[0075]
Extrabeilage zu Nr. 17 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Uebersicht
Deutschland. Berlin. (Der 15. Juni. ‒ Anderer Bericht. ‒ Details). Prag. (Aufstand). Schleswig-Holstein. (Kleines Gefecht bei Hadersleben. Räumung von Apenrade durch die Deutschen. Besetzung durch die Deutschen).
Großbritannien. Manchester. (Zehnstundenbill). Liverpool. (Chartisten-Meeting).
Handelsnachrichten.
Deutschland.
@xml:id#ar017b_001
@typejArticle
@facs0075
[ 8 ] Berlin, 14. Juni.
Der Sturm ist losgebrochen und zwar durch die Regierungspartei, die Absolutisten provocirt. Die Reaktion hatte schon längere Zeit sich Mühe gegeben, Konflikte zwischen den bewaffneten Einwohner Berlins herbeizuführen, besonders Arbeiter und Bürger mit einander so zu entzweien, daß ein Krawall unvermeidlich würde. ‒ Sie hatte dabei nicht versäumt, das Volk fortwährend in Aufregung zu erhalten, sei es durch selbsterfundne und selbstverbreitete Gerüchte, sei es durch offen an den Tag gelegte volksfeindliche Schliche. Das Volk hatte gesunden Sinn genug, um bald die Schliche der Reaktionärs zu durchschauen und vermied jeden Krawall welcher der Rückschrittspartei nur im Geringsten Veranlassung oder Anknüpfungspunkte für ihre schändlichen Bestrebungen hätten geben können. ‒ Es lag der Reaktion daran, einen Coup auszuführen und deshalb mußte sie dem ohnehin schon durch das mit ihm in und außer der Singakademie getriebene schändliche Spiel erbitterten Volke neuen Stoff der Erbitterung geben, es unter sich entzweien, um dann desto ungehinderter über es herfallen zu können. ‒ In diesem Sinne verstehen wir den vom interimistischen Kommandeur der Bürgerwehr, Blesson, in Folge der gegen Arnim und Sydow verübten Insulte gegebenen Tagesbefehl. In Folge desselben waren gestern am 14. die Wachen verstärkt, der Raum vor der Deputirtenversammlung, die gestern ihre Geschäfte wieder aufgenommen, für die Passage gänzlich durch Bürgerwehr abgesperrt und schließlich angeordnet worden, daß Atroupements von Bürgerwehrpatrouillen zerstreut, nöthigenfalls mit Waffengewalt auseinandergetrieben werden sollten. Trotz diesem Befehl oder vielmehr gerade in Folge desselben sammelte sich vor der Singakademie, am Zeughause und königl. Schlosse eine nicht unbedeutende Menschenmasse, vielleicht auch herbeigezogen durch Neugierde auf die Verhandlungen der Vereinbarer, von denen man gestern Wichtiges erwartete.
Schon am Morgen des 14. war die Bürgerwehr zusammengetrommelt worden und sogleich machte sich die Volksstimmung gegen die Reaktion kund. Im Verein mit dem Hofmarschall hatte Major Blesson angeblich um der Bürgerwehr den Dienst zu erleichtern, in Wirklichkeit aber, um in Falle einer Revolution das königl. Schloß dem Volke unzugänglich zu aller Fassung zu machen, an mehreren Portalen desselben eiserne Gitterthüren anbringen lassen. Trotz der mehrmaligen Proteste des Bürgerwehrklubs und anderer Vereine war die Maßregel theilweise schon ausgeführt worden. Das Volk macht also gestern kurzen Prozeß. Die Thüren wurden ausgebrochen und unter Jubel und dem Beifall der wohlhabenden Bürger nach der Universität gebracht.
Das Volk strömte darauf zum Zeughause, wo es nicht nur die Entfernung der in demselben befindlichen Kompagnie des 24. Regements, sondern auch Waffen verlangte, damit doch endlich die Volksbewaffnung eine Wahrheit werde, ‒ Schon hier machte die aufgestellte Bürgerwehr einen Bajonettangriff auf die Massen, um sie zu zerstreuen, was natürlich auf Seiten der Letztern Unmuth und Gereiztheit hervorbrachte. ‒ Der Vormittag verstrich, ohne daß das Volk etwas Weiteres unternommen hätte; die Sitzung der Vereinbarungsversammlung war geschlossen; mehre Deputirte der Linken, u. a. Reichenbach, wurden von der Menge mit Hochs begrüßt. Nachmittags verlangte sie durch Deputationen von dem Stadtkommandanten, und, als es hier Nichts fruchtete, beim Kriegsminister die Erfüllung ihrer Forderungen. ‒ Auch hier klopft man vergebens an. Ja, vor dem Kriegsministerium schritt die Bürgerwehr von Neuem gegen das wehrlose Volk ein. ‒ Die Erbitterung zwischen Bewaffneten und Waffenlosen stieg natürlich; die Menge strömte von Neuem zum Zeughause, um jetzt gewaltsam durchzusetzen, was auf friedlichem Wege nicht zu erreichen war. ‒ Unterdessen hatte der Generalmarsch die gesammte Bürgerwehr und die fliegenden Korps auf die Beine gebracht. Bürgerwehr und Volk standen sich am Zeughause gegenüber. Letzteres wurde von ersterm zum Nachhausegehen aufgefordert, zweimal wirbelt die Trommel; da fällt plötzlich aus den Reihen der Bürgerwehr (noch ist's unklar, ob auf Befehl oder nicht) ein Schuß und ein Mann vom Volke lag sterbend in seinem Blute. ‒ Verrath! schrie das angegriffene Volk und erwiderte die Attaque mit einem furchtbaren Steinhagel.
Noch sechs bis acht Schüsse, und wieder fielen neue Opfer spießbürgerlicher Wuth. ‒ Das Volk stob jetzt nach allen Seiten auseinander, nachdem es seine Todten und Verwundeten weggebracht, die mit ihrem Blute das Steinpflaster färbten. „Zu den Waffen, zu den Waffen!“ durchtönte es alle Straßen. Unter schrecklichen Flüchen gegen die bürgerlichen Ungeheuer, diese neue Garde von Wütherichen, trug man zwei im Blute der Gefallenen gefärbte Tücher an Stäben in den Straßen umher. Es war ein herzzerreißender Moment, diese Arbeiter, diese verstoßenen Parias sagen zu hören : „das ist Freiheitsblut!“ „Wer war es, donnerten Andere den Bürgern zü, der Euch am 18. März vom Sclavenjoche befreite? Waren wir es nicht, und jetzt belohnt Ihr uns dafür mit Meuchelmord!“ ‒ Das Unglück war geschehen; in seiner dumpfen Bestürzung über das Vorgefallene, das kaum Glaubliche, hatte das Volk die Mörder abziehen lassen. Es war gegen 9 Uhr Abends. Die Masse am Zeughause wurde immer größer; man faßte den Entschluß, es zu stürmen und in noch keiner Stunde war der Plan ausgeführt. Trotz der mehrmaligen Trommelsignale von Seiten des im Zeughause befindlichen Militärs ließ sich das Volk nicht im Mindesten mehr von seinem Vorhaben abbringen und bald waren Fenster und Thore eingerannt. Das Militär kapitulirte; während es auszog und von einem Detachement des Studentenkorps eskortirt wurde, strömte die Masse unaufhaltsam und ohne jede Leitung ins Zeughaus. Die Waffenkisten wurden erbrochen und wer Hände hatte, griff zu. Das war ein Hin- und Herdrängen, ein Ab- und Zulaufen des entfesselten Volkes, das in alle Räume hineindrang und mit nahm, was es nur konnte. Kinder von 10 Jahren selbst holten Waffen jeder Gattung und Munition, die man nach der Universität brachte, heraus, um sie an die Alten zu vertheilen.
Kurz es war eine planlose Plünderung ohne die geringste obere Leitung. Die Studenten, auf die das Volk geblickt und denen es noch am Morgen sein Vertrauen bewiesen hatte, sie ließen es sich nicht nur nicht angelegen sein, Ordnung in die Sache hineinzubringen; nein, sie hielten sogar das Volk zurück und suchten es auf jede mögliche Weise zu hindern. Weit entfernt von dem Beispiele der wackeren Wiener, zeigten sie vielmehr so wenig Herz für die Sache des verrathenen Volks, daß sie sich zuletzt noch dazu hergaben, die aus dem Zeughause Kommenden gemeinschaftlich mit der hinzugekommenen Bürgerwehr zu untersuchen, ob sie Waffen mitbrachten, und sie ihnen im Betretungsfalle anzunehmen. Diese halbe Neutralität und halbe Feindseligkeit ist um so weniger begreiflich, als die Studirenden selbst zugestehen, daß allein die Arbeiter von Berlin es waren, denen das Vaterland seinen neuen Aufschwung verdankt. Aber nicht allein die Studirenden wollten das Volk nicht anführen, ‒ sondern auch nicht Einer der sogenannten Volksmänner hatte sich blicken lassen, um die Bewegung in eine wichtige gerade Bahn zu leiten. Wo waren die Herren Demokraten, als es galt, das Volk, das sie immer im Munde führten, anzuführen und zu leiten? Keiner war da, der sich an die Spitze des Volkes gestellt hätte. ‒ Das Volk sah sich verlassen und wußte nicht, was es beginnen sollte, nachdem es sich Waffen eroberte. Freilich waren einige Barikaden erbaut worden, z. B. in der Landsberger- und der Behrenstraße, wo sie ganz überflüssig waren.
So kam es, daß nachdem kaum das Militair das Zeughaus verlassen hatte, sogleich neues anrückte, das von den bewaffneten Bourgeois mit Hurrah's empfangen und ins Zeughaus hineingelassen wurde, als noch eine große Menge Volks drin beschäftigt war. Dies Anrücken und dazu noch ein Schuß, der im Hofe des Zeughauses fiel, versetzte das in demselben befindliche Volk in einen solchen panischen Schrecken, daß einzelne aus dem ersten Stock durch die Fenster hinabsprangen, wobei sie sich, nicht unerheblich verletzten. Die Andern entkamen durch Rettungsleitern. Im Allgemeinen hat sich das Militär schonend benommen.
Schon jetzt erfolgte eine theilweise Entwaffnung durch die Bürger, die doch nimmermehr zugeben konnten, daß auch der Proletarier Waffen trage, sondern des Glaubens sind, daß sie allein dazu berechtigt seien. Die Meisten jedoch brachten ihre Waffen in Sicherheit, so daß nur der geringste Theil dem Volke wieder abgenommen wurde.
Allmählig verliefen sich die Waffen; bei Anbruch des Tages rückte das Militär, das gleich beim Beginn der Unruhe die Stadt verlassen und Bivouaks vor dem Brandenburger Thor bezogen hatte, wieder in die Stadt. Diese ist von Potsdam, Spandau und andern Seiten her jetzt völlig mit Truppen umgeben. Will man uns vielleicht das Schicksal von Mainz oder gar von Neapel bereiten! Die Bürgerwehr ist sehr mißgestimmt, auch das Volk zeigte gestern nicht den erhebenden, selbstbewußten Charakter, den man in solchen Momenten sonst zu finden pflegt. Es war verlassen und deshalb rathlos.
So stehen die Sachen bis jetzt. Auch heute sind die Straßen wieder belebt, auch heute die Trupps, besonders wieder unter dem Kastanienwäldchen und am Zeughaus so zahlreich, wie in den letzten Tagen. Es herrscht eine dumpfe, Unheil verkündende Stille. Wer weiß, was die heutige Nacht bringt! Wir halten die gestrigen Vorfälle für eine großes Unglück. Die Reaktion hat ihren Zweck erreicht. Divide et impera! Die Lage des Volks ist dieselbe geblieben; es hat offenbar eine Niederlage erlitten. Aber war es anders möglich? Mußte es nicht endlich zum Bruche kommen? Wie lange konnte sich eine Einigkeit halten, die von vornherein ihren Todeskeim in sich trug? Aber die Bourgeoisie wird bitter bereuen, was sie dem Volke gethan. Die gestrigen Vorfälle sind ein Nagel an ihrem Sarge.
Wie wird sich die Nationalversammlung gegenüber diesen Ereignissen geriren? Was wird die Linke thun? Wird das Ministerium noch länger seine Stellung behaupten? Diese Fragen sind vielleicht schon beantwortet, noch ehe Sie diese Zeilen erhalten!
Heute früh verließen eine große Anzahl Wagen mit hiesigen Einwohnern, die wahrscheinlich erneute Unruhen fürchten, die Stadt. Glückliche Reise nach Hinterpommern. Es scheint, als ob letzteres unsere Vendee werden wollte. Es gehen seltsame Gerüchte, z. B. daß die Russen bereits bei Thorn stehen.
Es scheint, daß die gestrigen Ereignisse nur der Anfang vom Ende sind.
@xml:id#ar017b_002
@typejArticle
@facs0075
[ X ] Berlin, 15. Juni.
Das „souveraine Volk“ von Berlin hat gestern wieder einmal eine thatsächliche Erinnerung an seine erste Revolution ergehen lassen. Es hätte nur eines thätlichen Widerstandes von Seiten der Regierung bedurft, und wir hatten eine zweite Revolution. Das Volk hatte im Laufe des Tages schon die neuen eisernen Gitter an zwei Schloßportalen von ihrem Platze geschleppt, zum Theil zertrümmert und in die Spree geworfen, und des Abends einen Angriff auf das Zeughaus gemacht, um sich zu bewaffnen. Dabei hatten Bürgergardisten auf das Volk geschossen. Zwei Menschen waren getödtet, zwei verwundet. Der Ruf nach Rache erhob sich schon in allen Straßen; in der Königsstraße, in der Leipzigerstraße wurden Barrikaden angefangen, Wagen angehalten und umgeworfen, doch das Volk hatte keinen Feind vor sich, die Bürgerwehr selber stand zu ihm, beide waren darin einig, daß man nur das Ministerium zu stürzen habe. Das Volk hatte zu viel Mißtrauen gegen die Reaktion und fürchtete, mit einem Angriff auf die Bürger, derselben nur in die Hände zu spielen. Darum beschränkte es sich auf einen Angriff gegen das Zeughaus, in welchem 250 Mann Infanterie bivouakirten.
Es wollte Waffen und die Entfernung des Militärs aus dem Arsenal. Die Bürgerwehr stellte ihnen, nach den gefallenen Schüssen, die sie selbst bedauerte, keine Hindernisse in den Weg. Da erschien das bewaffnete Korps des Handwerkervereins; es wurde mit Jubel empfangen, das Volk erhob ein Hurrah, als es die Gewehre laden sah, es fühlte sich geschützt gegen die Mißverständnisse, und die jungen bewaffneten Arbeiter belagerten nun das aZeughaus förmlich und waren auf einen Sturm gefaßt, der denn uch wirklich gegen die von innen verbarrikadirten Fenster und Thore losbrach, als der Befehl, daß das Militär das Zeughaus räumen sollte, vom Kriegsminister trotz stundenlangen Parlamentirens nicht anlangen wollte. Das Volk drang von allen Seiten ein, und in kurzer Zeit waren tausende von Gewehren, Säbeln und Pistolen u. s. w. entführt. Endlich gegen 2 Uhr Morgens, als die Masse sich schon fast sämmtlich bewaffnet und zerstreut hatte, erschien plötzlich eine Bataillon Infanterie, dem die einigen hundert Mann des bewaffneten Handwerkerkorps, dem es auch in der Unordnung an rechtem Kommando fehlte, keinen Widerstand entgegen setzen wollten, und nahm von dem bedeutend ausgeräumten Zeughause Besitz. Das Volk begnügte sich mit der erzwungenen Bewaffnung, bald wurde es an den Straßen ruhig. Hätte das Militär angegriffen, so war die Revolution da. Ihre Früchte hat die gestrige Bewegung aber dennoch, und zwar in der Nationalversammlung getragen. Das Ministerium hat heute zwei Niederlagen erlitten. Erstlich wurde mit bedeutender Majorität gegen den Willen der Minister der Beschluß gefaßt, daß die Versammlung sich sicher fühlt unter dem Schutze der Berliner Bevölkerung und daß sie wünscht, das Bataillon Bürgerwehr, welches seit dem Angriffe auf Arnim und Sydow das Sitzungsgebäude täglich bewache, möge zurückgezogen werden. Zweitens wurde bei namentlicher Abstimmung mit 46 Stimmen Majorität trotz einiger Reden, welche Camphausen und Hansemann in banger Ahnung dagegen gehalten, der Waldecksche Antrag angenommen: eine Kommission zu ernennen, ihr die Mittheilung aller auf die Versammlung bezüglichen Petitionen und Anträge zu geben, ihr die Umarbeitung des vorgelegten Entwurfs und resp. Ausarbeitung eines neuen Entwurfs aufzutragen.
Der Verfassungsentwurf ist mit dieser Abstimmung so gut wie verworfen. Das Ministerium ist seinem Ende nahe. Wie wir hören, haben Schwerin und Arnim schon ihre Entlassung eingereicht, Auerswald wird es in den nächsten Tagen thun; er wartet nur auf eine gute Gelegenheit, um sich noch mit Ehren zurück zurückzuziehen. Nur Hansemann soll bleiben und das ist bezeichnend.
Ueber die gemeldeten Vorgänge melden die Berliner Blätter noch folgende Details:
‒ 15. Juni. Massen, bewegt von einer unbestimmten Ahnung, daß es „etwas geben müsse“, Niemand wußte freilich was und warum etwas, standen und wallten in der Nähe des Zeughauses und auf dem Opernplatze umher. Es wurde im königlichen Schlosse mit dem Einhängen großer eiserner Gitterthüren begonnen, welche den Flügel, worin des Königs Wohnung liegt, abzusperren, bestimmt waren; dies gab der dunkelen, gegenstandlosen Unruhe des Volkes zuerst eine bestimmte Richtung, die Menge bemächtigte sich der schweren Gitter und schleppte sie, ungehindert von der Bürgerwache, in das Universitätsgebäude. Als die Abgeordneten aus der Sitzung kamen, empfing den Grafen Reichenbach unter der dichtgescharrten Menge, welche den Platz vor dem Gebäude bedeckte, ein donnerndes und seine Schritte fort und fort begleitendes Hoch.
Nachmittags fiel ein trauriger Auftritt am Brandenburger Thor vor. Dreißig brotlose Arbeiter kamen in einem Zuge mit zwei Fahnen heran. Diesen Arbeitern war, wie wir hören, im Thiergarten, vor dem Hause des Baumeister Hitzig, kurz vorher Geld von einem unbekannten Herrn im blauen Frack ausgetheilt worden, ob zum Zwecke einer Bestechung oder nur als eine Privatwohlthätigkeit, ist uns unbekannt. Wir wissen nur, daß die Leute sich von jener Stelle nach dem Kroll'schen Etablissement verfügten, um dort ein Paar Fahnen ‒ mit ihnen zu reden ‒ sich zu leihen, oder richtiger, solche mit Ungestüm und unter Androhungen zu fordern. Was sie beabsichtigten, war, der eigenen Aussage einiger dieser Leute (Namens Beutler, Gladow, Schellard, Broidon, Lewecke) zufolge ‒ eine Demonstration als Antwort auf einen Arbeiterfestzug, der am vorigen Tage stattgefunden hatte. „Die auf dem Schiffbauerdamm Beschäftigten,“ sagten sie „haben gestern mit Fahnen und Musik Prunk gemacht, weil sie Brod gefunden, während eine Menge ihrer Brüder keines finden können und elendiglich verkommen, wir wollen uns doch auch zeigen, daß wir da sind.“ Sie erhielten im Kroll'schen Etablissement eine dreifarbige deutsche Fahne und eine rothe, der sie ein weißes Feld mit der Inschrift: „brod- und obdachlose Arbeiter“ hinzufügten. Als sie das Thor erreicht hatten, wurden sie zurückgewiesen.
Wenn die Aussage der genannten fünf Arbeiter Glauben verdient, so leisteten sie dem Befehle umzukehren alsbald Folge, widersetzten sich aber, als man die Auslieferung der Fahnen von ihnen verlangte. Nach der Aussage von Bürgerwehrmännern haben dagegen diese Arbeiter zuerst einen thätlichen Angriff auf die Mannschaft, welche das Thor besetzt hatte, gemacht. Wie dem sei, es ist Blut geflossen auf beiden Seiten, es sind schwere Verwundungen vorgekommen. Schlimmer ward es etwas später gegen Abend. Eine Deputation ging zum Kriegsmister, um abermals auf allgemeine Volksbewaffnung zu bringen. Während die Deputation oben war, ließ unten in der Leipzigerstraße ein Bürgeroffizier auf den harrenden Volkshaufen einen Angriff machen, er soll vom Volke gezwungen worden sein, auf der Stelle sein Kommando niederzulegen; Verwundungen sollen auch hier vorgekommen sein. Das Zeughaus war inzwischen von Volkshaufen umdrängt, aus der engen Gasse zwischen Zeughaus und Gießhaus heraus schossen die vordersten Bürgerwehrmänner in die dichtgedrängte Masse mit Kugeln hinein, mehrere Leute fielen, zwei oder drei todt, Blut bedeckte das Straßenpflaster.
Umstehende tauchten Taschentücher in das Blut, schwangen diese Blutfahnen an Stöcken und rannten damit durch die Straßen, zum Kampfe auffordernd; viele anderen Personen bemühten sich, die tobenden Haufen zu erinnern, daß kein Feind da wäre, gegen den man zu kämpfen hätte, ‒ die, welche geschossen hätten, seien nicht die Bürgerwehr, sondern nur einzelne Verrückte, die ihrer Strafe nicht entgehen würden. Dennoch, da es hieß, daß Major Benda Feuer kommandirt hätte, liefen Leute hin, um dessen Wohnung zu stürmen. Eine Abtheilung des fliegenden Korps vom Handwerkerverein rückte heran und besetzte das Zeughaus. Die Menge verlangte, das in diesem befindliche Militärpiket solle abziehen. Eine Deputation ging nach dem Kommandanturgebäude und erlangte von dem Generalkommando der Bürgerwehr das Versprechen, daß auf eine strenge Untersuchung des Vorfalls am Zeughause, so wie bei dem Kriegsminister auf Entfernung des Militärs hingewirkt werden solle.
In der That wurde das Piket aus dem Zeughause weggenommen, das Zeughaus aber um etwa 10 Uhr von der Volksmasse erstürmt, welche viele Waffen, Spitzkugeln und andere Vorräthe hinwegtrug. Gegen 11 Uhr besetzte die Bürgerwehrmannschaft das Zeughaus, der etwas später einige Kompagnieen vom 24. Regiment beigestellt wurden, wie man uns sagt auf Requisition des Generalkommandos der Bürgerwehr. Major v. Blesson hat, wie es heißt, bereits das Kommando abgegeben.
@xml:id#ar017b_003
@typejArticle
@facs0075
Prag.
Die Deutsche Allg. Ztg. berichtet : Leipzig, 14. Juni. Nachdem heute Morgen schon das Gerücht hier umlief, daß Prag gesperrt sei, kommen uns durch Reisende, welche gestern früh um 5 Uhr von dort abgereist sind, folgende nähere Nachrichten zu, die wir mittheilen, ohne sie verbürgen zu können. Heute sind allerdings weder Wiener Zeitungen und Briefe noch dergleichen aus Prag eingetroffen. Alle Anzeichen, berichtete der Reisende, die sich in den Tagen vor dem Feste kundgegeben, scheinen darauf hinzudeuten, daß die czechische Partei eine allgemeine Schilderhebung beabsichtigt habe, und am zweiten Pfingstfeierage veranstaltete dieselbe in Verbindung mit den czechischen Studenten ein feierliches Hochamt im Freien, wodurch eine ungeheuere Volksmasse zusammengezogen wurde. Hier gelobte man sich unerschütterliche Verfolgung der czechischen Sache und die Masse zog gegen Mittags 12 Uhr in die Stadt zurück, zunächst vor die Wohnung des Kommandanten, um daselbst wahrscheinlich eine Katzenmusik zu bringen. Die Grenadiere, welche bereits im Hofe konsignirt standen, brachen zum Thor heraus und suchten die Menge zu zerstreuen, und es kam hier schon zum Handgemenge. Auch in den Straßen stießen Volk und Militär hart an einander und auf mehreren Seiten sah man Barrikaden erbauen. Der Kommandant Fürst Windisch-Grätz ließ jetzt Allarm schlagen und gab bis vier Uhr Zeit, die Barrikaden wieder abzutragen. Allein der Tumult steigerte sich von Minute zu Minute, die Barrikaden wurden noch vermehrt, und ein Haufe Pöbel schoß gegen die Wohnung des Fürsten Windisch-Grätz, wobei die Fürstin, am Fenster stehend, am Kopfe verwundet wurde. Jetzt ließ der Fürst anrücken, die Kanonen vorfahren, und eine fürchterliche Kanonade begann, welche von Nachmittags 5 Uhr bis Abends 10 Uhr unter fortdauerndem Kampfe auf beiden Seiten unterhalten wurde. Früh nach 5 Uhr soll der Kampf, der die Nacht über unterbrochen gewesen, sich von neuem wiederholt haben, und es scheint sich dies auch insofern zu bestätigen, als die Post, welche gestern früh um 7 Uhr aus Prag abgehen sollte, nicht eingetroffen ist. Der Aufstand in Prag sollte durch Allarmfeuer dem Lande mitgetheilt werden, und am zweiten Pfingstfeiertag Abends waren alle höhern Berge beleuchtet.
Weitere Nachrichten melden, daß auf die Signalfeuer von den Bergen die Bauern aus der ganzen Umgegend nach der Stadt strämten. Die Arbeiter, Fleischergesellen u. s. w. schlugen von innen alsbald sämmtliche Thore ein, so daß die Bauern von allen Seiten eindrangen. Um 5 Uhr Morgens hörten die auf dem Dampfschiff abfahrenden Flüchtlinge und Fremden heftiges Geschützfeuer. Das Blutbad, welches der Fürst Windischgrätz mit seinen Kartätschen eröffnet hat, wird die Wuth der Czechen voraussichtlich auf das Höchste getrieben haben; über den Ausgang kann man natürlich in diesem Augenblick keine Muthmaßungen anstellen.
@xml:id#ar017b_004_c
@typejArticle
@facs0075
Edition: [Friedrich Engels: Kleines Gefecht bei Hadersleben - Räumung von Apenrade durch die Deutschen - Besetzung durch die Deutschen. In: MEGA2 I/7. S. 129.]
[ * ] Rendsburg, 13. Juni.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Italien.
@xml:id#ar017b_005
@typejArticle
@facs0075
[ 7 ] Liverpool, 12. Juni.
In der Nähe von Liverpool hielten gestern die dortigen Chartisten ein Meeting unter freiem Himmel ab, um einerseits gegen Lord J. Russel's Erklärung: das Volk wolle keine Parlamentsreform, und andererseits gegen die Verfolgung Mitchell's feierlich zu protestiren. Thomas Jones beantragte die erste Resolution. „Dieses Meeting,“ sagte er, „ist berufen worden um kund zu geben, ob Lord John Russell ein Lügner ist oder nicht (tausendstimmiger Ruf: „Er ist ein Lügner!“ ‒ he is a liar!) In Begründung seines Antrags sprach er sich unter Andern, wie folgt aus: „Will das Volk zu seinem Ziele kommen, so muß es erst seine Unterdrücker und die freiwilligen Werkzeuge derselben aufs Tiefste hassen lernen. Ich fordere die Anwesenden auf, sich zu organisiren und Brigaden zu bilden. So lange wir kein Stimmrecht haben, sind wir Sklaven und so lange dieser Zustand dauert, werde ich sorgen, daß in mir und Anderen die Unzufriedenheit geweckt und vergrößert werde.“ Er stehe jetzt vor ihnen als der Apostel der Unzufriedenheit. Seien erst Alle unzufrieden, so laßt sie dann allesammt an Einem Seile ziehen und das ganz morsche Gebäude wird zusammenstürzen. (Lauter Beifall.) Nichts Gutes könne je erreicht werden, so lange nicht die Mittelklasse über den Haufen geworfen; für das Volk Englands sei überhaupt vor Durchführung des Kommunismus keine Hoffnung vorhanden etc. etc.“ Die weiteren Resolutionen wurden von H. Smith und und Dr. Reynolds beantragt und begründet, von andern Chartisten energisch unterstützt und schließlich einstimmig angenommen.
Großbritannien.
@xml:id#ar017b_006
@typejArticle
@facs0075
[ ** ] Manchester, 11. Juni.
Wie die Baumwollenlords die Zehnstundenbill zu umgehen und ihre Wirkungen aufzuheben wissen, davon kam wiederum in diesen Tagen ein schlagendes Beispiel vor. Bekanntlich ist die Zehnstundenbill mit dem 1. Mai d. J. in Kraft getreten. Von da ab soll die Arbeitszeit der „Kinder“, der „jungen Leute“ beiderlei Geschlechts und der Frauen in keiner Fabrik mehr als 10 Stunden täglich betragen. Dadurch sollte den Fabrikarbeitern jeden Alters und Geschlechts Zeit zu geistiger und körperlicher Erholung und Ausbildung werden. Durften „Kinder“, „junge Personen“ und „Frauen“ nicht länger als 10 Stunden arbeiten, so galt das, wie man voraussah, auch für alle übrigen Fabrikarbeiter, da die Fabrik stille stehen muß, so wie auch nur ein kleiner Theil der darin Beschäftigten, seien dies nun kleine Kinder oder erwachsene Frauen, aufhört zu arbeiten.
Um nun durch die Bestimmungen der Zehnstundenbill nichts von ihrem bisherigen Profite zu verlieren, ersannen die Fabrikanten ein Mittel, wodurch scheinbar dem Gesetze genügt, in der Wirklichkeit aber ihm Hohn gesprochen würde. Die Herren Fabrikanten richteten demnach Relai's ein. Sie theilten alle diejenigen Arbeiter, die durch das Zehnstundengesetz direkt betroffen worden, in 10 Sektionen ein, mit der Maßgabe, daß jede Sektion, während die Maschienerie am Lauf bleibe, eine Stunde lang die Arbeit einstellt. Dadurch erreichen sie, daß die Maschinen und die erwachsenen männlichen Arbeiter täglich 11 Stunden beschäftigt sind, während jede Sektion der Kinder, jungen Leute und Frauen nur 10 Stunden arbeitet. Einige der Herren waren zwar wegen dieser Manöver in Esse und Leicestershire zu Strafen verurtheilt worden. Jetzt haben aber die Herren Jones, Gebrüder & Comp., in Bedford bei Leig (4 Stunden von hier), die mit zu den größten Fabrikanten gehören und ganz in der obigen Weise verfuhren, ein freisprechendes Urtheil erlangt, und nun herrscht Jubel unter den Baumwolllords. Welchen Eindruck dieser Ausspruch der „petty sessions“ in Chowhent auf die gesammte Arbeiterbevölkerung hervorgebracht hat, braucht keiner weitern Auseinandersetzung. Wie gesetzlich die Friedensrichter der petty sessions dabei verfuhren, zeigt § 26 des Zehnstundengesetzes, wonach „die Arbeitsstunden der Kinder und jungen Leute in Fabriken gewohnt werden soll an der Stunde an, wo irgend ein Kind oder junge Person des Morgens in der Fabrik zu arbeiten anfängt.“
Die Friedensrichter von Chowhent in Lancassire, selbst Fabrikanten oder Freunde und Verwandte von Fabrikanten, geniren sich nicht im Mindesten, dem Gesetz geradezu in's Gesicht zu schlagen.
Handels-Nachrichten.
gap: insignificant
@typeimprint
@facs0075
Der Gerant, Korff.
Druck von W. Clouth, St. Agatha Nro. 12.