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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 257. Köln, 28. März 1849.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 257. Köln, Mittwoch, den 28. März 1849

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. - Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jaques Rousseau.

Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.

Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

Bestellungen auf die Neue Rheinische Zeitung für das II. Quartal (April - Juni) bitten wir möglichst frühzeitig zu machen.

Unsere auswärtigen geehrten Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, daß die Abonnements jedesmal am Schlusse des Quartals bei den Postämtern erneuert werden müssen.

Uebersicht.

Deutschland. (Köln. (Der Krieg in Italien und Ungarn). Münster. (Die Dezembergefangenen. - Mirbach). Berlin. (Klatsch). Aus Mecklenburg. (Die preußischen Invasions-Truppen. - Die Tagelöhner). Schleswig-Holstein. (Auszehrung durch "Reichs"-Soldaten. - Wirthschaft der Aristokraten und Bourgeois). Aus Schlesien. (Forderungen der Landarbeiter). Neisse. (Pferde-Ankäufe für Oestreich). Dresden. (Erste Kammer. Freiburg. (Prozeß gegen Struve und Blind).

Polen, Warschau. (Polizei-Terrorismus).

Schweiz. Bern. (Die Neutralität. - Die Kapitulationen. - Die Zollfrage. - Deutsche Flüchtlinge und Berner Patrizier).

Französische Republik. Paris. (Vermischtes.) Bourges. (Prozeß der Maigefangenen.)

Italien. (Die Feindseligkeiten eröffnet). Turin. (Vermischtes). Florenz. (Gezwungene Anleihe. - Aus Sizilien).

Amerika. New-York. (Das amerikanische Manchester.)

Deutschland.
* Köln, 27. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
127 Münster, 25. März.

Die Angelegenheit der Dezember-Gefangenen in Münster ist in eine neue Phase getreten.

Von den Gefangenen hat man die Katholiken "wegen Krankheit" "vorläufig" entlassen, während die krank gewordenen Protestanten im Zuchthause kurirt werden sollen. Die drei Katholiken Gierse, Gruwe, Loeher sitzen, "wegen Krankheit" in der zweiten Kammer; der Protestant Groneweg, ebenfalls Abgeordneter, erwartet seit vier Wochen seine Einberufung. Im Ganzen sitzen noch 7 Protestanten und 2 Juden. Was Excellenz Rintelen bereits gegen diese Gefangenen begangen, ist Ihren Lesern bekannt, doch staunen Sie über die neue Perfidie.

Die zweite Kammer hat bekanntlich beschlossen, Groneweg erst "nach Einsicht der Kriminalakten" einzuberufen. Diese Akten sind auch nach Berlin vor 14 Tagen eingesandt. Weil aber diese Akten den vollständigen Beweis liefern, daß gegen sämmtliche Angeklagten gar nichts vorliegt, und damit die Schmach, mit der sich die Münster'schen Richter bedeckt, nicht offenkundig werde, verweigert nach den neuesten Nachrichten eines Abgeordneten das Ministerium die Vorlage der Akten. Man will Groneweg einberufen, "ohne Einsicht in die Akten zu nehmen" auf deutsch: man muß Groneweg entlassen, und will die andern Gefangenen noch weiter widerrechtlich im Zuchthause lassen.

Jetzt ist es Pflicht der Presse sich dieser Männer anzunehmen, wie ihr Blatt dies bereits von Anfang her gethan. Alle ehrliebenden Redaktionen werden nachstehenden Brief gewiß in ihre Spalten aufnehmen. Ich gebe diesen Brief, weil er erstlich das Sachverhältniß genau enthält, und weil Ihnen in dem Namen des Briefausstellers vollständige Garantie treuester Wahrheit liegt.

An die Mitglieder des Königlichen Preußischen Stadt- und Land-Gerichts hierselbst.

Meine Herren! Am 7. Dezember d. J. also kurz nach Erlassung der oktroyirten Verfassungs-Urkunde, nicht früher und nicht später, erließen Sie zwanzig Haftbefehle gegen ebenso viele Mitglieder des sogenannten westphälischen Städte-Congresses, welcher 14 Tage vorher in Münster getagt hatte. In allen diesen Haftbefehlen lautete die Anklage auf Hochverrath.

Fünf von diesen zwanzig Verfolgten entzogen sich der Haft durch die Flucht. Auch ich wäre geflohen, wenn ich nicht höheren Rücksichten, sondern nur dem Gefühle gefolgt wäre, welches, seitdem ich zum Bewußtsein staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gelangt bin, mir altpreußische Gesetze und altpreußische Justiz eingeflößt haben. - Ein Anderer, der ehrwürdige Regierungsrath Bracht wurde nicht verhaftet, weil sein zuständiger Richter, das Stadt- und Landgericht zu Recklinghausen erklärte, daß kein Grund zur Verhaftung vorläge. Gleichwohl war es gerade dieser Mann, welcher durch die Maßnahmen in Beziehung auf die Steuerkassen seines Bezirks unter allen Congreßmitgliedern die meiste Entschiedenheit bewiesen hatte. Dieser Mann ist jetzt Mitglied der ersten Kammer und war deren Alterspräsident.

Die übrigen Vierzehn wurden verhaftet. Die öffentliche Stimme nannte diese Verhafteten: Die decimirten Dezembergefangenen. Diese Benennung ist strenggenommen nicht die richtige. Decimiren heißt den zehnten Mann abzählen. Sie haben nicht den zehnten Mann abgezählt, meine Herren. Aber ebenso wenig haben Sie auf Grund der gedruckten Congreßprotokolle verhaften lassen. Denn Sie haben Mitglieder dieses Congresses verhaften lassen, welche auf demselben gar keine oder eine sehr untergeordnete Thätigkeit bewiesen, während Andere, welche thätig auf die Gesammtresultate einwirkten, aus Gründen, die Niemand ignorirt, nicht verfolgt wurden.

Es bleibt also nur ein Drittes anzunehmen übrig, nämlich daß Sie auf Grund von - Proscriptionslisten verhaften ließen. Ob Sie dabei mit Bewußtsein handelten, oder sich dupiren ließen, oder endlich aus Charakterschwäche fremden Einflüssen wichen, bleibt für Diejenigen, welche darunter leiden, völlig gleichgültig,

Sie werden mir erwidern, meine Herren, daß auf Ihre richterlichen Berathungen und Beschlüsse nichts Fremdartiges einwirke oder eingewirkt habe, Allein in Ihrer Mitte selbst befinden sich Männer, welche nicht verhehlen, daß in Ihrem Collegium sich ein fünester persönlicher Einfluß geltend mache. So hat z. B. der Inquirent, Herr Gerichtsdirektor Giese, gegen einen Verhafteten geäußert, daß, als er in einer der letzten Sitzungen auf unsere Freilassung angetragen habe, der O.-L.-G.-Assessor von Stockhausen ihm beinahe ins Gesicht gesprungen wäre. Diese brutale Weise, ein Votum in Ihrem Collegium abzugeben, findet vielleicht ihre Erklärung in dem Umstande, daß der von Stockhausen ein Schwiegersohn des O.-L.-G.-Präsidenten von Olfers, beide aber sehr liirt sind mit dem Regierungspräsidenten von Bodelschwingh. Wer ist aber Hr. von Stockhausen sonst noch? Hr. von Stockhausen ist derselbe, welcher vor einigen Jahren dem Assessor von Göritz, als dieser ihm mit der Hundepeitsche eine Erklärung abverlangte, einen Revers ausstellte, worin dieser Hr. v. Stockhausen sich selbst für einen Lump erklärte.

Ich frage Sie aber, meine Herren, wie einem Angeklagten zu Muthe sein muß, der sich in der Gewalt eines Richterkollegiums sieht, welches unter dem Einfluß eines Menschen steht, welcher sich selbst für einen Lump erklärt hat.

Gehen wir weiter. Seit sechs Wochen haben Sie, meine Herren, nach und nach auf Grund von Krankheitsattesten sechs der Dezembergefangenen freigelassen, und auch den Haftbefehl gegen einen der fünf Geflüchteten, welcher sich guter richterlicher Verwandtschaft erfreut, zurückgenommen.

Nach den Gesetzen können aber Untersuchungsgefangene, welche des Hochverraths angeklagt sind, nie und unter keinerlei Umständen aus der Haft entlassen werden. Daraus folgt um so mehr, das Sie die Anklage auf Hochverrath haben fallen lassen, als mehrere der Freigelassenen einen bedeutend thätigeren Antheil am Congresse genommen haben, als Andere, welche noch eingesperrt sind. Der gesunde Menschenverstand und das gewöhnlichste Rechts- und Billigkeits-Gefühl würden ferner daraus folgern, daß auch die anderen Gefangenen jetzt entlassen werden müßten; und zwar schon aus dem Grunde, weil wegen der bevorrechtigten Stellung mehrerer zur zweiten Kammer gewählten Entlassenen die Beendigung der Untersuchungen gar nicht abzusehen ist.

Nach Ihrem System, meine Herren, würde Derjenige von uns, welcher von der Natur mit dem rüstigsten Körper ausgestattet ist, am längsten hinter den Kerkermauern schmachten müssen. Dies ist ein System der Tortur. Die Tortur soll nicht tödten, sondern nur Martern. Wer es am längsten aushält, wird am längsten gemartet. Sie begnügen sich aber nicht mit der einfachen Tortur, meine Herren. Indem Sie theils bemittelte, theils ledige junge Männer Krankheitshalber freiließen, aber Familienväter, welche die einzige Stütze der ihrigen sind, in Haft ließen, so werden auch unglückliche Familien von Ihren fluchwürdigen Maßregeln getroffen.

Unter andern Umständen würde man es vielleicht als ein Spiel des Zufalls betrachten, daß die sechs Entlassenen Katholiken und mehrentheils Bemittelte, die Eingesperrten aber Protestanten und Juden und mehrentheils Unbemittelte sind; bei Ihnen aber, meine Herren, ist das höchste Mißtrauen gerechtfertigt durch die Reputation, welche Sie sich als Richter erworben haben. Uebrigens mache ich Sie, meine Herren, darauf aufmerksam, daß die eingesperrten Familienväter fünf katholische Kinder zu ernähren haben.

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 257. Köln, Mittwoch, den 28. März 1849

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jaques Rousseau.

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Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

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Unsere auswärtigen geehrten Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, daß die Abonnements jedesmal am Schlusse des Quartals bei den Postämtern erneuert werden müssen.

Uebersicht.

Deutschland. (Köln. (Der Krieg in Italien und Ungarn). Münster. (Die Dezembergefangenen. ‒ Mirbach). Berlin. (Klatsch). Aus Mecklenburg. (Die preußischen Invasions-Truppen. ‒ Die Tagelöhner). Schleswig-Holstein. (Auszehrung durch „Reichs“-Soldaten. ‒ Wirthschaft der Aristokraten und Bourgeois). Aus Schlesien. (Forderungen der Landarbeiter). Neisse. (Pferde-Ankäufe für Oestreich). Dresden. (Erste Kammer. Freiburg. (Prozeß gegen Struve und Blind).

Polen, Warschau. (Polizei-Terrorismus).

Schweiz. Bern. (Die Neutralität. ‒ Die Kapitulationen. ‒ Die Zollfrage. ‒ Deutsche Flüchtlinge und Berner Patrizier).

Französische Republik. Paris. (Vermischtes.) Bourges. (Prozeß der Maigefangenen.)

Italien. (Die Feindseligkeiten eröffnet). Turin. (Vermischtes). Florenz. (Gezwungene Anleihe. ‒ Aus Sizilien).

Amerika. New-York. (Das amerikanische Manchester.)

Deutschland.
* Köln, 27. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
127 Münster, 25. März.

Die Angelegenheit der Dezember-Gefangenen in Münster ist in eine neue Phase getreten.

Von den Gefangenen hat man die Katholiken „wegen Krankheit“ „vorläufig“ entlassen, während die krank gewordenen Protestanten im Zuchthause kurirt werden sollen. Die drei Katholiken Gierse, Gruwe, Loeher sitzen, „wegen Krankheit“ in der zweiten Kammer; der Protestant Groneweg, ebenfalls Abgeordneter, erwartet seit vier Wochen seine Einberufung. Im Ganzen sitzen noch 7 Protestanten und 2 Juden. Was Excellenz Rintelen bereits gegen diese Gefangenen begangen, ist Ihren Lesern bekannt, doch staunen Sie über die neue Perfidie.

Die zweite Kammer hat bekanntlich beschlossen, Groneweg erst „nach Einsicht der Kriminalakten“ einzuberufen. Diese Akten sind auch nach Berlin vor 14 Tagen eingesandt. Weil aber diese Akten den vollständigen Beweis liefern, daß gegen sämmtliche Angeklagten gar nichts vorliegt, und damit die Schmach, mit der sich die Münster'schen Richter bedeckt, nicht offenkundig werde, verweigert nach den neuesten Nachrichten eines Abgeordneten das Ministerium die Vorlage der Akten. Man will Groneweg einberufen, „ohne Einsicht in die Akten zu nehmen“ auf deutsch: man muß Groneweg entlassen, und will die andern Gefangenen noch weiter widerrechtlich im Zuchthause lassen.

Jetzt ist es Pflicht der Presse sich dieser Männer anzunehmen, wie ihr Blatt dies bereits von Anfang her gethan. Alle ehrliebenden Redaktionen werden nachstehenden Brief gewiß in ihre Spalten aufnehmen. Ich gebe diesen Brief, weil er erstlich das Sachverhältniß genau enthält, und weil Ihnen in dem Namen des Briefausstellers vollständige Garantie treuester Wahrheit liegt.

An die Mitglieder des Königlichen Preußischen Stadt- und Land-Gerichts hierselbst.

Meine Herren! Am 7. Dezember d. J. also kurz nach Erlassung der oktroyirten Verfassungs-Urkunde, nicht früher und nicht später, erließen Sie zwanzig Haftbefehle gegen ebenso viele Mitglieder des sogenannten westphälischen Städte-Congresses, welcher 14 Tage vorher in Münster getagt hatte. In allen diesen Haftbefehlen lautete die Anklage auf Hochverrath.

Fünf von diesen zwanzig Verfolgten entzogen sich der Haft durch die Flucht. Auch ich wäre geflohen, wenn ich nicht höheren Rücksichten, sondern nur dem Gefühle gefolgt wäre, welches, seitdem ich zum Bewußtsein staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gelangt bin, mir altpreußische Gesetze und altpreußische Justiz eingeflößt haben. ‒ Ein Anderer, der ehrwürdige Regierungsrath Bracht wurde nicht verhaftet, weil sein zuständiger Richter, das Stadt- und Landgericht zu Recklinghausen erklärte, daß kein Grund zur Verhaftung vorläge. Gleichwohl war es gerade dieser Mann, welcher durch die Maßnahmen in Beziehung auf die Steuerkassen seines Bezirks unter allen Congreßmitgliedern die meiste Entschiedenheit bewiesen hatte. Dieser Mann ist jetzt Mitglied der ersten Kammer und war deren Alterspräsident.

Die übrigen Vierzehn wurden verhaftet. Die öffentliche Stimme nannte diese Verhafteten: Die decimirten Dezembergefangenen. Diese Benennung ist strenggenommen nicht die richtige. Decimiren heißt den zehnten Mann abzählen. Sie haben nicht den zehnten Mann abgezählt, meine Herren. Aber ebenso wenig haben Sie auf Grund der gedruckten Congreßprotokolle verhaften lassen. Denn Sie haben Mitglieder dieses Congresses verhaften lassen, welche auf demselben gar keine oder eine sehr untergeordnete Thätigkeit bewiesen, während Andere, welche thätig auf die Gesammtresultate einwirkten, aus Gründen, die Niemand ignorirt, nicht verfolgt wurden.

Es bleibt also nur ein Drittes anzunehmen übrig, nämlich daß Sie auf Grund von ‒ Proscriptionslisten verhaften ließen. Ob Sie dabei mit Bewußtsein handelten, oder sich dupiren ließen, oder endlich aus Charakterschwäche fremden Einflüssen wichen, bleibt für Diejenigen, welche darunter leiden, völlig gleichgültig,

Sie werden mir erwidern, meine Herren, daß auf Ihre richterlichen Berathungen und Beschlüsse nichts Fremdartiges einwirke oder eingewirkt habe, Allein in Ihrer Mitte selbst befinden sich Männer, welche nicht verhehlen, daß in Ihrem Collegium sich ein fünester persönlicher Einfluß geltend mache. So hat z. B. der Inquirent, Herr Gerichtsdirektor Giese, gegen einen Verhafteten geäußert, daß, als er in einer der letzten Sitzungen auf unsere Freilassung angetragen habe, der O.-L.-G.-Assessor von Stockhausen ihm beinahe ins Gesicht gesprungen wäre. Diese brutale Weise, ein Votum in Ihrem Collegium abzugeben, findet vielleicht ihre Erklärung in dem Umstande, daß der von Stockhausen ein Schwiegersohn des O.-L.-G.-Präsidenten von Olfers, beide aber sehr liirt sind mit dem Regierungspräsidenten von Bodelschwingh. Wer ist aber Hr. von Stockhausen sonst noch? Hr. von Stockhausen ist derselbe, welcher vor einigen Jahren dem Assessor von Göritz, als dieser ihm mit der Hundepeitsche eine Erklärung abverlangte, einen Revers ausstellte, worin dieser Hr. v. Stockhausen sich selbst für einen Lump erklärte.

Ich frage Sie aber, meine Herren, wie einem Angeklagten zu Muthe sein muß, der sich in der Gewalt eines Richterkollegiums sieht, welches unter dem Einfluß eines Menschen steht, welcher sich selbst für einen Lump erklärt hat.

Gehen wir weiter. Seit sechs Wochen haben Sie, meine Herren, nach und nach auf Grund von Krankheitsattesten sechs der Dezembergefangenen freigelassen, und auch den Haftbefehl gegen einen der fünf Geflüchteten, welcher sich guter richterlicher Verwandtschaft erfreut, zurückgenommen.

Nach den Gesetzen können aber Untersuchungsgefangene, welche des Hochverraths angeklagt sind, nie und unter keinerlei Umständen aus der Haft entlassen werden. Daraus folgt um so mehr, das Sie die Anklage auf Hochverrath haben fallen lassen, als mehrere der Freigelassenen einen bedeutend thätigeren Antheil am Congresse genommen haben, als Andere, welche noch eingesperrt sind. Der gesunde Menschenverstand und das gewöhnlichste Rechts- und Billigkeits-Gefühl würden ferner daraus folgern, daß auch die anderen Gefangenen jetzt entlassen werden müßten; und zwar schon aus dem Grunde, weil wegen der bevorrechtigten Stellung mehrerer zur zweiten Kammer gewählten Entlassenen die Beendigung der Untersuchungen gar nicht abzusehen ist.

Nach Ihrem System, meine Herren, würde Derjenige von uns, welcher von der Natur mit dem rüstigsten Körper ausgestattet ist, am längsten hinter den Kerkermauern schmachten müssen. Dies ist ein System der Tortur. Die Tortur soll nicht tödten, sondern nur Martern. Wer es am längsten aushält, wird am längsten gemartet. Sie begnügen sich aber nicht mit der einfachen Tortur, meine Herren. Indem Sie theils bemittelte, theils ledige junge Männer Krankheitshalber freiließen, aber Familienväter, welche die einzige Stütze der ihrigen sind, in Haft ließen, so werden auch unglückliche Familien von Ihren fluchwürdigen Maßregeln getroffen.

Unter andern Umständen würde man es vielleicht als ein Spiel des Zufalls betrachten, daß die sechs Entlassenen Katholiken und mehrentheils Bemittelte, die Eingesperrten aber Protestanten und Juden und mehrentheils Unbemittelte sind; bei Ihnen aber, meine Herren, ist das höchste Mißtrauen gerechtfertigt durch die Reputation, welche Sie sich als Richter erworben haben. Uebrigens mache ich Sie, meine Herren, darauf aufmerksam, daß die eingesperrten Familienväter fünf katholische Kinder zu ernähren haben.

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          <p>Nach Ihrem System, meine Herren, würde Derjenige von uns, welcher von der Natur mit dem rüstigsten Körper ausgestattet ist, am längsten hinter den Kerkermauern schmachten müssen. Dies ist ein System der Tortur. Die Tortur soll nicht tödten, sondern nur Martern. Wer es am längsten aushält, wird am längsten gemartet. Sie begnügen sich aber nicht mit der einfachen Tortur, meine Herren. Indem Sie theils bemittelte, theils ledige junge Männer Krankheitshalber freiließen, aber Familienväter, welche die einzige Stütze der ihrigen sind, in Haft ließen, so werden auch unglückliche Familien von Ihren fluchwürdigen Maßregeln getroffen.</p>
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[1443/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 257. Köln, Mittwoch, den 28. März 1849 Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jaques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. Nur frankirte Briefe werden angenommen. Expedition Unter Hutmacher Nro. 17. Bestellungen auf die Neue Rheinische Zeitung für das II. Quartal (April - Juni) bitten wir möglichst frühzeitig zu machen. Unsere auswärtigen geehrten Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, daß die Abonnements jedesmal am Schlusse des Quartals bei den Postämtern erneuert werden müssen. Uebersicht. Deutschland. (Köln. (Der Krieg in Italien und Ungarn). Münster. (Die Dezembergefangenen. ‒ Mirbach). Berlin. (Klatsch). Aus Mecklenburg. (Die preußischen Invasions-Truppen. ‒ Die Tagelöhner). Schleswig-Holstein. (Auszehrung durch „Reichs“-Soldaten. ‒ Wirthschaft der Aristokraten und Bourgeois). Aus Schlesien. (Forderungen der Landarbeiter). Neisse. (Pferde-Ankäufe für Oestreich). Dresden. (Erste Kammer. Freiburg. (Prozeß gegen Struve und Blind). Polen, Warschau. (Polizei-Terrorismus). Schweiz. Bern. (Die Neutralität. ‒ Die Kapitulationen. ‒ Die Zollfrage. ‒ Deutsche Flüchtlinge und Berner Patrizier). Französische Republik. Paris. (Vermischtes.) Bourges. (Prozeß der Maigefangenen.) Italien. (Die Feindseligkeiten eröffnet). Turin. (Vermischtes). Florenz. (Gezwungene Anleihe. ‒ Aus Sizilien). Amerika. New-York. (Das amerikanische Manchester.) Deutschland. * Köln, 27. März. _ 127 Münster, 25. März. Die Angelegenheit der Dezember-Gefangenen in Münster ist in eine neue Phase getreten. Von den Gefangenen hat man die Katholiken „wegen Krankheit“ „vorläufig“ entlassen, während die krank gewordenen Protestanten im Zuchthause kurirt werden sollen. Die drei Katholiken Gierse, Gruwe, Loeher sitzen, „wegen Krankheit“ in der zweiten Kammer; der Protestant Groneweg, ebenfalls Abgeordneter, erwartet seit vier Wochen seine Einberufung. Im Ganzen sitzen noch 7 Protestanten und 2 Juden. Was Excellenz Rintelen bereits gegen diese Gefangenen begangen, ist Ihren Lesern bekannt, doch staunen Sie über die neue Perfidie. Die zweite Kammer hat bekanntlich beschlossen, Groneweg erst „nach Einsicht der Kriminalakten“ einzuberufen. Diese Akten sind auch nach Berlin vor 14 Tagen eingesandt. Weil aber diese Akten den vollständigen Beweis liefern, daß gegen sämmtliche Angeklagten gar nichts vorliegt, und damit die Schmach, mit der sich die Münster'schen Richter bedeckt, nicht offenkundig werde, verweigert nach den neuesten Nachrichten eines Abgeordneten das Ministerium die Vorlage der Akten. Man will Groneweg einberufen, „ohne Einsicht in die Akten zu nehmen“ auf deutsch: man muß Groneweg entlassen, und will die andern Gefangenen noch weiter widerrechtlich im Zuchthause lassen. Jetzt ist es Pflicht der Presse sich dieser Männer anzunehmen, wie ihr Blatt dies bereits von Anfang her gethan. Alle ehrliebenden Redaktionen werden nachstehenden Brief gewiß in ihre Spalten aufnehmen. Ich gebe diesen Brief, weil er erstlich das Sachverhältniß genau enthält, und weil Ihnen in dem Namen des Briefausstellers vollständige Garantie treuester Wahrheit liegt. An die Mitglieder des Königlichen Preußischen Stadt- und Land-Gerichts hierselbst. Meine Herren! Am 7. Dezember d. J. also kurz nach Erlassung der oktroyirten Verfassungs-Urkunde, nicht früher und nicht später, erließen Sie zwanzig Haftbefehle gegen ebenso viele Mitglieder des sogenannten westphälischen Städte-Congresses, welcher 14 Tage vorher in Münster getagt hatte. In allen diesen Haftbefehlen lautete die Anklage auf Hochverrath. Fünf von diesen zwanzig Verfolgten entzogen sich der Haft durch die Flucht. Auch ich wäre geflohen, wenn ich nicht höheren Rücksichten, sondern nur dem Gefühle gefolgt wäre, welches, seitdem ich zum Bewußtsein staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gelangt bin, mir altpreußische Gesetze und altpreußische Justiz eingeflößt haben. ‒ Ein Anderer, der ehrwürdige Regierungsrath Bracht wurde nicht verhaftet, weil sein zuständiger Richter, das Stadt- und Landgericht zu Recklinghausen erklärte, daß kein Grund zur Verhaftung vorläge. Gleichwohl war es gerade dieser Mann, welcher durch die Maßnahmen in Beziehung auf die Steuerkassen seines Bezirks unter allen Congreßmitgliedern die meiste Entschiedenheit bewiesen hatte. Dieser Mann ist jetzt Mitglied der ersten Kammer und war deren Alterspräsident. Die übrigen Vierzehn wurden verhaftet. Die öffentliche Stimme nannte diese Verhafteten: Die decimirten Dezembergefangenen. Diese Benennung ist strenggenommen nicht die richtige. Decimiren heißt den zehnten Mann abzählen. Sie haben nicht den zehnten Mann abgezählt, meine Herren. Aber ebenso wenig haben Sie auf Grund der gedruckten Congreßprotokolle verhaften lassen. Denn Sie haben Mitglieder dieses Congresses verhaften lassen, welche auf demselben gar keine oder eine sehr untergeordnete Thätigkeit bewiesen, während Andere, welche thätig auf die Gesammtresultate einwirkten, aus Gründen, die Niemand ignorirt, nicht verfolgt wurden. Es bleibt also nur ein Drittes anzunehmen übrig, nämlich daß Sie auf Grund von ‒ Proscriptionslisten verhaften ließen. Ob Sie dabei mit Bewußtsein handelten, oder sich dupiren ließen, oder endlich aus Charakterschwäche fremden Einflüssen wichen, bleibt für Diejenigen, welche darunter leiden, völlig gleichgültig, Sie werden mir erwidern, meine Herren, daß auf Ihre richterlichen Berathungen und Beschlüsse nichts Fremdartiges einwirke oder eingewirkt habe, Allein in Ihrer Mitte selbst befinden sich Männer, welche nicht verhehlen, daß in Ihrem Collegium sich ein fünester persönlicher Einfluß geltend mache. So hat z. B. der Inquirent, Herr Gerichtsdirektor Giese, gegen einen Verhafteten geäußert, daß, als er in einer der letzten Sitzungen auf unsere Freilassung angetragen habe, der O.-L.-G.-Assessor von Stockhausen ihm beinahe ins Gesicht gesprungen wäre. Diese brutale Weise, ein Votum in Ihrem Collegium abzugeben, findet vielleicht ihre Erklärung in dem Umstande, daß der von Stockhausen ein Schwiegersohn des O.-L.-G.-Präsidenten von Olfers, beide aber sehr liirt sind mit dem Regierungspräsidenten von Bodelschwingh. Wer ist aber Hr. von Stockhausen sonst noch? Hr. von Stockhausen ist derselbe, welcher vor einigen Jahren dem Assessor von Göritz, als dieser ihm mit der Hundepeitsche eine Erklärung abverlangte, einen Revers ausstellte, worin dieser Hr. v. Stockhausen sich selbst für einen Lump erklärte. Ich frage Sie aber, meine Herren, wie einem Angeklagten zu Muthe sein muß, der sich in der Gewalt eines Richterkollegiums sieht, welches unter dem Einfluß eines Menschen steht, welcher sich selbst für einen Lump erklärt hat. Gehen wir weiter. Seit sechs Wochen haben Sie, meine Herren, nach und nach auf Grund von Krankheitsattesten sechs der Dezembergefangenen freigelassen, und auch den Haftbefehl gegen einen der fünf Geflüchteten, welcher sich guter richterlicher Verwandtschaft erfreut, zurückgenommen. Nach den Gesetzen können aber Untersuchungsgefangene, welche des Hochverraths angeklagt sind, nie und unter keinerlei Umständen aus der Haft entlassen werden. Daraus folgt um so mehr, das Sie die Anklage auf Hochverrath haben fallen lassen, als mehrere der Freigelassenen einen bedeutend thätigeren Antheil am Congresse genommen haben, als Andere, welche noch eingesperrt sind. Der gesunde Menschenverstand und das gewöhnlichste Rechts- und Billigkeits-Gefühl würden ferner daraus folgern, daß auch die anderen Gefangenen jetzt entlassen werden müßten; und zwar schon aus dem Grunde, weil wegen der bevorrechtigten Stellung mehrerer zur zweiten Kammer gewählten Entlassenen die Beendigung der Untersuchungen gar nicht abzusehen ist. Nach Ihrem System, meine Herren, würde Derjenige von uns, welcher von der Natur mit dem rüstigsten Körper ausgestattet ist, am längsten hinter den Kerkermauern schmachten müssen. Dies ist ein System der Tortur. Die Tortur soll nicht tödten, sondern nur Martern. Wer es am längsten aushält, wird am längsten gemartet. Sie begnügen sich aber nicht mit der einfachen Tortur, meine Herren. Indem Sie theils bemittelte, theils ledige junge Männer Krankheitshalber freiließen, aber Familienväter, welche die einzige Stütze der ihrigen sind, in Haft ließen, so werden auch unglückliche Familien von Ihren fluchwürdigen Maßregeln getroffen. Unter andern Umständen würde man es vielleicht als ein Spiel des Zufalls betrachten, daß die sechs Entlassenen Katholiken und mehrentheils Bemittelte, die Eingesperrten aber Protestanten und Juden und mehrentheils Unbemittelte sind; bei Ihnen aber, meine Herren, ist das höchste Mißtrauen gerechtfertigt durch die Reputation, welche Sie sich als Richter erworben haben. Uebrigens mache ich Sie, meine Herren, darauf aufmerksam, daß die eingesperrten Familienväter fünf katholische Kinder zu ernähren haben.

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 257. Köln, 28. März 1849, S. 1443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz257_1849/1>, abgerufen am 28.03.2024.