[0035]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 9. Köln, Freitag 9. Juni 1848.
@typejExpedition
@facs0035
Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt: Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt: Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; ‒ für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. ‒ Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.
Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“
@typecontents
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Uebersicht.
Deutschland. Köln. (Vorschlag der Centralgewaltkommission in der Nationalversammlung. ‒ Neue Theilung Polens). Düsseldorf. (Demokrat. Klub.) Frankfurt. (Die Centralgewalt. ‒ Die Plätze der Journalisten. ‒ Unterzeichner des Manifestes der radikalen Partei. ‒ Volksversammlung. ‒ Beschluß der N.-Versammlung). Berlin. (Vereinbarungsdebatten. ‒ Erklärungen über die Zwangsanleihe und des Prinzen von Preußen.) Erfurt. (Unruhen.) Breslau. (Witt Döring. ‒ Brutalität der Bürgerwehr.) Aus Schlesien. (Die Parteien.) Posen. (Russische Rüstungen. ‒ Die Organisation.) Frankfurt a. d. O. (Protest.) Mainz. (Militärische Umzingelung. ‒ Protest der Militärpflichtigen. ‒ Adresse der Berliner Demokraten. ‒ Beschluß des Bundes vom 2. Juni.) Bruchsal. (Behandlung der Gefangenen. ‒ Soldaten-Brutalität.) Prag. (Vorbereitungen zum Slavenkongreß.)
Polen. Lemberg. (Loyalitätsadresse der österreichischen Soldaten.)
Ungarn. Pesth. (Nationalitätsverwickelungen.)
Belgien. Brüssel. (Offiziersdiäten. ‒ Erdarbeiteremeute.) Verviers. (Clubs.)
Holland. Haag. (Holland in Noth.)
Französische Republik. Paris. (Die Sitzung vom 2. Juni. ‒ Sitzung vom 5. Juni. ‒ Paris vor und nach der Februarrevolution. ‒ Coalition der Maschinisten. ‒ Journal der Arbeiter der National-Aeteliers. ‒ Kassationsgesuch von Leotade verworfen. ‒ Demokratisches Banket. ‒ Bei Louis Philippe gefundene Geldsumme.)
Italien. Mailand. (Die Insurrektion vom 29. ‒ Neues Gefecht. ‒ Marmont. ‒ Schweizeroffiziere vor Livorno.)
Großbritanien. London (Die Armenverwaltung von Marylebone. ‒ Die Armentaxe und Verbrechen. ‒ Chartistenemeuten in England u Irland. ‒ Die Manchester Times üver den Northernstar. ‒ Ober- und Unterhaussitzungen). Dublin (Die Konföderation).
Amerika. (Lage der Kolonieen. ‒ Ankunft Santa Anna's in Jamaika. ‒ Aufruhr in Port-au-Prince. ‒ Ankunft der Cambria. ‒ Handelsnachrichten. ‒ General Scott).
Amtliche Nachrichten.
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@facs0035
Bekanntmachung.
Die am 1. Juli d. J. fälligen Zinsen der Staats-Schuldscheine können gegen Ablieferung der Coupons Ser. X. Nro. 3 schon vom 15ten d. M. ab bei der Staats-Schulden-Tilgungs-Kasse hierselbst, Taubenstraße Nro. 30, in den Wochentagen von 9 bis 1 Uhr Vormittags in Empfang genommen werden.
Die zu realisirenden Coupons müssen nach den Appoints geordnet und von einem die Stückzahl und den Geldbetrag enthaltenden aufsummirten Verzeichnisse begleitet sein.
Berlin, den 2. Juni 1848.
Haupt-Verwaltung der Staats-Schulden.
Natan. Köhler. Knoblauch.
Deutschland.
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[19] Köln, 8. Juni.
Wir erhalten aus Frankfurt das folgende Aktenstück, mit welchem der Prüfungs-Ausschuß für die Anträge auf Bildung einer Centralgewalt sein Dasein feiert.
„Die Nationalversammlung beschließt:
1. Bis zur definitiven Begründung einer obersten Regierungsgewalt für Deutschland soll ein Bundesdirektorium zur Ausübung dieser obersten Gewalt in allen gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen Nation bestellt werden.
2. Dasselbe soll aus 3 Männern bestehen, welche das Vertrauen der Nationalversammlung genießen und, nach vorläufiger Vereinbarung mit einem von der Nationalversammlung eigens hierzu gewählten Ausschuß von 30 Mitgliedern, von den Regierungen ernannt werden. Oesterreich und Preußen bestellt je einen derselben, der dritte wird von den übrigen Bundesstaaten aus 3 von Baiern vorzuschlagenden Kandidaten durch Stimmenmehrheit der vierten bis siebzehnten Stimme der engern Versammlung des Bundestags gewählt.
3. Das Direktorium hat
a) die von der konstituirenden Nationalversammlung gefaßten und von ihm genehmigten Beschlüsse durch seine Verkündigung in Rechtskraft zu setzen und zu vollziehen;
b) die zur Vollziehung der Reichsgesetze nöthigen Verordnungen zu erlassen;
c) die Oberleitung der gesammten Vertheidigungs-Einrichtungen zu übernehmen und den Oberfeldherrn sämmtlicher Bundestruppen zu ernennen;
d) die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands auszuüben, Gesandte und Konsuln zu ernennen
4. Ueber Krieg und Frieden, und über die Verträge mit auswärtigen Mächten beschließt das Bundesdirektorium im Einverständniß mit der Nationalversammlung.
5. Das Bundesdirektorium übt seine Gewalt durch von ihm ernannte, der Nationalversammlung verantwortliche Minister aus. Alle Anordnungen desselben bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung wenigstens eines verantwortlichen Ministers.
6. Das Bundesdirektorium ernennt zu diesem Ende
a) einen Minister für die auswärtigen Angelegenheiten;
b) einen Minister des Krieges (zugleich für die Marine);
c) einen Minister des Innern;
d) einen Finanzminister;
e) einen Minister für Ackerbau, Gewerbe, Handel und für öffentliche Arbeiten.
7. Die Minister haben das Recht, den Berathungen der National-Versammlung beizuwohnen und von derselben jederzeit gehört zu werden; sie haben jedoch das Stimmrecht in der National-Versammlung nur dann, wenn sie als Mitglieder derselben gewählt werden. Dagegen ist die Stellung eines Mitgliedes des Bundesdirektoriums mit jener eines Abgeordneten zur National-Versammlung unvereinbar.
8. Sobald das Verfassungswerk für Deutschland vollendet und in Ausführung gebracht ist, hört die Thätigkeit des Direktoriums und seiner Minister auf.“
Dieser Antrag ist das Machwerk des Hrn. Dahlmann, des großen Geschichtschreibers des kleinen Cromwell. Manches von dem ursprünglichen Antrag ist noch modifizirt worden. So hieß es in Betreff der Ernennung des Triumvirats (Art. 2.) zuerst: „welche von den Regierungen ernannt und von der National-Versammlung gebilligt werden“; Hr. Hofrath Dahlmann mußte indeß mit dieser Fassung den Hrn. Zenetti aus München und Flottwell aus Münster weichen, die keine „Billigung“ der National-Versammlung für nöthig erachten. Nur zwei von den 15 Mitgliedern des Ausschusses haben gegen das Gutachten gestimmt: Robert Blum und v. Trützschler. Vorsitzender des Ausschusses war Hr. Stedtmann aus Koblenz.
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@facs0035
Edition: [Friedrich Engels: Neue Teilung Polens. In: MEGA2 I/7. S. 90.]
[**] Köln, 8. Juni.
Siebente Theilung Polens.
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@typejArticle
@facs0035
Düsseldorf, 6. Juni.
Durch das entschiedene Auftreten des hiesigen Volksklubs, der sich in seinem Programme offen zu der Republik bekannt hat, ist eine lächerliche Furcht in die Philister gefahren. Es war zu erwarten, daß sie nach Ueberwindung des ersten Schreckens zu ihren gewöhnlichen erbärmlichen Waffen greifen würden, zu Verdächtigungen und Verläumdungen. So ist denn auch bereits im hiesigen Kreisblättchen ein derartiger ängstlich-tapferer Mann, natürlich als Anonymus, aufgetreten, und hat die Comitémitglieder des Volksklubs reif für Siegburg erklärt. Um allen solchen schlechten Witzen von vornherein die Spitze abzubrechen, läßt das Comité in der morgigen Düsseldorfer Zeitung erklären, daß der Volksklub Gemeinheiten und Dummheiten, welche aus dem Verstecke heraus gegen ihn geschleudert werden, verachten, Gegnern aber, die ihm mit offenem Visiere gegenüber treten, zu antworten wissen werde. Es wird auch schon von Verhaftung der Comitémitglieder gesprochen. Diese Mitglieder sind aber nicht so toll, daß sie den Feinden Blößen und willkommene Handhaben gegen sich gäben. Freilich dem Oberprokurator Schnaase hierselbst schien die vor einiger Zeit von dem Volksklub ausgegangene Adresse an die Nationalversammlung in Berlin gegen ein Strafgesetz zu verstoßen und er verlangte auf diesen Schein hin von dem Redakteur der Düsseldorfer Zeitung, worin die Adresse mitgetheilt worden war, ihm den Einsender, resp. Verfasser derselben, zu nennen, widrigenfalls er ihn, den Redakteur, zur Verantwortung ziehen werde. Der Oberprokurator, welcher dem allgemeinen Gerüchte nach, die mit dem 1. künftigen Monats hier erscheinende „Niederrh. Zeitung“ redigiren wird, hat es bis jetzt beim Scheine bewenden lassen.
Wie verhält sich aber das Volk dem Volksklub gegenüber? Das Volk hat die an den Straßenecken veröffentlichten Programme des Volksklubs mit Begierde gelesen und bereits durch zahlreichen Beitritt seine Theilnahme bewiesen.
@typejFeuilleton
@facs0035
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@typejArticle
@facs0035
Militärische Beredsamkeit.
Die preußische Armee zählt in ihren Reihen und ebenfalls „a. D., mit der Armee-Uniform und den vorgeschriebenen Abzeichen für Verabschiedete“, eine unendliche Zahl von Don Quixoten aller Grade, vom Unteroffizier bis zum kommandirenden General, Originale, die man in keiner andern Armee der Welt findet, die aber alle ein und dasselbe am Rhein sogenannte „preußische“ Gesicht und dieselben „preußischen“ Manieren haben. Es ist die bekannte „magere Ritterschaft“, die sich vor wie nach durch Grobheit, Arroganz, Unwissenheit und verdorbenen Berliner Accent so vortheilhaft von den übrigen Deutschen unterscheidet. Es sind die bekannten
‒ blassen Canaillen, die ausgesehn
Wie Liebe, Glauben und Hoffen,
Und die seitdem in unserm Wein
Sich rothe Nasen gesoffen.
Es sind jene Urtypen des altpreußischen Soldaten, die seit einem Jahrhundert sich fast gar nicht verändert haben und von denen geschrieben steht:
Sah wieder preußisches Militär,
Hat sich nicht sehr verändert.
Es sind die grauen Mäntel noch
Mit den hohen rothen Kragen ‒
(Das Roth bedeutet Franzosenblut,
Sang Körner in früheren Tagen.)
Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.
Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengrade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Mit dem man sie einst geprügelt.
Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie,
Sie tragen sie jetzt im Innern;
Das trauliche Du wird immer noch
An das alte Er erinnern.
Der lange Schnurbart ist eigentlich nur
Des Zopfthums neuere Phase;
Der Zopf, der früher hinten hing,
Der hängt jetzt unter der Nase.
Diese Don Quixoten befinden sich seit der Märzrevolution in einer beklagenswerthen Lage. Sie sind eben so erstaunt darüber, die schwarz-roth-goldene Kokarde am Helm tragen zu müssen, als die schwarz-roth-goldene Kokarde erstaunt ist, die Revolution von 1848 zu repräsentiren. Sie sind, wie ein benachbarter Publizist, der Verzweiflung preisgegeben, weil ihnen der Rechtsboden unter den Füßen abhanden gekommen ist. Ihre erste Lebensbedingung, mit Gott, für König und Vaterland sackgrob und unverschämt zu sein, ist gefährdet, und nächstens sollen sie sogar den Eid auf die Verfassung leisten!
Es ist erklärlich, daß diese Helden den glühendsten Haß gegen die revolutionäre Ordnung der Dinge hegen. Ihre Wuth kennt keine Gränzen, als die ihnen die Rücksicht auf ihre Sicherheit auf auf ihre Gage oder Pension bietet. Wo sie zufällig noch die Macht haben, wie in Mainz, da provoziren sie irgend einen Vorwand, um den Belagerungszustand zu erklären, um die Bürger zu entwaffnen und um sich in ihrer ganzen Brutalität zu ergehen; wo sie ohnmächtig sind, da knirschen sie vor Wuth gegen die Revolution und werden komisch in ihrem impotenten Zorn.
Ein solcher impotenter Don Quixote ist ‒ mit Vorbehalt des ersten Rangs für Herrn von Thadden und seinen Galgen ‒ der Herr General von Webern Hochwohlgeboren in Berlin. Derselbe hatte neulich eine Versammlung von Landwehr-Unteroffizieren, Feldwebeln u. s. w., welche zu kontre-revolutionären Konspiratiönchen benutzt werden sollten. Der Herr General hielten daselbst folgende Rede:
„Kameraden! Wem verdanken wir die Revolution? Wem anders als den französischen und polnischen Aufwieglern und den Literaten, die das Volk aufgehetzt und unserm allergnädigsten König Gewalt angethan haben! Das, Kameraden, sind die Leute, die all' das Unheil anstiften, aber ich will Euch sagen, was das für Leute sind! Es sind … es sind … na, ich sage Euch, es sind Sch…kerle, und abermals Sch…kerle und zum drittenmal Sch…kerle!“ (Donnernder Beifall.)
Die Zeitungshalle hatte diese Rede wörtlich publizirt. Man erhob Zweifel gegen die Richtigkeit des angeführten Textes. Aber Herr General von Webern, mit Recht stolz auf sein Meisterstück altpreußischer Beredsamkeit, beseitigte bald jede Ungewißheit durch folgenden Brief an die Redaktion der Zeitungshalle, der in der Nummer vom 6. Juni d. J. abgedruckt steht:
„Der Unterzeichnete ist der Gegenstand eines geharnischten Angriffs in der Zeitungshalle geworden … Aber Wahrheit ist ein gutes Ding, selbst dann, wenn ihre scharfe Säbelspitze in der Hitze des Gefechts auch etwas in den Schmutz gehauen haben sollte, und so nehme ich keinen Anstand zu erklären, daß ich die Wühler und insbesondere das fremde ausländische Element unter ihnen, welches das gute gesunde deutsche Blut der treuen Berliner Landwehr habe verderben und anstecken wollen, wirklich als .... kerls bezeichnet und vor ihnen gewarnt habe ...... Berlin den 4.Juni 1848, General von Webern.
Das preußische Vaterland kann ruhig schlafen, so lange es noch Helden besitzt, die zu jeder Zeit bereit sind, mit „ihrer scharfen Säbelspitze so in den Schmutz zu hauen“!
[0036]
[Deutschland]
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@facs0036
Frankfurt, 7. Juni.
Die konstituirende Nationalversammlung hat heute nach einer längern, zunächst durch die veröffentlichten Vorlagen des provisorischen Centralcomité in Prag an den Slavenkongreß veranlaßten Debatte beschlossen: einen besondern Ausschuß von 15 Mitgliedern zur Begutachtung der österreichisch-slavischen Frage, insoweit es sich von deutschen Bundesländern handelt, niederzusetzen. Die Wahl des Ausschusses durch die Abtheilungen sollte alsbald nach der öffentlichen Sitzung erfolgen; derselbe wird sich bereits heute Nachmittag 5 Uhr konstituiren.
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@facs0036
[pp.] Frankfurt, 6. Juni.
Die deutsche National-Versammlung hat durch ihre letzten Verhandlungen, wenn auch wider ihren Willen, der deutschen Republik ganz entschieden in die Hände gearbeitet, sie hat den unausbleiblichen Sturm heraufbeschworen, der sich zunächst über ihrem Haupte und dann über dem Pferche der patriarchalisch-deutschen Zustände entladen wird. Die Versammlung, zusammengesetzt aus romantischen Antiquitäten, stockgelehrten Hofräthen und Doktoren, selbstgefälligen Doktrinärs und wenigen entschiedenen Männern, hat ihren verhängnißvollen Sturz dadurch herbeigeführt, daß sie da einzulenken versuchte, wo der Stillstand ein Verbrechen ist, daß sie ihre Zeit, ihre Aufgabe nicht verstand; den Todesstoß endlich hat sie sich gegeben durch die Zusammensetzung des Ausschusses für die Bildung einer provisorischen Vollziehungsgewalt. Woher, werden Sie mich vielleicht fragen, schon jetzt diese düsteren Voraussetzungen? Da wir von der Thätigkeit dieses Ausschusses noch nichts wissen, da er seinen Entwurf noch nicht einmal vorgelegt hat. Ich brauche Ihnen aber nur die Namen der Mitglieder der Kommission zu nennen und sie werden meine Besorgniß gerechtfertigt finden. Da ist Hr. Flottwell, preußischer Oberpräsident, ein Erzbüreaukrat alten Stils, der noch vor zwei Jahren den sich bei ihm als damaligen Finanzminister beschwerenden rheinischen Gewerbetreibenden anempfahl, sie möchten sich nur um ihre Angelegenheiten, nicht aber um die tiefer gehenden kommerziellen und politischen Verhältnisse kümmern, Hr. v. Zenetti, ein abgedankter baierischer Minister, der selbst dem seligen König Ludwig zu schlecht war und abgesetzt wurde, Hr. v. Würth, einer jener Schwächlinge, welche alle Revolutionen beklagen, endlich Hr. v. Saucken ein preußischer Krieger, der früher nach der Melodie seines Bruders den Rechtsboden des ersten vereinigten Landtages ausbeutete, jetzt aber, wo der Pöbel zur Herrschaft strebt, den Frieden „einer vernünftigen Konstitution allen politischen Kämpfen vorzieht.“ Diese Herren bilden die Rechte, sie wollen Ruhe und Vertrauen durch ein selbstbegründetes Königthum wieder herstellen. An sie schließen sich als Centrum an der Hofrath Dahlmann, der Vertrauensmensch und Fürstengläubige, der mit seinem Bruder in der Politik, dem keuschen Joseph derselben, Hofrath Gervinus noch nie „eine politische Unzucht begangen“, sondern sich stets an das Maß der gegebenen Zustände gehalten hat, ferner der liberale Hr. Stedtmann, welcher zur Zeit der Revolution den preußischen Landtag für die letzte Planke der Gesetzlichkeit hielt, Hr. Wippermann, ein Kasseler Jakobiner, Hr. Duncker, ein zahmer hallenser Löwe, Hr. Claussen, ein liberaler Holsteiner, Hr. v. Lindenau, v. Raumer, v. Gagern und v. Meyern, lauter freisinnige Männer, die aber vor dem unschuldigen Worte Republik erschrecken und durch ein festbegründetes, aber festbegränztes konstitutionelles Königthum Alles erreichen wollen. Auf der linken Seite erblicken wir nur Robert Blum und Trützschler, die aber beide bis jetzt noch nicht die Konsequenz aus den von ihnen vertretenen Ansichten gezogen haben. Das ist die Kommission; einige ihrer Mitglieder sprachen es mit naiver Gradheit aus, daß das Volk nicht souverain sei, sondern daß es darauf ankomme, den durch die Revolution erschütterten Einfluß und Macht der uns vorgesetzten Fürsten wieder zu befestigen. Unsere Aussichten sind also einfach die, daß die vollziehende Centralgewalt den Fürsten in die Hände gelegt oder gleich kurzer Hand dem Bundestage übertragen wird, daß man endlich höchstens, um nach Art eines Feiglings den Schein für sich zu wahren, den Vollziehungsausschuß aus dem Schooße der Versammlung ernannt, aber von den Fürsten bestätigen läßt. Bei den Bestandtheilen der ersteren bin ich Ihnen Bürge für die Annahme eines dergestalt abgefaßten Kommissions-Entwurfes, um so mehr, als die Rechte wenigstens aus 2/3 der Mitglieder besteht und das wohlbegründetste Interesse hat, ihren vermeintlichen Vortheil der verhaßten Linken gegenüber zu wahren. Also Barrikaden und Revolution waren umsonst, der alte Schlendrian soll wieder von Neuem angehen. Der Bund, den selbst der Hr. v. Gagern eine Leiche nannte, dieser Kadaver soll das Volk von Neuem knechten, von Neuem mit dessen Wohl sein schnödes Spiel treiben. Doch nein! so wird es nicht, so kann es nicht werden, so lange noch eine kräftige, wenn auch kleine Minorität in der Versammlung sitzt, so lange sie ihrem Mandat getreu, dort die Rechte des Volkes wahrt, und jenes eher aufgiebt als dieses im Stiche läßt. Der Tag der Entscheidung, der Debatte über den Bericht des Vollziehungsausschusses wird bald kommen. Die Linke wird dann wissen, was sie zu thun hat, sie wird es nicht bei einem bloßen Proteste bewenden lassen, sondern sofort aus der Versammlung austreten, da hier die erste Lebensfrage zur Sprache kommt, die Frage nämlich, ob das Prinzip der Volkssouverainität anerkannt oder die ungeschmälerte Fürstenmacht fortbestehen soll? Die entschiedensten Vertreter der Linken haben sich unbedingt für diesen Austritt ausgesprochen; ob sie sich dann selbstständig konstituiren werden, hängt von der Theilnahme ab, den ihr Schritt beim Volke finden wird. So ist der Austritt der Minorität von den wichtigsten Folgen begleitet, er wird die gewaltsam gestaute Revolution wieder in Fluß bringen und unnachsichtlich den Sturz derer herbeiführen, welche sich der Bewegung blindlings entgegenstemmten.
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@facs0036
[*]Frankfurt, 7. Juni.
Verflossenen Sonntag, am 4. Juni, war bei Bergen, einem 11/2 Stunden von hier entfernten kurhessischen Ort, eine Volksversammlung, zu der sich Turner und Arbeiter aus Hanau, Offenbach, Frankfurt, sowie die Bauern aus allen benachbarten Dörfern eingefunden hatten. Die Versammlung, welche im Freien abgehalten wurde, war in so fern von Bedeutung, als man unter der allgemeinsten Akklamation verkündete: wenn die Nationalversammlung welche den Willen des Volkes zu vertreten berufen sei, die Volkssouveränität an die Fürsten verrathe, so werde man ihre Beschlüsse nicht anerkennen und die demokratische Minorität „durch die That“ unterstützen.“
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@facs0036
[*]Frankfurt. 7. Juni.
Der Terrorismus, welchen die reaktionäre Majorität der Nationalversammlung ausübt, ist sogar auf die Korrespondenten der demokratischen Zeitungen ausgedehnt worden. Die provisorische Kommission zur Vertheilung der Journalistenplätze hatte sich die Polizeikontrolle angemaßt, die einzelnen Journalisten in der Art zu überwachen, daß sie denselben eine Legitimation für eine bestimmte Zeitung abverlangte; ein Akt, der in der „freien“ Stadt Frankfurt, wo noch die Polizeiwillkühr „mißliebige“ Schriftsteller ausweisen darf, für die Korrespondenzen nicht ohne Bedeutung ist. Die neue Kommission, bestehend in dem Herrn Biedermann, ist noch offener zu Werke gegangen. Als die provisorischen Plätze nach Beibringung der Legitimation heute neu vertheilt wurden, erhielten 1) Julius Froebel, O. Lüning, L. Feuerbach, H. Bode (sämmtlich für Organe der Linken legitimirt) gar keine Stütze; 2) Bamberger und Dronke (beide für demokratische Zeitungen legitimirt) einen Platz auf der Tribüne, der nach dem Ausdruck des Alterspräsidenten an einem „akustischen Fehler“ leidet. Dafür wurden die früheren (provisorischen) Plätze der genannten Schriftsteller vertheilt 1) an Herrn A. Lewald, Wohlgeboren, für die Augsb. Allg. Ztg.; 2) den durch Guizot neuerdings bekannt gewordenen Dr. Weil, für die deutsche Professorenzeitung; 3) einen Korrespondenten der Köln. Ztg., Schroer oder ähnlichen Namens; 4) an zwei für die Weserzeitung legitimirte Korrespondenten, Sattler und Lengerke; 5) an einen sogenannten Korrespondenten des Frankfurter Journals, Namens Ebner. Herr Biedermann hat hierbei weder die Reihenfolge der früheren provisorischen Anmeldungen, noch die Reihenfolge, in welcher die neuen Legitimationen eingebracht wurden, beobachtet; Herr Biedermann, der als Buchhändler, Journalist und Professor der schönen Künste die Ansichten der einzelnen Blätter und ihrer Mitarbeiter kennen muß, hat also die Willkühr im Vertheilen der Journalistenplätze dahin ausgeübt, die Korrespondenten „mißliebiger“ Zeitungen auszuschließen oder zurückzusetzen, und die besseren Plätze in der Mitte der Versammlung den Korrespondenten konservativer und reaktionärer Blätter zuzuwenden. Den Herrn Fröbel und Bamberger ist es durch entschiedenes Auftreten gegen Hrn. Biedermann, gelungen, ihre früheren Plätze wieder einzunehmen, was wohl das beste Zeugniß der Willkühr des Herrn Biedermann ist; die übrigen demokratischen Zeitungen werden indeß vorläufig wohl ohne direkte Mittheilungen bleiben müssen.
Das Manifest der radikal-demokratischen Patrei haben unterzeichnet:
Dr. J. N. Berger aus Wien. Brentano aus Bruchsal. Hermann Grubert aus Schlesien. Dr. Heldmann aus Hessen. Junghanns aus Baden. Ch. Kapp aus Heidelberg. Adolph Kolaczek aus Schlesien. Martiny aus Westpreußen. Dr. Mohr aus Rheinhessen. Peter aus Konstanz. Gustav Rée aus Offenburg. Reinstein aus preuß. Sachsen. Arnold Ruge aus Leipzig. Julius Scharre aus Sachsen. Schlöffel aus Schlesien. Titus aus Baiern. W. Zimmermann aus Würtemberg. Zitz aus Hessen.
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@facs0036
Frankfurt, a. d. O., 5. Juni.
Der demokratische Verein hierselbst hat die nachfolgende Adresse an die konstituirende National-Versammlung in Berlin beschlossen und dem Präsidenten Milde so wie abschriftlich dem Abg. v. Gerlach zur Befürwortung übergeben:
Vertreter des Volkes! Wie sich die Stimme des Volkes bereits in so vielen Städten des Vaterlandes gegen den vorgelegten Verfassungsentwurf protestirend erhoben hat, so fühlt auch der unterzeichnete Verein sich gedrungen, nach reiflicher Erörterung des Gegenstandes zu erklären, daß jener Entwurf bei ihm nicht nur Staunen und Unwillen erregt, sondern in seinen sämmtlichen Mitgliedern die lebhafteste Entrüstung hervorgerufen hat. Der Verein kann in dem Entwurfe nicht die vom Könige in Folge des glorreichen Volkskampfes gegen das absolute Königthum verheißene Verfassung auf breitester Grundlage erkennen, sondern findet in ihm nichts als eine Verkrüppelung der belgischen Konstitution, welche viele der wichtigsten errungenen Volksrechte unerwähnt läßt, andern gänzlich Hohn spricht. Er muß deshalb die Volksvertreter ersuchen, den von dem Ministerio vorgelegten Verfassungsentwurf als der Berathung, Namens eines freien Volkes unwürdig, ohne Weiteres zurückzuweisen, und nur auf Grund eines solchen zu berathen, welcher das in heiliger Stunde gegebene königliche Wort, dem das Volk so gern vertraute, Wahrheit werden läßt und sichere Bürgschaft für Gegenwart und Zukunft gewährt.
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@facs0036
Berlin, 6. Juni.
Sitzung der Vereinbarungs-Versammlung. ‒ Der Minister des Auswärtigen nimmt das Wort, um die früher an ihn gestellte Interpellation wegen der Rede Lamartines in Bezug auf das Großherzogthum Posen zu beantworten. In der Rede Lamartines seien mehrere Punkte ungenau angegeben. Er (der Minister) könne eigentlich die ganze Angelegenheit von der Hand weisen, doch habe er sich bemüht, Aufklärung darüber geben zu können. Er habe trotz allen Nachforschungen in den Akten nicht auffinden können, daß irgend ein Geheimniß der Regierung in der Posenschen Angelegenheit stattgefunden habe. ‒ Abg. Kirsten interpellirt den Finanzminister über die gegenwärtige Lage der freiwilligen Anleihe und fragt, ob der Minister vielleicht gesonnen sei, jetzt mit einer Zwangsanleihe hervorzugehen. Es sei befremdend, daß die Ergebnisse unserer freiwilligen Anleihe hinter den Erwartungen so sehr zurückgeblieben seien. Es stehe nun zwar in der Thronrede, die Ersparnisse des Landes würden die Bedürfnisse decken, jedoch glaubt er, daß unter so bewandten Umständen das Ministerium zu einer Zwangsanleihe schreiten werde, die aber seiner Ansicht nach eine unangenehme Stimmung im Lande hervorrufen wird, eben so im Auslande den Anschein, als ob man sehr wenige Patrioten im Lande habe. Minister Hansemann: Es ist unrichtig, daß in der Thronrede angeführt ist : die Ersparnisse würden die Bedürfnisse decken, sondern es steht bloß darin : die Ersparnisse sind noch nicht aufgezehrt. Der vorherige Redner befürchtet einen unangenehmen Eindruck von der Zwangs-Anleihe? Ich auch. (Heiterkeit.) Wenn man Jemanden zwingen will, Geld zu geben, das bringt niemals einen guten Eindruck hervor. (Heiterkeit.) Wenn der Staat zu Beiträgen aufgefordert hat, wenn er den an ihn dieserhalb gemachten Anträgen nachgegeben, wenn er den Lokalbehörden die Sache in die Hand gegeben, und doch der Erfolg so gering gewesen ist, daß die Beiträge bis jetzt nur etwa 1 Mill. im ganzen Lande betragen (wobei bemerkt wird, daß die Berichte über den Schluß des vorigen Monats noch nicht eingegangen) ‒ so ist es die Pflicht des Ministeriums dafür zu sorgen, daß die Bedürfnisse des Landes befriedigt werden. Ich mache der Versammlung daher die Anzeige, daß ihr in wenigen Tagen ein Gesetz-Entwurf über eine Zwangs-Anleihe vorgelegt werden wird, undzwar ein solcher, der viel weniger günstige Bedingungen füe die Darleiher stellt, als die freiwillige Anleihe. Erst dann, wenn die gewöhnlichen Organe der Staatsgewalt hier fungiren, dann wird der Zeitpunkt kommen, wo Preußens Kredit wieder stark genug sein wird. Doch können die Vertreter des Landes selber zur Herbeiführung dieses Zeitpunktes viel beitragen. Je schneller die Geschäfte hier abgemacht werden, desto schneller wird die Zeit da sein, wo Preußen wieder Kredit haben wird. Denn nur erst, wenn diese Zeit herangerückt ist, und wenn er dann noch das Portefeuille des Finanzministeriums haben wird, dann werde er Vorschläge zu großen Unternehmungen machen, wodurch er hoffe, die Noth der Arbeiter zu steuern. (Schallendes Bravo.) Abg. Hartmann fragt den Minister-Präsidenten, ob er geneigt sei, eine Erklärung über die Abwesenheit des Prinzen von Preußen vom Lande und über die Gründe, welche ihn bisher entfernt gehalten, zu geben. Der Min.-Präs. erklärt augenblicklich dazu bereit zu sein. Abg. Hartmann motivirt seine Interpellation durch die vielen verschiedenartigen Gerüchte, welche über diese Angelegenheit umlaufen. Minist.-Präs. Camphausen: die Räthe der Kammer sollen dafür verantwortlich sein, was sie beschließen. Er selbst glaube, die Versammlung werde dies berücksichtigen und hat nur zu bemerken, daß die jetzigen Minister erst unter dem dreißigsten März ihre Verantwortlichkeit ausgesprochen haben. Dennoch aber wolle er jetzt eine Erklärung geben. Nach Beendigung des Kampfes des 18. und 19. März, der hier in Berlin stattgefunden, habe sich eine Erbitterung gegen den Prinzen gezeigt, wodurch einige Freunde des Prinzen veranlaßt wurden, demselben zu rathen, die Stadt zu verlassen. Der Prinz hat sich demnach nach Spandau begeben, ist sodann bis zum 21. März auf der Pfaueninsel bei Potsdam geblieben. Das Gerücht von dem Anrücken des Prinzen mit Truppen an die Stadt, hat eine erneuerte und erhöh'te Bewegung hervorgerufen, die die Minister veranlaßte, eine Reise dem Prinzen ins Ausland anzurathen. Der König hat diesem Gesuche nachgegeben und dem Prinzen darüber eine mündliche Mittheilung gemacht, die aber der Prinz nicht anzunehmen erklärte, daß er aber auf einen schriftlichen Befehl abzureisen bereit sei. Dieser wurde vom König eigenhändig ausgefertigt, mit der Bestimmung, in London dem befreundeten Kabinette Aufschluß über das hier Geschehene zu geben. Später hat sich der Prinz mit dem Marinewesen beschäftigt. Was die Dauer der Abwesenheit betrifft, so hatte das Ministerium früher keine Veranlassung ihn zurückzurufen. Als aber die Zeit der Einberufung der Versammlung herannahte, habe es für unerläßlich gehalten, auf die Rückkehr des Prinzen anzutragen, um als der Nächste am Throne, dem Gang der Sachen beizuwohnen. Darüber habe das Ministerium eine Masse der bittersten Angriffe erfahren; es sei ihm vorgeworfen, daß es alle Konsequenzen des neuen Umschwunges des Landes verleugne. Sie haben ihren Antrag als eine ministerielle Maßregel betrachtet, sie sind und bleiben dafür verantwortlich. Sie haben geglaubt, gerade dadurch den reaktionären Bestrebungen entgegenzutreten. Sie haben geglaubt, sich in die Stelle einer hohen Person setzen zu müssen, dies glaubten sie dem Prinzen und der Achtung vor der Versammlung schuldig zu sein, daß der Prinz nicht später mit einer unausgesprochenen Ansicht vor sie hintrete. Mit dieser Ansicht trete das Ministerium jetzt vor die Versammlung, doch nicht mit jenem festen Hervortreten, sondern sie sprechen es hier aus, mit der Demuth des Bewußtseins, daß nur Milde und Versöhnung auch diese Versammlung zum Ziele führe. Sie bitten nur die Versammlung um Gerechtigkeit und Nachsicht. (Anhaltendes Bravo.) Hierauf weist der Minister der auswärtigen Angelegenheiten wieder einen Interpellanten, Abgordnete Müller aus Wahlau, mit einer ungeheuren Vornehmheit zurück. Derselbe wollte nämlich wissen, ob der preußische Gesandte sich in Wien oder in Inspruck bei dem Kaiser befinde und wo der Sitz der österreichischen Regierung jetzt sei? Der Graf von Arnim „belehrt“ den Abgeordneten, „daß ein Gesandter ein Mann ist, der immer von Person zu Person akredirt ist“ und daß Herr Graf Bernstorf, der jetzige Gesandte, sich in Iseke befinde, weil er ein Ereigniß in seiner Familie erwarte, welches er bei dem bewegten Zustande Wiens dort nicht erwarten mochte. ‒ Nun interpellirt Graf Lieskowski das Ministerium über die schwarze Beitze, mit welcher die polnischen Gefangenen gezeichnet werden. Herr v. Auerswald verspricht eine strenge Untersuchung gegen Behörden, die dergleichen Mißbrauch ihrer Gewalt trieben, bis jetzt habe er nicht in Erfahrung bringen können, daß man eine beitzende Materie, sondern nur eine gewöhnliche, nach drei Tagen zu verwischende Farbe angewandt. ‒ Die Versammlung scheint mit dieser Erklärung keinesweges beruhigt. ‒ Der Minister erklärt hierauf, daß diese Antwort durchaus nicht als eine Erledigung zu betrachten sei, sondern daß in der Adreßdebatte über die polnische Frage ohne Zweifel noch genügende Aufklärungen gegeben werden sollen. ‒ Der Abgeordnete Krackrügge bringt das Niederschießen zweier Bürger und noch sechs Verwundungen, die von Seiten des Militärs bei einem Auflaufe am 14. März stattgefunden, zur Sprache, und trägt auf Untersuchung an. Der Präsident will dem Antragsteller gestatten, seine Angelegenheit sogleich zur Debatte zu bringen. Die Versammlung lehnt sich dagegen auf. (Ungeheurer Lärm, Pochen, Schreien, Scharren.) Der Antrag wird in die Abtheilung verwiesen. Ein Antrag des Abgeordneten Schöne auf Herabsetzung der Reisediäten für die Abgeordneten auf die Hälfte, um ein Beispiel der Oekonomie zu geben, wird zurückgewiesen. Alles übrige war uninteressant und nicht den Schweiß werth, den uns die Hitze des Saales erpreßte. Zu bemerken ist nur noch, daß die Majorität der Versammlung dem Abgeordneten Jung nicht erlaubte, den Wunsch eines für die Märzhelden zu errichtenden Denkmals auszusprechen. Die vorgestrige Demonstration ist wirkungslos an ihr abgeprallt.
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@facs0036
Erfurt, 4. Juni.
Am 2. Juni Abends hatten wir hier eine Arbeiterversammlung, in der sich der Unwille gegen einen hiesigen Bürger äußerte, da derselbe über einen beim Volke beliebten Mann, welcher gebrechlich ist, fortwährend spöttelte. Nach dem Schlusse der Versammlung zogen die Arbeiter in Begleitung Tausender von Neugierigen vor die Wohnung des Bürgers und brachten demselben eine Katzenmusik. Am 3. Juni Abends versammelten sich die Arbeiter wieder und zogen dann in Masse vor die Wohnung des Grafen von Keller, brachten ihm eine Katzenmusik und fingen schon an, demselben die Fenster einzuwerfen, als noch zu rechter Zeit die Bürgerwache ankam, worauf sodann das Volk gegen diese seinen Zorn ausließ. Es entstand ein förmlicher Kampf, wobei zwei der achtbarsten Bürger getödtet und acht andere schwer verwundet wurden. Nun wurde Generalmarsch geschlagen, das Militär rückte heran, selbst Kanonen wurden aufgefahren, und so wurde für diesen Abend die Ruhe hergestellt; allein heute Abend befürchtet man noch Schlimmeres.
[(D. A. Z.)]
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@facs0036
Breslau, 4. Juni.
Sie haben Gelegenheit gehabt, im Allgemeinen und auch in Berlin besonders die Wirksamkeit des Hrn. Wit v. Dörring zu beobachten. In der letzten Zeit strotzten die Straßenecken von Plakaten, deren Anfertiger er war, und die Zeitungen von Inseraten der gemeinsten Art. Er war es ferner, der in Oberschlesien Judenverfolgungen anzettelte und in der That den Aufwiegler im gemeinen Sinne des Wortes spielte. Vorgestern und gestern ist ihm vom Volke die öffentliche Meinung klar gemacht worden. Aus Natidor bereits auf den Antrag der Bürger entfernt, befand er sich hier in einem namhaften Hotel, und vor dieses zog vorgestern Abend eine Menschenmenge, die ihm eine Katzen-Symphonie darbrachte, in Folge deren der Gasthofbesitzer sich veranlaßt fand, sein Ehrenwort zu geben, daß erstens Hr. Wit nicht mehr da sei (er war durch die Hinterthür entwischt), und zweitens, daß er ihn nicht wieder aufnehmen würde. Hr. Wit aber suchte bei allen Behörden Schutz, der ihm auch in so weit gewährt wurde, daß er die Nacht in der Kürassier-Kaserne zubrachte. Gestern Morgen aber war er wieder sichtbar, und da erhob sich ein kleiner Sturm, der etwa 4 bis 500 Menschen zusammenbrachte, die ihn ohne weitere Umstände nach dem Bahnhof der oberschlesischen Eisenbahn brachten und zur Abreise mit dem nächsten Zuge zwangen. Daß diese Begleitung eben nicht sehr freundlich gestimmt war, darf ich Ihnen nicht sagen, und es gelang eben nur einzelnen Mitgliedern des demokratischen Klubs und des Arbeiter-Vereins, Hrn. Wit v. Dörring vor ernsteren Mißhandlungen zu schützen. ‒ Gestern Abend hatte wieder eine Katzenmusik statt, und da sah man wieder klar, wie die Volksbewaffnung schmählich gemißbraucht wird. Die Musik fand in der Nähe des Theaters statt, das eben zu Ende war. Die berittene Bürgerwehr kam heran und es wurden zunächst drei Damen übergeritten, dann hieben die Herren Kavaliere ohne zum Auseinandergehen aufzufordern, ja ohne Kommando, ein und zwar scharf mit geschliffnen Säbeln. Unter mehreren Verwundeten befand sich auch ein Mann von 62 Jahren, der eben mit seinem Kinde von der Promenade heimkehrte.
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@facs0036
Königsberg, 2. Juni.
Der hiesige Arbeiterverein hat gestern folgenden Protest an die Vereinbarungs-Versammlung nach Berlin gesandt:
„Hohe Nationalversammlung! Wir protestiren hiermit gegen den der hohen Nationalversammlung durch das königl. Staatsministerium vorgelegten Verfassungs-Entwurf, weil er die Revolution vom 18. März verleugnet und das Volk um die Früchte derselben zu bringen sucht; denn : 1. enthält er keine Erklärung der Menschenrechte, keine Garantie der Arbeit; 2. sind keinerlei Vorrechte, Monopole und noch bestehende mittelalterliche Lasten aufgehoben worden, sondern durch eine erbliche Pairie sind neue Privilegien erschaffen und die Aristokratie des Besitzes ist geheiligt; 3. die Trennung der Kirche vom Staat und die Trennung der Schule von der Kirche ist nirgends ausgesprochen; 4. das Zweikammersystem, an und für sich verwerflich, macht in der Art und Weise, wie es der Gesetzentwurf durchgeführt und beschränkt hat, jede Vertretung und Fortbildung der Volksrechte unmöglich; 5. dem Könige ist ein unbedingtes Veto eingeräumt; 6. der Gesetzentwurf enthält die Verklausulirung wesentlicher und unveräußerlicher Rechte, wie die Freiheit des Unterrichts und der Preßfreiheit, und die offenbare Beschränkung des Associationsrechts. Die Annahme eines solchen Verfassungs-Entwurfs würde das Vaterland in neue Revolutionen stürzen, oder die freie Entwicklung des Volks auf lange Zeit hin unmöglich machen. Deshalb erklären wir den Verfassungs-Entwurf für unhaltbar und fordern die konstituirende Versammlung auf, ihn in der jetzigen Fassung ganz und unbedingt zu verwerfen.“
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@facs0036
Aus Schlesien, 2. Juni.
Die öffentliche Stimmung verschlimmert sich fortwährend, indem sie die verschiedenen Stände immer mehr entzweit. Die schlesische Aristokratie sieht sich in ihrer Existenz bedroht, nicht sowohl in ihrem materiellen Besitz, als in dem ruhigen Fortgenuß eingebildeter Vorrechte, wornach sie besonders die gebildeten Bürgerlichen dergestalt von sich entfernt hielt, daß diese endlich gar nicht mehr mit der hohen Noblesse umgehen mochten, wenn auch ein oder das andere Mitglied derselben über solche Standesvorurtheile erhoben war. Diese Aristokraten fangen nunmehr an, den Liberalen ernstlich den Krieg zu bereiten. Diese aber sind ebenfalls in die verschiedenartigsten Heerlager gespalten. Die Mehrzahl ist gegen die frühern Mißbräuche; allein nicht gewöhnt sich in öffentliche Angelegenheiten zu mischen, ‒ weil dieß Sache der Büreaukratie war, an deren Spitze die Aristokratie stand ‒ bleibt sie theilnahmlos, schwankend [0037] zwischen der Furcht vor der Aristokratie und der radikalen Partei, an deren Spitze man in Schlesien den Grafen v. Reichenbach und den Baron v. Aucker zu sehen meint. Diese Partei sucht ihren Stützpunkt in der Masse des Volkes, das allerdings durch das Verhältniß der Gutsherrlichkeit in einen solchen Zustand der Verarmung gekommen ist, daß Tausende in Oberschlesien vor Hunger sterben. Der gebildete Theil der Bürgerlichen, welcher vorher am meisten vor den Uebergriffen der Aristokratie warnte, wird jetzt eben so von den Proletariern gehaßt, wie mancher vom Adel, da diejenigen, welche auf diese wirken wollen, die Bourgeoisie als einen eben so gefährlichen Feind der Armen darstellen, als die Aristokratie. Am praktischsten sind noch die oberschlesischen Bauern gewesen, diese haben ihre Abgeordneten, Standesgenossen, dahin instruirt, daß sie die gänzliche Befreiung von dem gutsherrlichen Verhältniß mitbringen müßten; sonst würden sie todtgeschlagen. Sie wollen dem Könige geben, was sie sollen, auch ihren Gläubigern, was sie schuldig sind, mithin auch dem bisherigen Grundherren, aber nur als Gläubiger, nicht als Polizeiherren. Man sieht wie wenig man verstanden hat, sich durch das sogenannte patriarchalische Verhältniß beliebt zu machen.
[(O.-P.-A.-Z.)]
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@facs0037
Posen, 3. Juni.
Alle Nachrichten aus dem benachbarten Königreich Polen lauten außerordentlich kriegerisch, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die halbe russische Armee gegenwärtig in Polen und Litthauen konzentrirt ist. Glaubwürdige hiesige Kaufleute, welche nach vielen Schwierigkeiten vom Fürsten Paskewicz die Erlaubniß zum Ueberschreiten der Gränze erlangt hatten, geben die dortigen russischen Streitkräfte auf 300,000 Mann an. Unsere Militärbehörden scheinen auch nicht ohne Besorgnisse zu sein, weil seit einigen Tagen mit ungeheuren Kräften an der Herstellung unserer Festung gearbeitet wird; alle Arbeiter, die sich nur melden, werden angenommen. Freilich ist unsere Stadt nicht eher hinlänglich geschützt, als bis das Karmeliter-Fort und die Werke am Berliner Thor beendigt sind, indem dann erst die Enceinte, die bis jetzt noch ein Drittel der Stadt ziemlich offen läßt, geschlossen ist. ‒ Unsere Militärbehörde scheint die Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß es nothwendig sei, die eingebornen Truppen, meistens die Landwehr, aus der Provinz zu entfernen; der größere Theil derselben, auch Artillerie, ist nach Schlesien und den westlichen Provinzen verlegt. ‒ Die Reorganisation des polnischen Theils unserer Provinz ist völlig stationär geworden, da kein Pole eine Beamtenstelle dort annehmen will; auch der Landrath von Twandowski hat das Präsidium abgelehnt. Was nun? Das deutsche Comite verlangt die Vertheilung der deutschen Kreise unter die angränzenden Provinzen; die hiesigen Kommunalbehörden, so wie alle Gewerbetreibenden im Großherzogthum sind entschieden dagegen, weil sie den Ruin der Stadt Posen als natürliche Folge davon voraussehen.
[(O.-P.-A.-Z.)]
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@facs0037
Mainz, 6. Juni.
Der Beschluß der deutschen Bundesversammlung vom 2. d. M. über die traurige Angelegenheit unserer Stadt hat hier einen Eindruck gemacht, der nicht zu beschreiben ist. Man hat denselben mit eisiger Ruhe aufgenommen und bewundert zugleich den kühnen Humor der Bundesversammlung, mit dem sie sich auch in diesem Beschlusse auf das Reglement der Bundesfestung beruft, das hier Niemand kennt und welches von den hiesigen großh. hess. Behörden deßhalb nicht publicirt werden kann und darf, weil die großh. hess. Staatsregierung diesem Reglement die Sanction verweigert hat.
[(F. J.)]
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@facs0037
Mainz, 7. Juni.
Wie man vernimmt, sollen in den Ortschaften in der Umgegend unserer Stadt bairische und kurhessische Truppen einquartirt werden. Auch ist bereits nach Alzei und Bingen eine hessen-darmstädtische Garnison gelegt worden. Was diese außergewöhnlichen Maßregeln bedeuten mögen? Sind es die Franzosen, welche unserem Ministerium Schrecken verursachen? Oder hat dasselbe wohl gar Furcht vor republikanischen Schilderhebungen?! Jedenfalls wäre es in dieser Beziehung eine Pflicht der Dankbarkeit aller deutschen Regierungen, die großh. hessische Regierung, die so bereitwillig ihre Truppen zur Verfügung gestellt hat, um ganz Deutschland vor der Republik zu bewahren, auf dieselbe Weise zu unterstützen. Scheint es doch eine solidarische Verpflichtung der vaterländischen Regierungen, die Freiheitsgelüste des Volkes im Keime zu ersticken! ‒
‒ Die hiesigen Militärpflichtigen, welche für dieses Jahr einberufen worden, sind gestern Abend zusammengetreten, um gemeinschaftlich die Schritte zu berathen, die sie zur Wahrung ihrer Interessen für nöthig erachten. Sie haben beschlossen, eine Protestaion gegen die Einberufung zur Musterung abzusenden und vor tder Promulgation einer allgemeinen deutschen Heer- und Wehrordnung durch die Nationalversammlung sich zur Aushebunng nicht zu stellen. Gleichzeitig fordern sie alle Konskribirten aus dem Lande auf, ähnliche Schritte einzuleiten. Heute Abend findet dahier eine weitere Besprechung statt.
[(Mz. Z.)]
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@facs0037
Mainz, 7. Juni.
Von dem Berliner demokratischen Vereine ist eine in einer Versammlung von 4000 Mitgliedern einstimmig angenommene Adresse an die Mainzer Bürger eingelaufen, worin in energischen Worten die Sympathie des Berliner Volkes für die Stadt ausgesprochen und das Verfahren des Militärgouvernements entschieden mißbilligt wird.
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@facs0037
Bruchsal, 1. Juni.
Unser Stadtgespräch hat sich natürlich diese Zeit hindurch auch viel mit den gefangenen Republikanern beschäftigt, die jetzt noch über 600 an der Zahl im neuen Central-Penitenzian-Gefängniß und gegen 120 im Frauen-Gefängniß hier in der Stadt befindlich sind. In dem einer kleinen Festung gleichenden, nach dem Modell der Londoner Penitentiary's gebauten hiesigen Zellengefängniß befinden sich außer 400 jungen Leuten, der pariser deutschen Legion, auch eine Menge Bürger, Studenten und Bauern aus Freiburg, Konstanz, Mannheim, Heidelberg, Sinsheim, Sulzfeld u. s. w. Hoff, Grohe, Adv. v. Rottek befinden sich in einem Flügel, jedoch jeder getrennt in besondern Zellen.
Die Behandlung, welche die Gefangenen erleiden, im höchsten Grade zu tadeln. Viele Wochen haben die Leute in kleinen Zellen eingesperrt gelegen, ohne je spazieren geführt zu werden; jetzt, nach einem Protest, welchen Bornstedt an unsere zweite Kammer richtete, welche Schrift aber der Justizminister nicht an Ort und Stelle gelangen ließ, sondern entsetzlich in Beschlag nahm, soll eine Untersuchungs-Kommission vor einigen Tagen aus Karlsruhe angelangt sein, und die Gefangenen besucht haben.
Viele hatten auf Stroh liegend Ungeziefer bekommen. Es fehlt noch jetzt theilweise an Decken und Matrazen. Sollte man es glauben ‒ drei Wochen hat Bornstedt auf der Erde schlafen, liegen, schreiben und essen müssen, da man ihm weder Tisch noch Stuhl gab, weder Messer noch Gabel zum Essen!!! Noch jetzt hat kein einziger Gefangener ein Geschirr, um sich zu waschen, und in 2/3 der Zellen sind die Deckel zum Zumachen des Nachtgeschirrs nicht einmal da! Ist eine solche Behandlung nicht empörend? Mehr noch, jetzt sind die unglücklichen Gefangenen bald einen Monat ohne Bewegung, in einigen Zellen zu 4 und 5 zusammengepreßt, alle noch immer ohne auch nur einmal verhört worden zu sein!! Wo bleiben denn Gesetz, Humanität, wo auch nur die gewöhnlichste Beobachtung der Billigkeit. ‒ Ein junger Franzose Namens Xavier aus Charlon sur Marne ist hier bereits im Zellengefängniß durch die Behandlung verückt geworden, und hat man ihn etwa freigelassen oder in ein Irrenhaus gebracht? Keineswegs. Man läßt ihn ohne ärztliche Behandlung allein in einer Zelle. Dem Verwalter des Gefängnisses, Hrn. Arnold, sollen keine Vorwürfe deshalb zu machen sein, da die obere Behörde in Karlsruhe Alles zu vollziehen hat.
Wie übrigens der Militär-Despotismus jetzt in unserm Lande herrscht, kann folgendes Beispiel lehren. Plötzlich kommt vor einigen 14 Tagen dem Verwalter des Gefängnisses ein Befehl des würtembergischen Generallieutenant v. Miller aus Lörrach zu, dem Gefangenen Adalbert v. Bornstedt aus Stendal „sämmtliches „Geld, was er besitzt, und was beim Verwahrer Arnold deponirt „sei (40 Gulden) wegzunehmen, indem solches den Soldaten als „Kriegsbeute zu vertheilen sei, welche den v. Bornstedt gefangen „genommen!“
Also in einem badischen Gefängnisse verordnet ein würtembergischer General nachträglich Konfiskationen!! Auf die Summe, und ob sie groß oder klein, kommt es gar nicht an. Die Thatsache selbst ist unerhört!
Uebrigens ist es jetzt ist unserem ganzen badischen Lande bekannt, welche Excesse sich die würtembergischen Soldaten des 1. und 6. Infanterie-Regiments, auch die Ulanen, den gefangenen, entwaffneten Leuten der Pariser Deutschen Legion gegenüber erlaubte. Nicht blos haben die Würtemberger den Gefangenen nach Willkür all' ihr Gepäcke, vielen alles Geld u. s. w. abgenommen, sondern Unbewaffnete sind, wie ein gewisser Kessler aus Trier zu Bulgen am Rhein niedergestoßen worden. Leichname sind mißhandelt, Gefangene mit Säbelhieben, Kolbenstößen und Bajonettenstichen, (die rohesten Schimpfwörter verstehen sich als Beithat von selbst) überhäuft worden. Auf Fliehende, die unbewaffnet waren, wurde geschossen. Franzosen, die kein Wort deutsch sprachen, wurden auf das Empörendste mißhandelt, weil sie die exaltirte Soldateska nicht verstanden. Die Würtemberger plünderten selbst die Leichname auf dem Schlachtfelde, Todte wurden noch verstümmelt. Die Bauern aus drr Umgegend wissen über diese Gräuelscenen viel zu erzählen.
Und das nennt man die öffentliche Ruhe und Ordnung wiederherstellen! ‒
Die Gerichtssitzungen zu Freiburg versprechen interessant und belehrend zu werden.
Hoffen wir, daß die Richter und Geschworenen ihre Mission verstehen, und sich nicht zu Werkzeugen der Reaktion werden gebrauchen lassen.
Nächste Woche, heißt es, soll die Untersuchungs-Kommission aus Freiburg hier anlangen, um die Gefangenen zu verhören. Es ist in der That hohe Zeit. In England und Frankreich dürfte es ein Regierung nicht wagen, 600 und mehr politische Gefangene einen Monat land ohne Verhör im Zellen-Gefängniß wie Sträflinge, Diebe und Mörder zu behandeln!
[(Mannh. A. Z.)]
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@facs0037
Prag, 30. Mai.
Die Prager Ztg. enthält eine Bekanntmachung des Grafen Leo Thun, worin die Gewähr der Bitte um Zulassung zur Theilnahme am nächsten Landtag für die nicht den Landständen angehörigen Besitzer landtäflicher Güter veröffentlicht wird. Böhmen soll zu diesem Zwecke in 5 Bezirke getheilt werden, in deren jedem die Gutsbesitzer 4 Landtagsabgeordnete wählen. ‒ Während die Abgeordneten zum Slavenkongreß, worunter viele Polen und Südslaven, unter festlichem Empfang immer zahlreicher einziehen, bringt die heutige Nummer der Narodni Nowiny das Programm der Versammlung. Die ankommenden Slaven werden in drei Abtheilungen eingezeichnet, deren erste (sbor) die Böhmen, Mähren, Schlesier und Slowaken, die zweite die Polen und Ruthenen, die dritte die Slowenen, Kroaten, Serben und Dalmatier umfaßt. Drei Vertrauensmänner nehmen jeden der Eingeschriebenen in die Abtheilung auf. Jedem Mitglied steht durch eine Karte der Zutritt zu allen drei Abtheilungen offen. Jede Abtheilung wählt aus sich 16 Kongreßausschußmitglieder, einen Präsidenturkandidaten, einen Kongreßsekretär und dessen Ersatzmann. Die vereinigten drei Ausschüsse ernennen aus den drei Kandidaten den Präsidenten (starosta), die beiden andern Kandidaten sind Vicepräsidenten. Am 1. Juni wird der Kongreß eröffnet. Die Verhandlungsvorlagen werden in der vom kleinen Ausschuß festgestellten Ordnung berathen. Jede beendete Verhandlung einer Abtheilung wird dem Kongreßpräsidenten mitgetheilt, zu gemeinschaftlichen Beschlüssen gehört die Zustimmung aller drei Abtheilungen. Kommt eine solche zu Stande, so wird dieselbe vom kleinen Ausschuß in öffentlicher Sitzung bekannt gemacht; stellen sich unbedeutende Differenzen heraus, so bewirkt der große Ausschuß die Ausgleichung; bedeutende Differenzen bedingen eine nochmalige Berathung in den Abtheilungen. In jeder öffentlichen Sitzung des Kongresses werden die Abtheilungsverhandlungen verlesen und vertheilt, dann die gefaßten Beschlüsse vorgetragen und von den Mitgliedern durch Aufstehen bestätigt. Diese Beschlüsse werden dann auch in deutscher Sprache verkündet.
[(A. A. Z.)]
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@facs0037
Prag, 31. Mai.
Die Abgeordneten des Slavenkongresses, der morgen mit einem Gottesdienst in der Methodiuskapelle der Teynkirche eröffnet werden soll, sind gestern Nachmittag in großer Anzahl mit dem Eisenbahnzug aus Wien angekommen, und nun wimmelt es in den Gassen von seltsamen Trachten, schönen, aber unheimlich wilden Gestalten, südlichgebräunten Gesichtern. Tschechische und panslavische Fahnen, blau, roth und weiß werden durch die Gassen getragen. Mitglieder des Studentenkorps: Slavia- und der Swornostgarde geben den Gästen das Geleite. Die böhmischen Zeitungen liefern heute ein Programm des Kongresses in Bezug seiner Sektionen und Sitzungen; die eigentlichen Fragen mit denen er sich beschäftigen will, sind noch nicht veröffentlicht, aber es ahnt sie jeder. Es gilt auf den Trümmern der Monarchie ein großslavisches Reich mit Hinzuziehung der außer Oesterreich wohnenden Serben zu bauen, ein Reich, welches das Riesengebirge und die Karpathen, das adriatische Meer und den Balkan zu Gränzen haben soll. Wäre es nur eben so leicht zu schaffen wie zu dekretiren; die guten Panslavisten machen ihre Rechnung ohne an Deutschland, die Magyaren und die Russen zu denken! Der Bann von Croatien, Jellachich, der hinter all dem Treiben dieses Slavenkongresses steckt, hat an den hiesigen Nationalausschuß eine Zuschrift in illyrischer Sprache erlassen, in welcher er das „Brudervolk der Böhmen“ auffordert, den Landtag der vereinigten Königreiche Slavonien, Croatien und Dalmatien, der für den 5. Juni angesagt, durch Zusendung von Deptirten zu „verschöneren.“ Der Nationalausschuß erwiederte diese Galanterie des Bann, indem er ihn ebenfalls in einer Zuschrift bat auch der Bann möchte seinerseits Deputirte ad audiendum zum Prager Landtag schicken,
[(A. A. Z.)]
Polen.
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@facs0037
Lemberg, 27. Mai.
Die Lemberger Garnison hat, mit der Unterschrift aller Offizieren, einen Aufruf an die Armee erlassen, worin sie dem Wiener Treiben auf das entschiedenste entgegentritt. Sie erklärt sich gegen die anmaßende Gewalt einer kleinen Fraktion welche den Staat „anarchischer Entfesselung rathlos in die Arme schleudert.“ Dagegen aufzutreten sei die Armee als staatsbürgerliche Genossenschaft, wie als fest geschlossene Macht moralisch und politisch verpflichtet, es sei ihre Aufgabe sich dorthin zu stellen wo sie Kaiser und Vaterland schirmen könne. Schließlich faßt der Aufruf die Entschließung der Soldaten in die Worte zusammen: „Wir wollen Ordnung, wir wollen Recht, wir wollen das hohe Gut unserer Konstitution in weitester Ausdehnung, jedoch in männlichkluger, geregelter Entwicklung auf das schärfste bewachen.“ Daß sich diesem Entschluß die ganze Armee anschließen werde, ist die Hoffnung in welcher dieser Aufruf von der Lemberger Garnison erlassen worden.
[(A. A. Z.)]
Ungarn.
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@facs0037
Pesth, 28. Mai.
Unter den neuesten ministerillen Erlassen scheint der wichtigste jener welcher die Ruhestörer, beziehentlich die Gemeinden, für die Transport- und Verpflegungskosten der Truppen verpflichtet deren Sendung durch die Ruhestörungen veranlaßt wurde. Wiener Blätter berichten daß die Stadt Pesth 300,000 Fl. ohne Zinsen, der Ministerpräsident Barthyanyt 1 Mill. dem Staate darleihen, und Fürst Esterhazy demselben seine Schatzkammer zur Verfügung stellen wolle, um darauf seine hypothekarische Anleihe zu nehmen. Uedrigens nahm die Besorgniß vor den Slaven immer zu. Die Agramer Ztg. meldete bereits daß man in Agram das Bild des Palatins verbrannte, und an den Ka ser die Erklärung sandte, daß man Gut und Blut für völlige Selbstständigkeit der kroatischen Nation zu opfern bereit sei falls Kroatien den Ungarn preisgegeben werden solle. Noch bedenklicher sind die Nachrichten aus Neusatz. Als dort der ministerielle Kommissär v. Esernowicz nicht in die Aufhebung des Standrechts währen des Kirchenkongresses willigte, verlegte man diesen nach Carlowitz und verbrannte die zur Ruhe mahnende Proklamation des Regierungskommissärs. Darauf folgte die Wahl des Obersten Suplikatz zum serbischen Woiwoden, und des Carlowitzer Erzbischofs zum Patriarchen. In den Bezirk der Woiwodschaft gehören Syrmien, die Komitate Bacs, Baranya und Veröcze. An 600 bewaffnete Serben kamen aus Serbien zur Carlowitzer Versammlung, und eine Deputation von 200 Mann soll nun dem Kaiser die Wünsche der Serben vortragen. Man will das ungarische Ministerium durchaus nicht anerkennen. In Pesth aber glaubt man die Wiener Regierung von allen diesen Vorgängen unterrichtet, und argwöhnt diese suche in einer slavischen Monarchie den letzten Rettungsanker oder ein Mittel Ungarn zur Wiederunterwerfung zu bringen. Ueberdieß zeigen auch die in Pesth garnisonirenden Illyrier und Kroaten starke Sympathien für den Banus Jelachich. Außerdem herrscht, nach Briefen der D. A. Z., in Ungarns nördlichen (Trentschiner, Arvaer, Thurotzer, Liptauer) Komitaten eine völlige Anarchie, welche sich besonders gegen die Juden und alle Besitzenden richtet, nebenbei aber auch starke Sympathien für die Posener Polen zeigt. Ferner läuft aus Kronstadt, 18. Mai, das Ergebniß einer von 10,000 Menschen besuchten Versammlung in Blasendorf ein. Es war keine Union mit Ungarn; gleiche Rechte und Freiheiten wie die übrigen siebenbürgenschen Nationen auch für die Walachen, die Landtagsverhandlungen sollen ungarisch, deusch und walachisch geführt werden, die Walachen geloben dem österreichischen Kaiserhause unverbrüchliche Treue. Mit diesen Beschlüssen sollten Deputationen nach Wien und Klausenburg abgehen.
[(A. A. Z.)]
Belgien.
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@facs0037
[20]Brüssel, 7. Juni.
Seit zwei oder drei Jahren sind 11 bis 12,000 Fr. den Generalen und oberen Offizieren zugewiesen, die sich zu dem Manöver auf das Feld von Beverloo begeben. Die Manöver von Beverloo existiren seit 1815, die Gehaltszulagen erst seit dem libéralen Ministerium, das die Monarchie auf breitester demokratischer Unterlage, die belgische Muster-Konstitution zu einer Wahrheit gemacht hat. Der Generalkommandant des Feldlagers z. B., bezieht, außer seinem gewöhnlichen Gehalt von 46 Fr. 30 Ct. per Tag, 100 Fr. täglich für ausgesuchte Gerichte und feine Weine, außerdem 14 Feldrationen und Feuragerationen. (Nation) Und Herr Baron von Chazal sollte nicht Recht haben, wenn er die Armee den schönsten Ring in der Kette der belgischen Institutionen nennt?
‒ In Brüssel fand eine kleine Emente statt, unter den am neuen Hypgodrom beschäftigten Erdarbeitern.
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@facs0037
[*] Verviers, 7. Mai.
Es existiren hier jetzt 5 Clubs. Der letzte hat sich so eben gebildet; die Sociétè libérale antirépublicaine.
Niederlande.
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@facs0037
[*]Haag, 7. Juni.
Holland scheint wirklich in Noth zu sein. Unsere Minister wissen kaum mehr wo ihnen der Kopf steht. Vorgestern Staatsrathssitzung, nachher langer Ministerrath; gestern wieder Ministerrath, heute morgen abermals Ministerrath und gleich darauf Staatsrathssitzung unter dem Präsidium des Königs.
Französische Republik.
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@facs0037
[*]Paris, 6. Juni.
Der Versuch, Louis Blanc in Anklagezustand zu versetzen, war nur das Vorspiel einer Anklage gegen die exekutive Kommission, von der man erwartete, daß sie sich gleich beim Beginn der Debatte zurückziehen würde. Der 2. Juni sollte ein 9. Thermidor werden. Man begann mit Louis Blanc, weil man die großen Antipathien der Bourgeois-Majorität gegen ihn mit richtigem Instinkte heraufgefühlt hatte. Marrast, der ehemalige Redakteur des National, der Republikaner en gants jaunes, der Gentilhomme von der Feder und der Ritter von der Phrase, war Chef des Komplotts, das im ehemaligen Palais royal, jetzigen Palais national seinen Sitz hatte. Hier thronte er unter 200 Repräsentanten, mit der ganzen Würde eines Mannes, der sich als gouvernementaler Mann der Situation fühlt. Plötzlich im Augenblicke der Entscheidung in der Sitzung vom 2. Juni, blies Marrast zum Rückzug. Er erinnerte sich nicht, Louis Blanc am 15. Mai im Hotel de ville gesehen zu haben. Woher diese plötzliche Sinnesänderung? Es war Herrn Marrast unter der Zeit bange geworden vor der alten dynastischen Partei, namentlich vor der in der Bourgeoisie neuauftauchenden Popularität des greisen Gamin Thiers. Und Herr Marrast erinnerte sich, daß man Lamartine gegen Ledru-Rollin benutzt, um Herrn Marrast und die ganze Partei des National an's Ruder zu bringen. Ebenso war man im Begriff, ihn, Herrn Marrast, gegen die exekutive Kommission zu benutzen, um Herrn Thiers und Odillon-Barret mit der Milchstraße von Duvergier, Remusat u. s. w. hinter ihnen an die Regierung zu bringen. Welchen Dank Lamartine dafür einerntet, daß er sich dazu hergab, die Contrerevolution zu stylisiren, mögen Sie aus folgender Apostrophe sehen, die das „Pamphlet“ ‒ der „Globe“ des Herrn Thiers ‒ an ihn richtet:
„Lamartine, aufgepaßt! Frankreich hat Sie zu sehr geliebt, um Sie je nur halb hassen zu können. Sie waren sein Lieblings-Dichter, sein Redner, sein Geschichtschreiber, sein Leiter, es hat Ihnen zugeklatscht, es hat Sie in seine Arme gepreßt! Aber Sie entfernen sich vom Kapitol, sie gehen dem tarpegischen Felsen zu! Kehren Sie um Lamartine, danken Sie den Göttern, das Vaterland vor der Anarchie und der rothen Fahne gerettet zu haben. Es ist vielleicht noch Zeit. Im Namen Frankreichs, Lamartine, wenn Sie diesen Muth nicht in sich fühlen, verschwinden Sie, auf daß nicht ein Schriftsteller der Zukunft jemals unsere Republik anklage, undankbar und grausam gegen den Redner vom Hotel de ville gewesen zu sein.
‒ Die Wahl der Vicepräsidenten Bethmont, Marrast, Corbon, Cormenin, Portalis und Lacrosse ist ein entschiedener Sieg der Partei des National. Cremieux hat die Bedeutung der Wahl von Portalis verstanden, und seine Entlassung als Minister und Deputirter eingereicht. Die Nationalversammlung gab ihm noch auf andere Weise ihre Böswilligkeit zu erkennen, indem sie Landrin, Edmond Lafayette und Berard zu Secretairen ernannte. Lamartin und Ledru-Rollin sollen diese Vicepräsidenten- und Secretairenwahl als offene Kriegserklärung der Nationalversammlung gegen die executive Commission betrachten und ihre Entlassung einreichen wollen. Auf der offiziellen Oberfläche werden dann nur noch zwei Parteien spielen, die beide der Februarrevolution gleich feindlich sind, die Partei des National und die Thierspartei.
[0038]
‒ Das Finanz-Comite hat heute lange diskuttirt über die Anwendung des Expropriationsgesetzes im Dienst des Gesammtnutzens auf die Eisenbahnen. Es hält dieß Gesetz nicht anwendbar auf die Eisenbahnkompagnien, da der Staat mit diesen Verträge geschlossen, wodurch er sich während eines bestimmten Zeitraums jede Expropriation untersagt. Das Comite der öffentlichen Arbeiten hat heute denselben Gegenstand berathschlagt und schien die gegentheilige Ansicht geltend zu machen. Die Unterkommission, beauftragt mit dem Bericht über den Ankauf der Eisenbahnen, hat durch ihren Berichterstatter Lefranc erklärt, der Staat müsse die Eisenbahnen besitzen, bauen und selbst exploitiren. Das Expropriationsgesetz berechtige den Staat zum Ankauf der Eisenbahnen. Bezüglich der Frage über die Mittel und Wege, glaubt die Unterkommission sie der Regierung anheimstellen zu müssen. Nichts desto weniger ist sie der Ansicht, daß der Staat nur mit Einwilligung der Kompagnien die Eisenbahnen an sich kaufen könne und falls man sich nicht vereinigen könne, den Preis durch ein Schiedsgericht feststellen lassen müsse. ‒ Die von Billault vorgeschlagene Verwandlung der Schatzbons und Sparkassenbücher in Inscriptionen auf 5 pCt. Renten, zum Kurse von 70 Fr. ‒ diese Verwandlung der schwebenden Schuld in eine konsolidirte, hat keine große Bedeutung, da es den respectiven Besitzern frei steht, sie zu acceptiren oder in ihrem früheren Verhältnisse zu bleiben. Es liegt indeß darin ein Unrecht grade gegen die nothdürftigsten Besitzer von Schatzbons und Sparkassenbuchscheinen, die kurz nach der Februarrevolution nach einem Dekret der provisorischen Regierung ihre Titel nur gegen Inscriptionen auf 5 pCt. Renten zum Curse von 100 Fr. austauschen konnten, also 21/7 pCt. verlieren würden, gegen die jetzigen Besitzer von Schatzbons und Sparkassenbüchern. Damals, als das Dekret der provisorischen Regierung erschien, wurden die Schatzbons nicht an der Börse cotirt, noch war es möglich, Geld auf Sparkassenbücher zu erhalten.
‒ Wenn man daran denkt, was Paris vor einem Monat war und was es jetzt ist, so ergreift Einen bitt're Entmuthigung. Die Revolution hatte der Stadt ein unbeschreibliches Aussehen gegeben. Es war ein Vergnügen durch die Straßen zu wandern, auf denen man keine Stadtsergeanten, keine Munizipalgarde, überhaupt keine Diener der Gewalt und Tyrannei mehr sah. Das Volk war zahlreich darauf, die Blousen zeigten sich im Sonnenschein. Die von der Industrie und dem Privilegium Unterdrückten hielten ihre Ferien und verziehen einer Gesellschaft, die ihnen bisher Licht und Luft versagt hatte, indem sie sie zu vierzehnstündiger täglicher Arbeit verdammte. Die Günstlinge des Privilegiums hielten sich still, da sie wohl fühlten, daß sie nicht mehr von ihren Rechten sprechen könnten, seitdem die Gewalt aufgehört hatte, auf ihrer Seite zu sein. Sie thaten mehr, sie gaben sich drein mit ziemlichem Anstand, und fingen schon an, die Opfer zu berechnen, die sie sich aufzulegen entschlossen waren, um eine bess're Ordnung herbeizuführen. In Wahrheit, das sind schöne Tage gewesen, und die vorgeschrittensten Geister konnten einen Augenblick Hoffnung schöpfen, daß die Stunde der Gerechtigkeit herannahe. Jetzt, sagten sie, mag die Nationalversammlung kommen, sie wird das Werk zu vollenden wissen, welches diese drei Monate begonnen haben; sie wird die friedliebende Begeisterung der Einen, die zaghafte Unterwürfigkeit der Andern, benutzen, um endlich die Ungerechtigkeiten zu entfernen, die auf dem Arbeiter, auf dem Armen, dem Ungebildeten lasten; sie wird die Anmaßungen schmutziger Interessen beseitigen, um nur auf die Stimme der Gerechtigkeit zu hören, die auf den Barrikaden verkündigt hat: Befreiung der modernen Sclaven!
Die Hoffnung auf eine Regierung, die endlich die Billigkeit zu ihrer Richtschnur nähme, die Ueberzeugung zu ihrem Mittel, hatte alle Herzen gewonnen und vereinigt, und nie fanden Abgeordnete eines Volkes, Bürger, die mehr zur Unterwerfung bereit waren, mehr geneigt zum Vertrauen, mehr vorbereitet, gründliche Reformen aufzunehmen.
Kaum ist ein Monat seit dem Tage verflossen, wo das Volk endlich der Verwirklichung seiner Hoffnungen nahe zu sein glaubte, und Paris, das so lebendig, so frei, so reich an Neuerungsideen und Wahrheitsbedürfnissen war ‒ es ist verwandelt in die traurige, unruhvolle, schrankenbewegte Stadt, die wir jetzt vor uns sehen. Es wird mit Bajonnetten überschüttet, mit Regimentern besetzt, das ewige Geräusch der Trommeln, diese Stimme der bewaffneten Gewaltthat verbreitet eine dumpfe Gährung. Die Bürger wechseln Blicke voll Haß und Mißtrauen.
Statt der unverletzbaren Freiheit, die während dreier, in der Geschichte einziger Monate Jedermann geschützt hatte, bedroht nun Gefängnißhaft den ruhigsten Bürger. Statt der Ungebundenheit der Sprache, die Jedem, selbst denjenigen gestattet war, die gegen die Republik konspirirten, lastet die Einschüchterung auf dem Worte, und es gibt Namen, die man nicht aussprechen darf, will man nicht die Hand eines Agenten der „Ordnung“ sich anlegen lassen.
Giebt es etwas traurigeres, als die Erwählten des Volkes unter diesem Volke zittern zu sehen, wenn sie nicht zweimalhunderttausend Bayonnette um sich haben? Wenn man gegen eine Handvoll vorgeblicher Aufrührer diese furchtbare Armee aufstellt, so ist das ein sehr lächerlicher Schrecken; wenn dagegen diese Heeresmacht nicht zu groß ist, um die Regierung der Republik zu vertheidigen, woher kommt es, daß sie schon so viele Feinde hat? Wäre es nicht deswegen, weil sie sich eher der Sache der Mächtigen angenommen hat als der Rechte der Unterdrückten? ‒ Wehe den Gewalthabern, die soviel Kriegsgeräth nöthig haben um sich Achtung zu verschaffen; Gewehre und Kanonen sind treulose Bundesgenossen. (Braie Republique.)
‒ Man versichert, sagt der Constitutionel, daß vom nächsten Montag ab der Verkehr auf sämmtlichen Eisenbahnlinien, außer denen von Rouen, unterbrochen werde. Die Maschinisten weigern den Dienst und stellen die Arbeit ein. Veranlassung zu dieser „Insubordination“ soll die Forderung sein, daß die von der Rouener Gesellschaft beschäftigten englischen Arbeiter aus Frankreich gewiesen würden. Die Besorgniß, daß die Maschinisten der übrigen Bahnen gegen die englischen zu Gewaltthätigkeiten schreiten möchten, hat heute Morgen sämmtliche Eisenbahnverwalter beim Minister der öffentlichen Arbeiten zusammengeführt, und dort ist beschlossen worden, thörigten und ungerechten Ansinnen nicht nachzugeben. Die energischsten Maßregeln sollen getroffen werden, um die Rouener Eisenbahn gegen einen Handstreich zu schützen.
‒ Die Arbeiter der Nationalwerkstätten wollen ein neues Journal erscheinen lassen, und Jeder von ihnen muß als Begründer desselben unterschreiben. Jeder wird monatlich einen Cts. zahlen für die Gründungskosten dieses Blatts, welches ausschließlich von Arbeitern redigirt sein wird und zum speziellen Zweck hat, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. ‒ Der Kassationshof hat in seiner Audienz vom 1. Juni das Kassationsgesuch des Bruder Lévtade verworfen.
‒ Das demokratische Banket zu 25 Centimen, welches auf Donnerstag den 8. Juni festgestellt ist, findet im Umkreise von Paris, längst den Befestigungswerken Statt. Schon am 3. Juni waren 115,000 Zulassungskarten ausgetheilt.
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@facs0038
Paris, 4. Juni.
Thiers wird wahrscheinlich nicht nur zu Paris, sondern zu Rouen, Bordeaux und Perigeux gewählt werden. Als Kandidat ist er noch vorgeschlagen in den Departements der Mayenne, Sarthe und Orne. Auch das Departement der Bouches du Rhône, das ihn im April fallen ließ, soll seinen Fehler wieder gut machen wollen.
Folgende Werthe sind am 24. und 25. Februar in den Tuilerien gefunden worden. In Geld bei Louis Philipp 40,000 Fr.; in Wechseln 400,000. Ein Theil der Letztern ist bezahlt; der Verfalltag der übrigen lautet auf die Monate Juli, Oktober und den 31. Januar 1849. In den Gemächern der Adelaide hat man gefunden in Geld 3000 Fr., in Wechseln 250,000 und Louis Philipp angehörige zu 250,000 Fr. Man hat ferner bescheinigt den Empfang von 40,000 Fr. Renten, dem Prinzen von Paris oder seiner Mutter gehörig, von 60,000 Fr., Eigenthum der Prinzessin Joinville, von 320,000 Fr. Renten zu 5 pCt., Eigenthum der Herzogin von Montpensier.
Italien.
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@facs0038
Edition: [Friedrich Engels: Die Insurrektion vom 29. Mai in Mailand. In: MEGA2 I/7. S. 92.]
[*] Mailand, 1. Juni.
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@facs0038
Verona, 1. Juni.
Der Sieg der Unsern läßt nichts zu wünschen übrig. Der Feldmarschall selbst operirt nun im Rücken der piemontesischen Hauptarmee mit vereinter Kraft aller drei Korps. Gestern (den 31. Mai) Abends dürfte nach dem gehörten starken Feuern über dem Mincio ein weiterer Zusammenstoß mit dem Feinde erfolgt sein, dessen Resultat man noch nicht weiß. Heute hofft man schon auf ein solches Vorrücken unserer Truppen, daß den Piemontesen der Rückzug abgeschnitten und Peschiera von der Belagerung entsetzt sein könnte.
[(Tir. Bote.)]
‒ La Patria vom 27. Mai berichtet: „Nach Briefen von Vicenza vom 24. Mai war der Angriff auf unsere Stadt vom 23. Mai. durch einen französischen Renegaten, den General Marmont, geleitet. Er kommandirte 14,000 Oestreicher, und wurde zurückgestoßen durch die Einwohner und den General Durando.“
‒ Der Dämpfer Mongibello ist von Neapel in Livorno angekommen. An seinem Bord befanden sich 16 Schweizer-Offiziere, die man nicht an's Land steigen ließ, aus Furcht vor der Volkswuth. Sie führten Cassetter bei sich, die mit Gold- und Silberzeug gefüllt waren.
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@facs0038
Mailand, 2. Juni.
Vorgestern sammelte sich der von unserer Kavallerie verfolgte Feind vor Mantua, und es entspann sich gestern eine neue Schlacht; der Ausgang ist noch nicht bekannt. ‒ Die Oesterreicher haben bei ihrem Ausrücken aus Mantua und Verona am 29. und 30. v. M. eine bedeutende Niederlage erlitten. Ihr Angriff erstreckte sich gleichzeitig auf den äußersten rechten Flügel, der aus Toskanern und Neapolitanern bestand, und auf den linken, den die Piemontesen in den Ebenen von Pastrengo und Rivoli bildeten. Die Toskaner hielten den Angriff nicht aus, bis ihnen die Piemontesen zu Hülfe kamen. Die Oesterreicher sollen einen Verlust von 600 Todten haben. Kaum hatte Karl Albert vernommen, daß auch von Verona gegen Mantua zu ein Heer im Anmarsch sei, so durchritt er die Reihen seines Heeres und ließ die Positionen, besonders die von Goito, verstärken. Hier fand dann am folgenden Tage die Feldschlacht statt, die von Nachmittags 31/2 Uhr bis in die Nacht hinein dauerte. Der beiderseitige Verlust ist im heutigen Bülletin der provisorischen Regierung nicht angegeben, soll aber beträchtlich sein. Unter den vielen Oesterreichern, die in Gefangenschaft gerathen sind, wird General Bentheim erwähnt, der Exfürst von Kniphausen. Die Uebergabe von Peschiera bestätigt sich vollkommen. Am 30. pflanzte die eingeschlossene Besatzung von Peschiera die weiße Fahne auf; sie erhielt unter ehrenvollen Bedingungen freien Abzug. Nachdem sie ein Thor der Festung übergeben hatte, zog sie während des Einzuges unserer Truppen durch ein anderes ab.
[(Schw. Bl.)]
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@facs0038
Mailand, 3. Mai.
Laut der Mailänder Ztg. wird die Besatzung von Peschiera ohne Waffen nach Ankona abgeführt, wo sie auf Schiffen heimkehren kann. Das amtliche Bülletin sagt nur, der König habe der Besatzung ehrenvolle Bedingungen zugestanden.
Großbritannien.
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@facs0038
[*]London, 6. Juni.
Die Statistik der großbritannischen Noth und die Berichte über revolutionäre Versammlungen und Emeuten in fast allen Theilen des Landes machen die Londoner Montag-Blätter interessanter und beachtungswerther als gewöhnlich.
Am Samstag hielt zunächst die Armenverwaltung von Marylebone eine Sitzung, in welcher man wegen der in den englischen Armenbastillen erzogenen Kinder eine Adresse an das Unterhaus entwarf. Bekanntlich sind in den nach dem Gesetz von 1834 errichteten Armenhäusern, Männer, Weiber und Kinder getrennt. Die Kinder werden, so gut wie es geht, erzogen und unterrichtet und im 12. oder 14. Jahre zu Handwerkern oder Krämern in die Lehre oder als Schiffjungen auf die Marine geschickt. Aus den Berichten der Armenverwaltung von Marylebone geht nun hervor, daß zwar die Knaben im Durchschnitt ziemlich gut fortkommen, daß aber die entlassenen Mädchen nur zu häufig, sei es durch die schlechte Behandlung, welche ihnen in ihrem Dienst zu Theil wurde, oder durch die nothwendigerweise mangelhaft gebliebene Erziehung in den Armenhäusern, schnell dem entsetzlichsten Elende anheimfallen und nach einer traurigen Existenz auf den Gassen und in den Schenken, schließlich in ganzen Haufen zu dem Armenhause, wie zu ihrer Heimath, zurückkehren. Die Armen-Verwaltung von Marylebone, alarmirt in Betreff der moralischen Resultate ihrer Wirksamkeit und vielleicht noch mehr entsetzt über die ökonomischen Nachtheile, welche aus einer so massenhaften Rückkehr ihrer Zöglinge erwachsen, hat nun bei den 400 Knaben und Mädchen, welche sie augenblicklich wieder der Welt übergeben kann, wie schon bemerkt, dem Unterhause vorgestellt, daß ihr das Gouvernement zu der Versorgung dieser Kinder behülflich sein müsse.
Gestützt auf ausführliche Mittheilungen aus den Kolonien, schlägt sie nämlich vor, daß sämmtliche Kinder nach Neu-Süd-Wales geschafft würden, um dort den Pflanzern zur Beschäftigung übergeben zu werden. Die Armenverwaltung verpflichtet sich, zu dem Transport der Kinder ein Gewisses beizutragen. Das Gouvernement soll dafür sorgen, daß man die jugendlichen Emigranten auf gehörige Weise in Empfang nimmt und sie den einzelnen Pflanzern übergiebt.
Zuerst waren es die Verbrecher, welche man nach Australien brachte, dann eröffnete man der Prostitution einen Abfluß dahin; jetzt kommen die Kinder an die Reihe, die 12- und 14jährigen Söhne und Töchter durch schlechte Ernten und durch Handelskrisen ruinirter Arbeiter.
‒ In den 6 Monaten, welche am 25. März 1848 endeten, wurde in den folgenden Städten die folgende Anzahl Armen unterstützt. In Bolton 16,004, in Bradford 39,759, in Halifax 17,950, in Leeds 19,951, in Leicester 19,642, in Liverpool 27,982, in Manchester 94,702, in Nottingham 9232, in Stockport 25,563, in Bethnalgreen 12,810, in Marylebone 10,719, in Whitechapel 17,720. In 12 Städten oder Armenverwaltungen wurden also unterstützt, zusammen in 6 Monaten 308,034 Arme, mit einem Kostenaufwand von zusammen fast 300,000 Pfd. Man sieht, die Engländer lassen es sich etwas kosten, die Paupers in ihrem Lande ruhig zu halten. ‒ Die Zahl der vor Gericht, namentlich wegen Diebstahl, verurtheilten Personen stieg von 1838 bis 1842 von 23 auf 31,000, worauf, in Folge der kommerziellen Maßregeln Sir Robert Peel's, wie der Telegraph meint, eine Verminderung entstand, so daß in 1844 die Zahl der Verbrechen bis auf 24,203 herabsank. In 1846 stieg sie indeß wieder bis 25,107, in 1847 auf 28,833; es ist daher nur zu deutlich, mit welcher rasenden Schnelligkeit die Armuth und die Verbrechen auf's Neue zunehmen. Da diese Angaben nur bis Ende 1847 gehen, wo sowohl der Kontinent als England selbst noch vollkommen ruhig waren, so mögten wir wohl behaupten, setzt der Telegraph noch hinzu, daß im Fall einer gleichen Steigerung des Elendes in andern Ländern, nicht die Revolution das Elend, sondern das Elend die Revolution hervorbrachte.
Wir brauchen diesen Notizen weiter nichts hinzuzufügen. Die große politische, aus der sozialen Lage England's hervorgegangene Bewegung der Chartisten, welche man am 10. April mit einigen Konstablerstöcken zu Boden zu schlagen glaubte, und über deren augenblickliches Erstarren man so brutal triumphirte, sie konnte sich daher nicht lange hinter ihren Dämmen halten. Dieselben Blätter, welche uns die letzte Statistik der englischen Zustände bringen, sie brachten uns auch'die Nachricht, daß die „elendigen Burschen und Taschendiebe“, wie der Citoyen Brougham sie nennt, abermals im Felde sind, daß sich die Chartisten auf's Neue in Massen erhoben haben.
Gestern, am Sonntag, heißt es, war das moralische England, die moralische Metropole, der Sitz und das Centrum aller geistlichen und weltlichen Autorität, recht unter den Augen eines wahren Heeres von Polizisten und Priestern, die Scene der ernstlichsten und wildesten Konflikte. Bei Bethnal-green versammelte sich das Volk in großen Massen; zu Thätlichkeiten übergehend, fechtend mit der Polizei und nicht eher den Kampfplatz verlassend, als bis mehrere Köpfe entzwei geschlagen waren. Von 10 bis 1 Uhr dauerte dieser Skandal. Bei Hackney und im Viktoriapark ging dasselbe vor. In den Virginiengärten suchte man die Konstabler zu ermorden. Das Volk drang mit Piken auf sie ein. In Bischof Boner's Feld brauchte man Messer. Ein Polizist wurde gesteinigt; die Fenster der Kirche warf man ein. Die Artillerie war in Bereitschaft, die ganze Polizeimannschaft Londons auf den Beinen und im Kampfe.
Dies war indeß nicht Alles. Einer der Leiter der Chartisten, Hr. Ernest Jones, von dessen glühender Beredsamkeit man bereits weiß, welchen Effekt sie auf die Massen macht, erhob sich mitten aus dem Tumult und kündigte dem Volke an, daß man Lancashire und Yorkshire schützend im Rücken, am nächsten Pfingstmontag ein anderes Kennington Common-Meeting, aber nicht auf Kennington, halten werde, indem er Jeden ermahnte, sich darauf vorzubereiten, damit in wenigen Tagen die grüne Flagge über Downing-Street flattre, damit Frost und Mitchell heimkehren mögten nach England und Lord John Russell und Lord Grey endlich ihren Weg fänden nach Baffins-Bai.
Man kann sich denken, welche Aufregung diese Vorfälle in London verbreitet haben. Der Standard, mehr als alle andere Blätter darüber indignirt, daß man den Sabbat so revolutionär-chartistisch entweiht hat, ruft geradezu aus, daß Lord John Russell einen Platz in Ihrer Majestät Gefängniß verdiene, wenn nicht in 24 Stunden der Chartist Ernest Jones denselben eingenommen.
‒ Die Manchester Times und der Leeds Intelligencer bringen uns die Nachricht von mehreren Chartistenementen in der Umgegend von Manchester, in Leeds und in Nottingham.
‒ Aus Irland gehen die Berichte bis zum 2. Juni. Wie wir früher bereits bemerkten, hat O'Brien im Namen der irischen Konföderation eine Adresse an das Volk erlassen. Es heißt darin in Betreff des Mitchell'schen Prozesses: „Katholiken Irlands! Beugt eure Häupter vor Scham. Man hat euch als unwürdig gebrandmarkt, auszuüben die Gerechtigkeit in eurem eigenen Lande. Bei der letzten Untersuchung hat man jeden katholischen Einwohner der Stadt wie einen Meineidigen schmählich von den Bänken der Jury gejagt.
Sklaven seid ihr, Sklaven verdientet ihr zu bleiben, ihr und eure Kinder, wenn ihr nicht aufständet wie ein Mann, diesen Insult zu rächen.“
Die Aufregung in Dublin hat ihren Gipfel erreicht. Am vorigen Samstag wußten die Leiter der Masse die Volkswuth kaum mehr zu zügeln.
‒ Im Oberhause machte Lord Mounteagle gestern eine Motion in Betreff des irischen Armengesetzes. Der Marquis von Londonderry brachte die italiänische Angelegenheit zur Sprache. Lord Brougham kam auf die Bewegung der Chartisten und der Nepealer zurück und der Bischof von Oxford beantragte die zweite Lesung der Bill zum Schutze der Frauen.
Im Unterhause entwickelte sich eine Debatte in Betreff der Aenderung des Parlaments-Eides und der Unruhen in den Tower Hamlets. Hr. Muntz rief dann einige Erklärungen Lord Palmerstons wegen der neapolitanischen Massakres hervor, worauf sich das Haus mit einer Motion des Hrn. Goring, in Betreff einer neuen Wahlausschreibung für Horsham, beschäftigte. Nachdem dieser Vorschlag mit 114 Stimmen verworfen worden war, ging man zu der für diesen Tag bestimmten Debatte über die zwischen dem englischen u. spanischen Kabinet bestehenden Streitigkeiten über. Hr. Sheil, Lord Mahon, Lord John Russell, Hr. Disraeli, Sir Robert Inglis, Lord Palmerston, Hr. Hume, Hr. Urquhardt, kurz alle großen Redner des Parlamentes nehmen Theil an dieser Debatte, welche damit endete, daß die Motion des Herrn Bankes ohne Abstimmung verneint wurde. Wegen des großen Umfangs unsrer heutigen englischen Post werden wir die Details dieser Debatte morgen geben.
Amerika.
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@facs0038
In Southampton langte mit dem „Severn“ die westindische Post an, Von Panama, 23. April. Der Zustand der Kolonieen war noch gerade so schlimm und beklagenswerth wie früher und in Jamaica wurden zahlreiche Versammlungen gehalten um die Lage der Dinge in Berath zu ziehen.
General Santa Anna, Ex-Diktator von Mexiko war mit seiner jungen Gemahlin in Jamaica angekommen und hatte in Torringtonhous seinen Wohnsitz genommen. Von St. Domingo trafen sehr betrübende Nachrichten ein, da in Port-au-Prince eine Insurrektion ausgebrochen und auch andere Theile in wilder Bewegung waren, die zunächst den Sturz des Präsidenten bezweckten.
Die Behörden triumphirten indeß und viele der Insurgenten wurden erschossen und geköpft.
In Liverpool kam die Cambria von New-York an. Sie brachte L. 73,000 baar und 74 Passagiere. Sie verließ Neu-York am 24. Mai. Mehlpreise waren in Folge größerer Zufuhren gefallen. Baumwolle fest und Preise etwas höher. Die Aussichten für die Aernte sehr günstig.
In der Politik war nicht viel Neues. General Scott, der kürzlich von der Eroberung Mexicos nach den Vereinigten Staaten zurückkehrte, drückte seine feste Ueberzeugung aus, daß der Friedensvertrag zwischen Mexiko und den Staaten wohl schon jetzt ratifizirt sei, und daß man die betreffenden Nachrichten jeden Tag erhalten könne.
(Hierzu eine Beilage.)
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@facs0038
Der Gerant: Korff.
Druck von W. Clouth, St. Agatha Nro. 12.