hatte das Militär in Prag vollständig die Oberhand und Fürst Windisch-Grätz beschloß, die Verbindung zwischen der Alt- und Neustadt zunächst herzustellen. Demzufolge ließ er die Kettenbrücke, die abgebrochen war, wieder herstellen und auf der kleinen Seite die Masse von Barrikaden, welche daselbst aufgeworfen waren, mit Sturm nehmen. Bei dieser Gelegenheit ist sehr viel Militär geblieben, denn abgesehen von dem Widerstand von den Barrikaden aus, wurde aus den Fenstern der Nachbarhäuser ununterbrochen auf dasselbe gefeuert. Dieser gegenseitige Kampf, der auch auf anderer Seite lebhaft fortgeführt wurde, dauerte bis Nachmittags gegen 6 Uhr, wo das Feuern eingestellt wurde. Es kam von der czechischen Partei zum Parlamentiren, und es wurde in Aussicht gestellt, daß die Studenten und die Menge die Waffen niederlegen würden. Allein, als es zur Ausführung kommen sollte, weigerte sich Alles und von czechischer Seite wurde im Gegentheil verlangt, daß Fürst Windisch-Grätz mit dem Militär die Stadt räumen sollte. Unterdessen war das Gerücht in der Stadt ausgebrochen, daß in der bevorstehenden Nacht alle Deutschen abgeschlachtet werden sollten. Großer Schrecken ergriff alle Gemüther und auf allen Straßen sah man ganze Familien auf der Flucht, die mit größter Lebensgefahr durch die Thore drängten, indem sie alles Hab und Gut der Plünderung preisgaben. Ueberall Verwirrung, Bestürzung, wohin sich das Auge nur wenden mochte. Nachdem die Friedensunterhandlungen also abgebrochen waren, zog sich die Menge nach Podskal, dem eigentlichen Sitz des Pöbels, zurück, wohin sie Jäger und Husaren verfolgten, um sie zu zerstreuen. Allein hier ist schrecklich gegenseitig gewüthet worden, 26 Husaren wurden vom Pöbel in die Moldau geworfen, und an diesem Platze dauerte der Kampf bis zum 14. Juni, früh halb 9 Uhr. An diesem Tage langte Graf Mensdorf von Wien an, um das Generalkomando zu übernehmen, in der Hoffnung, daß dadurch die Ruhe hergestellt werde, weil die Böhmen einmal gegen Windisch-Grätz einen unversöhnlichen Haß zu haben scheinen. Allein, es war dies eine vergebliche Hoffnung, der Tumult wiederholte sich von Zeit zu Zeit, der Kampf wurde erneuert und die czechische Partei hat die Altstadt vollständig in Händen und scheint Blut und Leben an den Kampf setzen zu wollen. Fürst Windisch-Grätz hat mit dem Militär die Stadt verlassen und sich mit demselben auf den Bergen aufgestellt, um von da aus die Altstadt zu beschießen. So ist der Lorenzoberg, die Marienschanze, der Ziskaberg mit Kanonen besetzt und das Clementinum, das Carolinum und Theresianum werden stark beschossen. Diese Nachrichten gehen bis zum 16. Juni früh; was von da an weiter geschehen, weiß ich nicht, hoffe aber gewiß, daß die Stadt von der wüthenden Czechenpartei befreit werden wird. Graf Franz Thun, der früher der Czechenpartei sich zuneigte, sich aber wieder von derselben lossagte, mußte auch seine Rettung vor deren Verfolgung in der Flucht suchen. Es gelang ihm, unter Entfernung seines Barthaares und in der Verkleidung als Hausknecht durch das Karolinenthal zu entfliehen. Es ist ein Jammer zu sehen, welche Gräuel verübt wurden. So wurde ein Papierhändler, Wilhelm Weiß, in wahrem Sinne des Worts gekreuzigt. Er hatte als Nationalgardist zwei Studenten erschossen; darauf demolirte man ihm das Haus und nagelte ihn selbst ans Holz. Haben sich die fliehenden Deutschen aus der Stadt mit Lebensgefahr gerettet, so stoßen sie gegen 5 bis 6 Stunden weit auf umherirrende Banden, die denselben von Demjenigen, was sie etwa gerettet, ohne Umstände Alles rauben, was ihnen gefällt. Prag ist fürchterlich verwüstet, in manchen Straßen ist kaum ein Haus von dem Bombardement verschont geblieben.

(D. A. Z.)
* Aus der Mark, 19. Juni.

Es ist bemerkenswerth, mit welcher Miene phlegmatischer Unbekümmertheit unsere Reaktionäre die Nachrichten von den Bewegungen der russischen Truppen aufnehmen. Oefters scheint sogar auf ihren sonst so bekümmerten Gesichtern eine innere Befriedigung wieder zu strahlen, wenn sie da

[Deutschland]
** Köln. 20. Juni.

Wieder eine neue Wendung in der posenschen Angelegenheit!

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
19 Köln, 20. Juni.

Der Wilde, sagt man, zählt seinen Ruhm nach den eingebrachten Scalps, der christlich-germanische Kriegsmann den seinen nach den Tagesbefehlen, in denen er genannt worden, (Herr Pfuel nach der Zahl der geschorenen oder gebrannten Polenköpfe) ‒ und die Frankfurter Nationalversammlung rechnet ihre Ehre nach den gesegneten Ferientagen, welche sie feiert, denn dies sind stets die großen Momente, wo sie sich nicht kompromittirt.

Es ist eine wunderbar erbauende Geschichte um die parlamentarischen Schulübungen dieser erleuchteten Versammlung. Das Volk von Wien und Berlin, emporgejagt durch die Erschütterung der Pariser Februartage, zerschmettert das alte Joch seines von „Gottes Gnaden“ ihm auferlegten Despotismus und die zagenden Fürsten beugen sich vor der blutigen Errungenschaft seines souveränen Rechts; plötzlich schießen wie Pilze an allen Orten unbekannte Volksfreunde empor, sie halten Reden über die Größe der deutschen Nation, erklären dem Volk, daß es jetzt auf „gesetzlichem“ Wege seine Souveränetät und die Einheit des 34spaltigen Landes feststellen müsse, und das Volk sendet diese biedern theilnehmenden Freunde gen Frankfurt. Und was haben die Volksfreunde in Frankfurt gethan?

Die Versammlung hält seit länger als einem Monat Sitzungen, was für das Volk die Summe von circa 200,000 Thalern ausmacht, ‒ abgerechnet die geheimen Kosten. Und was hat die Versammlung bisher gethan?

Diese Frage ist im Volk laut und immer lauter geworden, bis sie in der Sitzung vom 17. die Versammlung selbst in ihrer Beschaulichkeit unterbricht. Hören wir, wie die Freunde der Volkssouveränetät ihr Gewissen erforschen.

Der Abgeordnete Jordan erinnert die Versammlung daran, daß es nicht darauf ankomme, ob sie sich selbst genug sei, sondern daß draußen ihre Mandatare auf sie warten. Er sagt: „Und was meinen Sie, was draußen über unser Feiern gesagt werde? Kaum sind die Feiertage vorüber, die der Kalender uns diktirt, so machen wir neue Feiertage.. Während Ereignisse sich wie Lawinen stürzen, legen wir, denen das Volk seine Zukunft anvertraut, die Hände in den Schooß, und machen Feiertage. Im Süden ein blutiger Konflikt zwischen einem König und seiner Hauptstadt, wo es noch ungewiß ist, ob das Haus der Bourbonen in Neapel überhaupt noch existirt, ‒ was thun wir? wir halten Feiertage. Eine deutsche Stadt im Süden ist bedroht vom Bombardement der Italiener, und wir? was geht es uns an, wir halten Feiertage. In Berlin betritt eine hohe Person in Generalsuniform die Rednerbühne und spricht das Motto des alten Systems aus, recht um den Unwillen zu provoziren, und schon ist Bürgerblut in den Straßen geflossen; doch das geht uns nichts an, wir, wir halten Feiertage. Diejenigen, welche seit 50 Jahren alle Lasten der Gesellschaft getragen, haben sich gewaltig geschüttelt, und drohen unsere ganze bisherige Kultur zerstören. Noch warten sie auf uns, aber ich fürchte, sie werden nicht mehr lange warten, und dann wird es heißen: es ist zu spät!“

Die Versammlung erschrickt. Die Erinnerung, daß nicht sie selbst, sondern daß das Volk draußen die Sauverainität übe, wirkt sogar auf die Rechte, welche diesmal zu trommeln und zu pfeifen vergißt. Der „edle Gagern“ versucht vergebens den Redner zu unterbrechen, der sich in seiner Anklage nicht beirren läßt.

Da erscheint Herr Jakob Venedey auf der Tribüne.

„Ein Hohn gegen unsere Versammlung, wie er dieser Tage hier in einer andern Versammlung ausgesprochen wurde, ist ein Verrath am Vaterlande!“

Herr Venedey rettet die bedrohte Souverainität der Versammlung; er erklärt, daß dem beschränkten Volksverstand draußen nicht das Recht zustehe, die weisen Maßregeln der souverainen „Konstituirenden“ mit Gelächter zu begrüßen; Jeder, der sich über die souverainen Bürger Venedey, Eisenmann, Jahn u. s. w. einen „unehrerbietigen Tadel“ erlaubt, ist als „Landesverräther“ dem preußischen Landrecht verfallen. Und um seinen Worten Nachdruck zu geben, fügt er mit salbungsvoller Rührung hinzu:

„Ich muß noch ein Wort sagen, was mir lange auf dem Herzen gelegen; ich bin 18 Jahre lang Flüchtling in Frankreich gewesen…“

Das Wort, welches Hr. Jakob Venedey so „lange auf dem Herzen“ getragen, verfeht seine Wirkung auf mildherzige Menschenfreunde nicht. Er hat es in Paris in der Demokratenversammlung im Salle-Valentino, im Kölner Gürzenich bei der Wahl zum Vorparlament, in Homburg bei den Wahlen zur Nationalversammlung überall mit gleichem Erfolg versucht. Kaum daß er jetzt seinen Busen geöffnet und den „Patriotismus mit allen seinen Geschwüren“ an den Tag gelegt, so strömt ihm der goldene Regen des Beifalls, die Pfennige der Popularität vor die Füße. Hoffen wir, daß das Ministerium Camphausen die Dulderschaft Venedey's taxiren möge, wie die Baiern den Biedermann Eisenmann taxirt haben; Herr Venedey wird dabei billig die Unterstützungen in Abzug stellen, welche er in Paris von den armen deutschen Arbeitern erhielt, als er seinen „Geächteten“ herausgab.

Die Versammlung fühlt sich unter dem Beistand solcher populären Dulder wiederum sicher gegen den „Hohn der Vaterlandsverräther,“ und als Kapp in der weiteren Verhandlung davon spricht, daß man „auf einem vulkanischen Boden“ stehe, können sich die Ritter der Rechten schon zu einem Hohngelächter aufraffen. Die „souveräne“ Versammlung ist sich selbst genug. Das Volk, dessen Souveränetät bei den Wahlen exploitirt wurde, ist nichts mehr, es hat zu erwarten, was die Konstituirenden, die Dulder und die Geduldeten über seine Zukunft beschließen.

„Diejenigen, welche alle Lasten der Gesellschaft getragen haben, warten auf uns; doch, was geht das uns an, wir, wir haben Feiertage!“

7 Bernkastel, 17. Juni.

Noch niemals habe ich die Volksmeinung sich mit solcher Einmüthigkeit und Entschiedenheit aussprechen hören, als es hier und in der ganzen Umgegend geschah bei der Nachricht, daß unser Deputirter, Hr. A. Reichensperger, Landgerichtsrath, gegen den Behrends'schen Antrag für die motivirte Tagesordnung gestimmt habe.

Von hier aus wurde mit aller Energie auf die Zusammenberufung einer Kreisvolksversammlung gedrungen, welche nächster Tage stattfinden und worin sich herausstellen wird, was man von dem genannten Herrn hält.

Nächstens der Bericht hierüber.

* Berlin, 17. Juni.

Sie wissen schon, daß die Vereinbarungssitzung heute ausgesetzt und bis zum Dienstag vertagt werden mußte, weil der Ministerpräsident Camphausen erklärte, das Ministerium sei nicht mehr vollständig. Auch Patow soll abtreten.

Das neugestaltete Ministerium, streut man aus, wolle nur provisorisch gelten, da das ganze Ministerium Camphausen nur noch beabsichtige, die Adreßdebatte zu seiner Rechtfertigung abzuwarten und dann abzutreten. Hansemann arbeitet unterdessen durch Mittel jeder Art darauf hin, als Premier-Phönix aus der Asche des jetzigen Ministeriums hervorzugehn. Wie aber auch immer die ministeriellen Combinationen sich gestalten mögen, man wird sich aus dem linken Centrum ergänzen müssen. Schon die ziemlich sichre Kandidatur von Rodbertus weist darauf hin. Das linke Centrum, in viele kleine, sich gegenseitig bekämpfende Unterfraktionen gespalten, ist aber unfähig, ein Ministerium zu stützen. Die Leistung eines aus ihm hervor gegangenen Ministeriums würde von der Linken abhangen. Die Linke steigt daher an dem parlamentarischen Barometer.

Heute Morgen unterhielt man sich sehr lebhaft ‒ von dem Gerüchte, Petersburg habe ein Ultimatur, eine quasi Kriegserklärung erlassen. Die längst gehegte Ueberzeugung von einer Allianz zwischen dem preußischen und dem russischen Hofe, gab Anlaß zu leidenschaftlichen Aeußerungen. Nicht nur die pommerschen Gutsbesitzer, selbst rheinländische Conservative sollen auf den Listen des sogenannten Russenbundes, an dessen Spitze eine hochgestellte Person stehe, ihre Namen unterzeichnet haben. Wie dem auch sei, von allen Seiten ist man über einen Punkt einig, über das Ausbrechen eines Kriegs mit Rußland in kürzester Frist. Die Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird, muß manches Dunkel in unsern Staatsangelegenheiten aufhellen, namentlich auch die Stellungen einzelner Persönlichkeiten, ‒ ob sie Betrüger waren, ob Betrogene.

Der Kriegskommissarias Griesheim in seiner Erklärung über die Stürmung des Zeughauses betrachtet sie zuerst als politisches Ereigniß, um die Demagogen zu bezüchtigen. Durch politische Reden habe man die Masse aufgewiegelt. Hinterher wird aus dem politischen Ereigniß ein Kriminalfall, um die Masse zu brandmarken. Raub und Plünderung sei ihr Motiv gewesen. Man habe deßhalb auch hauptsächlich mit Silber beschlagene Waffen weggenommen, wobei der gute Herr freilich vergaß, daß es ganz dunkel im Zeughaus war, und durchaus die Zeit zu langer Untersuchung der Waffen fehlte. Es war ein wirklich genialer Einfall des Herrn Griesheim, die Uebergabe des Zeughauses an das Volk mit der Uebergabe der Festungen im Jahre 1806 an die Franzosen zu vergleichen.

Was übrigens den Hauptmann von Natzmer betrifft, so stellt sich nun hinaus, daß er alle Vertheidigungsmaßregeln ergriffen und sogar die Treppen hatte abbrechen lassen, daß er aber erklärte, abziehen zu wollen, als man drohte, das Zeughaus in Brand zu stecken. Er hat so Menschenleben gerettet und was Herrn Griesheim ungleich wichtiger erscheinen muß, er hat einen großen Theil der Kriegsmaterialien vor völliger Vernichtung gesichert. Durch den Verlust von 1100 neuen Gewehren, ist Herrn Griesheim zufolge der preuß. Staat schon in die größte Gefahr versetzt worden. Offenbar mußte er untergehn nach dem Verlust des sämmtlichen Materials, und Griesheim begrüßt den Hauptmann von Natzmer nicht als Retter des Vaterlands?

Die Linke und Rechte standen sich während dieser Auseinandersetzung drohend gegenüber, die heftigsten Unterbrechungen folgten sich. Viele verließen mit großer Entrüstung den Sitzungssaal. Was wohl Berlin sagen wird? Es ist vorherzusehen, daß die beruhigende Wirkung der Kammerbeschlüsse von vorgestern auf die Stadt, durch die Erklärung des Herrn Vicekriegsministers völlig paralysirt ist.

107 Breslau, 17. Juni.

Der Oberpräsident Pinder ist vorgestern wohlbehalten hierher zurückgekehrt. Man erzählt mir zugleich, daß dies in Folge einer Adresse der Bauern aus dem hiesigen Kreise, von welchen er zum Deputirten nach Berlin gewählt worden war, geschehen ist. Gewiß ist, daß er sein Mandat niedergelegt hat. Somit wird eine neue Wahl für den hiesigen Landkreis nothwendig. Das Benehmen Pinders hat den Leuten über ihre, durch allerlei Mittelchen, wie sie die Herren vom schlesischen konstitutionellen Centralverein gewohnt sind, zu Wege gebrachte Wahl die Augen geöffnet. Schon nach den ersten 14 Tagen kratzten sie sich hinter den Ohren und meinten : ja, die Andern hatten doch Recht, daß sie uns vor Milde, Pinder & Comp. warnten. Hoffentlich werden sie diesmal ihre Interessen besser wahrzunehmen wissen.

119 Neisse, 16. Juni.

Gestern wurde den hiesigen Offizieren mitgetheilt, daß Neisse aufs schnellste in Belagerungszustand versetzt werden soll. Zu diesem Zwecke sind bereits 5000 Arbeiter gedungen. Die Staatsforsten werden zur Herbeischaffung von Pallisaden bedeutend gelichtet werden. Hier kann man dies Räthsel nicht lösen; im Publikum zirkuliren die wunderbarsten Gerüchte. Heute wird hier ein demokratischer Verein gegründet; vorläufig sind allerdings erst 20 Personen unterschrieben; doch gerade in einem so reaktionären Nest, wie Neisse, ist der Anfang schwerer, als anderswo. ‒ Vorige Woche war ich in der Gegend um Langenbielau. Ich überzeugte mich von der Furchtbarkeit der dortigen Noth. War sie gleich schon seit vielen Jahren gräßlich, so hat sie doch jetzt den höchsten Gipfel erreicht. Es muß zum Biegen oder Brechen kommen. Die Fabrikanten haben jetzt zwei Drittel ihrer bisherigen Arbeiter entlassen; viele stellen ihr Geschäft ganz ein, sobald die noch vorräthigen Garne verwebt sind. Der fortwährende Hunger hat die Leute zum größten Theil schon so erschlafft, daß sie gleich dem Vieh ruhig ihre völlige Auflösung abwarten. Jetzt erst sehen wir ganz die Früchte jener heillosen väterlichen Regierung „von Gottes Gnaden“ vor unsern Augen. Jetzt erst treten die sonst von der Censur, Polizei und der Büreaukratie verheimlichten und in absichtliches, erzwungenes Dunkel gehüllten Thatsachen ans Tageslicht. Zu folgenden Thatsachen könnte ich noch tausend andere aus Vergangenheit und Gegenwart anführen.

Dem Weber Göbel auf dem Butterberge starb ein Kind vor Hunger und Frost. Man sah diese Familie um eine Suppe, aus warmen Wasser und etlichen Runkelrübenschnitten bestehend, versammelt. In den ersten Häusern gegen Weigelsdorf fand man in der Wohnung des Weber Weiß ein Weib mit 5 Kindern, kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch, ein Paar Kinder nackt auf dem Stroh und ein einjähriges Kind ein und einen halben Tag ohne alle Nahrung dem Hungertode nahe. Der Weber Engel aus Ernsdorf ist vor Hunger halb blind geworden. In Steinkunzendorf wandeln viele Menschen bei lebendigem Leibe umher wie Leichen. Der Holzmacher Weber ist in einem Viehstalle vor Hunger gestorben. Außer diesem haben noch Mehre auf ähnliche Weise ihr unglückliches Leben ausgehaucht. Es sind Fälle vorgekommen, daß vor Hunger Gestorbene ohne Bahre auf Schiebkarren nach dem Kirchhofe gefahren wurden. Eine Mutter vergrub ihr Kind aus Mittellosigkeit selbst in einen Garten. Ein Vater erwürgte sein Kind in der Verzweiflung, weil es nicht Kleienbrei essen wollte. Kleien und erfrorene Kartoffeln tragen das Ihrige zum Hungertyphus bei. Die Sterbefälle aus Entkräftung wegen Hunger in Langenbielau, Steinkunzendorf, Steinseifersdorf, Schmiedegrund, Kaschbach, Friedrichshain, Stollbergsdorf, Tannhausen u. a. O. sind unzählig.

Leipzig, 17. Juni.

Am 13. Juni gegen Mittag hatte das Militär in Prag vollständig die Oberhand und Fürst Windisch-Grätz beschloß, die Verbindung zwischen der Alt- und Neustadt zunächst herzustellen. Demzufolge ließ er die Kettenbrücke, die abgebrochen war, wieder herstellen und auf der kleinen Seite die Masse von Barrikaden, welche daselbst aufgeworfen waren, mit Sturm nehmen. Bei dieser Gelegenheit ist sehr viel Militär geblieben, denn abgesehen von dem Widerstand von den Barrikaden aus, wurde aus den Fenstern der Nachbarhäuser ununterbrochen auf dasselbe gefeuert. Dieser gegenseitige Kampf, der auch auf anderer Seite lebhaft fortgeführt wurde, dauerte bis Nachmittags gegen 6 Uhr, wo das Feuern eingestellt wurde. Es kam von der czechischen Partei zum Parlamentiren, und es wurde in Aussicht gestellt, daß die Studenten und die Menge die Waffen niederlegen würden. Allein, als es zur Ausführung kommen sollte, weigerte sich Alles und von czechischer Seite wurde im Gegentheil verlangt, daß Fürst Windisch-Grätz mit dem Militär die Stadt räumen sollte. Unterdessen war das Gerücht in der Stadt ausgebrochen, daß in der bevorstehenden Nacht alle Deutschen abgeschlachtet werden sollten. Großer Schrecken ergriff alle Gemüther und auf allen Straßen sah man ganze Familien auf der Flucht, die mit größter Lebensgefahr durch die Thore drängten, indem sie alles Hab und Gut der Plünderung preisgaben. Ueberall Verwirrung, Bestürzung, wohin sich das Auge nur wenden mochte. Nachdem die Friedensunterhandlungen also abgebrochen waren, zog sich die Menge nach Podskal, dem eigentlichen Sitz des Pöbels, zurück, wohin sie Jäger und Husaren verfolgten, um sie zu zerstreuen. Allein hier ist schrecklich gegenseitig gewüthet worden, 26 Husaren wurden vom Pöbel in die Moldau geworfen, und an diesem Platze dauerte der Kampf bis zum 14. Juni, früh halb 9 Uhr. An diesem Tage langte Graf Mensdorf von Wien an, um das Generalkomando zu übernehmen, in der Hoffnung, daß dadurch die Ruhe hergestellt werde, weil die Böhmen einmal gegen Windisch-Grätz einen unversöhnlichen Haß zu haben scheinen. Allein, es war dies eine vergebliche Hoffnung, der Tumult wiederholte sich von Zeit zu Zeit, der Kampf wurde erneuert und die czechische Partei hat die Altstadt vollständig in Händen und scheint Blut und Leben an den Kampf setzen zu wollen. Fürst Windisch-Grätz hat mit dem Militär die Stadt verlassen und sich mit demselben auf den Bergen aufgestellt, um von da aus die Altstadt zu beschießen. So ist der Lorenzoberg, die Marienschanze, der Ziskaberg mit Kanonen besetzt und das Clementinum, das Carolinum und Theresianum werden stark beschossen. Diese Nachrichten gehen bis zum 16. Juni früh; was von da an weiter geschehen, weiß ich nicht, hoffe aber gewiß, daß die Stadt von der wüthenden Czechenpartei befreit werden wird. Graf Franz Thun, der früher der Czechenpartei sich zuneigte, sich aber wieder von derselben lossagte, mußte auch seine Rettung vor deren Verfolgung in der Flucht suchen. Es gelang ihm, unter Entfernung seines Barthaares und in der Verkleidung als Hausknecht durch das Karolinenthal zu entfliehen. Es ist ein Jammer zu sehen, welche Gräuel verübt wurden. So wurde ein Papierhändler, Wilhelm Weiß, in wahrem Sinne des Worts gekreuzigt. Er hatte als Nationalgardist zwei Studenten erschossen; darauf demolirte man ihm das Haus und nagelte ihn selbst ans Holz. Haben sich die fliehenden Deutschen aus der Stadt mit Lebensgefahr gerettet, so stoßen sie gegen 5 bis 6 Stunden weit auf umherirrende Banden, die denselben von Demjenigen, was sie etwa gerettet, ohne Umstände Alles rauben, was ihnen gefällt. Prag ist fürchterlich verwüstet, in manchen Straßen ist kaum ein Haus von dem Bombardement verschont geblieben.

(D. A. Z.)
* Aus der Mark, 19. Juni.

Es ist bemerkenswerth, mit welcher Miene phlegmatischer Unbekümmertheit unsere Reaktionäre die Nachrichten von den Bewegungen der russischen Truppen aufnehmen. Oefters scheint sogar auf ihren sonst so bekümmerten Gesichtern eine innere Befriedigung wieder zu strahlen, wenn sie da

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        <head>[Deutschland]</head>
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          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Neue Politik in Posen. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 147.</bibl></note>
          <head><bibl><author>**</author></bibl> Köln. 20. Juni.</head>
          <p>Wieder eine neue Wendung in der posenschen Angelegenheit!</p>
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        </div>
        <div xml:id="ar021_005" type="jArticle">
          <head><bibl><author>19</author></bibl> Köln, 20. Juni.</head>
          <p>Der Wilde, sagt man, zählt seinen Ruhm nach den eingebrachten Scalps, der                         christlich-germanische Kriegsmann den seinen nach den Tagesbefehlen, in                         denen er genannt worden, (Herr Pfuel nach der Zahl der geschorenen oder                         gebrannten Polenköpfe) &#x2012; und die Frankfurter Nationalversammlung rechnet                         ihre Ehre nach den gesegneten Ferientagen, welche sie feiert, denn dies sind                         stets die großen Momente, wo sie sich nicht kompromittirt.</p>
          <p>Es ist eine wunderbar erbauende Geschichte um die parlamentarischen                         Schulübungen dieser erleuchteten Versammlung. Das Volk von Wien und Berlin,                         emporgejagt durch die Erschütterung der Pariser Februartage, zerschmettert                         das alte Joch seines von &#x201E;Gottes Gnaden&#x201C; ihm auferlegten Despotismus und die                         zagenden Fürsten beugen sich vor der blutigen Errungenschaft seines                         souveränen Rechts; plötzlich schießen wie Pilze an allen Orten unbekannte                         Volksfreunde empor, sie halten Reden über die Größe der deutschen Nation,                         erklären dem Volk, daß es jetzt auf &#x201E;gesetzlichem&#x201C; Wege seine Souveränetät                         und die Einheit des 34spaltigen Landes feststellen müsse, und das Volk                         sendet diese biedern theilnehmenden Freunde gen Frankfurt. Und was haben die                         Volksfreunde in Frankfurt gethan?</p>
          <p>Die Versammlung hält seit länger als einem Monat Sitzungen, was für das Volk                         die Summe von circa 200,000 Thalern ausmacht, &#x2012; abgerechnet die geheimen                         Kosten. Und was hat die Versammlung bisher gethan?</p>
          <p>Diese Frage ist im Volk laut und immer lauter geworden, bis sie in der                         Sitzung vom 17. die Versammlung selbst in ihrer Beschaulichkeit unterbricht.                         Hören wir, wie die Freunde der Volkssouveränetät ihr Gewissen                         erforschen.</p>
          <p>Der Abgeordnete Jordan erinnert die Versammlung daran, daß es nicht darauf                         ankomme, ob sie sich selbst genug sei, sondern daß draußen ihre Mandatare                         auf sie warten. Er sagt: &#x201E;Und was meinen Sie, was draußen über unser Feiern                         gesagt werde? Kaum sind die Feiertage vorüber, die der Kalender uns diktirt,                         so machen wir neue Feiertage.. Während Ereignisse sich wie Lawinen stürzen,                         legen wir, denen das Volk seine Zukunft anvertraut, die Hände in den Schooß,                         und machen Feiertage. Im Süden ein blutiger Konflikt zwischen einem König                         und seiner Hauptstadt, wo es noch ungewiß ist, ob das Haus der Bourbonen in                         Neapel überhaupt noch existirt, &#x2012; was thun wir? wir halten Feiertage. Eine                         deutsche Stadt im Süden ist bedroht vom Bombardement der Italiener, und wir?                         was geht es uns an, wir halten Feiertage. In Berlin betritt eine hohe Person                         in Generalsuniform die Rednerbühne und spricht das Motto des alten Systems                         aus, recht um den Unwillen zu provoziren, und schon ist Bürgerblut in den                         Straßen geflossen; doch das geht uns nichts an, wir, wir halten Feiertage.                         Diejenigen, welche seit 50 Jahren alle Lasten der Gesellschaft getragen,                         haben sich gewaltig geschüttelt, und drohen unsere ganze bisherige Kultur                         zerstören. Noch warten sie auf uns, aber ich fürchte, sie werden nicht mehr                         lange warten, und dann wird es heißen: es ist zu spät!&#x201C;</p>
          <p>Die Versammlung erschrickt. Die Erinnerung, daß nicht sie selbst, sondern daß                         das Volk draußen die Sauverainität übe, wirkt sogar auf die Rechte, welche                         diesmal zu trommeln und zu pfeifen vergißt. Der &#x201E;edle Gagern&#x201C; versucht                         vergebens den Redner zu unterbrechen, der sich in seiner Anklage nicht                         beirren läßt.</p>
          <p>Da erscheint Herr Jakob Venedey auf der Tribüne.</p>
          <p>&#x201E;Ein Hohn gegen unsere Versammlung, wie er dieser Tage hier in einer andern                         Versammlung ausgesprochen wurde, ist ein Verrath am Vaterlande!&#x201C;</p>
          <p>Herr Venedey rettet die bedrohte Souverainität der Versammlung; er erklärt,                         daß dem beschränkten Volksverstand draußen nicht das Recht zustehe, die                         weisen Maßregeln der souverainen &#x201E;Konstituirenden&#x201C; mit Gelächter zu                         begrüßen; Jeder, der sich über die souverainen Bürger Venedey, Eisenmann,                         Jahn u. s. w. einen &#x201E;unehrerbietigen Tadel&#x201C; erlaubt, ist als                         &#x201E;Landesverräther&#x201C; dem preußischen Landrecht verfallen. Und um seinen Worten                         Nachdruck zu geben, fügt er mit salbungsvoller Rührung hinzu:</p>
          <p>&#x201E;Ich muß noch ein Wort sagen, was mir lange auf dem Herzen gelegen; ich bin                         18 Jahre lang Flüchtling in Frankreich gewesen&#x2026;&#x201C;</p>
          <p>Das Wort, welches Hr. Jakob Venedey so &#x201E;lange auf dem Herzen&#x201C; getragen,                         verfeht seine Wirkung auf mildherzige Menschenfreunde nicht. Er hat es in                         Paris in der Demokratenversammlung im Salle-Valentino, im Kölner Gürzenich                         bei der Wahl zum Vorparlament, in Homburg bei den Wahlen zur                         Nationalversammlung überall mit gleichem Erfolg versucht. Kaum daß er jetzt                         seinen Busen geöffnet und den &#x201E;Patriotismus mit allen seinen Geschwüren&#x201C; an                         den Tag gelegt, so strömt ihm der goldene Regen des Beifalls, die Pfennige                         der Popularität vor die Füße. Hoffen wir, daß das Ministerium Camphausen die                         Dulderschaft Venedey's taxiren möge, wie die Baiern den Biedermann Eisenmann                         taxirt haben; Herr Venedey wird dabei billig die Unterstützungen in Abzug                         stellen, welche er in Paris von den armen deutschen Arbeitern erhielt, als                         er seinen &#x201E;Geächteten&#x201C; herausgab.</p>
          <p>Die Versammlung fühlt sich unter dem Beistand solcher populären Dulder                         wiederum sicher gegen den &#x201E;Hohn der Vaterlandsverräther,&#x201C; und als Kapp in                         der weiteren Verhandlung davon spricht, daß man &#x201E;auf einem vulkanischen                         Boden&#x201C; stehe, können sich die Ritter der Rechten schon zu einem                         Hohngelächter aufraffen. Die &#x201E;souveräne&#x201C; Versammlung ist sich selbst genug.                         Das Volk, dessen Souveränetät bei den Wahlen exploitirt wurde, ist nichts                         mehr, es hat zu erwarten, was die Konstituirenden, die Dulder und die                         Geduldeten über seine Zukunft beschließen.</p>
          <p>&#x201E;Diejenigen, welche alle Lasten der Gesellschaft getragen haben, warten auf                         uns; doch, was geht das uns an, wir, wir haben Feiertage!&#x201C;</p>
        </div>
        <div xml:id="ar021_006" type="jArticle">
          <head><bibl><author>7</author></bibl> Bernkastel, 17. Juni.</head>
          <p>Noch niemals habe ich die Volksmeinung sich mit solcher Einmüthigkeit und                         Entschiedenheit aussprechen hören, als es hier und in der ganzen Umgegend                         geschah bei der Nachricht, daß unser Deputirter, Hr. A. Reichensperger,                         Landgerichtsrath, gegen den Behrends'schen Antrag für die motivirte                         Tagesordnung gestimmt habe.</p>
          <p>Von hier aus wurde mit aller Energie auf die Zusammenberufung einer                         Kreisvolksversammlung gedrungen, welche nächster Tage stattfinden und worin                         sich herausstellen wird, was man von dem genannten Herrn hält.</p>
          <p>Nächstens der Bericht hierüber.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar021_007" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Berlin, 17. Juni.</head>
          <p>Sie wissen schon, daß die Vereinbarungssitzung heute ausgesetzt und bis zum                         Dienstag vertagt werden mußte, weil der Ministerpräsident Camphausen                         erklärte, das Ministerium sei nicht mehr vollständig. Auch <hi rendition="#g">Patow</hi> soll abtreten.</p>
          <p>Das neugestaltete Ministerium, streut man aus, wolle nur provisorisch gelten,                         da das ganze Ministerium Camphausen nur noch beabsichtige, die Adreßdebatte                         zu seiner Rechtfertigung abzuwarten und dann abzutreten. <hi rendition="#g">Hansemann</hi> arbeitet unterdessen durch Mittel jeder Art darauf hin,                         als Premier-Phönix aus der Asche des jetzigen Ministeriums hervorzugehn. Wie                         aber auch immer die ministeriellen Combinationen sich gestalten mögen, man                         wird sich aus dem linken Centrum ergänzen müssen. Schon die ziemlich sichre                         Kandidatur von Rodbertus weist darauf hin. Das linke Centrum, in viele                         kleine, sich gegenseitig bekämpfende Unterfraktionen gespalten, ist aber                         unfähig, ein Ministerium zu stützen. Die Leistung eines aus ihm hervor                         gegangenen Ministeriums würde von der Linken abhangen. Die Linke steigt                         daher an dem parlamentarischen Barometer.</p>
          <p>Heute Morgen unterhielt man sich sehr lebhaft &#x2012; von dem Gerüchte, Petersburg                         habe ein Ultimatur, eine quasi Kriegserklärung erlassen. Die längst gehegte                         Ueberzeugung von einer Allianz zwischen dem preußischen und dem russischen                         Hofe, gab Anlaß zu leidenschaftlichen Aeußerungen. Nicht nur die <hi rendition="#g">pommerschen Gutsbesitzer, selbst rheinländische</hi> Conservative sollen auf den Listen des sogenannten Russenbundes, an dessen                         Spitze eine hochgestellte Person stehe, ihre Namen unterzeichnet haben. Wie                         dem auch sei, von allen Seiten ist man über einen Punkt einig, über das                         Ausbrechen eines Kriegs mit Rußland in kürzester Frist. Die Art und Weise,                         wie dieser Krieg geführt wird, muß manches Dunkel in unsern                         Staatsangelegenheiten aufhellen, namentlich auch die Stellungen einzelner                         Persönlichkeiten, &#x2012; ob sie Betrüger waren, ob Betrogene.</p>
          <p>Der Kriegskommissarias <hi rendition="#g">Griesheim</hi> in seiner Erklärung                         über die Stürmung des Zeughauses betrachtet sie zuerst als <hi rendition="#g">politisches</hi> Ereigniß, um die <hi rendition="#g">Demagogen</hi> zu bezüchtigen. Durch politische Reden habe man die                         Masse aufgewiegelt. Hinterher wird aus dem politischen Ereigniß ein                         Kriminalfall, um die Masse zu brandmarken. Raub und Plünderung sei ihr Motiv                         gewesen. Man habe deßhalb auch hauptsächlich <hi rendition="#g">mit Silber                             beschlagene Waffen weggenommen,</hi> wobei der gute Herr freilich                         vergaß, daß es <hi rendition="#g">ganz dunkel</hi> im Zeughaus war, und                         durchaus die Zeit zu langer Untersuchung der Waffen fehlte. Es war ein                         wirklich genialer Einfall des Herrn Griesheim, die Uebergabe des Zeughauses                         an das Volk mit der Uebergabe der Festungen im Jahre 1806 an die Franzosen                         zu vergleichen.</p>
          <p>Was übrigens den Hauptmann von Natzmer betrifft, so stellt sich nun hinaus,                         daß er alle Vertheidigungsmaßregeln ergriffen und sogar die Treppen hatte                         abbrechen lassen, daß er aber erklärte, abziehen zu wollen, als man drohte,                         das Zeughaus in Brand zu stecken. Er hat so Menschenleben gerettet und was                         Herrn Griesheim ungleich wichtiger erscheinen muß, er hat einen großen Theil                         der Kriegsmaterialien vor völliger Vernichtung gesichert. Durch den Verlust                         von 1100 neuen Gewehren, ist Herrn Griesheim zufolge der preuß. Staat schon                         in die größte Gefahr versetzt worden. Offenbar mußte er untergehn nach dem                         Verlust des sämmtlichen Materials, und Griesheim begrüßt den Hauptmann von                         Natzmer nicht als Retter des Vaterlands?</p>
          <p>Die Linke und Rechte standen sich während dieser Auseinandersetzung drohend                         gegenüber, die heftigsten Unterbrechungen folgten sich. Viele verließen mit                         großer Entrüstung den Sitzungssaal. Was wohl Berlin sagen wird? Es ist                         vorherzusehen, daß die beruhigende Wirkung der Kammerbeschlüsse von                         vorgestern auf die Stadt, durch die Erklärung des Herrn Vicekriegsministers                         völlig paralysirt ist.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar021_008" type="jArticle">
          <head><bibl><author>107</author></bibl> Breslau, 17. Juni.</head>
          <p>Der Oberpräsident <hi rendition="#g">Pinder</hi> ist vorgestern wohlbehalten                         hierher zurückgekehrt. Man erzählt mir zugleich, daß dies in Folge einer                         Adresse der Bauern aus dem hiesigen Kreise, von welchen er zum Deputirten                         nach Berlin gewählt worden war, geschehen ist. Gewiß ist, daß er sein Mandat                         niedergelegt hat. Somit wird eine neue Wahl für den hiesigen Landkreis                         nothwendig. Das Benehmen Pinders hat den Leuten über ihre, durch allerlei                         Mittelchen, wie sie die Herren vom schlesischen konstitutionellen                         Centralverein gewohnt sind, zu Wege gebrachte Wahl die Augen geöffnet. Schon                         nach den ersten 14 Tagen kratzten sie sich hinter den Ohren und meinten :                         ja, die Andern hatten doch Recht, daß sie uns vor Milde, Pinder &amp; Comp.                         warnten. Hoffentlich werden sie diesmal ihre Interessen besser wahrzunehmen                         wissen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar021_009" type="jArticle">
          <head><bibl><author>119</author></bibl> Neisse, 16. Juni.</head>
          <p>Gestern wurde den hiesigen Offizieren mitgetheilt, daß Neisse aufs schnellste                         in Belagerungszustand versetzt werden soll. Zu diesem Zwecke sind bereits                         5000 Arbeiter gedungen. Die Staatsforsten werden zur Herbeischaffung von                         Pallisaden bedeutend gelichtet werden. Hier kann man dies Räthsel nicht                         lösen; im Publikum zirkuliren die wunderbarsten Gerüchte. Heute wird hier                         ein demokratischer Verein gegründet; vorläufig sind allerdings erst 20                         Personen unterschrieben; doch gerade in einem so reaktionären Nest, wie                         Neisse, ist der Anfang schwerer, als anderswo. &#x2012; Vorige Woche war ich in der                         Gegend um Langenbielau. Ich überzeugte mich von der Furchtbarkeit der                         dortigen Noth. War sie gleich schon seit vielen Jahren gräßlich, so hat sie                         doch jetzt den höchsten Gipfel erreicht. Es muß zum Biegen oder Brechen                         kommen. Die Fabrikanten haben jetzt zwei Drittel ihrer bisherigen Arbeiter                         entlassen; viele stellen ihr Geschäft ganz ein, sobald die noch vorräthigen                         Garne verwebt sind. Der fortwährende Hunger hat die Leute zum größten Theil                         schon so erschlafft, daß sie gleich dem Vieh ruhig ihre völlige Auflösung                         abwarten. Jetzt erst sehen wir ganz die Früchte jener heillosen väterlichen                         Regierung &#x201E;von Gottes Gnaden&#x201C; vor unsern Augen. Jetzt erst treten die sonst                         von der Censur, Polizei und der Büreaukratie verheimlichten und in                         absichtliches, erzwungenes Dunkel gehüllten Thatsachen ans Tageslicht. Zu                         folgenden Thatsachen könnte ich noch tausend andere aus Vergangenheit und                         Gegenwart anführen.</p>
          <p>Dem Weber Göbel auf dem Butterberge starb ein Kind vor Hunger und Frost. Man                         sah diese Familie um eine Suppe, aus warmen Wasser und etlichen                         Runkelrübenschnitten bestehend, versammelt. In den ersten Häusern gegen                         Weigelsdorf fand man in der Wohnung des Weber Weiß ein Weib mit 5 Kindern,                         kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch, ein Paar Kinder nackt auf dem Stroh                         und ein einjähriges Kind <hi rendition="#g">ein</hi> und <hi rendition="#g">einen halben Tag</hi> ohne alle Nahrung dem Hungertode nahe. Der Weber                         Engel aus Ernsdorf ist vor Hunger halb blind geworden. In Steinkunzendorf                         wandeln viele Menschen bei lebendigem Leibe umher wie Leichen. Der                         Holzmacher Weber ist in einem Viehstalle vor Hunger gestorben. Außer diesem                         haben noch Mehre auf ähnliche Weise ihr unglückliches Leben ausgehaucht. Es                         sind Fälle vorgekommen, daß vor Hunger Gestorbene ohne Bahre auf                         Schiebkarren nach dem Kirchhofe gefahren wurden. Eine Mutter vergrub ihr                         Kind aus Mittellosigkeit selbst in einen Garten. Ein Vater erwürgte sein                         Kind in der Verzweiflung, weil es nicht Kleienbrei essen wollte. Kleien und                         erfrorene Kartoffeln tragen das Ihrige zum Hungertyphus bei. Die Sterbefälle                         aus Entkräftung wegen Hunger in Langenbielau, Steinkunzendorf,                         Steinseifersdorf, Schmiedegrund, Kaschbach, Friedrichshain, Stollbergsdorf,                         Tannhausen u. a. O. sind unzählig.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar021_010" type="jArticle">
          <head>Leipzig, 17. Juni.</head>
          <p>Am 13. Juni gegen Mittag hatte das Militär in Prag vollständig die Oberhand                         und Fürst Windisch-Grätz beschloß, die Verbindung zwischen der Alt- und                         Neustadt zunächst herzustellen. Demzufolge ließ er die Kettenbrücke, die                         abgebrochen war, wieder herstellen und auf der kleinen Seite die Masse von                         Barrikaden, welche daselbst aufgeworfen waren, mit Sturm nehmen. Bei dieser                         Gelegenheit ist sehr viel Militär geblieben, denn abgesehen von dem                         Widerstand von den Barrikaden aus, wurde aus den Fenstern der Nachbarhäuser                         ununterbrochen auf dasselbe gefeuert. Dieser gegenseitige Kampf, der auch                         auf anderer Seite lebhaft fortgeführt wurde, dauerte bis Nachmittags gegen 6                         Uhr, wo das Feuern eingestellt wurde. Es kam von der czechischen Partei zum                         Parlamentiren, und es wurde in Aussicht gestellt, daß die Studenten und die                         Menge die Waffen niederlegen würden. Allein, als es zur Ausführung kommen                         sollte, weigerte sich Alles und von czechischer Seite wurde im Gegentheil                         verlangt, daß Fürst Windisch-Grätz mit dem Militär die Stadt räumen sollte.                         Unterdessen war das Gerücht in der Stadt ausgebrochen, daß in der                         bevorstehenden Nacht alle Deutschen abgeschlachtet werden sollten. Großer                         Schrecken ergriff alle Gemüther und auf allen Straßen sah man ganze Familien                         auf der Flucht, die mit größter Lebensgefahr durch die Thore drängten, indem                         sie alles Hab und Gut der Plünderung preisgaben. Ueberall Verwirrung,                         Bestürzung, wohin sich das Auge nur wenden mochte. Nachdem die                         Friedensunterhandlungen also abgebrochen waren, zog sich die Menge nach                         Podskal, dem eigentlichen Sitz des Pöbels, zurück, wohin sie Jäger und                         Husaren verfolgten, um sie zu zerstreuen. Allein hier ist schrecklich                         gegenseitig gewüthet worden, 26 Husaren wurden vom Pöbel in die Moldau                         geworfen, und an diesem Platze dauerte der Kampf bis zum 14. Juni, früh halb                         9 Uhr. An diesem Tage langte Graf Mensdorf von Wien an, um das                         Generalkomando zu übernehmen, in der Hoffnung, daß dadurch die Ruhe                         hergestellt werde, weil die Böhmen einmal gegen Windisch-Grätz einen                         unversöhnlichen Haß zu haben scheinen. Allein, es war dies eine vergebliche                         Hoffnung, der Tumult wiederholte sich von Zeit zu Zeit, der Kampf wurde                         erneuert und die czechische Partei hat die Altstadt vollständig in Händen                         und scheint Blut und Leben an den Kampf setzen zu wollen. Fürst                         Windisch-Grätz hat mit dem Militär die Stadt verlassen und sich mit                         demselben auf den Bergen aufgestellt, um von da aus die Altstadt zu                         beschießen. So ist der Lorenzoberg, die Marienschanze, der Ziskaberg mit                         Kanonen besetzt und das Clementinum, das Carolinum und Theresianum werden                         stark beschossen. Diese Nachrichten gehen bis zum 16. Juni früh; was von da                         an weiter geschehen, weiß ich nicht, hoffe aber gewiß, daß die Stadt von der                         wüthenden Czechenpartei befreit werden wird. Graf Franz Thun, der früher der                         Czechenpartei sich zuneigte, sich aber wieder von derselben lossagte, mußte                         auch seine Rettung vor deren Verfolgung in der Flucht suchen. Es gelang ihm,                         unter Entfernung seines Barthaares und in der Verkleidung als Hausknecht                         durch das Karolinenthal zu entfliehen. Es ist ein Jammer zu sehen, welche                         Gräuel verübt wurden. So wurde ein Papierhändler, Wilhelm Weiß, in wahrem                         Sinne des Worts gekreuzigt. Er hatte als Nationalgardist zwei Studenten                         erschossen; darauf demolirte man ihm das Haus und nagelte ihn selbst ans                         Holz. Haben sich die fliehenden Deutschen aus der Stadt mit Lebensgefahr                         gerettet, so stoßen sie gegen 5 bis 6 Stunden weit auf umherirrende Banden,                         die denselben von Demjenigen, was sie etwa gerettet, ohne Umstände Alles                         rauben, was ihnen gefällt. Prag ist fürchterlich verwüstet, in manchen                         Straßen ist kaum ein Haus von dem Bombardement verschont geblieben.</p>
          <bibl>(D. A. Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar021_011" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Aus der Mark, 19. Juni.</head>
          <p>Es ist bemerkenswerth, mit welcher Miene phlegmatischer Unbekümmertheit                         unsere Reaktionäre die Nachrichten von den Bewegungen der russischen Truppen                         aufnehmen. Oefters scheint sogar auf ihren sonst so bekümmerten Gesichtern                         eine innere Befriedigung wieder zu strahlen, wenn sie da
</p>
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</TEI>
[0090/0002] [Deutschland] ** Köln. 20. Juni. Wieder eine neue Wendung in der posenschen Angelegenheit! _ 19 Köln, 20. Juni. Der Wilde, sagt man, zählt seinen Ruhm nach den eingebrachten Scalps, der christlich-germanische Kriegsmann den seinen nach den Tagesbefehlen, in denen er genannt worden, (Herr Pfuel nach der Zahl der geschorenen oder gebrannten Polenköpfe) ‒ und die Frankfurter Nationalversammlung rechnet ihre Ehre nach den gesegneten Ferientagen, welche sie feiert, denn dies sind stets die großen Momente, wo sie sich nicht kompromittirt. Es ist eine wunderbar erbauende Geschichte um die parlamentarischen Schulübungen dieser erleuchteten Versammlung. Das Volk von Wien und Berlin, emporgejagt durch die Erschütterung der Pariser Februartage, zerschmettert das alte Joch seines von „Gottes Gnaden“ ihm auferlegten Despotismus und die zagenden Fürsten beugen sich vor der blutigen Errungenschaft seines souveränen Rechts; plötzlich schießen wie Pilze an allen Orten unbekannte Volksfreunde empor, sie halten Reden über die Größe der deutschen Nation, erklären dem Volk, daß es jetzt auf „gesetzlichem“ Wege seine Souveränetät und die Einheit des 34spaltigen Landes feststellen müsse, und das Volk sendet diese biedern theilnehmenden Freunde gen Frankfurt. Und was haben die Volksfreunde in Frankfurt gethan? Die Versammlung hält seit länger als einem Monat Sitzungen, was für das Volk die Summe von circa 200,000 Thalern ausmacht, ‒ abgerechnet die geheimen Kosten. Und was hat die Versammlung bisher gethan? Diese Frage ist im Volk laut und immer lauter geworden, bis sie in der Sitzung vom 17. die Versammlung selbst in ihrer Beschaulichkeit unterbricht. Hören wir, wie die Freunde der Volkssouveränetät ihr Gewissen erforschen. Der Abgeordnete Jordan erinnert die Versammlung daran, daß es nicht darauf ankomme, ob sie sich selbst genug sei, sondern daß draußen ihre Mandatare auf sie warten. Er sagt: „Und was meinen Sie, was draußen über unser Feiern gesagt werde? Kaum sind die Feiertage vorüber, die der Kalender uns diktirt, so machen wir neue Feiertage.. Während Ereignisse sich wie Lawinen stürzen, legen wir, denen das Volk seine Zukunft anvertraut, die Hände in den Schooß, und machen Feiertage. Im Süden ein blutiger Konflikt zwischen einem König und seiner Hauptstadt, wo es noch ungewiß ist, ob das Haus der Bourbonen in Neapel überhaupt noch existirt, ‒ was thun wir? wir halten Feiertage. Eine deutsche Stadt im Süden ist bedroht vom Bombardement der Italiener, und wir? was geht es uns an, wir halten Feiertage. In Berlin betritt eine hohe Person in Generalsuniform die Rednerbühne und spricht das Motto des alten Systems aus, recht um den Unwillen zu provoziren, und schon ist Bürgerblut in den Straßen geflossen; doch das geht uns nichts an, wir, wir halten Feiertage. Diejenigen, welche seit 50 Jahren alle Lasten der Gesellschaft getragen, haben sich gewaltig geschüttelt, und drohen unsere ganze bisherige Kultur zerstören. Noch warten sie auf uns, aber ich fürchte, sie werden nicht mehr lange warten, und dann wird es heißen: es ist zu spät!“ Die Versammlung erschrickt. Die Erinnerung, daß nicht sie selbst, sondern daß das Volk draußen die Sauverainität übe, wirkt sogar auf die Rechte, welche diesmal zu trommeln und zu pfeifen vergißt. Der „edle Gagern“ versucht vergebens den Redner zu unterbrechen, der sich in seiner Anklage nicht beirren läßt. Da erscheint Herr Jakob Venedey auf der Tribüne. „Ein Hohn gegen unsere Versammlung, wie er dieser Tage hier in einer andern Versammlung ausgesprochen wurde, ist ein Verrath am Vaterlande!“ Herr Venedey rettet die bedrohte Souverainität der Versammlung; er erklärt, daß dem beschränkten Volksverstand draußen nicht das Recht zustehe, die weisen Maßregeln der souverainen „Konstituirenden“ mit Gelächter zu begrüßen; Jeder, der sich über die souverainen Bürger Venedey, Eisenmann, Jahn u. s. w. einen „unehrerbietigen Tadel“ erlaubt, ist als „Landesverräther“ dem preußischen Landrecht verfallen. Und um seinen Worten Nachdruck zu geben, fügt er mit salbungsvoller Rührung hinzu: „Ich muß noch ein Wort sagen, was mir lange auf dem Herzen gelegen; ich bin 18 Jahre lang Flüchtling in Frankreich gewesen…“ Das Wort, welches Hr. Jakob Venedey so „lange auf dem Herzen“ getragen, verfeht seine Wirkung auf mildherzige Menschenfreunde nicht. Er hat es in Paris in der Demokratenversammlung im Salle-Valentino, im Kölner Gürzenich bei der Wahl zum Vorparlament, in Homburg bei den Wahlen zur Nationalversammlung überall mit gleichem Erfolg versucht. Kaum daß er jetzt seinen Busen geöffnet und den „Patriotismus mit allen seinen Geschwüren“ an den Tag gelegt, so strömt ihm der goldene Regen des Beifalls, die Pfennige der Popularität vor die Füße. Hoffen wir, daß das Ministerium Camphausen die Dulderschaft Venedey's taxiren möge, wie die Baiern den Biedermann Eisenmann taxirt haben; Herr Venedey wird dabei billig die Unterstützungen in Abzug stellen, welche er in Paris von den armen deutschen Arbeitern erhielt, als er seinen „Geächteten“ herausgab. Die Versammlung fühlt sich unter dem Beistand solcher populären Dulder wiederum sicher gegen den „Hohn der Vaterlandsverräther,“ und als Kapp in der weiteren Verhandlung davon spricht, daß man „auf einem vulkanischen Boden“ stehe, können sich die Ritter der Rechten schon zu einem Hohngelächter aufraffen. Die „souveräne“ Versammlung ist sich selbst genug. Das Volk, dessen Souveränetät bei den Wahlen exploitirt wurde, ist nichts mehr, es hat zu erwarten, was die Konstituirenden, die Dulder und die Geduldeten über seine Zukunft beschließen. „Diejenigen, welche alle Lasten der Gesellschaft getragen haben, warten auf uns; doch, was geht das uns an, wir, wir haben Feiertage!“ 7 Bernkastel, 17. Juni. Noch niemals habe ich die Volksmeinung sich mit solcher Einmüthigkeit und Entschiedenheit aussprechen hören, als es hier und in der ganzen Umgegend geschah bei der Nachricht, daß unser Deputirter, Hr. A. Reichensperger, Landgerichtsrath, gegen den Behrends'schen Antrag für die motivirte Tagesordnung gestimmt habe. Von hier aus wurde mit aller Energie auf die Zusammenberufung einer Kreisvolksversammlung gedrungen, welche nächster Tage stattfinden und worin sich herausstellen wird, was man von dem genannten Herrn hält. Nächstens der Bericht hierüber. * Berlin, 17. Juni. Sie wissen schon, daß die Vereinbarungssitzung heute ausgesetzt und bis zum Dienstag vertagt werden mußte, weil der Ministerpräsident Camphausen erklärte, das Ministerium sei nicht mehr vollständig. Auch Patow soll abtreten. Das neugestaltete Ministerium, streut man aus, wolle nur provisorisch gelten, da das ganze Ministerium Camphausen nur noch beabsichtige, die Adreßdebatte zu seiner Rechtfertigung abzuwarten und dann abzutreten. Hansemann arbeitet unterdessen durch Mittel jeder Art darauf hin, als Premier-Phönix aus der Asche des jetzigen Ministeriums hervorzugehn. Wie aber auch immer die ministeriellen Combinationen sich gestalten mögen, man wird sich aus dem linken Centrum ergänzen müssen. Schon die ziemlich sichre Kandidatur von Rodbertus weist darauf hin. Das linke Centrum, in viele kleine, sich gegenseitig bekämpfende Unterfraktionen gespalten, ist aber unfähig, ein Ministerium zu stützen. Die Leistung eines aus ihm hervor gegangenen Ministeriums würde von der Linken abhangen. Die Linke steigt daher an dem parlamentarischen Barometer. Heute Morgen unterhielt man sich sehr lebhaft ‒ von dem Gerüchte, Petersburg habe ein Ultimatur, eine quasi Kriegserklärung erlassen. Die längst gehegte Ueberzeugung von einer Allianz zwischen dem preußischen und dem russischen Hofe, gab Anlaß zu leidenschaftlichen Aeußerungen. Nicht nur die pommerschen Gutsbesitzer, selbst rheinländische Conservative sollen auf den Listen des sogenannten Russenbundes, an dessen Spitze eine hochgestellte Person stehe, ihre Namen unterzeichnet haben. Wie dem auch sei, von allen Seiten ist man über einen Punkt einig, über das Ausbrechen eines Kriegs mit Rußland in kürzester Frist. Die Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird, muß manches Dunkel in unsern Staatsangelegenheiten aufhellen, namentlich auch die Stellungen einzelner Persönlichkeiten, ‒ ob sie Betrüger waren, ob Betrogene. Der Kriegskommissarias Griesheim in seiner Erklärung über die Stürmung des Zeughauses betrachtet sie zuerst als politisches Ereigniß, um die Demagogen zu bezüchtigen. Durch politische Reden habe man die Masse aufgewiegelt. Hinterher wird aus dem politischen Ereigniß ein Kriminalfall, um die Masse zu brandmarken. Raub und Plünderung sei ihr Motiv gewesen. Man habe deßhalb auch hauptsächlich mit Silber beschlagene Waffen weggenommen, wobei der gute Herr freilich vergaß, daß es ganz dunkel im Zeughaus war, und durchaus die Zeit zu langer Untersuchung der Waffen fehlte. Es war ein wirklich genialer Einfall des Herrn Griesheim, die Uebergabe des Zeughauses an das Volk mit der Uebergabe der Festungen im Jahre 1806 an die Franzosen zu vergleichen. Was übrigens den Hauptmann von Natzmer betrifft, so stellt sich nun hinaus, daß er alle Vertheidigungsmaßregeln ergriffen und sogar die Treppen hatte abbrechen lassen, daß er aber erklärte, abziehen zu wollen, als man drohte, das Zeughaus in Brand zu stecken. Er hat so Menschenleben gerettet und was Herrn Griesheim ungleich wichtiger erscheinen muß, er hat einen großen Theil der Kriegsmaterialien vor völliger Vernichtung gesichert. Durch den Verlust von 1100 neuen Gewehren, ist Herrn Griesheim zufolge der preuß. Staat schon in die größte Gefahr versetzt worden. Offenbar mußte er untergehn nach dem Verlust des sämmtlichen Materials, und Griesheim begrüßt den Hauptmann von Natzmer nicht als Retter des Vaterlands? Die Linke und Rechte standen sich während dieser Auseinandersetzung drohend gegenüber, die heftigsten Unterbrechungen folgten sich. Viele verließen mit großer Entrüstung den Sitzungssaal. Was wohl Berlin sagen wird? Es ist vorherzusehen, daß die beruhigende Wirkung der Kammerbeschlüsse von vorgestern auf die Stadt, durch die Erklärung des Herrn Vicekriegsministers völlig paralysirt ist. 107 Breslau, 17. Juni. Der Oberpräsident Pinder ist vorgestern wohlbehalten hierher zurückgekehrt. Man erzählt mir zugleich, daß dies in Folge einer Adresse der Bauern aus dem hiesigen Kreise, von welchen er zum Deputirten nach Berlin gewählt worden war, geschehen ist. Gewiß ist, daß er sein Mandat niedergelegt hat. Somit wird eine neue Wahl für den hiesigen Landkreis nothwendig. Das Benehmen Pinders hat den Leuten über ihre, durch allerlei Mittelchen, wie sie die Herren vom schlesischen konstitutionellen Centralverein gewohnt sind, zu Wege gebrachte Wahl die Augen geöffnet. Schon nach den ersten 14 Tagen kratzten sie sich hinter den Ohren und meinten : ja, die Andern hatten doch Recht, daß sie uns vor Milde, Pinder & Comp. warnten. Hoffentlich werden sie diesmal ihre Interessen besser wahrzunehmen wissen. 119 Neisse, 16. Juni. Gestern wurde den hiesigen Offizieren mitgetheilt, daß Neisse aufs schnellste in Belagerungszustand versetzt werden soll. Zu diesem Zwecke sind bereits 5000 Arbeiter gedungen. Die Staatsforsten werden zur Herbeischaffung von Pallisaden bedeutend gelichtet werden. Hier kann man dies Räthsel nicht lösen; im Publikum zirkuliren die wunderbarsten Gerüchte. Heute wird hier ein demokratischer Verein gegründet; vorläufig sind allerdings erst 20 Personen unterschrieben; doch gerade in einem so reaktionären Nest, wie Neisse, ist der Anfang schwerer, als anderswo. ‒ Vorige Woche war ich in der Gegend um Langenbielau. Ich überzeugte mich von der Furchtbarkeit der dortigen Noth. War sie gleich schon seit vielen Jahren gräßlich, so hat sie doch jetzt den höchsten Gipfel erreicht. Es muß zum Biegen oder Brechen kommen. Die Fabrikanten haben jetzt zwei Drittel ihrer bisherigen Arbeiter entlassen; viele stellen ihr Geschäft ganz ein, sobald die noch vorräthigen Garne verwebt sind. Der fortwährende Hunger hat die Leute zum größten Theil schon so erschlafft, daß sie gleich dem Vieh ruhig ihre völlige Auflösung abwarten. Jetzt erst sehen wir ganz die Früchte jener heillosen väterlichen Regierung „von Gottes Gnaden“ vor unsern Augen. Jetzt erst treten die sonst von der Censur, Polizei und der Büreaukratie verheimlichten und in absichtliches, erzwungenes Dunkel gehüllten Thatsachen ans Tageslicht. Zu folgenden Thatsachen könnte ich noch tausend andere aus Vergangenheit und Gegenwart anführen. Dem Weber Göbel auf dem Butterberge starb ein Kind vor Hunger und Frost. Man sah diese Familie um eine Suppe, aus warmen Wasser und etlichen Runkelrübenschnitten bestehend, versammelt. In den ersten Häusern gegen Weigelsdorf fand man in der Wohnung des Weber Weiß ein Weib mit 5 Kindern, kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch, ein Paar Kinder nackt auf dem Stroh und ein einjähriges Kind ein und einen halben Tag ohne alle Nahrung dem Hungertode nahe. Der Weber Engel aus Ernsdorf ist vor Hunger halb blind geworden. In Steinkunzendorf wandeln viele Menschen bei lebendigem Leibe umher wie Leichen. Der Holzmacher Weber ist in einem Viehstalle vor Hunger gestorben. Außer diesem haben noch Mehre auf ähnliche Weise ihr unglückliches Leben ausgehaucht. Es sind Fälle vorgekommen, daß vor Hunger Gestorbene ohne Bahre auf Schiebkarren nach dem Kirchhofe gefahren wurden. Eine Mutter vergrub ihr Kind aus Mittellosigkeit selbst in einen Garten. Ein Vater erwürgte sein Kind in der Verzweiflung, weil es nicht Kleienbrei essen wollte. Kleien und erfrorene Kartoffeln tragen das Ihrige zum Hungertyphus bei. Die Sterbefälle aus Entkräftung wegen Hunger in Langenbielau, Steinkunzendorf, Steinseifersdorf, Schmiedegrund, Kaschbach, Friedrichshain, Stollbergsdorf, Tannhausen u. a. O. sind unzählig. Leipzig, 17. Juni. Am 13. Juni gegen Mittag hatte das Militär in Prag vollständig die Oberhand und Fürst Windisch-Grätz beschloß, die Verbindung zwischen der Alt- und Neustadt zunächst herzustellen. Demzufolge ließ er die Kettenbrücke, die abgebrochen war, wieder herstellen und auf der kleinen Seite die Masse von Barrikaden, welche daselbst aufgeworfen waren, mit Sturm nehmen. Bei dieser Gelegenheit ist sehr viel Militär geblieben, denn abgesehen von dem Widerstand von den Barrikaden aus, wurde aus den Fenstern der Nachbarhäuser ununterbrochen auf dasselbe gefeuert. Dieser gegenseitige Kampf, der auch auf anderer Seite lebhaft fortgeführt wurde, dauerte bis Nachmittags gegen 6 Uhr, wo das Feuern eingestellt wurde. Es kam von der czechischen Partei zum Parlamentiren, und es wurde in Aussicht gestellt, daß die Studenten und die Menge die Waffen niederlegen würden. Allein, als es zur Ausführung kommen sollte, weigerte sich Alles und von czechischer Seite wurde im Gegentheil verlangt, daß Fürst Windisch-Grätz mit dem Militär die Stadt räumen sollte. Unterdessen war das Gerücht in der Stadt ausgebrochen, daß in der bevorstehenden Nacht alle Deutschen abgeschlachtet werden sollten. Großer Schrecken ergriff alle Gemüther und auf allen Straßen sah man ganze Familien auf der Flucht, die mit größter Lebensgefahr durch die Thore drängten, indem sie alles Hab und Gut der Plünderung preisgaben. Ueberall Verwirrung, Bestürzung, wohin sich das Auge nur wenden mochte. Nachdem die Friedensunterhandlungen also abgebrochen waren, zog sich die Menge nach Podskal, dem eigentlichen Sitz des Pöbels, zurück, wohin sie Jäger und Husaren verfolgten, um sie zu zerstreuen. Allein hier ist schrecklich gegenseitig gewüthet worden, 26 Husaren wurden vom Pöbel in die Moldau geworfen, und an diesem Platze dauerte der Kampf bis zum 14. Juni, früh halb 9 Uhr. An diesem Tage langte Graf Mensdorf von Wien an, um das Generalkomando zu übernehmen, in der Hoffnung, daß dadurch die Ruhe hergestellt werde, weil die Böhmen einmal gegen Windisch-Grätz einen unversöhnlichen Haß zu haben scheinen. Allein, es war dies eine vergebliche Hoffnung, der Tumult wiederholte sich von Zeit zu Zeit, der Kampf wurde erneuert und die czechische Partei hat die Altstadt vollständig in Händen und scheint Blut und Leben an den Kampf setzen zu wollen. Fürst Windisch-Grätz hat mit dem Militär die Stadt verlassen und sich mit demselben auf den Bergen aufgestellt, um von da aus die Altstadt zu beschießen. So ist der Lorenzoberg, die Marienschanze, der Ziskaberg mit Kanonen besetzt und das Clementinum, das Carolinum und Theresianum werden stark beschossen. Diese Nachrichten gehen bis zum 16. Juni früh; was von da an weiter geschehen, weiß ich nicht, hoffe aber gewiß, daß die Stadt von der wüthenden Czechenpartei befreit werden wird. Graf Franz Thun, der früher der Czechenpartei sich zuneigte, sich aber wieder von derselben lossagte, mußte auch seine Rettung vor deren Verfolgung in der Flucht suchen. Es gelang ihm, unter Entfernung seines Barthaares und in der Verkleidung als Hausknecht durch das Karolinenthal zu entfliehen. Es ist ein Jammer zu sehen, welche Gräuel verübt wurden. So wurde ein Papierhändler, Wilhelm Weiß, in wahrem Sinne des Worts gekreuzigt. Er hatte als Nationalgardist zwei Studenten erschossen; darauf demolirte man ihm das Haus und nagelte ihn selbst ans Holz. Haben sich die fliehenden Deutschen aus der Stadt mit Lebensgefahr gerettet, so stoßen sie gegen 5 bis 6 Stunden weit auf umherirrende Banden, die denselben von Demjenigen, was sie etwa gerettet, ohne Umstände Alles rauben, was ihnen gefällt. Prag ist fürchterlich verwüstet, in manchen Straßen ist kaum ein Haus von dem Bombardement verschont geblieben. (D. A. Z.) * Aus der Mark, 19. Juni. Es ist bemerkenswerth, mit welcher Miene phlegmatischer Unbekümmertheit unsere Reaktionäre die Nachrichten von den Bewegungen der russischen Truppen aufnehmen. Oefters scheint sogar auf ihren sonst so bekümmerten Gesichtern eine innere Befriedigung wieder zu strahlen, wenn sie da

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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 21. Köln, 21. Juni 1848, S. 0090. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz021_1848/2>, abgerufen am 25.04.2024.