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Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914.

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Nr. 308 Wien, Samstag Reichspost 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch] unter dem unverfänglichen Namen eines Badegeldes. In
einer Stifungsurkunde, die König Wladislaus den
Grafen Schlick als Pfandherren von Karlsbad unterm
Jahre 1531 ausstellte, räumte er ihnen das Recht ein,
alle, die zum Besuche des bereits sehr angesehenen Kur-
ortes kommen, "in ein zimlichen Uffsatz eines Badegeldes
Unseres gefallens uff zu legen Hoch oder Nider zu setzen
und entsetzen". Dieses Badegeld sollte freilich zugunsten
des Heiligen Geist-Spitales verwendet werden. Die Ab-
gabe wird bald wieder aufgehoben, und im 18. Jahrhun-
dert begegnen wir nur mehr freiwilligen Beiträgen, die
der Karlsbader Ratsdiener bei den Kurgästen mittelst
des sogenannten "Sprudelbuches" einsammelt. Im
Jahre 1795 hören wir neuerdings von der Einführung
einer festen Kurtaxe, die für Adelige auf zwei Gulden,
für die Bürgerlichen auf einen Gulden festgesetzt wird.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hat man dann diese
Zweiteilung beseitigt, um sie in den Fünfzigerjahren in
der Weise wieder einzuführen, daß man sechs Gulden für
Bemittelte und die Hälfte für die minder Bemittelten an-
setzt. Das Militär war schon früher von der Kurtaxe be-
freit worden. In den nächsten Jahrzehnten haben sich die
zu zahlenden Abgabe immer wieder verändert. So betra-
gen sie zu Beginn der Siebzigerjahre nach einer Skala
von vier Klassen zwischen einem und zehn Gulden, Be-
träge, die von jedem zu entrichten sind, der sich länger als
acht Tage in Karlsbad aufhält. Befreit von der Kurtaxe
sind die Aerzte und Wundärzte und die sie begleitenden
Gattinnen und Kinder, aller österreichischen Militärper-
sonen bis zum Range des Hauptmannes und jeder mit
einem legalen Armutszeugnis versehene Kurgast. --
Wann sind zuerst Aerzte in Karlsbad nachzuweisen, wo
man in den ersten zweihundert Jahren nach der Ent-
deckung der Quellen, die zu Beginn des 14. Jahrhun-
derts erfolgte, den damaligen medizinischen Regeln ent-
sprechend nur gebadet hat? Erst im Jahre 1522 erschien
aus der Feder des Leibarztes des Grafen Stefan Schlick,
eines gewissen Wenzel Payer, eine gelehrte lateinische
Schrift über Karlsbad, in der zum erstenmal der Ge-
brauch von Brunnenkuren empfohlen wird. "Ich habe ge-
sagt, daß dieses Wasser getrunken werden müsse. Weil
es aber bisher nur selten zum Trinken und mehr zum
Baden benützt wurde, so wird dieses Vielen als etwas
Neues erscheinen." Worin besteht vornehmlich die Heil-
kraft des Karlsbadr Wassers? Darüber heißt es in dem
deutschen Anhange des Buches: "Nützlich ist es denen, die
weder speiß noch tranck gehalten mögen, bei den steinen
in der blasen; den grieß oder steyn oder greißen in len-
den; verstopfung der dermer, der gelsucht (Gelbsucht);
verstopfung der Leber und milz, dem bodagra."

* Unfall bei der Trauerdekoration.

Die Baum-
gartnar Freiwillige Feuerwehr hatte auf ihrem fünf-
zehn Meter hohen Rüstturm aus Anlaß des schmerz-
lichen Ereignisses im Allerhöchsten Kaiserhause eine
Trauerfahne gehißt. Heue nachmittag gegen 1/25 Uhr
wollte der 46jährige Requifitenmeister der Feuerwehr
Ferdinand Wilczek die Fahne einziehen, verlor aber
das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe, wo er sehr
schwere Verletzungen erlitt. Die Unter-St. Veiter
Rettungsgesellschaft brachte ihn ins Rochusspital.

In allen Abteilungen der Kaufhäuser A. Herzmansky,
7. Bezirk, Mariahilferstraße 26, Stiftgasse 1, 3, 5, 7, findet
der Sommer-Okkasionsverkauf zu ganz bedeutend herab-
gesetzten Preisen statt, und empfiehlt sich eine Besichtigung
der ohne Kaufzwang zur Schau gestellten Seidenstoffe,
Woll- und Waschstoffen, fertigen Damenkleidern, Blusen,
Jacken, Mänteln usw.




Angeblicher Besuch Kaiser
Wilhelms in Ischl.

Die Berliner Telegraphenunion verbreitete heute
eine Meldung, nach welcher Kaiser Wilhelm nach Absage
seiner Wiener Reise den Wunsch geäußert habe, Kaiser
Franz Josef persönlich in Ischl zu besuchen und ihm
sein Beileid über den Tod des Thronfolgerpaares aus-
zudrücken. Nun kommt zu dieser Meldung folgendes
Dementi:


Der "Lokalanzeiger" bezeichnet die Meldung von
einem bevorstehenden Kondolenzbesuch Kaiser Wilhelms
in Ischl nach seinen Informationen als unzu-
treffend.




Große Trauerkundgebung des
Katholischen Volksbundes.

Sonntag den 5. Juli, 10 Uhr vormittags, ver-
anstallet der Katholische Volksbund in der Volkshalle
des Neuen Wiener Rathauses eine große Trauerkund-
gebung für weiland Erzherzog Franz Ferdinand und
Herzogin Sofie Hohenberg. Sprechen werden: Präsident
des Katholischen Volksbundes Exzellenz Fordinand von
zu Trauttmansdorff, Chefredakteur der "Reichspost"
Dr. Friedrich Funder und der Direktor der Zentral-
stelle Richard Schmitz. Zu dieser imposanten Ver-
anstaltung ladet der Katholische Volksbund alle seine
Mitglieder freundlichst ein. Es gilt zu zeigen, daß die
katholischen Männer Wiens auch in schicksalsschweren
Stunden fest und treu zu unserem allgeliebten Mon-
archen stehen.

Die Wiener Jungschützen werden sich an der in
der Volkshalle am nächsten Sonntag den 5. d.
um 10 Uhr vormittags vom Volksbunde veranstalteten
großen patriotischen Manifestation beteiligen und sich
schon um 1/410 Uhr beim Rathause versammeln.


[Spaltenumbruch]
Wiener, grüßen wir die
Kinder!

kehren die
drei Kinder des ermordeten Thron-
folgerpaares, die armen, von ganz
Wien geliebten und bemitleideten
Waisen, von dem Grabe ihrer Eltern
in Artstetten zurück,
steigen um 3/43 Uhr
nachmittags in der Station Penzing der West-
bahnstrecke aus und fahren von dort nach
Schönbrunn zum Kaiser.

Auf diesem Wege wollen wir Wiener den ver-
waisten Kinden einen stummen Gruß bieten und ihnen
zeigen, wie Wien sie liebt!




Die antiserbischen
Demonstrationen in Wien.
Die Einziehung der serbischen Fahne.

Bekanntlich gab zu den gestrigen Demonstrationen
vor der serbischen Gesandtschaft die Tatsache den Anlaß,
daß vom Balkon der Wohnung des serbischen Ge-
sandten in der Favoritenstraße die serbische Fahne, nur
mit einem fast unmerklichen Trauerflor versehen, wehte.

Um neuerlichen Demonstrationen vorzubeugen, hat
sich heute vormittag BV. Rienößl zum Bürger-
meister und zum Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh
begeben, um wegen der Einziehung der Fahne zu inter-
venieren. Das Ministerpräsidium hat sich hierauf an
das Polizeipräsidium gewendet, das von einer Inter-
vention beim Gesandten aber mit Rücksicht auf die
Exterritorialität der Wohnung des
Gesandten
Abstand nahm.

Nachdem schon gestern nachmittag der Admini-
strator des Hauses, in dem der serbische Gesandte
wohnt, einen Beamten in die Gesandtschaft mit dem
Ersuchen geschickt hatte, die Entfernung des
Fahne mit Rücksicht auf eine eventuelle Beschädigung
des Hauses zu veranlassen, dieses Ersuchen aber trotz der
Erklärung, daß die Gesandschaft für alle Folgen ver-
antwortlich gemacht werden wird, keinen Erfolg hatte,
erschion heute der Besitzer des Hauses selbst, Herr
Dietrichstein, in der Wohnung des Gesandten,
um seine bereits erhobene Forderung nach Einziehung
der Fahne zu wiederholen. Es wurde ihm erklärt, daß
die Fahne nach den Einsegnungsfeierlichkeiten in der
Hofburgpfarrkirche eingezogen wird.

Tatsächlich wurde heute um 3/45 Uhr die
Fahne
im Hause des Gesandten Jovanovic einge-
zogen.




Damit ist der nächste Anlaß der Demonstrationen
beseitigt. Es ist den über die Sarajevoer Bluttat em-
pörten patriotischen Wienern gewiß nicht zu verdenken,
daß sich ihre Erbitterung über den ungeheuerlichen
Doppelmord in spontanen Kundgebungen äußert. Im
Interesse des Eindruckes solcher Manifestationen
ist es aber ratsam, jede Art von Ausschrei-
tungzuvermeiden.
Es entspricht unserer Würde,
aber auch unserer Trauer am Besten, wenn derartige
Kundgebungen möglichst ruhig und ernst verlaufen.




Heute abend fand auch eine patriotische
Kundgebung
vor dem Radetzydenkmal
statt; man sang hier unter stürmischer Begeisterung das
Prinz-Eugenlied und die Volkshymne und demonstrierte
in Rufen gegen Serbien.




Wiederholung der Demonstrationen.

Heute wiederholten sich die antiserbischen Demon-
strationen, zum Teil in einer Art und Weise,
die nicht gebilligt werden kann und
die im Imteresse des Ernstes der Sache und der
Bedeutung des Willens, der dabei zum Ausdruck kom-
men sollte, abgelehnt werden muß.

Schon um 8 Uhr abends sammelten sich in der Um-
gebung der Paulanergasse größere Mengen an und bis
9 Uhr waren wieder mehrere tausend Demonstranten
angesammelt, aus deren Mitte tosende Pfuirufe gegen
Serbien erschollen. Die Wache, die wieder in sehr großer
Zahl ausgerückt war und die Umgebung des Sitzes der
serbischen Gesandtschaft in noch größerem Umkreis als
gestern abgesperrt hielt, ging heute gleich von Anfang
an energischer vor und duldete keine größeren Ansamm-
lungen. Dies konnte ihr allerdings nicht dauernd ge-
lingen, denn die zerstreute Menge hatte sich bald wieder
gesammelt. Gegen 10 Uhr wurde die Hauptgruppe der
Demonstranten die Wiedner Hauptstraße entlang gegen
den Naschmarkt zu abgedrängt, wo mehrere Ansprachen
gehalten wurden. Im Nu waren die an der Straße lie-
genden Marktstände erstiegen. Hier wäre jedenfalls
stärkere polizeiliche Bewachung geboten, denn das Hab
und Gut unserer braven Naschmarktleute verdient
wohl zumindest jenen behördlichen Schutz, dessen sich
gestern die serbische Fahne erfreuen konnte. Tatsächlich
sind bereits gestern einzelne Marktleute, wenn auch
ohne Dolus der Täter, zu Schaden gekommen. Der
Zug, etwa 1000 Personen, bewegt sich dann zur Oper,
wo ein Student einige Worte an die Menge richtete,
und von da zum Kriegsministerium, wo es vor dem
Radetzkydenkmal zu einer patriotischen Kundgebung kam.


[Spaltenumbruch]

In der Favoritenstraße, wo es gestern vor der
Privatwohnung des serbischen Gesandten heiß zugegangen
war, herrschte heute, da die Fahne nachmittags beseitigt
worden war, Ruhe. Das Haus steht allerdings unter
starker polizeilicher Bewachung. Das Vorgehen des
serbischen Gesandten Jovanovic bildet auch heute
noch den Hauptgesprächsstoff unter den Demonstranten.
So oft ein Wagen mit Militärs die Straße passiert,
bricht die Menge in brausende Hochrufe aus.

Um 11 Uhr wird uns gemeldet: Während durch
etwa eine Stunde ziemliche Ruhe herr schte, kommen seit
1/211 Uhr Tausende und Tausende von Menschen, welche
längs des Weges, den der Trauerzug nahm, Spalier
gebildet hatten, ununterbrochen auf den Schauplatz
der Demonstrationen. Die Menge ist auf etwa 15.000
ange wachsen. Bei der Paulanerkirche wurde gegen den
dortselbst postierten dichten Kordon berittener Sicherheits-
wache Sturm gelaufen. Während einige Wenige durch-
brechen konnten, wurde die überwiegende Hauptmasse
zurückgedrängt. Da die Massen jedoch von den
noch immer anströmenden Menschen vorgeschoben
wurden, ging der Kordon mit einer Attake vor. Es ent-
stand, da die Wache in die Menge hineinritt und auch
einige Pferde durch explodierende "Frösche", die von den
Demonstranten gegen die Wache geschleudert wurden,
scheuten, eine ungeheure Panik. Die dicht eingekeilte
Menschenmenge, die weder vor- noch rückwärts konnte,
wandte sich zur Flucht, wobei viele niederge-
treten
wurden. Viele wurden an die Häuserwände
und an die Rollbalken gepreßt. Auch mehrere Verletzungen
durch Hufschläge kamen vor. Einige Demonstranten er-
kletterten in der Bedrängnis Laternenpfähle. Die
Situation ist sehr bedrohlich.

Halb zwölf Uhr: Es ist der Wache ge-
lungen, die Hauptmasse die Wiedner Hauptstraße
hinunterzudrängen, was unter stürmischen Psuirufen der
Demonstranten vor sich ging. Zur Stunde beginnen sich
die zerstreuten Massen wieder zu sammeln und vor-
zudrängen. Die Wache hat nach Beendigung der Leichen
feier bedeutenden Zuzug -- zum Teil per Automobil --
erhalten. Es verlautet auch, daß 800 pensionierte Wach-
leute bis auf weiteres einberufen wurden und heute
bereits Dienst versehen. Ein Teil der Verstärkungen
wurde zur Sicherung der russischen Botschaft ver-
wendet. Ein Zug von Demonstranten stürmte aus der
Margaretenstraße auf den Ramerplatz und durchbrach
dort die Polizeikette. Hiebei hörte man einige Schüsse.
Es ist zur Stunde nicht festgestellt, ob es sich um
Revolverschüsse oder nur, wie gestern, um den Knall
von sogenannten "Fröschen" (Knallkapseln) handelte.

Die Leitung des Sicherheitsdienstes, den die Er-
regung der Menge sehr schwierig gestaltet, hat Zentral-
inspektor Dr. Pammer, Polizeibezirksleiter Regie-
rungsrat Schmied, Oberinspektor Lonsik und
Polizeirat Rzehak.

Die Umgebung der Gesandtschaft und der Privat-
wohnung des serbischen Gesandten ist durch drei-
fache Kordons abgesperrt.

12 Uhr: Der Platz um die Paulanerkirche
gleicht einem Heerlager. Die Wachmannschaft, die da
zum großen Teile seit drei Tagen fast ununterbrochen
im Dienst stehend, sehr ermüdet ist, hat es sich so be-
quem als möglich gemacht und kampiert in den Seiten-
gassen.

1 Uhr: Die Ruhe ist vollkommen hergestellt. Die
Wache ist noch vollzählig am Platze.




Antiserbische Kundgebungen in Spalato.


Gestern abend zogen aus der Umgebung unter
Führung der Geistlichkeit große Bauernscharen
in die Stadt, durchzogen die Hauptstraßen unter den
Rufen: Nieder mit Serbien! Nieder mit den serbischen
Mördern! Die Bauernscharen sammelten sich auf dem
Hauptplatz, wo geistliche Redner das Attentat in
Sarajevo unter heftigen Ausfällen gegen Serbien be-
sprachen. Im Anschhuß hieran kam es zu vielfachen Zu-
sammenstößen und Exzessen. Mittlerweile hatten die
Behörden eine große Anzahl von Gendarmen zusam-
mengezogen und das Militärwurdein Bereit-
schaft
gestellt. Die Gendarmerie schritt mit großer
Energie ein und zerstreute die Demonstranten.




Der englische Staatsmann
Chamberlain +.


Der frühere Staatssekretär für die Kolonien Josef
Chamberlain ist gestern abend hier ge-
storben.




Chamberlain war einer der bedeutendsten
Staatsmänner Englands der Neuzeit. Seine Be-
deutung als Kolonialpolitiker war eine außer-
ordentliche. Bekanntlich war es Chamberlain, der
den Burenkrieg heraufbeschwor und durch dessen
siegreiche Beendigung den Engländern in Südafrika
neue Gebiete zuführte. Chamberlain wurde am 8. Juli
1836 in einer Vorstadt Londons geboren und widmete
sich zunächst dem Kaufmannstande. Bald wendete er sich
der politischen Laufbahn zu und im Jahre 1876 wurde
er in Birmingham ins Parlament gewählt. Diesen
Wahlkreis hatte er in der Folge dann durch volle
37 Jahre inne. Im Jahre 1895 stürzte er das
Ministerium Rosebery und trat selbst als Kolonial-
minister in das dritte Kabinett Salisbury ein.




Nr. 308 Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch] unter dem unverfänglichen Namen eines Badegeldes. In
einer Stifungsurkunde, die König Wladislaus den
Grafen Schlick als Pfandherren von Karlsbad unterm
Jahre 1531 ausſtellte, räumte er ihnen das Recht ein,
alle, die zum Beſuche des bereits ſehr angeſehenen Kur-
ortes kommen, „in ein zimlichen Uffſatz eines Badegeldes
Unſeres gefallens uff zu legen Hoch oder Nider zu ſetzen
und entſetzen“. Dieſes Badegeld ſollte freilich zugunſten
des Heiligen Geiſt-Spitales verwendet werden. Die Ab-
gabe wird bald wieder aufgehoben, und im 18. Jahrhun-
dert begegnen wir nur mehr freiwilligen Beiträgen, die
der Karlsbader Ratsdiener bei den Kurgäſten mittelſt
des ſogenannten „Sprudelbuches“ einſammelt. Im
Jahre 1795 hören wir neuerdings von der Einführung
einer feſten Kurtaxe, die für Adelige auf zwei Gulden,
für die Bürgerlichen auf einen Gulden feſtgeſetzt wird.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hat man dann dieſe
Zweiteilung beſeitigt, um ſie in den Fünfzigerjahren in
der Weiſe wieder einzuführen, daß man ſechs Gulden für
Bemittelte und die Hälfte für die minder Bemittelten an-
ſetzt. Das Militär war ſchon früher von der Kurtaxe be-
freit worden. In den nächſten Jahrzehnten haben ſich die
zu zahlenden Abgabe immer wieder verändert. So betra-
gen ſie zu Beginn der Siebzigerjahre nach einer Skala
von vier Klaſſen zwiſchen einem und zehn Gulden, Be-
träge, die von jedem zu entrichten ſind, der ſich länger als
acht Tage in Karlsbad aufhält. Befreit von der Kurtaxe
ſind die Aerzte und Wundärzte und die ſie begleitenden
Gattinnen und Kinder, aller öſterreichiſchen Militärper-
ſonen bis zum Range des Hauptmannes und jeder mit
einem legalen Armutszeugnis verſehene Kurgaſt. —
Wann ſind zuerſt Aerzte in Karlsbad nachzuweiſen, wo
man in den erſten zweihundert Jahren nach der Ent-
deckung der Quellen, die zu Beginn des 14. Jahrhun-
derts erfolgte, den damaligen mediziniſchen Regeln ent-
ſprechend nur gebadet hat? Erſt im Jahre 1522 erſchien
aus der Feder des Leibarztes des Grafen Stefan Schlick,
eines gewiſſen Wenzel Payer, eine gelehrte lateiniſche
Schrift über Karlsbad, in der zum erſtenmal der Ge-
brauch von Brunnenkuren empfohlen wird. „Ich habe ge-
ſagt, daß dieſes Waſſer getrunken werden müſſe. Weil
es aber bisher nur ſelten zum Trinken und mehr zum
Baden benützt wurde, ſo wird dieſes Vielen als etwas
Neues erſcheinen.“ Worin beſteht vornehmlich die Heil-
kraft des Karlsbadr Waſſers? Darüber heißt es in dem
deutſchen Anhange des Buches: „Nützlich iſt es denen, die
weder ſpeiß noch tranck gehalten mögen, bei den ſteinen
in der blaſen; den grieß oder ſteyn oder greißen in len-
den; verſtopfung der dermer, der gelſucht (Gelbſucht);
verſtopfung der Leber und milz, dem bodagra.“

* Unfall bei der Trauerdekoration.

Die Baum-
gartnar Freiwillige Feuerwehr hatte auf ihrem fünf-
zehn Meter hohen Rüſtturm aus Anlaß des ſchmerz-
lichen Ereigniſſes im Allerhöchſten Kaiſerhauſe eine
Trauerfahne gehißt. Heue nachmittag gegen ½5 Uhr
wollte der 46jährige Requifitenmeiſter der Feuerwehr
Ferdinand Wilczek die Fahne einziehen, verlor aber
das Gleichgewicht und ſtürzte in die Tiefe, wo er ſehr
ſchwere Verletzungen erlitt. Die Unter-St. Veiter
Rettungsgeſellſchaft brachte ihn ins Rochusſpital.

In allen Abteilungen der Kaufhäuſer A. Herzmansky,
7. Bezirk, Mariahilferſtraße 26, Stiftgaſſe 1, 3, 5, 7, findet
der Sommer-Okkaſionsverkauf zu ganz bedeutend herab-
geſetzten Preiſen ſtatt, und empfiehlt ſich eine Beſichtigung
der ohne Kaufzwang zur Schau geſtellten Seidenſtoffe,
Woll- und Waſchſtoffen, fertigen Damenkleidern, Bluſen,
Jacken, Mänteln uſw.




Angeblicher Beſuch Kaiſer
Wilhelms in Iſchl.

Die Berliner Telegraphenunion verbreitete heute
eine Meldung, nach welcher Kaiſer Wilhelm nach Abſage
ſeiner Wiener Reiſe den Wunſch geäußert habe, Kaiſer
Franz Joſef perſönlich in Iſchl zu beſuchen und ihm
ſein Beileid über den Tod des Thronfolgerpaares aus-
zudrücken. Nun kommt zu dieſer Meldung folgendes
Dementi:


Der „Lokalanzeiger“ bezeichnet die Meldung von
einem bevorſtehenden Kondolenzbeſuch Kaiſer Wilhelms
in Iſchl nach ſeinen Informationen als unzu-
treffend.




Große Trauerkundgebung des
Katholiſchen Volksbundes.

Sonntag den 5. Juli, 10 Uhr vormittags, ver-
anſtallet der Katholiſche Volksbund in der Volkshalle
des Neuen Wiener Rathauſes eine große Trauerkund-
gebung für weiland Erzherzog Franz Ferdinand und
Herzogin Sofie Hohenberg. Sprechen werden: Präſident
des Katholiſchen Volksbundes Exzellenz Fordinand von
zu Trauttmansdorff, Chefredakteur der „Reichspoſt“
Dr. Friedrich Funder und der Direktor der Zentral-
ſtelle Richard Schmitz. Zu dieſer impoſanten Ver-
anſtaltung ladet der Katholiſche Volksbund alle ſeine
Mitglieder freundlichſt ein. Es gilt zu zeigen, daß die
katholiſchen Männer Wiens auch in ſchickſalsſchweren
Stunden feſt und treu zu unſerem allgeliebten Mon-
archen ſtehen.

Die Wiener Jungſchützen werden ſich an der in
der Volkshalle am nächſten Sonntag den 5. d.
um 10 Uhr vormittags vom Volksbunde veranſtalteten
großen patriotiſchen Manifeſtation beteiligen und ſich
ſchon um ¼10 Uhr beim Rathauſe verſammeln.


[Spaltenumbruch]
Wiener, grüßen wir die
Kinder!

kehren die
drei Kinder des ermordeten Thron-
folgerpaares, die armen, von ganz
Wien geliebten und bemitleideten
Waiſen, von dem Grabe ihrer Eltern
in Artſtetten zurück,
ſteigen um ¾3 Uhr
nachmittags in der Station Penzing der Weſt-
bahnſtrecke aus und fahren von dort nach
Schönbrunn zum Kaiſer.

Auf dieſem Wege wollen wir Wiener den ver-
waiſten Kinden einen ſtummen Gruß bieten und ihnen
zeigen, wie Wien ſie liebt!




Die antiſerbiſchen
Demonſtrationen in Wien.
Die Einziehung der ſerbiſchen Fahne.

Bekanntlich gab zu den geſtrigen Demonſtrationen
vor der ſerbiſchen Geſandtſchaft die Tatſache den Anlaß,
daß vom Balkon der Wohnung des ſerbiſchen Ge-
ſandten in der Favoritenſtraße die ſerbiſche Fahne, nur
mit einem faſt unmerklichen Trauerflor verſehen, wehte.

Um neuerlichen Demonſtrationen vorzubeugen, hat
ſich heute vormittag BV. Rienößl zum Bürger-
meiſter und zum Miniſterpräſidenten Grafen Stürgkh
begeben, um wegen der Einziehung der Fahne zu inter-
venieren. Das Miniſterpräſidium hat ſich hierauf an
das Polizeipräſidium gewendet, das von einer Inter-
vention beim Geſandten aber mit Rückſicht auf die
Exterritorialität der Wohnung des
Geſandten
Abſtand nahm.

Nachdem ſchon geſtern nachmittag der Admini-
ſtrator des Hauſes, in dem der ſerbiſche Geſandte
wohnt, einen Beamten in die Geſandtſchaft mit dem
Erſuchen geſchickt hatte, die Entfernung des
Fahne mit Rückſicht auf eine eventuelle Beſchädigung
des Hauſes zu veranlaſſen, dieſes Erſuchen aber trotz der
Erklärung, daß die Geſandſchaft für alle Folgen ver-
antwortlich gemacht werden wird, keinen Erfolg hatte,
erſchion heute der Beſitzer des Hauſes ſelbſt, Herr
Dietrichſtein, in der Wohnung des Geſandten,
um ſeine bereits erhobene Forderung nach Einziehung
der Fahne zu wiederholen. Es wurde ihm erklärt, daß
die Fahne nach den Einſegnungsfeierlichkeiten in der
Hofburgpfarrkirche eingezogen wird.

Tatſächlich wurde heute um ¾5 Uhr die
Fahne
im Hauſe des Geſandten Jovanovic einge-
zogen.




Damit iſt der nächſte Anlaß der Demonſtrationen
beſeitigt. Es iſt den über die Sarajevoer Bluttat em-
pörten patriotiſchen Wienern gewiß nicht zu verdenken,
daß ſich ihre Erbitterung über den ungeheuerlichen
Doppelmord in ſpontanen Kundgebungen äußert. Im
Intereſſe des Eindruckes ſolcher Manifeſtationen
iſt es aber ratſam, jede Art von Ausſchrei-
tungzuvermeiden.
Es entſpricht unſerer Würde,
aber auch unſerer Trauer am Beſten, wenn derartige
Kundgebungen möglichſt ruhig und ernſt verlaufen.




Heute abend fand auch eine patriotiſche
Kundgebung
vor dem Radetzydenkmal
ſtatt; man ſang hier unter ſtürmiſcher Begeiſterung das
Prinz-Eugenlied und die Volkshymne und demonſtrierte
in Rufen gegen Serbien.




Wiederholung der Demonſtrationen.

Heute wiederholten ſich die antiſerbiſchen Demon-
ſtrationen, zum Teil in einer Art und Weiſe,
die nicht gebilligt werden kann und
die im Imtereſſe des Ernſtes der Sache und der
Bedeutung des Willens, der dabei zum Ausdruck kom-
men ſollte, abgelehnt werden muß.

Schon um 8 Uhr abends ſammelten ſich in der Um-
gebung der Paulanergaſſe größere Mengen an und bis
9 Uhr waren wieder mehrere tauſend Demonſtranten
angeſammelt, aus deren Mitte toſende Pfuirufe gegen
Serbien erſchollen. Die Wache, die wieder in ſehr großer
Zahl ausgerückt war und die Umgebung des Sitzes der
ſerbiſchen Geſandtſchaft in noch größerem Umkreis als
geſtern abgeſperrt hielt, ging heute gleich von Anfang
an energiſcher vor und duldete keine größeren Anſamm-
lungen. Dies konnte ihr allerdings nicht dauernd ge-
lingen, denn die zerſtreute Menge hatte ſich bald wieder
geſammelt. Gegen 10 Uhr wurde die Hauptgruppe der
Demonſtranten die Wiedner Hauptſtraße entlang gegen
den Naſchmarkt zu abgedrängt, wo mehrere Anſprachen
gehalten wurden. Im Nu waren die an der Straße lie-
genden Marktſtände erſtiegen. Hier wäre jedenfalls
ſtärkere polizeiliche Bewachung geboten, denn das Hab
und Gut unſerer braven Naſchmarktleute verdient
wohl zumindeſt jenen behördlichen Schutz, deſſen ſich
geſtern die ſerbiſche Fahne erfreuen konnte. Tatſächlich
ſind bereits geſtern einzelne Marktleute, wenn auch
ohne Dolus der Täter, zu Schaden gekommen. Der
Zug, etwa 1000 Perſonen, bewegt ſich dann zur Oper,
wo ein Student einige Worte an die Menge richtete,
und von da zum Kriegsminiſterium, wo es vor dem
Radetzkydenkmal zu einer patriotiſchen Kundgebung kam.


[Spaltenumbruch]

In der Favoritenſtraße, wo es geſtern vor der
Privatwohnung des ſerbiſchen Geſandten heiß zugegangen
war, herrſchte heute, da die Fahne nachmittags beſeitigt
worden war, Ruhe. Das Haus ſteht allerdings unter
ſtarker polizeilicher Bewachung. Das Vorgehen des
ſerbiſchen Geſandten Jovanovic bildet auch heute
noch den Hauptgeſprächsſtoff unter den Demonſtranten.
So oft ein Wagen mit Militärs die Straße paſſiert,
bricht die Menge in brauſende Hochrufe aus.

Um 11 Uhr wird uns gemeldet: Während durch
etwa eine Stunde ziemliche Ruhe herr ſchte, kommen ſeit
½11 Uhr Tauſende und Tauſende von Menſchen, welche
längs des Weges, den der Trauerzug nahm, Spalier
gebildet hatten, ununterbrochen auf den Schauplatz
der Demonſtrationen. Die Menge iſt auf etwa 15.000
ange wachſen. Bei der Paulanerkirche wurde gegen den
dortſelbſt poſtierten dichten Kordon berittener Sicherheits-
wache Sturm gelaufen. Während einige Wenige durch-
brechen konnten, wurde die überwiegende Hauptmaſſe
zurückgedrängt. Da die Maſſen jedoch von den
noch immer anſtrömenden Menſchen vorgeſchoben
wurden, ging der Kordon mit einer Attake vor. Es ent-
ſtand, da die Wache in die Menge hineinritt und auch
einige Pferde durch explodierende „Fröſche“, die von den
Demonſtranten gegen die Wache geſchleudert wurden,
ſcheuten, eine ungeheure Panik. Die dicht eingekeilte
Menſchenmenge, die weder vor- noch rückwärts konnte,
wandte ſich zur Flucht, wobei viele niederge-
treten
wurden. Viele wurden an die Häuſerwände
und an die Rollbalken gepreßt. Auch mehrere Verletzungen
durch Hufſchläge kamen vor. Einige Demonſtranten er-
kletterten in der Bedrängnis Laternenpfähle. Die
Situation iſt ſehr bedrohlich.

Halb zwölf Uhr: Es iſt der Wache ge-
lungen, die Hauptmaſſe die Wiedner Hauptſtraße
hinunterzudrängen, was unter ſtürmiſchen Pſuirufen der
Demonſtranten vor ſich ging. Zur Stunde beginnen ſich
die zerſtreuten Maſſen wieder zu ſammeln und vor-
zudrängen. Die Wache hat nach Beendigung der Leichen
feier bedeutenden Zuzug — zum Teil per Automobil —
erhalten. Es verlautet auch, daß 800 penſionierte Wach-
leute bis auf weiteres einberufen wurden und heute
bereits Dienſt verſehen. Ein Teil der Verſtärkungen
wurde zur Sicherung der ruſſiſchen Botſchaft ver-
wendet. Ein Zug von Demonſtranten ſtürmte aus der
Margaretenſtraße auf den Ramerplatz und durchbrach
dort die Polizeikette. Hiebei hörte man einige Schüſſe.
Es iſt zur Stunde nicht feſtgeſtellt, ob es ſich um
Revolverſchüſſe oder nur, wie geſtern, um den Knall
von ſogenannten „Fröſchen“ (Knallkapſeln) handelte.

Die Leitung des Sicherheitsdienſtes, den die Er-
regung der Menge ſehr ſchwierig geſtaltet, hat Zentral-
inſpektor Dr. Pammer, Polizeibezirksleiter Regie-
rungsrat Schmied, Oberinſpektor Lonſik und
Polizeirat Rzehak.

Die Umgebung der Geſandtſchaft und der Privat-
wohnung des ſerbiſchen Geſandten iſt durch drei-
fache Kordons abgeſperrt.

12 Uhr: Der Platz um die Paulanerkirche
gleicht einem Heerlager. Die Wachmannſchaft, die da
zum großen Teile ſeit drei Tagen faſt ununterbrochen
im Dienſt ſtehend, ſehr ermüdet iſt, hat es ſich ſo be-
quem als möglich gemacht und kampiert in den Seiten-
gaſſen.

1 Uhr: Die Ruhe iſt vollkommen hergeſtellt. Die
Wache iſt noch vollzählig am Platze.




Antiſerbiſche Kundgebungen in Spalato.


Geſtern abend zogen aus der Umgebung unter
Führung der Geiſtlichkeit große Bauernſcharen
in die Stadt, durchzogen die Hauptſtraßen unter den
Rufen: Nieder mit Serbien! Nieder mit den ſerbiſchen
Mördern! Die Bauernſcharen ſammelten ſich auf dem
Hauptplatz, wo geiſtliche Redner das Attentat in
Sarajevo unter heftigen Ausfällen gegen Serbien be-
ſprachen. Im Anſchhuß hieran kam es zu vielfachen Zu-
ſammenſtößen und Exzeſſen. Mittlerweile hatten die
Behörden eine große Anzahl von Gendarmen zuſam-
mengezogen und das Militärwurdein Bereit-
ſchaft
geſtellt. Die Gendarmerie ſchritt mit großer
Energie ein und zerſtreute die Demonſtranten.




Der engliſche Staatsmann
Chamberlain †.


Der frühere Staatsſekretär für die Kolonien Joſef
Chamberlain iſt geſtern abend hier ge-
ſtorben.




Chamberlain war einer der bedeutendſten
Staatsmänner Englands der Neuzeit. Seine Be-
deutung als Kolonialpolitiker war eine außer-
ordentliche. Bekanntlich war es Chamberlain, der
den Burenkrieg heraufbeſchwor und durch deſſen
ſiegreiche Beendigung den Engländern in Südafrika
neue Gebiete zuführte. Chamberlain wurde am 8. Juli
1836 in einer Vorſtadt Londons geboren und widmete
ſich zunächſt dem Kaufmannſtande. Bald wendete er ſich
der politiſchen Laufbahn zu und im Jahre 1876 wurde
er in Birmingham ins Parlament gewählt. Dieſen
Wahlkreis hatte er in der Folge dann durch volle
37 Jahre inne. Im Jahre 1895 ſtürzte er das
Miniſterium Roſebery und trat ſelbſt als Kolonial-
miniſter in das dritte Kabinett Salisbury ein.




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[9/0009] Nr. 308 Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914 unter dem unverfänglichen Namen eines Badegeldes. In einer Stifungsurkunde, die König Wladislaus den Grafen Schlick als Pfandherren von Karlsbad unterm Jahre 1531 ausſtellte, räumte er ihnen das Recht ein, alle, die zum Beſuche des bereits ſehr angeſehenen Kur- ortes kommen, „in ein zimlichen Uffſatz eines Badegeldes Unſeres gefallens uff zu legen Hoch oder Nider zu ſetzen und entſetzen“. Dieſes Badegeld ſollte freilich zugunſten des Heiligen Geiſt-Spitales verwendet werden. Die Ab- gabe wird bald wieder aufgehoben, und im 18. Jahrhun- dert begegnen wir nur mehr freiwilligen Beiträgen, die der Karlsbader Ratsdiener bei den Kurgäſten mittelſt des ſogenannten „Sprudelbuches“ einſammelt. Im Jahre 1795 hören wir neuerdings von der Einführung einer feſten Kurtaxe, die für Adelige auf zwei Gulden, für die Bürgerlichen auf einen Gulden feſtgeſetzt wird. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hat man dann dieſe Zweiteilung beſeitigt, um ſie in den Fünfzigerjahren in der Weiſe wieder einzuführen, daß man ſechs Gulden für Bemittelte und die Hälfte für die minder Bemittelten an- ſetzt. Das Militär war ſchon früher von der Kurtaxe be- freit worden. In den nächſten Jahrzehnten haben ſich die zu zahlenden Abgabe immer wieder verändert. So betra- gen ſie zu Beginn der Siebzigerjahre nach einer Skala von vier Klaſſen zwiſchen einem und zehn Gulden, Be- träge, die von jedem zu entrichten ſind, der ſich länger als acht Tage in Karlsbad aufhält. Befreit von der Kurtaxe ſind die Aerzte und Wundärzte und die ſie begleitenden Gattinnen und Kinder, aller öſterreichiſchen Militärper- ſonen bis zum Range des Hauptmannes und jeder mit einem legalen Armutszeugnis verſehene Kurgaſt. — Wann ſind zuerſt Aerzte in Karlsbad nachzuweiſen, wo man in den erſten zweihundert Jahren nach der Ent- deckung der Quellen, die zu Beginn des 14. Jahrhun- derts erfolgte, den damaligen mediziniſchen Regeln ent- ſprechend nur gebadet hat? Erſt im Jahre 1522 erſchien aus der Feder des Leibarztes des Grafen Stefan Schlick, eines gewiſſen Wenzel Payer, eine gelehrte lateiniſche Schrift über Karlsbad, in der zum erſtenmal der Ge- brauch von Brunnenkuren empfohlen wird. „Ich habe ge- ſagt, daß dieſes Waſſer getrunken werden müſſe. Weil es aber bisher nur ſelten zum Trinken und mehr zum Baden benützt wurde, ſo wird dieſes Vielen als etwas Neues erſcheinen.“ Worin beſteht vornehmlich die Heil- kraft des Karlsbadr Waſſers? Darüber heißt es in dem deutſchen Anhange des Buches: „Nützlich iſt es denen, die weder ſpeiß noch tranck gehalten mögen, bei den ſteinen in der blaſen; den grieß oder ſteyn oder greißen in len- den; verſtopfung der dermer, der gelſucht (Gelbſucht); verſtopfung der Leber und milz, dem bodagra.“ * Unfall bei der Trauerdekoration. Die Baum- gartnar Freiwillige Feuerwehr hatte auf ihrem fünf- zehn Meter hohen Rüſtturm aus Anlaß des ſchmerz- lichen Ereigniſſes im Allerhöchſten Kaiſerhauſe eine Trauerfahne gehißt. Heue nachmittag gegen ½5 Uhr wollte der 46jährige Requifitenmeiſter der Feuerwehr Ferdinand Wilczek die Fahne einziehen, verlor aber das Gleichgewicht und ſtürzte in die Tiefe, wo er ſehr ſchwere Verletzungen erlitt. Die Unter-St. Veiter Rettungsgeſellſchaft brachte ihn ins Rochusſpital. In allen Abteilungen der Kaufhäuſer A. Herzmansky, 7. Bezirk, Mariahilferſtraße 26, Stiftgaſſe 1, 3, 5, 7, findet der Sommer-Okkaſionsverkauf zu ganz bedeutend herab- geſetzten Preiſen ſtatt, und empfiehlt ſich eine Beſichtigung der ohne Kaufzwang zur Schau geſtellten Seidenſtoffe, Woll- und Waſchſtoffen, fertigen Damenkleidern, Bluſen, Jacken, Mänteln uſw. Angeblicher Beſuch Kaiſer Wilhelms in Iſchl. Die Berliner Telegraphenunion verbreitete heute eine Meldung, nach welcher Kaiſer Wilhelm nach Abſage ſeiner Wiener Reiſe den Wunſch geäußert habe, Kaiſer Franz Joſef perſönlich in Iſchl zu beſuchen und ihm ſein Beileid über den Tod des Thronfolgerpaares aus- zudrücken. Nun kommt zu dieſer Meldung folgendes Dementi: Berlin, 3. Juli. (Privat.) Der „Lokalanzeiger“ bezeichnet die Meldung von einem bevorſtehenden Kondolenzbeſuch Kaiſer Wilhelms in Iſchl nach ſeinen Informationen als unzu- treffend. Große Trauerkundgebung des Katholiſchen Volksbundes. Sonntag den 5. Juli, 10 Uhr vormittags, ver- anſtallet der Katholiſche Volksbund in der Volkshalle des Neuen Wiener Rathauſes eine große Trauerkund- gebung für weiland Erzherzog Franz Ferdinand und Herzogin Sofie Hohenberg. Sprechen werden: Präſident des Katholiſchen Volksbundes Exzellenz Fordinand von zu Trauttmansdorff, Chefredakteur der „Reichspoſt“ Dr. Friedrich Funder und der Direktor der Zentral- ſtelle Richard Schmitz. Zu dieſer impoſanten Ver- anſtaltung ladet der Katholiſche Volksbund alle ſeine Mitglieder freundlichſt ein. Es gilt zu zeigen, daß die katholiſchen Männer Wiens auch in ſchickſalsſchweren Stunden feſt und treu zu unſerem allgeliebten Mon- archen ſtehen. Die Wiener Jungſchützen werden ſich an der in der Volkshalle am nächſten Sonntag den 5. d. um 10 Uhr vormittags vom Volksbunde veranſtalteten großen patriotiſchen Manifeſtation beteiligen und ſich ſchon um ¼10 Uhr beim Rathauſe verſammeln. Wiener, grüßen wir die Kinder! Wiener, Samstag den 4. d. kehren die drei Kinder des ermordeten Thron- folgerpaares, die armen, von ganz Wien geliebten und bemitleideten Waiſen, von dem Grabe ihrer Eltern in Artſtetten zurück, ſteigen um ¾3 Uhr nachmittags in der Station Penzing der Weſt- bahnſtrecke aus und fahren von dort nach Schönbrunn zum Kaiſer. Auf dieſem Wege wollen wir Wiener den ver- waiſten Kinden einen ſtummen Gruß bieten und ihnen zeigen, wie Wien ſie liebt! Die antiſerbiſchen Demonſtrationen in Wien. Die Einziehung der ſerbiſchen Fahne. Bekanntlich gab zu den geſtrigen Demonſtrationen vor der ſerbiſchen Geſandtſchaft die Tatſache den Anlaß, daß vom Balkon der Wohnung des ſerbiſchen Ge- ſandten in der Favoritenſtraße die ſerbiſche Fahne, nur mit einem faſt unmerklichen Trauerflor verſehen, wehte. Um neuerlichen Demonſtrationen vorzubeugen, hat ſich heute vormittag BV. Rienößl zum Bürger- meiſter und zum Miniſterpräſidenten Grafen Stürgkh begeben, um wegen der Einziehung der Fahne zu inter- venieren. Das Miniſterpräſidium hat ſich hierauf an das Polizeipräſidium gewendet, das von einer Inter- vention beim Geſandten aber mit Rückſicht auf die Exterritorialität der Wohnung des Geſandten Abſtand nahm. Nachdem ſchon geſtern nachmittag der Admini- ſtrator des Hauſes, in dem der ſerbiſche Geſandte wohnt, einen Beamten in die Geſandtſchaft mit dem Erſuchen geſchickt hatte, die Entfernung des Fahne mit Rückſicht auf eine eventuelle Beſchädigung des Hauſes zu veranlaſſen, dieſes Erſuchen aber trotz der Erklärung, daß die Geſandſchaft für alle Folgen ver- antwortlich gemacht werden wird, keinen Erfolg hatte, erſchion heute der Beſitzer des Hauſes ſelbſt, Herr Dietrichſtein, in der Wohnung des Geſandten, um ſeine bereits erhobene Forderung nach Einziehung der Fahne zu wiederholen. Es wurde ihm erklärt, daß die Fahne nach den Einſegnungsfeierlichkeiten in der Hofburgpfarrkirche eingezogen wird. Tatſächlich wurde heute um ¾5 Uhr die Fahne im Hauſe des Geſandten Jovanovic einge- zogen. Damit iſt der nächſte Anlaß der Demonſtrationen beſeitigt. Es iſt den über die Sarajevoer Bluttat em- pörten patriotiſchen Wienern gewiß nicht zu verdenken, daß ſich ihre Erbitterung über den ungeheuerlichen Doppelmord in ſpontanen Kundgebungen äußert. Im Intereſſe des Eindruckes ſolcher Manifeſtationen iſt es aber ratſam, jede Art von Ausſchrei- tungzuvermeiden. Es entſpricht unſerer Würde, aber auch unſerer Trauer am Beſten, wenn derartige Kundgebungen möglichſt ruhig und ernſt verlaufen. Heute abend fand auch eine patriotiſche Kundgebung vor dem Radetzydenkmal ſtatt; man ſang hier unter ſtürmiſcher Begeiſterung das Prinz-Eugenlied und die Volkshymne und demonſtrierte in Rufen gegen Serbien. Wiederholung der Demonſtrationen. Heute wiederholten ſich die antiſerbiſchen Demon- ſtrationen, zum Teil in einer Art und Weiſe, die nicht gebilligt werden kann und die im Imtereſſe des Ernſtes der Sache und der Bedeutung des Willens, der dabei zum Ausdruck kom- men ſollte, abgelehnt werden muß. Schon um 8 Uhr abends ſammelten ſich in der Um- gebung der Paulanergaſſe größere Mengen an und bis 9 Uhr waren wieder mehrere tauſend Demonſtranten angeſammelt, aus deren Mitte toſende Pfuirufe gegen Serbien erſchollen. Die Wache, die wieder in ſehr großer Zahl ausgerückt war und die Umgebung des Sitzes der ſerbiſchen Geſandtſchaft in noch größerem Umkreis als geſtern abgeſperrt hielt, ging heute gleich von Anfang an energiſcher vor und duldete keine größeren Anſamm- lungen. Dies konnte ihr allerdings nicht dauernd ge- lingen, denn die zerſtreute Menge hatte ſich bald wieder geſammelt. Gegen 10 Uhr wurde die Hauptgruppe der Demonſtranten die Wiedner Hauptſtraße entlang gegen den Naſchmarkt zu abgedrängt, wo mehrere Anſprachen gehalten wurden. Im Nu waren die an der Straße lie- genden Marktſtände erſtiegen. Hier wäre jedenfalls ſtärkere polizeiliche Bewachung geboten, denn das Hab und Gut unſerer braven Naſchmarktleute verdient wohl zumindeſt jenen behördlichen Schutz, deſſen ſich geſtern die ſerbiſche Fahne erfreuen konnte. Tatſächlich ſind bereits geſtern einzelne Marktleute, wenn auch ohne Dolus der Täter, zu Schaden gekommen. Der Zug, etwa 1000 Perſonen, bewegt ſich dann zur Oper, wo ein Student einige Worte an die Menge richtete, und von da zum Kriegsminiſterium, wo es vor dem Radetzkydenkmal zu einer patriotiſchen Kundgebung kam. In der Favoritenſtraße, wo es geſtern vor der Privatwohnung des ſerbiſchen Geſandten heiß zugegangen war, herrſchte heute, da die Fahne nachmittags beſeitigt worden war, Ruhe. Das Haus ſteht allerdings unter ſtarker polizeilicher Bewachung. Das Vorgehen des ſerbiſchen Geſandten Jovanovic bildet auch heute noch den Hauptgeſprächsſtoff unter den Demonſtranten. So oft ein Wagen mit Militärs die Straße paſſiert, bricht die Menge in brauſende Hochrufe aus. Um 11 Uhr wird uns gemeldet: Während durch etwa eine Stunde ziemliche Ruhe herr ſchte, kommen ſeit ½11 Uhr Tauſende und Tauſende von Menſchen, welche längs des Weges, den der Trauerzug nahm, Spalier gebildet hatten, ununterbrochen auf den Schauplatz der Demonſtrationen. Die Menge iſt auf etwa 15.000 ange wachſen. Bei der Paulanerkirche wurde gegen den dortſelbſt poſtierten dichten Kordon berittener Sicherheits- wache Sturm gelaufen. Während einige Wenige durch- brechen konnten, wurde die überwiegende Hauptmaſſe zurückgedrängt. Da die Maſſen jedoch von den noch immer anſtrömenden Menſchen vorgeſchoben wurden, ging der Kordon mit einer Attake vor. Es ent- ſtand, da die Wache in die Menge hineinritt und auch einige Pferde durch explodierende „Fröſche“, die von den Demonſtranten gegen die Wache geſchleudert wurden, ſcheuten, eine ungeheure Panik. Die dicht eingekeilte Menſchenmenge, die weder vor- noch rückwärts konnte, wandte ſich zur Flucht, wobei viele niederge- treten wurden. Viele wurden an die Häuſerwände und an die Rollbalken gepreßt. Auch mehrere Verletzungen durch Hufſchläge kamen vor. Einige Demonſtranten er- kletterten in der Bedrängnis Laternenpfähle. Die Situation iſt ſehr bedrohlich. Halb zwölf Uhr: Es iſt der Wache ge- lungen, die Hauptmaſſe die Wiedner Hauptſtraße hinunterzudrängen, was unter ſtürmiſchen Pſuirufen der Demonſtranten vor ſich ging. Zur Stunde beginnen ſich die zerſtreuten Maſſen wieder zu ſammeln und vor- zudrängen. Die Wache hat nach Beendigung der Leichen feier bedeutenden Zuzug — zum Teil per Automobil — erhalten. Es verlautet auch, daß 800 penſionierte Wach- leute bis auf weiteres einberufen wurden und heute bereits Dienſt verſehen. Ein Teil der Verſtärkungen wurde zur Sicherung der ruſſiſchen Botſchaft ver- wendet. Ein Zug von Demonſtranten ſtürmte aus der Margaretenſtraße auf den Ramerplatz und durchbrach dort die Polizeikette. Hiebei hörte man einige Schüſſe. Es iſt zur Stunde nicht feſtgeſtellt, ob es ſich um Revolverſchüſſe oder nur, wie geſtern, um den Knall von ſogenannten „Fröſchen“ (Knallkapſeln) handelte. Die Leitung des Sicherheitsdienſtes, den die Er- regung der Menge ſehr ſchwierig geſtaltet, hat Zentral- inſpektor Dr. Pammer, Polizeibezirksleiter Regie- rungsrat Schmied, Oberinſpektor Lonſik und Polizeirat Rzehak. Die Umgebung der Geſandtſchaft und der Privat- wohnung des ſerbiſchen Geſandten iſt durch drei- fache Kordons abgeſperrt. 12 Uhr: Der Platz um die Paulanerkirche gleicht einem Heerlager. Die Wachmannſchaft, die da zum großen Teile ſeit drei Tagen faſt ununterbrochen im Dienſt ſtehend, ſehr ermüdet iſt, hat es ſich ſo be- quem als möglich gemacht und kampiert in den Seiten- gaſſen. 1 Uhr: Die Ruhe iſt vollkommen hergeſtellt. Die Wache iſt noch vollzählig am Platze. Antiſerbiſche Kundgebungen in Spalato. Spalato, 3. Juli. (Privat.) Geſtern abend zogen aus der Umgebung unter Führung der Geiſtlichkeit große Bauernſcharen in die Stadt, durchzogen die Hauptſtraßen unter den Rufen: Nieder mit Serbien! Nieder mit den ſerbiſchen Mördern! Die Bauernſcharen ſammelten ſich auf dem Hauptplatz, wo geiſtliche Redner das Attentat in Sarajevo unter heftigen Ausfällen gegen Serbien be- ſprachen. Im Anſchhuß hieran kam es zu vielfachen Zu- ſammenſtößen und Exzeſſen. Mittlerweile hatten die Behörden eine große Anzahl von Gendarmen zuſam- mengezogen und das Militärwurdein Bereit- ſchaft geſtellt. Die Gendarmerie ſchritt mit großer Energie ein und zerſtreute die Demonſtranten. Der engliſche Staatsmann Chamberlain †. London, 3. Juli. Der frühere Staatsſekretär für die Kolonien Joſef Chamberlain iſt geſtern abend hier ge- ſtorben. Chamberlain war einer der bedeutendſten Staatsmänner Englands der Neuzeit. Seine Be- deutung als Kolonialpolitiker war eine außer- ordentliche. Bekanntlich war es Chamberlain, der den Burenkrieg heraufbeſchwor und durch deſſen ſiegreiche Beendigung den Engländern in Südafrika neue Gebiete zuführte. Chamberlain wurde am 8. Juli 1836 in einer Vorſtadt Londons geboren und widmete ſich zunächſt dem Kaufmannſtande. Bald wendete er ſich der politiſchen Laufbahn zu und im Jahre 1876 wurde er in Birmingham ins Parlament gewählt. Dieſen Wahlkreis hatte er in der Folge dann durch volle 37 Jahre inne. Im Jahre 1895 ſtürzte er das Miniſterium Roſebery und trat ſelbſt als Kolonial- miniſter in das dritte Kabinett Salisbury ein.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost308_1914/9>, abgerufen am 24.04.2024.