[0607]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 121. Köln, Freitag den 20. Oktober. 1848.
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Uebersicht.
Deutschland. Köln. (Antwort Friedrich Wilhelm IV. an die Deputation der Bürgerwehr). Wien. (Die Deputation an den Kaiser. ‒ Zustand in Wien. ‒ Jellachich's Stellung. ‒ Die Cernirung und Aushungerung Wiens. ‒ Böhm. Hüfner. ‒ Wickenburg. ‒ Reichstagssitzungen. ‒ Schreiben des Banus. ‒ Betragen der deutschen Gesandten). Olmütz. (Truppenmärsche gegen Wien. ‒ Die Eisenbahnbeamten. ‒ Eine Proklamation von Windisch-Grätz. ‒ Der Kaiser. ‒ Die Studenden). Prag. (Eine Kundmachung) Frankfurt. (National-Versammlung). Berlin. (Die Vorfälle in Berlin und die Feier des königl. Geburtstags. ‒ Vereinbarungssitzungen. ‒ Militair um Berlin). Düsseldorf. (Militairisches). Minden (Militairisches). Liegnitz. (Die Liegnitzer Demokraten und Minister Eichmann). Mannheim. (Reichsexekution in Alzei). Hildburghausen. (Dr. Huhn). Schleswig. (Erste Landtagssitzung). Schwerin. (Die Lübecker Philister und das Reichsministerium).
Polen. Lemberg. (Die Russen).
Ungarn. Pesth. (Reichstag vom 10. und 11. Oktober).
Donaufürstenthümer. Bukarest. (Magari. ‒ Das neue Ministerium).
Italien. Turin. (Bewegung in der Lombardei).
Franz. Republik. Paris. (Vermischtes. ‒ National-Versammlung. ‒ Reformbanketts).
Großbritannien. Dublin. (Petition zu Gunsten O'Briens, Duffy und Meagher).
Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Antwort Friedrich Wilhelm IV. an die Deputation der Bürgerwehr, vorgesehen für: MEGA2, I/8. ]
[ * ] Köln, 13. Oktober.
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Wien, 15. Oktober.
Der „Politische Privat-Telegraph“ schreibt: Die nach Gouvernements gewählte und vom Kaiser mit Phrasen abgefertigte Deputation wollte ganz ihre Schuldigkeit gethan haben, ließ sich durch die schlechte entwürdigende Behandlung zu Selowitz nicht zurückschrecken und drang auf eine detaillirte Erklärung; allein vergebens. ‒ Die gestrige Abendsitzung der Reichsversammlung ist die denkwürdigste, die bis jetzt noch Statt gefunden; das Schicksal des ganzen civilisirten Europa's wurde in dieser Sitzung entschieden. Jellachich hat abermals einen Brief an den Reichstag geschickt, der in einem Tone abgefaßt war, der einem kaiserlichen Soldatenführer so geläufig ist. Er verlangte Verproviantirung und Benutzung der Durchfuhr durch die Stadt, er verlangte, daß dem ungarischen Heere das Ueberschreiten der östreichischen Gränze vom Reichstage untersagt werde. Dieser wies das Ansinnen auf's Entschiedenste zurück und forderte den Banus zum Letztenmale auf, entweder die Waffen niederzulegen oder sich zurückzuziehen aus dem östreichischen Gebiete, wohin er wolle. Dieses Ultimatum der hiesigen Reichskammer weckte den stürmischsten Jubel des ganzen Hauses und den Jubel der ganzen Bevölkerung, die vor Begierde brennt, in den Kampf zu gehen für die Freiheit und das Recht. ‒ Der Abgeordnete Löhner sucht noch immer eine Audienz. ‒ Die Adresse wegen des Völkerkongresses ist durch eine Deputation bereits an den Kaiser geschickt.
Der Landsturm wird mit aller Emsigkeit und Kühnheit organisirt; er ist in verschiedenen Gegenden sogar fertig und harrt eines Winkes, um loszubrechen. Ganz besonders entflammt für die Sache der Wiener ist die Provinz Steiermark, auch Mähren zeigt die wärmsten Sympathien. ‒ Von Prag ist gestern keine Post gekommen und man vermuthet einen Aufstand daselbst hinter dem Rücken des Fürsten Windischgrätz. ‒ Es bedarf aller Anstrengung von Seiten der leitenden Behörden, um das kampflustige Volk von einem Ausfalle auf die Feinde vor den Thoren der Stadt zurückzuhalten. Es werden mobile Garden gebildet, die mit 20 oder 25 Kr. täglich honorirt werden. ‒ Die Leitung des Heeres bei einem Angriffe auf freiem Felde, der morgen von unserer Seite Statt finden soll, ist dem berühmten Volksgeneral Böhm, der bereits hier ist, anvertraut. Die mobile Garde und diejenigen, die ohne Gehalt im Freien mitkämpfen wollen, sind im Belvedere und im Schwarzenberg Garten postirt. Der Angriff auf die Kroaten soll von 2 Seiten geschehen durch die Ungarn und durch die Wiener; die ersteren haben seit heute Nacht ein festes Lager in der Schwachat bezogen. In der Stadt herrscht die größtmöglichste Ordnung, Gesetzlichkeit und Entschlossenheit.
P. S. Der Postabgang ist geändert, die Briefe gehen schon um 2 Uhr ab.
Geschrieben im Hauptquartier im Belvedere.
Die meisten Drucker sind unter Waffen.
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Wien, 14. Okt.
Jellachich hat sich während der verflossenen Nacht mehr nach dem Kahlengebirge zu ausgedehnt. Ohne Zweifel geht seine Absicht dahin, das Donau-Ufer zu gewinnen, um die Stadt von dieser Seite einzuschließen. Der heranrückende Windischgrätz würde sich am linken Donau-Ufer anschließen, und einen Halbkreis bis zur Donau unterhalb der Stadt bilden, wodurch eine vollständige Cernirung Wiens zu Stande käme. So hören wir heute argumentiren.
Die bei Weitem größte Mehrzahl unserer Mitbürger weiß recht gut, daß ein Einschließen Wiens von einer so geringen Truppenmacht, schon strategisch betrachtet, eine Unmöglichkeit; aber es gibt doch noch Viele, die daran glauben, und im Geiste schon alle Zufuhren von Lebensmitteln abgeschnitten sehen. Es ist daher unsre Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, daß unter allen Umständen die Kommunikation mit Ungarn, dem reichen Kornlande, offen bleiben wird, dafür bürgt uns die heranrückende ungarische Armee. Selbst eine Theuerung der Lebensmittel ist nicht zu befürchten, da die Vorräthe in Folge des seit einiger Zeit ins Stocken gerathenen Verkehrs mit Ungarn, sich dort beträchtlich vermehrt haben, die nun in Masse ihren Weg nach Wien nehmen werden. Die Zufuhren der Landleute aus der Umgegend werden allerdings spärlicher eintreffen, diese stehen jedoch größtentheils als Bedürfnisse erst in zweiter Reihe und deren Abgang für kurze Zeit kann uns daher nicht so fühlbar treffen. An Getraide und Mehl, Schlachtvieh, Wein u. s. w. werden wir keinen Mangel haben, und alle Befürchtungen in dieser Beziehung sind um so mehr als völlig unhaltbar zu betrachten, als die Vorräthe in der Stadt selbst noch für längere Zeit ausreichen.
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Wien, 14. Oktbr.
Morgens. Gestern Nachmittag war Jellachich mit 1500 Mann Gefolge in Rodaun angesagt. Wie lange er daselbst bleiben werde, war nicht bekannt. In dem Orte Mauer wurde von 50 Sereschanern (Rothmäntler) Quartiere gemacht. Im Schönbrunner Garten sind vom Rosenhügel her bei 3-4000 Kroaten eingerückt. Bei Fünf- und Sechshaus steht die kampflustige Garde dieser Ortschaften. Militär und Volk haben nun Gelegenheit, einander gut zu betrachten. Aus den Bewegungen Jellachichs geht hervor, daß er seine Truppen immer weiter am Fuße des Kahlengebirges über Dornbach, Währing gegen Nußdorf hinzuzuziehen trachtet. Die militärische Besatzung des Pulverthurmes auf der Türkenschanze hat nach aufgefangenen Briefen den Befehl, vor der Uebergabe denselben in die Luft zu sprengen. Wer weiß, was geschehen dürfte, wenn die Cernirung Wiens vollendet sein wird? Will man uns aushungern? Dieses dürfte jedoch schlecht gelingen, weil, wie man hörte, in Böhmen und Mähren die deutschen Kreise im Rücken des nach Wien aufgebrochnenn Windischgrätz sich erheben, und ihn dadurch zwingen, dort zu bleiben wo er ist. Daß sich der Landsturm im Egerer, Gaazer, Ellbogner, Leitmerizer Kreise Böhmens, so wie im Ollmützer, Troppauer und Teschner Kreise erheben werde, um nöthigen Falls Wien zu Hülfe zu ziehen, ließ sich mit Zuversicht erwarten.
Die Landleute, welche aus, von Kroaten besetzten Dörfern nach Wien kommen, versichern, daß diese alle ihre Lebensmittel, welche sie für ihre Person benöthigen, bezahlen, und zwar mit lauter östreichischem Pagiergelde.
Anständig gekleidete Personen aus Wien dürfen die von Kroaten und Auerspergs Truppen besetzten Orte, passiren, aber sie dürfen keine Stürmer tragen und keinen weißlodigen Rock (Steirer) anhaben. Daß auch keine Gardenuniformen gern gesehen werden, versteht sich von selbst. Die deutschen Truppen haben die hinterste und von Wien entfernteste Stellung inne, während in Inzersdorf nur slavische Truppen kantonirt sind.
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Wien, 14. Oktbr.
Heute sind abermals kleine Zuzüge aus Grätz und Umgegend erfolgt und sollen denselben im Laufe des Tages 1000 bis 1500 Mann folgen.
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Wien, 14. Okt.
General Böhm, bekannt aus dem polnischen Befreiungskriege, ist in Wien angekommen und beim Oberkommando eingetreten. Freiwillige kommen fortwährend aus allen Provinzen an. Die Flucht vieler Beamten scheint namentlich auf den Betrieb der Post nachtheilig zu wirken. Der Redakteur der „Konstitution“ ist bei Stein verhaftet und nach Olmütz geführt worden. Hier befinden sich dagegen von ausgezeichneten Gefangenen die Generale Recsey, Bacari und Franck. Daß General Graf Wisemburg von Steiermark sich für die Sache Wiens erklärt hat, macht allgemein günstigen Eindruck. Aus Polen sind Truppen im Anzuge, in ihrem Rücken erhebt sich, nach eingelaufenen Berichten, das Volk.
[(A. Oest. Z.)]
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Wien.
Sitzung des konstituirenden Reichstags am 14. Oktober.
Die Sitzung beginnt um halb zwölf Uhr.
Der Präsident eröffnet das Ergebniß des Serutiniums zur Wahl der Schriftführer; Gleispach und Motika sind mit Stimmenmehrheit gewählt.
Wiser und Gleispach verlesen gestrige Protokolle, welche angenommen werden.
Der Präsident theilt mit, daß die an Se. Maj. abgegangene Deputation bereits zurückgekehrt sei. Peitler erstattet den Bericht. Sie haben den Kaiser in Selowitz getroffen und wurden vor den Kaiser in Gegenwart Erzherzogs Franz und Fürst Lobkowitz gelassen. Abg. Schmitt überreichte die Adresse, Se. Maj. übersah sie flüchtig und las eine Antwort, welche dem vom Minister Krauß nicht kontrasignirten Manifeste ähnlich war. Hierauf zog sich der Kaiser zurück und die Deputation hatte keine Gelegenheit zu sprechen.
Fürst Lobkowitz versicherte noch, daß die Feldherren nicht angreifen werden.
Die Deputation, die ihre Mission und ihre Fragepunkte nicht erledigt hielt, reichte ihre Fragen schriftlich ein, erhielt aber keine Antwort und reiste daher ab.
Reitler erzählt ferner, daß die Deputation im Hofe auf dem kalten Pflaster, neben den Garden warten mußte, worüber selbst die Garden entrüstet waren. Die Deputation legt die Schuld dem Grafen Lazanski bei. Die vollste Entrüstung gebührt einem unverbesserlichen Büreaukraten wie Lazanski. Einem andern Volke eine ähnliche Schmach angethan, und die moralische Vernichtung eines so geistig Blinden, der die hohe Volkssouveränetät mißachtet, würde folgen. Wir sehen abermals, in welchem Netze noch die Provinzen fest eingesponnen sind und das erste Werk der Ruhe wird und muß sein, es zu zerreißen und die Provinzen von dem Absolutismus in veränderter Form endlich frei zu machen.
Peitler bemerkt nur noch, daß die Umgebung des Kaisers eine ganz militärische sei. Wir können nun denken, welche Richtung Se. Maj. erhält, und von welchem Standpunkte aus die Ereignisse geschildert werden.
Beim Berichte hatten die Deputirten Mühe, ihren Unmuth zurückhalten, und die Resignation war wirklich eine schwere.
Schuselka sollte Bericht vom Ausschusse erstatten. Da aber im selben wichtige Verhandlungen in demselben Momente gepflogen wurde, wurde auf dessen Antrag die Sitzung bis 3 Uhr vertagt.
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Wien.
(Abendsitzung des konstituirenden Reichstags vom 14 Oktober. Eröffnung halb 5 Uhr.)
Schuselka berichtet vom Ausschusse. Es sind mehrere erfreuliche Versicherungen von Außen zugekommen, Wien mit Gut und Blut beizustehen. Stadt Steyr in Oberösterreich stellt seine Garde zur Verfügung. Aus Troppau ist eine Adresse eingelangt, das bewaffnete Volk wartet nur auf den Befehl. Die Neutitscheiner Garde ist ebenfalls jeden Augenblick bereit, Hadersdorf hat seine vollsten Sympathieen ausgedrückt. Vom Ausschusse der Studenten ist eine Zuschrift an den Reichstag ergangen. Sie ermahnen zum energischen Auftreten gegen die Feinde vor dem Thore.
Pillersdorf, der von den Vorposten des Militärs beim Hereinfahren in die Stadt angehalten wurde, und im Hauptquartier erst die Erlaubniß zum Hereinfahren holen mußte, hatte von daselbst auch ein Schreiben an den Reichstag mitgebracht, von Jellachich und Auersperg unterschrieben. Sie wollen, daß man das ungarische Heer nicht heranlasse, wollen auch die Zufuhr von Lebensmitteln nicht hindern, wenn man die in Wien zurückgelassenen Militäreffekten ihnen ausliefern will und ihnen erlaubt, auch ihre Bedürfnisse aus der Stadt zu holen. Ebenso wird die Auslieferung des gefangenen „Ministers“ Recsatz gefordert.
Der Ausschuß, der schon des Correspondirens müde ist, will noch ein Schreiben ins Lager ergehen lassen. Schuselka liest es vor. Es wird darin das Handeln des Ban mit seinen Worten in Vergleich gebracht. Wie der Vergleich ausfällt, läßt sich denken. Der Reichstag kann nur dann die ungarische Armee, die geschworen, den Ban zu verfolgen, wohin er geht, aufhalten, wenn der Ban sich mit seinen Truppen schleunigst und friedlich in seine Heimath begibt. Er wird hierzu aufgefordert, sowie alle abgenommenen Waffen zurückzugeben, wo nicht, der Reichstag mit aller Kraft protestiren wird und das Verhängniß seinen Lauf nimmt.
Das Schreiben ist in sehr bündigem und energischem Style ab [0608] gefaßt, und wurde in seinen einzelnen Theilen als wahrhafter Ausdruck des Volkswillens jubelnd begrüßt.
Goldmark will, da in der Zuschrift Auersperg und Jellachich zugleich unterschrieben sind, daß man die Antwort nur an Auersperg richte, denn dieser ist Kommandirender von Niederösterreich, und Jellachich unterstehe ihm.
Podhotzki beantragt einige Verbesserungen.
Pillersdorf will, man möge einige Zugeständnisse machen, einen Tag mit der Antwort warten, und bis dahin eine Prüfungskommission ernennen. (Lautes Murren).
Goldmark ist entschieden dagegen. Die Stadt hat sich nicht nur friedlich verhalten, sondern sogar noch Proviant geliefert. Von Unterhandlungen könne hier nicht die Rede sein, man müsse das Damoklesschwert nicht nur Wiens, sondern der Monarchie endlich fallen machen.
Der lebhafteste Beifall bezeugt, daß Goldmark aus der Seele des Volkes gesprochen.
Smrecker erklärt sich eben so entschieden gegen dieses Zuharren.
Fedorowitsch stellt dar, wie der Reichstag seit Beginn der Ereignisse immer legal war und pazifizirend auftrat. Als man den Kriegsminister über Jellachichs Truppen interpellirte, sagte er, dies sei eine fremde Armee. Nun kommt diese fremde Armee auf fremden Boden, und zwingt sogar zur Verpflegung. Was muß geschehen, wenn eine Armee auf neutralen Boden kommt? Sie muß die Waffen niederlegen. Dies ist völkerrechtlich und überall, ja sogar in Oesterreich 1830 mit einer fremden Armee geschehen. Jellachich muß sich entwaffnen, wenn nicht auf andere Weise sein Recht suchen.
Wir haben unter uns einen Kaiser gehabt, ein Ministerium, jetzt sind beide nicht da, aber wir sind geblieben, treu unserer Pflicht!
Außerordentliche, lebhafte Acclamation.
Wir haben Alles gethan; es hätte dem Kaiser nur einen Federzug gekostet, Friede zu machen, es ist nicht geschehen; unsere Deputation wurde kaum angehört; unsere Pflichten sind erfüllt, nun komme das Blut, das fließen sollte, über Jene, die es absichtlich hervorrufen wollen. Er ist für die Annahme des Schreibens.
Fedorowitsch wurde für seine gedrungene und wahrhaft treffliche Rede mit den anerkennendsten Zurufen der Kammer belohnt.
Das Schreiben wird mit einer von Goldmark beantragten Aenderung angenommen.
Umlauft beantragt alsogleiche Kundgebung an die Bevölkerung. Angenommen.
Schuselka sagt noch, daß der Ausschuß die Ueberlieferung des Baron Recsay für jetzt nicht gut halte, und zwar zu dessen eigenen Sicherheit. Derselbe befindet sich in Verwahrung der akademischen Legion und wird mit aller Rücksicht behandelt, so wie er sein Wohlbefinden im Convictsgebäude auch brieflich seiner Familie gemeldet hat.
Würde man ihn ins Lager abführen, so ist ein Ausbruch der Volkswuth zu fürchten, den man eben zur Sicherheit der Person des Barons hinanhalten will.
Präsident Smolka richtet nun ernste Worte an die Versammlung. Er ermahnt, wie wichtig nach solchen Beschlüssen das Wirken jedes einzelnen Mitgliedes sei, und fordert zur Thätigkeit, zum pünktlichen Erscheinen auf. Er kann auch anzeigen, daß viele Mitglieder, die sich am Anfange der Bewegung durch falsche Auffassung der Ereignisse entfernten, wieder rückkehren werden.
Wir glauben auf den ernsten Mienen der Deputirten den Schwur geschrieben gesehen zu haben, auf ihren Sitzen zu bleiben, wenns Noth thut auch zu sterben! Sie werden ihn halten, so hoffen wir, so hofft die Welt!
Ein Abg. Will auch die Ingenieurakademie unter den besonderen Schutz des Reichstags gestellt wissen.
Fedorowitsch antwortet, daß der beste Schutz, wie es sich glänzend erweist, der des Wiener Volkes sei und es keines andern bedarf. Lebhafter Beifall.
Der Abg. zieht seinen Antrag zurück, umsomehr, da ein allgemeiner Schutz bereits ausgesprochen ist.
Die Sitzung wird, da kein anderer Gegenstand vorliegt, aufgehoben (5 Uhr) Eröffnung morgen 10 Uhr.
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Wien.
(Vom Banus ist folgende Zuschrift an den Reichstag gekommen.) Hoher Reichstag! Aus der Antwort, welche ich gestern die Ehre hatte an Se. Excellenz den kommandirenden Grafen Auersperg, aus Anlaß einer, von Seite des hohen Reichstages an denselben gerichteten und zweifelsohne von demselben bereits erwiederten Zuschrift zu geben, wird der hohe Reichstag die Motive, welche mich vor die Mauern Wiens geführt haben, zuverlässig mit Beruhigung entnommen haben. Ich erlaube in diesem nur noch die bestimmteste Erklärung hinzu zu geben, daß es mir eben so sehr meine eigene innigste Ueberzeugung als meine Stellung zur heiligsten Pflicht macht, die freien Institutionen unseres Vaterlandes nicht allein nicht anzutasten, sondern mit allen meinen Kräften zu schützen. Mein jetziges Verhältniß zur herrschenden Partei in Ungarn ist ja eben der Beweis für mein Streben nach Gleichberechtigung und gesetzlicher Freiheit.
Die Anarchie, die rohe Gewalt ist ein Fluch für alle Völker, und diese zu bekämpfen ist eines jeden Staatsbürgers Pflicht, und in diesem Sinne biete ich mit aller Energie des Willens und der That jeder gesetzlichen Gewalt meine Hilfe an. Der hohe Reichstag erlaube mir am Schlusse noch die Bemerkung, wie bedauerlich es wäre, wenn bei einem etwaigen Ueberschreiten der österreichischen Gränze durch die magyarischen Truppen die Gegend um Wien der Schauplatz eines blutigen Kampfes und Wien selbst den Gräueln eines verderblichen Krieges preisgegeben würde, den ich im Interesse der Menschheit und des österreichischen Gesammtvaterlandes so gerne vermieden und einen Frieden herbeigeführt wissen möchte, der auf feste Garantieen gestützt im Stande wäre, Ruhe, Ordnung und gesetzliche Freiheit, somit das glückliche Gedeihen des Kaiserstaates und aller seiner Theile unter dem Zepter unseres konstitutionellen Kaisers und Königs bleibend zu sichern.
Hauptquartier Roth-Neusiedl, den 13. Oktober 1848.
Jellachich, Feldmarschall-Lieutenant und Van.
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Wien, 14. Okt.
Die A. Oestr. Z. macht folgende Bemerkung über die deutschen Gesandten: „Merkwürdig ist das Verhalten der hiesigen Gesandten deutscher Staaten. Fühlen diese Herren nicht, was ihre Pflicht ist, wissen sie nicht, daß sie Wien als deutschen Boden zu erklären und das Schwerdt des vereinigten Deutschlands in die eine Wagschale zu werfen haben, wenn in der andern die ganze Slavenwelt sich hineindrängt? Der preußische, baierische, sächsische Gesandte müssen von ihren Höfen schon Befehle erhalten haben ‒ wie lauten sie?“
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Olmütz.
Von allen Seiten strömen Truppenmärsche gegen Wien. Böhmen hat seinen Contingent gestellt. Auch aus Galizien, zumal aus dem Krakau'schen marschirt das Militär bereits ab. Die Eisenbahnbeamten verweigern jede Beförderung des Militärs, als der Anordnung des Reichstags zuwidrrlaufend. Sie geben nur der Gewalt nach, und lassen sich dann ein Certificat ausstellen, daß sie gezwungen worden sind. ‒ Da eine hohe Militairperson die Ausstellung eines solchen Certificates nicht verantworten zu können glaubte, mußte das Regiment Khevenhüller von Olmütz aus, seine Märsche zu Fuß fortsetzen.
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Olmütz.
Proklamation. Die letzten Ereignisse in Wien beweisen leider einen Zustand böswillig hervorgebrachter Aufregung, welcher alle Ordnung stört, den Gesetzen Trotz bietet und es unmöglich macht, Verfassung und Gesetze angemessen auszuarbeiten und das Eigenthum zu sichern. Dieser Zustand erfordert im Interesse eines jeden Staatsbürgers eine baldige Beendigung, die nur durch kräftige Maßregeln herbeigeführt werden kann. Die zu diesem Zwecke getroffenen militärischen Vorkehrungen sollen daher keineswegs die von Sr. Majestät unserem allergnädigsten Kaiser verliehenen Rechte schmälern oder rückgängig machen, sondern im Gegentheile jeden Einzelnen im Genuße derselben, und den Staat vor Anarchie schützen. Ich fordere daher alle rechtlich Denkenden auf, jedes hier so unbegründete Mißtrauen zu beseitigen, und durch ruhiges Verhalten die zur Förderung des allgemeinen Wohles unumgänglich nöthigen Maßregeln nicht zu stören. Olmütz, am 11. Oktober 1848. Im Auftrage Sr. Durchlaucht des kommandirenden Herrn Generalen in Böhmen, Fürsten Windischgräz: von Wyß, General-Major. Sunstenau, Feldmarschall-Lieutenant und Festungs-Kommandant.
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@facs0608
Olmütz, 12. October.
Heute zieht eine öffentliche Kundmachung an den Straßenecken Aller Aufmerksamkeit auf sich. Sie lautet: „Nach einem so eben angelangten Schreiben des mährischschlesischen Guberniums v. 10. d. Mts. wird Se. Majestät der Kaiser sein Hoflager auf einige Zeit nach Olmütz verlegen, was hiermit den Bewohnern dieser Hauptstadt zur Kenntniß gebracht wird. Merkandin, Kreishauptmann.“ Der Kaiser sammt dem Hofstaate wird im erzbischöflichen Palais absteigen. Auch die Studenten berathschlagten in der Aula, und es fanden sich viele Entschlossene, die bewaffnet nach Wien ihren Collegen zu Hülfe ziehen wollten. Doch hindert sie daran das Militär, das seit einigen Tagen die Bahn besetzt hält. Wie es während der Prager Pfingsttage geschah, so scheinen auch jetzt die Wachen hier verstärkt zu werden. Die Kanoniere lustwandeln überall mit Gewehren vor ihrem Schilderhäuschen, einige Thore werden schon um 1 Uhr Abends gesperrt, die anderen erst um 10 Uhr. Der Flüchtlinge aus Wien gibt es an allen Stationen in Masse.
[(C. B. a. B.)]
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@facs0608
Prag, 14. Okt.
Bekanntmachung.
Ueber die Ankunft Seiner Majestät in Olmütz hat der Olmützer Kreishauptmann dem gefertigten Vicepräsidenten mittelst einer um 9 Uhr Abends eingelangten telegraphischen Depesche Folgendes mitgetheilt:
„Seine Majestät sind unter dem größten Jubel des Volkes heut um 4 Uhr 15 Minuten Nachmittags in Olmütz eingetroffen. Durch ganz Mähren begleiteten denselben die lautesten Beweise der Liebe, Anhänglichkeit und Dankbarkeit der Städte und der Landleute, denen Se. Majestät selbst versicherten, daß ihnen jene Freiheiten, die die allerhöchste Sanktion erhalten haben, ungeschmälert belassen werden. Der Wagen Seiner Majestät des Kaisers wurde in Olmütz vom Volke gezogen.“
Mecsery, k. k. Gubernial-Vicepräsident.
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@facs0608
[ !!! ] Frankfurt, 17. Oktober.
Präsident Simson. ‒ Anfang um 1/2 10 Uhr. ‒
Die Bänke der Abgeordneten, sowie Tribünen und Gallerieen sehr leer. Als Curiosum theile ich Ihnen mit, daß um 9 Uhr (der Beginnzeit der Sitzung) 9 Abgeordneten im Haus sind. ‒ So ist es täglich. Die Tagesordnung (welche nichts Interessantes bietet) ist Folgende:
1) Berathung über den vom Abgeordneten Dröge, Namens des volkswirthschaftlichen Ausschusses, erstatteten Bericht über die von den Vorstehern der Kaufmannschaft in Stettin Stolp etc. eingegangenen Petitionen.
2) Berathung über den von Abgeordneten v. Buttel, Namens des Prioritäts- und Petitionsausschusses, erstatteten Bericht über den Antrag des Abgeordneten Bresgen, die Stellung der Abgeordneten betreffend.
3) Berathung über den vom Abgeordneten Adams, Namens des Prioritäts- und Petitions-Ausschusses, erstatteten Bericht über eingekommene Adressen, die Beschlüsse der Reichsversammlung betreffend.
4) Berathung über den vom Abgeordneten Rödinger, Namens des Prioritäts- und Petitions-Ausschusses, erstatteten Bericht, wegen der Staatsschuld des ehemaligen Königreichs Westphalen.
5) Berathung über den vom Abgeordneten Gustav Fischer, Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung, erstatteten Bericht über mehrere Anträge auf Abänderung des §. 41 der Geschäftsordnung, die Art der Abstimmung betreffend.
Vor der Tagesordnung.
Schlössel reklamirt gegen das Protokoll: „Die Außerung Schmerlings, die er gestern am Schluß seiner Rede mitgetheilt, nehmlich „diese Canaille müssen wir herausschaffen“ (auf Schmidt von Lowenberg deutend) müsse in's Protokoll aufgenommen werden. ‒ Es erhebt sich hierüber eine heftige Debatte zwischen Schlössel, Biedermann, Bassermann, Simon von Trier, von Braning. ‒ Herr Schlössel weicht endlich dem Toben der Versammlung, und erklärt mit Ruhe, auf die Aufnahme der Außerung in's Protokoll zu verzichten, da die Versammlung dagegen sei. ‒ Zachariä will in's Protokoll aufgenommen: Die Außerung von Vogt gegen Schmerling: „Solche Streiche möge er künftig unterlassen.“ (S. gestr. Sitzung.) Zugleich spricht Zachariä seine Verwunderung darüber aus, daß Vogt nicht zur Ordnung gerufen worden ist.‒
Vogt vom Platz: „Ich wünsche auch, daß diese meine Aeußerung zu Protokoll genommen werde.“ (Ungeheure Heiterkeit.)
Präsident theilt mit, daß ein Volksschullehrer-Congreß sich in Frankfurt konstituirt hat, der demnächst seine Sitzungen mit der Berathung über Artikel IV der Grundrechte beginnen wird. (Gelächter!)
Mehrere Berichte werden zum Druck angezeigt.
Auf einen Antrag Plathners wird der Central-Legitimationsauschuß ermächtigt, den neu eintretenden Abgeordneten auf Grund der von denselben zu überreichenden Wahlurkunden, den vorläufigen Eintritt in die National-Versammlung zu gestatten. ‒
Benedey und Viele stellen den dringlichen Antrag: „Alle deutschen, jetzt in Frage gestellten, Interessen in Oestreich in Schutz zu nehmen. ‒ Alle deutschen Truppen Oestreichs nur dem Reichstag und den verantwortlichen Ministern zur Verfügung zu stellen, endlich die Reichskommissäre mit Ausführung dieser Anträge zu beauftragen. ‒
Zell beantragt, den Venedeischen Antrag einer Kommission von 15 Mitgliedern zu übergeben, die über diesen Antrag, und über die östreichischen Angelegenheiten uberhaupt in kürzester Frist berichte und Anträge stelle. ‒
Zur Begründung seiner Anträge erhält Benedey mit 162 Stimmen gegen 155 das Wort nicht. ‒ (Also 317 Abgeordnete sind anwesend.)
Zell erhält das Wort zur Begründung der Dringlichkeit.
Zell empfiehlt seinen Antrag. Benedey: Ehe die Kommission ihre Entscheidung geben wird, wird Oestreich slawisch sein. ‒ Deshalb möchte man wenigstens der Kommission aufgeben, binnen 24 Stunden zu berichten.‒ In Malmö sei man zu spät gekommen, man möchte es in Wien verhüten.(Bravo !)
Die Versammlung erklärt den Antrag von Zell für dringlich und gleich zu diskutiren.
Vinke, hält es für unmöglich, jetzt über die östreichischen Angelegenheiten in der Versammlung einen Beschluß zu fassen, es sei vorläufig mit den ministeriellen Anordnungen vollkommen genug geschehen. ‒ Wir haben der Centralgewalt die vollziehende Gewalt gegeben, und müssen ihr im vorliegenden Falle freie Hand lassen. ‒ Es sei eine totale Verkennung des konstitutionellen Princips, wenn die Versammlung Alles selbst in die Hand nehmen, und das Ministerium bloß zu einer ausführenden Kommission machen wolle. (Schwaches Bravo.)
Beckerath, Minister. Das Ministerium verkennt nicht, die hohe Bedeutung der Wiener Ereignisse. Die Versammlung solle allerdings ihre Theilnahme an ihnen durch irgend einen Beschluß an den Tagen legen. Dies sei keineswegs dem konstitutionellen System entgegen. (Bravo.) Gegen die Errichtung eines (nach Zell beantragten) Ausschusses habe das Ministerium nichts zu erinnere. ‒
Die Diskussion wird geschlossen. Der Antrag von Zell (s. oben) wird angenommen. Das Zusatz-Amendement von Benedey, „daß die Kommission binnen 48 Stunden berichte,“ wird verworfen. Es frägt sich nun, welche Kommission damit betraut werden soll. Man beschließt eine neue Kommission dazu zu wählen. An dieselbe Kommission geht eine Erklärung des Vereins der Deutschen in Oesterreich, die gegen Jellachich's Ueberschreiten der österreichischen Gränze protestirt
Tagesordnung.
Ueber Nro. 1 (s. oben) geht man zur motivirten Tagesordnung über.
Nro. 2 der Tagesordnung.
Bresgen beantragt: Jeder Abgeordnete zur deutschen National-Versammlung, welcher nach seinem Antritt ein Amt etc. bei der Centralgewalt oder sonst ein Amt annimmt, hat sich einer neuen Wahl zu unterwerfen.
Hierzu gehören viele Verbesserungsanträge. Der Ausschußbericht tritt Bresgens Antrage bei.
Rösler von Dels: Schon längst sei es in konstitutionellen Staaten als Prinzip anerkannt, daß im Falle eines Amtsantrittes nach dem Eintritt in eine Kammer sich der Abgeordnete einer Neuwahl unterzieht. Als Zusatz beantragt er zu erklären: „daß die Stellung eines Beamten der Centralgewalt mit der Stellung eines Abgeordneten zur National-Versammlung unverträglich sei.“
Kolb aus Speyer spricht sich dagegen aus, in den hier vorliegenden Fällen Neuwahlen vorzunehmen.
Eisenmann spricht sich für das Prinzip der Neuwahlen aus. Es wäre zu wünschen, daß die Beamten der Centralgewalt überhaupt feststehender wären, und sich nicht nach der Majorität veränderten.
Biedermann erklärt zuvörderst, daß wenn ihm seine Wähler ihr Mißtrauen zu erkennen geben würden, er sofort austreten würde. (Bravo.) Dies vorausgeschickt, erklärt er sich gegen ein Gesetz, im vorliegenden Fall Neuwahlen zu veranstalten. Im Verlauf seiner Rede beschuldigt der Redner die Linke, daß gerade von ihrer Partei mehreren Abgeordneten das Mandat gekündigt sei, und dies unberücksichtig gelassen hätten. (Links schreit man so lange: Namen! Namen! bis Biedermann einen sächsischen Abgeordneten für Bamberg (Titus?) und den für Naumburg (Reinstein) namhaft macht.
Siemens ist nicht der Ansicht, daß die Wähler einen wirklichen Ausdruck hätten, um ihre Mandate den Abgeordneten abzuverlangen. Wo dies geschähe, wäre es nur ein künstlich gemachter Akt. Zur Sache selbst, spricht er für den Antrag. (Schluß! Reden!)
Vogt erklärt sich für den Antrag der Minorität des Ausschusses und den Röslerschen Antrag. Es fehlen allerdings dem Ministerium die Fäden, aus denen man Majoritäten spinnt, als z. B. die Korruption, Beamtenheere, Orden, Titel etc., aber dazu wollen wir uns gratuliren. (Bravo! Sehr gut!) Was uns aber gefährlich ist, sind die Partikularinteressen, welche durch die Beamten der Einzelstaaten, die unter uns sitzen, am meisten befördert werden. Anlangend die demokratischen Reformirungen der einzelnen Kammern, so erwiesen sich diese als falsch. Biedermann in seiner Bemerkung über die Mißtrauensvoten hätte sagen sollen, ob die der Linken überschickten Mißtrauensvoten auch von der Majorität der Wähler ausgegangen seien, wie dies bei andern Mißtrauensvoten fast mit Einstimmigkeit vorgekommen. (Man ruft: Namen! und hört von vielen Seiten: Fuchs! Fuchs wird unter Gelächter namhaft gemacht und auf Bassermann sehr deutlich hingewiesen.
Bassermann: Man sage immer von dieser Seite (links), die Centralgewalt sei ohnmächtig, und jetzt wolle man dieser ohnmächtigen Gewalt so viel Kraft zutrauen, daß Stellungen in ihr, die Fähigkeit zum Abgeordneten aufheben. Der Unterstaatssekretair ist natürlich gegen die Neuwahlen. Es sei wahrhaftig traurig, wenn man Männern, die doch früher so ausgezeichnet (wie Bassermann, Jordan etc.), jetzt immer mit Mißtrauen entgegentrete. Er selbst habe noch kein Mißtrauensvotum erhalten, aber wenn dies geschähe, würde er sich nicht wundern, denn die Zeit wäre gekommen, wo man Männer, die man früher vergöttert, jetzt mit Haß verfolgt. (Unterbrechungen links. Beim Schluß klatscht das Centrum wüthenden Beifall.)
Der Schluß der Debatte wird genehmigt.
Biedermann beantragt: In Erwägung verschiedener Dinge, zur motivirten Tagesordnung überzugehen.
Der Antrag ist bedeutend unterstützt.
Rösler und Kalb beantragen über den Biedermannschen Antrag namentliche Abstimmung.
Die motivirte Tagesordnung wird mit 217 Stimmen gegen 156 Stimmen in namentlicher Abstimmung angenommen.
Nro. 3 und 4 der Tagesordnung werden vorläufig zu Gunsten der Nro. 5(s. oben) zurückgestellt. Es handelt sich um Abänderung in den Abstimmungen.
Zu dem Antrage des Ausschusses sind 4 Verbesserungsanträge von Osterroth, Siemens, Moritz Mohl.
Die Anträge des Ausschusses lauten:
„Die Abstimmung findet in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben statt. Ist das Ergebniß nach der Ansicht des Vorsitzenden zweifelhaft, so wird die Gegenprobe gemacht. Giebt auch diese nach der Ansicht der Mehrheit des Gesammtvorstandes kein sicheres Ergebniß, so wird durch weiße und blaue Stimmzettel abgestimmt. Die weißen Zettel bejahen, die blauen verneinen. Jeder Stimmzettel muß, wenn er gültig sein soll, mit der eigenhändigen Namensunterschrift des Stimmenden und der Angabe seines Wohnortes versehen sein. Zur Theilnahme an der Abstimmung ist persönliche Anwesenheit erforderlich. Die Stimmzettel werden in Urnen gesammelt und von den Schriftführern gezählt, sogleich nach Beendigung dieses Geschäfts verkündet der Vorsitzende das Ergebniß der Abstimmung. Nachträglich wird von den Schriftführern eine Stimmliste gefertigt und dieselbe einem der nächsten stenographischen Berichte beigelegt.“
Der Berichterstatter spricht für den Ausschußantrag.
Der Antrag des Ausschusses wird angenommen. (S. o.)
Ein Zusatz-Antrag von Edel: „Diese Art von Abstimmung durch Stimmzettel findet nur dann statt, wenn namentliche Abstimmung nicht verlangt ist, wird angenommen.
ad 3 der Tagesordnung hat der Ausschuß beantragt: „sämmtliche Adressen etc. ‒ ad acta zu legen.“ ‒ Der Antrag wird angenommen.
Punkt 4 der Tagesordnung. (S. oben). In einer ohne alle Theilnahme angehörten Debatte sprechen nurZiegert und der JustizministerMohl und der Berichterstatter Rödinger.
Zum Ausschußantrage werden 3 bis 4 Verbesserungsanträge gestellt. Grävell nimmt seinen Antrag auf Zureden des Präsidenten zurück ‒ Der Antrag des Ausschusses wird aber wieder aufgenommen, und zur Verwunderung des ganzen Hauses, und zum größten Erstaunen des Herrn Grävell angenommen. Derselbe überweist die westphälische Schuldensache dem Justizminister in der Erwartung, daß auch in dieser Sache Niemand beeinträchtigt werden wird.
Scharre. Biedermann habe ihm Mißtrauensvoten in die Schuhe geschoben. Er habe diese Unwahrheit des Hrn. Biedermann widerlegen wollen. Der Vicepräsident habe ihm gegen den Brauch des Hauses und gegen die gewohnte Art und Weise des Präsidenten von Gagern ungerechterweise das Wort hierzu versagt.(Links Bravo).
Simson. Erwidert, daß streng nach der Geschäftsordnung er ein Recht dazu hatte. (Bravo).
Scharre. Er habe die Praxis des Hauses für sich. (Tumult).
Linke. Die Praxis wäre allerdings für Scharre. Es finde überhaupt hierin eine große Unregelmäßigkeit statt. ‒ Die Versammlung erklärt sich mit dem Betragen des Vicepräsidenten einverstanden. ‒ Die Sitzung wird um 2 Uhr geschlossen. ‒ Nächste Sitzung Donnerstag 9 Uhr.
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[ 107 ] Berlin, 16. October.
Als wir heute Nachmittag gegen 2 Uhr die Versammlung der Abgeordneten verließen, wurde in der ganzen Stadt Generalmarsch geschlagen. Es hieß, daß Arbeiterunruhen im Köpnickerfelde, am neuen Kanal, ausgebrochen und auch mehr als dreißig Personen dabei von den Bürgerwehrmännern theils verwundet und theils erschossen seien. Man konnte nichts Genaues erfahren. Ich bewegte mich in der Breitenstraße, als ich in meiner Nähe feuern hörte. Kurz darauf kam aus der Roßstraße ein Bataillon Bürgerwehr in größter Unordnung hervor. Sie hatten ohne alle Veranlassung auf einen Zug der Arbeiter geschossen, welche mehrere Leichen auf einer Bahre durch die Stadt trugen. Dies Verfahren der Bürgerwehr war empörend, denn heute hatten sie augenscheinlich keinen Grund zu schießen. Aber auch im Köpnickerfelde sollen sie ohne allen Grund von der Schußwaffe Gebrauch gemacht haben. Wie man mir eben erzählte, wurde die Bürgerwehr von den Arbeitern mit einem Hoch empfangen und nur einem sogenannten „Mißverständniß“ ist es zuzuschreiben, daß der Befehlshaber der Bürgerwehr voraussetzte, daß die Arbeiter die neu aufzustellende Wasserhebemaschine ebenso wie die am vergangenen Donnerstage wieder zerstören wollten.
Es ist mir noch nicht gelungen, das Nähere des ganzen Hergangs zu erfahren. Alle Läden sind geschlossen und eine Menge Menschen sind auf den Straßen und Plätzen versammelt. Fünf Bahren, auf jeder die Leiche eines erschossenen Arbeiters, werden durch die Straßen getragen und entflammen die Wuth der Arbeiter auf's Höchste. Die Bürgerwehr verhält sich jetzt ganz passiv.
Diese Vorfälle sind sehr zu bedauern und es ist schon vielfach die Vermuthung ausgesprochen worden, daß sie von der Reaktion angeregt sind. Der Zwiespalt der hierdurch zwischen einem Theile der Bürgerwehr und den Arbeitern entstanden, verhindert eine große politische Demonstration die zu morgen vom demokratischen Klub angesetzt war und nun wahrscheinlich unterbleibt. Durch die Wiener Ereignisse war eine neue politische Aufregung hervorgebracht worden, sie sollte benutzt werden; aber dazu wäre die Einigkeit der Arbeiter mit den Bürgern nothwendig gewesen, und diese Einigkeit ist nun für's Erste gebrochen.
[0609]
Diese Arbeiterunruhen kommen den Demokraten um so unangenehmer, als gestern durch die vom Könige auf die Beglückwünschungsreden gegebenen Antworten große politische Mißstimmung hervorriefen.
Während die ganze Bevölkerung Berlin's demnach sich auf den Straßen befindet und unruhig der Dinge erwartet, die da kommen werden, versammelt sich die Vereinbarer-Versammlung um 5 Uhr, um neue Präsidenten zu wählen. Obgleich vor Eröffnung der Sitzung die Herren Vereinbarer nur ausschließlich von den Dingen sprachen, welche außerhalb des Saals vorgingen, hält es doch Niemand der Mühe werth, deshalb die Tribüne zu besteigen. ‒ Wie man hört, sollen heute Nachmittag nach Schluß der Sitzung die Abgeordneten Behrend's und Waldeck sich zu den Arbeitern im Köpenicker Felde begeben haben, um solche dort so viel wie möglich beruhigt haben. Die beiden Abgeordneten sollen sich sogar hinter den daselbst gebauten Barrikaden begeben und zur Herstellung der Ruhe und zur Vorbeugung neuer Mißverständnisse viel beigetragen haben.
Man erzählt, daß die beiden Offiziere der Bürgerwehr, welche heute Feuer kommandirten, die reaktionärsten der Bürgerwehr seien, und dadurch gewinnt das Gerücht, daß die heutigen Ereignisse von der Reaktion provocirt wurden, vollständig Glauben. ‒ Möglicherweise kann die heutige Aufregung noch zu irgend einem günstigen Resultate führen.
Die Abstimmung zur Präsidentenwahl giebt folgendes Resultat: Zahl der Abstimmenden 324. Grabow 231, Waldeck 88, Philips 3, Peterek 1, ungültig 1.
Hierauf schreitet man zur Wahl der Vizepräsidenten und einiger neuen Sekretäre, deren Resultat morgen veröffentlicht wird.
Nachschrift. In der Jacobsstraße haben die Arbeiter Barrikaden gebaut. Sie halten solche besetzt und sind theilweis bewaffnet. Die Bürgerwehr will die Arbeiter nicht angreifen. Die Bewegung scheint nach und nach einen politischen Charakter anzunehmen. Die Arbeiter verlangen Garantie, daß solche Blutscenen nicht wieder vorfallen, und diese Garantie kann ihnen ein Ministerium Pfuel nicht geben.
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@facs0609
[ 14 ] Berlin, 16. Okt.
„ Sie haben nichts vergessen“ und doch ist's anders geworden. Gestern war Königs-Geburtstag. Se. Majestät wohnte dem Gottesdienste im Dome bei; in und vor demselben stand eine gewisse Menge Lakaien und Geheimräthe, die Hoch schrieen. Das Volk war draußen vor den Zelten bei einer Volksversammlung oder schlenderte wie alle Tage durch die Straßen. Keine Fahnen, keine Kränze, keine Schüsse etc. Es war schrecklich kahl.‒ Nachmittags war Festmahl der Patrioten im Kroll'schen Saale: 1500 Gedecke waren bestellt, aber nur 2-300 besetzt. Zum Schutze dieser Ritter stationirten schon seit Samstag Nacht 2 Kompagnien Soldaten im Thiergarten. Der Cavaignac der Marken war auch bei Kroll und die Luft bis Berlin wurde von den tapfern Trinksprüchen erschüttert. Am Abend machte das Geheimrathsviertel einige schwache Versuche, sich zu illuminiren; aber das Toben einiger Kinder genügte, die Lichter zu verlöschen. In der Nacht hörte man viele Schüsse. Der souveräne Lindenklub mit seinem Präsidenten Müller patrouillirte und sang: Vorwärts, Vorwärts!
Zu diesen Denkwürdigkeiten können noch manche einzelne Anekdoten gefügt werden. So z. B. wurden am Morgen unter den Linden mehrere Dutzend schwarz-weiße Spaziergänger vom Volke entkokardet und ein besternter Herr, der in Galla nach Belle-Vue fuhr, von dem souveränen Proletariat gezwungen, auszusteigen und den Weg im Gallop zu Fuße fortzusetzen. Draußen aber im Temploy war großer Jubel. Die Herren Offiziere hatten ihre Soldaten mit 4 Groschen Courant beschenkt, und den Bauern die Kränze etc. bezahlt.
In Potsdam wurde eine ausgeschriebene Volksversammlung von Polizeiwegen verboten.
2 Uhr. So eben wird die Bürgerwehr alarmirt. Die Arbeiter auf dem Köpnicker-Felde sollen revoltiren.
Halb 4 Uhr. Ich komme aus der Köpnickerstraße. Der Kampf zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr ist losgebrochen. Letztere hat Feuer gegeben und 11 Mann von dem Volke sind gefallen. Dasselbe vertheidigt sich wie rasend. Wenn es wahr ist, daß die Maschinenbauer (3000 Mann) auf Seite des Volkes treten, so haben wir ein schreckliches Blutbad zu erwarten. Auf dem Wege nach Hause (um diese Zeilen zu schreiben) sah ich, daß mehreren einzelnen Bürgerwehrmännern vom Volke die Waffen entrissen wurden. Andere flüchten mit ihren Waffen nach Hause.
Die Veranlassung des Kampfes wird wie folgt erzählt:
Man hatte zur Ueberwachung der Erdarbeiten zwei Kompagnieen Bürgerwehr ins Exerzierhaus vor das Thor verlegt. Die Arbeiter sollten heute auf Anordnung des Magistrats statt 15 nur 12 1/2 Sgr. Tagelohn erhalten; sie beschwerten sich vergebens. Als sie nun gegen Mittag mit einer Fahne ins Exerzierhaus dringen, um die Bürger ihrer friedlichen Gesinnung zu versichern, mißverstehen diese ihr Kommen und gehen mit gefälltem Bajonnet auf das Volk los. Darauf ein Steinregen von Seiten dieses und Schüsse von den Bürgern.
5 Uhr. Vor dem Schlosse ist viele Bürgerwehr. Ich sehe einen Zug Volks mit dumpfem Wuthgeheul nahen. Sie tragen fünf Bahren mit Todten, die in der Roßstraße fielen und setzten dieselben im Schloßhofe nieder.
6 Uhr. Der Kampf in der innern Stadt hat aufgehört. An der Ecke der Roß- und alten Jakobstraße war eine Barrikade erbaut, wurde aber vom Volke selbst wieder abgetragen. Die Bürgerwehr vertheilt sich in allen Straßen.
Gegen 7 Uhr. Ich befinde mich in der Breitenstraße. Eine große Masse Menschen mit einer Fackel und rothen Fahne zieht durch die Straße. Es fällt ein Schuß. Die Bürgerwehr entfernt sich und der Zug zieht durch die Rosenthalerstraße, um den Hauptmann der Bürgerwehr, welcher zuerst zum Schießen kommandirt, aufzusuchen.
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@facs0609
[ 103 ] Berlin, 16. Oktbr
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Discussion über die Einleitung zur Verfassungs-Urkunde.‒
Abg. Keferstein: Es ist die Frage, soll die gegenwärtige Versammlung die Verfassung vereinbaren, oder soll sie dieselbe festsetzen, ohne daß dem Könige ein Einspruch zustehe. Letzteres ist ein Standpunkt, auf dem wir uns unmöglich stellen können. Es ist schon hier zum Ueberdruß von der Revolution die Rede gewesen, aber ich kann nicht zugeben, daß die Grundfesten des Staats durch dieselbe erschüttert worden sind. Was die Krone zugestanden, hat sie aus freiem Willen zugestanden. Es kann sich nicht darum handeln, was in der innern Seele desjenigen vorging, der im März seine Versprechungen ertheilte Wir haben uns nur nach dem Wahlgesetz vom 8. April zu richten.
Abg. Jung: Wir finden in der Einleitung der Verfassungs-Urkunde ein Gemisch von Altem und Neuem, dazwischen aber eine Mißgeburt, ein Wort, das man bisher nie kannte, das Wort „Vereinbarung“. Mit diesem Worte hat es eine eigene Bewandniß. Es gibt zwei Regierungssysteme. Das eine das absolute, wenn das Volk theils zu faul, theils zu unwissend ist, um an der Regierung Theil zu nehmen und es daher einem Einzigen überlassen bleibt. Das andere reine Regierungssystem ist das, wo sich das Volk durch seine Vertreter selbst Gesetze gibt. Nun versucht man aber ein Mittelding zwischen diesen beiden Systemen herzustellen: ein constitutionelles. Dieses System hat sich aber in Frankreich gründlich zu Grunde gerichtet und ist seit Februar unmöglich geworden. ‒ Eine Vereinbarung hat am 19. März hier stattgefunden; damals versprach der König eine Verfassung auf breitester Grundlage. Diese haben wir auszuarbeiten und festzusetzen. ‒ Man beruft sich auf das Wahlgesetz vom April und wirft uns vor, daß Niemand dagegen protestirt habe. Ein freies Volk protestirt aber nie, es handelt. Der vereinigte Landtag protestirte, wir aber wollen beschließen. Wir haben also demnach die Versprechungen des März festzustellen und wollen mit v. Vinke rufen: Recht muß doch Recht bleiben. ‒
Minister-Präsident: Das Amendement der Herren Jung und Mätze, mit den eben gehörten Entwicklungen, muß nothwendig zu der Voraussetzung führen, als habe die Krone nicht das Recht, die Verfassung anzunehmen oder abzulehnen. Wir müssen hier aber unsere Ansicht aussprechen, daß die Versammlung beschließt und die Krone erwägt, ob sie die beschlossene ‒ Verfassung annehmen will oder nicht. ‒
Abg. v. Berg: Es gibt keinen größern Fehler als die Furcht. So ist auch die Furcht vor dem Worte Vereinbarung eine voreilige. Daß wir heute hierüber streiten ist ein Fehler, den wir damit begehen, daß wir zuvor die Vorrede machen wollen, ehe das Buch geschrieben ist. Ich glaube aber, wer die Macht hat, der wird zu bestimmen haben. Wenn wir die Verfassung werden berathen haben und die Macht der öffentlichen Meinung ist noch auf unserer Seite, so wird es der Krone unmöglich sein, unsere Bestimmungen umzuwerfen. Der Geist der Zeit wird Tag für Tag unsere Beschlüsse bestimmen und seinen Einfluß darauf ausüben. Warten wir demnach das Ende unserer Berathungen ab.
Minister Eichmann: Ich glaube, daß den Ereignissen der Märztage ihre Rechnung gegeben worden ist. In Folge derselben ist diese Versammlung, von Wählern ohne die Beschränkung eines Census gewählt. Mit dieser Versammlung will sich die Krone vereinbaren. Sie werden zugeben, daß die Krone viel nachgegehen. Vermeiden sie daher alle Conflikte. Die Krone wird Alles anwenden, sich mit der Versammlung zu vereinbaren.
Abg. Mätze: Es sollte kein Streit über das Wort „vereinbaren“ hier stattfinden, ist uns hier gesagt, warum denn aber nicht? Wenn wir der Ansicht des Ministers beitreten, dann würden wir weiter nichts sein, als der vereinigte Landtag, welcher auch beschloß und die Krone nach ihrem Gutdünken annahm oder verwarf. Man werfe uns nicht vor, daß gegen das Wahlgesetz und gegen das Wort Vereinbarung nicht protestirt worden sei. Das ganze Land erhob sich dagegen und ich muß daher fest an den von uns vorgeschlagenen Amendements halten, welche lauten: „Wir etc. verkünden hiermit die von den Vertretern des Volks beschlossene Verfassung.“
Abg. Behrens: Dieselben Gründe, die wir für die Streichung der Worte „von Gottes Gnaden“ gelten ließen, sprechen auch gegen den Ausdruck Vereinbarung. Vereinbaren können zwei Privatleute, die handeln und gegenseitige Zugeständnisse machen. Aber ein freies Volk feilscht nicht mit der Krone um die Verfassung, es stellt sie selbst fest. ‒ Wir müssen die Verfassung beschließen, die Krone nimmt sie entweder an, oder verwirft sie und appellirt an das Volk. ‒ Wenn wir das Wort: „Vereinbarung“ aus der Verfassung entfernen wollen, so wollen wir uns eben damit auf einen festen Boden stellen; das Ministerium Camphausen, welches dieses Wort erfunden, hat sich dadurch genöthigt gesehen, abzudanken. Beharren wir daher fest an unserm Recht, die Verfassung zu beschließen.
Minister Bonin: Der Abg. Mätze hob hervor, daß durch das Prinzip der Vereinbarung diese Versammlung zurückversetzt sei in die Zeit des vereinigten Landtags. Bedenken Sie aber, daß dazwischen das Gesetz vom 6. April liegt, welches dem Volke viele Freiheiten gibt. Wenn hier von Handeln und Feilschen gesprochen worden ist, so muß ich mich entschieden dagegen aussprechen. Unter Vereinbarung verstehe ich nur eine friedliche Vereinigung. Es ist auf unser Programm Bezug genommen worden, ja wir werden die Rechte der Krone zu schützen suchen. Es ist unser Wunsch, daß die Verfassung das Wohl des ganzen Vaterlandes begründtn, und da wir das wollen, müssen wir an dem Prinzip der Vereinbarung festhalten.
Abg. Temme: Es handelt sich zunächst um die Wichtigkeit des Wortes Vereinbarung. Ich glaube, sie ist schon dadurch anerkannt, daß drei der Herren Minister das Wort deshalb ergriffen. Man hat uns auf das Wahlgesetz verwiesen, ich aber kann mein Mandat nicht daher leiten; ich leite es von dem Willen des Volkes her, von meinen Wählern, welche mich hierher sandten. Meines Erachtens setzt jede Verfassung eine Vereinbarung voraus. Es ist nur der Unterschied, ob sie vom Volke dem Könige, oder vom Könige dem Volke zur Annahme vorgelegt wird. Wird die von uns zu berathende Verfassung vom Könige nicht angenommen, so ist sie keine; wird sie angenommen so ist das eben eine Vereinbarung. Daß wir das Recht haben, dem Könige eine Verfassung vorzulegen, das ist die Folge der Revolution. Die Revolution ist das letzte Recht des Volkes, wie der Krieg das letzte Recht der Staaten ist. ‒ Ich fürchte nicht die vom Minister-Präsidenten angedeutete Eventualität, tritt sie ein, so sind nicht wir dafür verantwortlich.
Minister-Präsident: Ich will mich nur gegen die Auslegung meiner Worte verwahren. Ich verstehe unter Vereinbarung, daß wir eine Aenderung vorschlagen würden, und so, nach und nach, eine Verständigung zu Stande bringen.
Abg. Riedel: Wie der Abg. Temme hervorhob, kann auch vom Volke dem Könige eine Verfassung octroyirt werden. Wenn man dem Könige eine Verfassung aufdringen will, kann er seine Krone niederlegen. Dies will ich aber nicht und deshalb bin ich für die Vereinbarung. Diese ist auch durch das Aprilgesetz festgesetzt. Ich acceptire die Ansicht des Abg. Jung, daß das Volk mit dem König im März einen Vertrag abgeschlossen, dessen Folge die Vereinbarung ist. Ich habe oft außerhalb dieser Versammlung Redner gehört, welche das Prinzip der Vereinbarung geißelten; ich wunderte mich nicht, daß es dort solche Reformatoren gibt, welche das Volk aufreizen und den ganzen historischen Standpunkt umstürzen wollen. Aber daß es in dieser Versammlung auch solche Redner gibt, hätte ich nicht erwartet, denn dieselben sind auf das Aprilgesetz gewählt und müßten ihr Mandat zurückgeben, wenn sie sich diesem Gesetze nicht fügen wollen; denn unsere ganze Versammlung ist ohne Mandat, und unsere Beschlüsse sind nichtig, wenn wir nicht mehr vereinbaren wollen. ‒
Abg. Parisius: Weder von dem Ministertische, noch von den andern Rednern ist, meiner Ansicht nach, die Bedeutung des Wortes „Vereinbarung“ richtig aufgegriffen worden. Am 5. Septbr. wurde in Wien das Ministerium über die Bedeutung des Wortes interpellirt. Es antwortete darauf am 7. Septbr. und ich schließe mich dieser Antwort vollkommen an. (Er verlies't die bekannte Antwort). Wenn wir dieser Ansicht beitreten, so können wir kein anderes Wort als das Wort „Vereinbarung“ dafür setzen. Es liegt darin der Friede und die gegenseitige Zustimmung.
Abg. Schramm. (Eine thatsächliche Bemerkung.) Der Abg. Parisius sagte, daß kein Konflikt der Krone mit dem Volke stattfinde. Das verantwortliche Ministerium hat aber einem solchen Konflikte nicht vorgebeugt, denn der König hat gestern der bei ihm anwesenden Deputation durch seine Worte geradezu ins Gesicht geschlagen. (Ruf zur Ordnung.)
Abg. Wollheim: Was ist der Grund, daß von einer Seite so stark für das Wort Vereinbarung gekämpft wird. Einestheils kann aus Pietät entstanden sein, aus Pietät gegen die Krone, Anderntheils ist man der Ansicht, daß dem Volke keine Wohlthaten anders erblühen können. Aber ich behaupte, jemehr Rechte sich die Krone begibt, jemehr Halt wird sie im Volke finden.
Abg. Scheele: Man kann den König nicht dem bloßen Staatsbürger gleichstellen, er nimmt eine Stelle über dem Volke ein. Deshalb hat die Vereinbarung einen andern Sinn, als die zwischen zwei Privatpersonen. ‒ Der König und das Volk sind eins, wir müssen den König nicht betrachten als dem Volke gegenüberstehend. ‒ Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz, nach dem wir uns richten müssen, und danach haben wir unsere Beschlüsse zu fassen.
Abg. Weichsel: Zuerst muß ich mich gegen das Wort „uns“ erklären, da das noch der alten Zeit angehört und mit dem „Gottes Gnaden“ fallen muß. ‒ Lassen sie uns einen Blick in die frühere Zeit werfen. Es war von jeher das Volk, welches mit seinen Fürsten, durch einen Vertrag die Regierung ordnete. ‒ Volkssouveränetät ist der ausgeprägte Wille des ganzen Volkes, nicht eine Majorität dieser Versammlung. Halten wir an dem ausgeprägten Willen des Volkes fest, es will die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen. ‒ Ich muß mich nun dagegen erklären, daß die Verfassung von einer Seite aufgedrungen werde, nur auf dem Wrge des Vertrages muß sie festgestellt werden.
Abg. Dahne: Ich bin der Ansicht, daß die Souverainetät naturgemäß im Volke liegt, und daß sie dem Volke angeboren ist. Bis zum März war die Souverainetät aber im Besitze der Krone. Durch die Revolution ist ein Theil derselben wieder dem Volke übergeben worden, daher müssen sich die Inhaber der Souverainetät mit einander vereinbaren.
Abg. Plönnies: Der Wille des Volkes hat uns hierhergesandt, um mit der Krone zu vereinbaren. Wenn wir die Krone zwingen wollten, das anzunehmen, was wir ihr vorschreiben, so wäre das ein Absolutismus von unten.
Abg. Jung: Ich möchte die Frage auf ihren eigentlichen Kernpunkt zurückführen, auf das constitutionelle Schaukelsystem, welches man uns aufdringen will. Die alte Theilung der Souverainetät genügt nicht mehr. Man wirft uns vor, daß die königliche Macht gebrochen ist, wenn der König nur die von uns angenommenen Beschlüsse ausführt. Ist es nicht ehrenhaft, wenn der König der erste Mann des preußischen Volkes ist? ‒ Wenn man uns, das von unsern Wählern empfangene Mandat vorhält, so erkläre ich, daß ich meinen Wählern gegenüber, mich gegen das Prinzip der Vereinbarung erkläre.
Abg. Rehfeld: Wenn wir das Jungsche Amendement annehmen, so würden wir dadurch die Minister nur zu unsern Handlangern und den König zum Inhaber einer Sinecure machen. Man sprach, daß es in dem Willen des Volkes gelegen hätte, die Krone abzuschaffen; aber die siegreiche Armee ist nur auf den Befehl des Königs abgetreten.
Abg. Siebert: Es wäre eine eigenthümliche Vereinbarung, wenn der König erklären könnte, daß er die Beschlüsse der Versammlung nicht annehmen wolle, und wir uns damit begnügen müßten. Der vereinigte Landtag konnte uns keine größere Befugnisse geben als er selbst hat, demnach sind wir hier um den Willen des Volkes zur Geltung bringen, das Volk wollte nicht mehr petitioniren, und hat uns in Folge der Revolution zu Vertretern seines Willens hierhergesandt.
Und wir sollen den Willen des Volkes unter allen Umständen durchsetzen. Aber die Aeußerung des Ministeriums hat uns heute gezeigt, daß nicht dieser Wille, sondern der des Kronträgers durchdringen soll. Ich bin besonders gegen dies Wort (Vereinbarung) weil ich mit Recht befürchten muß, man wird aus diesem Ausdrucke später mit diplomatischer Schlauheit alle gegebenen Zusicherungen wieder verleugnen wollen. ‒ Wer hat in Frankreich die Republik herbeigeführt? Nicht die Republikaner, sondern die Räthe der Krone. Und auch hier sitzen diejenigen, die eine Republik herbeiführen werden, am Ministertisch. (Allgemeines Gelächter.)
Abg. Riel: Der Kern des Ganzen sei, daß die Souveränetät durch die Märzrevolution aufs Volk übergegangen und nicht mehr in dem Kabinette läge. Reichen wir aber die Hand nochmals zur Versöhnung und suchen wir uns zu vereinbaren. Wird diese Hand aber zurückgewiesen, so werden wir wissen, wie wir die Rechte des Volkes zu vertreten haben. ‒
Abg. Ciescowski deutet darauf hin, daß es sich hier eigentlich um das Veto handele, welches erst im vierten Theile der Verfassung zur Diskussion komme.
Abstimmung: Zuerst wird das Amendement Jung-Maetze, (äußerste Linke) welches lautet: „Wir etc. verkündigen hiermit folgende von den Vertretern des Volkes beschlossene Verfassung“ ‒ mit 216 gegen 110 Stimmen nach namentlicher Abstimmung verworfen. ‒ Auch das Amendement des Abgeordneten Siebert (gemäßigte Linke): Die Publikationsformel möge also lauten: „verkünden hiermit die, nach dem Willen der Vertreter des Breußischen Volkes festgestellte und von uns angenommene Verfassung“ ‒ wird ohne namentliche Abstimmung verworfen. ‒ Hierauf kommt die Reihe an das Amendement des Abg. Riel: Statt der vorgeschlagenen Publikationsformel ist zu setzen: „verkünden hiermit die von den Stellvertretern des Volkes durch Vereinbarung mit uns festgestellte Verfassung“, welches nach namentlicher Abstimmung mit 284 gegen 43 Stimmen angenommen wird.
Der Entwurf der Commission und die anderen Amendements sind hiernach gefallen. Schluß der Sitzung 2 Uhr.
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@facs0609
[ 103 ] Berlin, 17. Okt.
Unsere reaktionäre und konstitutionelle Presse bringt die lügenhaftesten Berichte über die gestrigen Vorfälle. Der Minister hat in seiner heutigen Darstellung in der Kammer diese Vorfälle aus einem ganz falschen Standpunkte aufgefaßt. Aus authentischer Quelle können wir versichern, daß die Arbeiter gestern keinesfalls Veranlassung gaben, zu dem unmenschlichen Morden, welches ein unsinniger Bürgerwehr-Hauptmann (ein Bäckermeister Schulz) kommandirte. Die Arbeiter hatten gestern Vormittag ruhig gearbeitet und brachten um die Mittagsstunde ihrem Schachtmeister zu seinem Geburtstage ein Vivat. Als sie von diesem Zuge zurückkamen, wobei sie sich eine neue rothe Fahne mit der Inschrift: „Einigkeit macht stark!“ hatten vortragen lassen, passirten sie das Exerzierhaus auf dem Köpnickerfelde, in welchem ein Bataillon Bürgerwehr aufgestellt war. Die Arbeiter brachten der Bürgerwehr ein Hoch und grüßten dieselbe freundschaftlich. Diese nahm diesen Gruß als Spott auf und lockte einen Theil der Arbeiter ins Exerzierhaus, um sie festzunehmen. Dadurch entstand Streit und Erbitterung. Der Hauptmann wurde von Arbeitern wegen dieses Benehmens zur Rede gestellt, und als er ein Pistol blind abfeuerte, von den Arbeitern entwaffnet. Sie gaben jedoch das Pistol sogleich an einen Bürgerwehrmann, zurück, indem sie behaupteten, ein Hauptmann dürfe nur sein vorschriftsmäßiges Seitengewehr bei sich führen. Der Hauptmann erbittert und Rache schnaubend zieht seine Kompagnie 20 Schritte zurück, ließ dann umkehren und eine Bayonettattacke auf die Arbeiter machen. Diese wehrten sich dieselben mit Steinen ab, in Folge dessen ein Mann verwundet wurde, und hierauf kommandirte der Hauptmann Feuer, worauf gleich eine Masse Arbeiter theils todt theils verwundet niederstürzten.
Wie beklagenswerth dieser Vorfall nun jedenfalls war, um so beklagenswerther sind aber die falschen Gerüchte, welche darüber in der ganzen Stadt verbreitet wurden. Alle Schuld wurde auf die Arbeiter geworfen und das war die Ursache, daß gestern Abend noch einige solche unmenschliche Scenen vorfielen. ‒ Die Arbeiter hatten in der Jakobsstraße eine Barrikade gebaut. Statt nun die Arbeiter ruhig hinter ihre Barrikade stehen zu lassen, griff man sie an und erschoß noch mehrere Arbeiter. Die Bürgerwehr wollte die Ehre haben, eine Barrikade gestürmt zu haben. Diese Ehre kam ihr aber auch theuer zu stehen, die Arbeiter vertheidigten die Barrikade tapfer und mehrere der Angreifer wurden erschossen und ihr Hauptmann verwundet.
Der eingetretene Regen räumte nach und nach alle Straßen und heute ist die Ruhe der Stadt nicht gestört worden. Die Arbeiter, welche mit ihren Fahnen (vielleicht zwanzig der verschiedensten Art) heute vor die Vereinbarerversammlung zogen, verlangen: ein feierliches Begräbniß der Gefallenen im Friedrichshain auf Kosten des Staats und eine strenge Untersuchung gegen die Bürgerwehr. ‒ Die Vereinbarer werden wohl dieses Verlangen einstimmig genehmigen, denn so viel konnte man schon heute in der Sitzung sehen, daß die rechte Seite sowohl wie das Centrum allen Respekt vor den Arbeitern haben und sich wohl hüten werden, dem Wunsche der Arbeiter entgegen zu handeln.
Obgleich es in allen konstitutionellen Staaten Sitte ist, daß die Anrede des Präsidenten und die Antwort des Königs der ganzen Versammlung mitgetheilt wird, unterließ dies Hr. Grabow dennoch. Erst heute, als der Staatsanzeiger die Rede des Präsidenten mittheilte, machte derselbe der Versammlung die nöthige Miltheilung. Er erzählte, daß diese Rede von den Präsidenten und Vicepräsidenten mit der Deputation vereinbart worden sei, daß er dieselbe vorher dem Ministerpräsidenten zusandte, daß ihm aber kein Koncept von der Antwort des Königs zugekommen sei, indem dieselbe eine improvisirte war; daher könne er auch keine Mittheilung davon machen, indem sehr leicht ein Satz anders wiedergegeben werden könne.
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@facs0609
[ 14 ] Berlin, 17. Oktober.
Kurz nach Abgabe meines gestrigen Briefes wurde noch die Barrikade an der neuen Roß- und alten Jakobstraßen-Ecke von der Bürgerwehr gestürmt. Die Barrikade war seit 3 Uhr errichtet, aber, da es den Arbeitern an Waffen fehlte, schlecht vertheidigt, daß die gewaltsame Erstürmung durchaus nicht nothwendig war. Verschiedene bekannte Volksredner und einige Deputirte (Waldeck und Behrends) suchten das Volk zu beschwichtigen und die Bürgerwehr abzuhalten. Vergebens ‒ die rohen Bourgeois unter den letzteren mußten zeigen, daß sie schießen konnten. Das 10. Bataillon vollführte die Heldenthat. Major Vogel wurde tödtlich verwundet, ein anderer Bürgerwehrmann (Vergolder Schneider) von hinten durch den Kopf geschossen, also von seinen Kameraden getödtet. Vom Volke blieb ein kühner, junger Mann in seiner Kleidung, der oben auf der Barrikade die blutrothe Fahne schwang, und ein Arbeitsmann. Diese Beiden wurden gegen 9 Uhr unter Fackelschein zu den übrigen Leichen in's Schloß getragen. ‒ Um 11 Uhr wurde noch eine unvertheidigte Barrikade in der Dresdnerstraße genommen. Dann war Alles ruhig und der Ehrentag vollbracht! ‒ Der Sicherheitsausschuß im Schlosse hatte es in seiner Weisheit für rathsam befunden, Militär zu requiriren. Wirklich erschien gegen 10 Uhr das 12. Regiment, erhielt aber gleich Contreordre, da sich die Bürgerwehr heftig widersetzte und die Abgeordneten Elsner und Temme gleichfalls protestirt hatten.
Bezeichnend erscheinen die Antworten der gereizten Arbeiter auf die Zureden der „Abwiegler.“ Den Klubbisten erwiderten sie: von ihnen hätten sie doch nichts zu erwarten; der Warnung, daß durch die Bekämpfung der Bürgerwehr das Militär herangezogen würde, [0610] Entgegneten sie: nun wohl, wir werden uns mit dem Militär verbinden, um diese bewaffneten Hunde, die uns nicht als ihres Gleichen betrachten, zu erschlagen.
Heute um Mittag erschienen alle Erdarbeiter mit ihren sämmtlichen Fahnen auf dem Gensd'armenmarkte. Es mochten gegen 2000 Mann sein. Sie sandten eine Deputation in die National-Versammlung mit der Forderung, dieselbe solle die Mörder ihrer Brüder verhaften lassen, ferner die Todten feierlich auf städtische Kosten beerdigen, für die Hinterbliebenen derselben sorgen und ihnen für den verlorenen Zeitverlust 2 Tage Arbeitslohn auszahlen. Wie billig das Volk ist! ‒ Der Präsident der Versammlung hat ihnen morgen Bescheid versprochen.
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@facs0610
Berlin, 17. October.
Nach der National-Zeitung bildet das Militär, welches um Berlin herumgelagert ist, eine beträchtliche und in jedem Augenblicke schlagfertige Armee. Besonders stark ist die Artillerie, welche bis in die neueste Zeit noch verstärkt worden ist. Im Ganzen befinden sich 45 Batterien mit 360 Geschützen in der Nähe der Hauptstadt; und jede Batterie ist mit 242 Schuß versehen, In Zossen, einer Stadt von 2000 Seelen, liegen allein 2 Batterien. Die Infanterie ist beständig mit 60 scharfen Patronen versehen. Aus allen diesen Angaben geht hervor, wie sehr man in jedem Moment auf einen Schlag gerüstet ist. Ueberall auf den Dörfern, wo Infanterie liegt, sind auch zugleich Cavallerie-Piquets stationirt, um die beständige Verbindung mit den einzelnen Kantonirungen zu unterhalten.
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@facs0610
[ 103 ] Berlin, 17. Okt.
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Der Präsident Grabowverkündigt das Resultat der gestern Abend vorgenommenen Wahlen der Vicepräsidenten und Sekretaire. Zahl der Stimmenden 327. Absolute Majorität 164. Gewählt wurden zu Vicepräsidenten: Unruh mit 247 Stimmen, Bornemann mit 215, Jonas mit 170 Stimmen, Außerdem erhielten: Waldeck 155, Tamnau 106, Temme 88, Jacoby 68 Stimmen.
Zu stellvertretenden Sekretairen wurden gewählt: v. Besser mit 190 Stimmen, Hildenhagen mit 184, Schornbaum mit 457 und Ostermann mit 157 Stimmen.
Der Minister des Innnern verlangt das Wort, um über die gestrigen Unruhen Mittheilungen zu machen und glaubt, daß diese Unruhen eine Folge der, Donnerstag stattgefundenen, Zerstörung einer Maschine seien. Die Unruhen sind gedämpft und obgleich schon Militair requirirt war, ist dasselbe doch später wieder zurückgesandt worden. Das Nähere würde durch die eingeleitete Untersuchung festgestellt werden.
Der Abg. Temme verlangt das Wort zu faktischen Berichtigungen. Er sei in der Versammlung seiner Partei benachrichtigt worden, daß Militair requirirt worden von dem Sicherheitsausschusse, der im Schlosse seine Sitzung hielt. Er begab sich sogleich mit dem Abgeordneten Elsner nach dem Schlosse, wo sie von der Bürgerwehr mit Freuden zum Sicherheitsausschuß geführt, wo sie es bestätigt fanden, daß der Kommandeur Rimpler das Verlangen auf Requisition des Militairs gestellt habe, welchen er nun zurücknahm. Zugleich muß er hinzufügen, daß die Bürgerwehr sehr entrüstet darüber war, daß ein großer Trupp Constabler, mit Schußwaffen bewaffnet, im Rücken der Bürgerwehr manövrirte, wozu die Constabler wohl keinesfalls befugt seien.
Der Minister des Innern erklärt, daß er den Constablern den Befehl gegeben, sich zu bewaffnen und die öffentlichen Gebäude und Hotels zu besetzen.
Hierauf werden folgende schleunige Interpellationen vor der Tagesordnung zugelassen.
Abg. Otto (Trier): Am 7 Oktober erklärte bei der Verhandlung über die Dringlichkeit des Behnschschen Antrages der Herr Justizminister Kisker:
„Das Staatsministerium hat Vorbereitungen getroffen Behufs Amnestirung für gewisse Kategorien von politischen Vergehen, dahin gehören insbesondere die Posener Angelegenheiten, dahin gehören die Angelegenheiten, von denen der Abgeordnete aus Trier gesprochen hat.“
Ich interpellire nun das hohe Justizministerium:
„Weshalb durch die im Staatsministerium getroffenen Vorbereitungen, eine Amnestie der Trierer politischen Vergehen nicht herbeigeführt worden ist?“
Der Abg. Otto fügt noch hinzu (nachdem der Minister erklärte, er würde sogleich antworten), daß in Fölge des vom Minister am 7. gegebenen Versprechens, man die Amnestie in Trier täglich erwartete und sich nun dort, nachdem die Amnestie für die Posener erlassen, sehr getäuscht fand. Wenn man bedenkt, daß die vielen Angeklagten am 20. nach Köln vor die Assisen transportirt werden sollen, welches jedenfalls eine große Aufregung hervorbringen muß.
Der Justizminister Kisker erklärt, daß die Vorberathungen noch nicht vollständig erledigt seien, die Sache solle aber so viel wie möglich beschleunigt werden.
Abg. Otto will sich mit dieser Antwort nicht befriedigen, indem dem Ministerium seit langer Zeit der ganze Thatbestand durch die Anklage-Akte vorliege und er müsse daher auf sofortige Erlassung der Amnestie dringen.
Der Minister Eichmann erklärt, daß sich die Krone durchaus keine Amnestie abdrängen lassen werde; die Amnestie sei ein Recht der Krone, welches das Ministerium zu schützen wissen werde. ‒ Man müsse sich mit dem Versprechen des Ministeriums begnügen, welches die Sache in Berathung gezogen habe. ‒
Abg. Dierschke: Das Staatsministerium wolle sich sofort darüber erklären:
1) ob dasselbe den in der Sitzung vom 1. September gefaßten Beschluß über bessere Versorgung der invaliden Combattanten aus den Feldzügen von 1806 und 1813-15 und die baldige Ermittelung ihrer Zahl bereits zur Ausführung gebracht hat;
2) welche Resultate daraus hervorgegangen sind? eventuell aber
3) ob und welche Hinderungs-Ursachen der Ausführung jenes Beschlusses entgegenstehen?
Der Minister-Präsident erklärt, daß die Sache in vollem Gange, daß aber die Ermittelung der Zahl der Invaliden sehr schwierig und zeitraubend sei.
Abg. Pinoff: In mehreren Theilen der Provinz Schlesien wird gegenwärtig das erste Aufgebot der Landwehr eingezogen. In Rücksicht darauf, daß diese außerordentliche Maßregel eine große Aufregung in der Provinz hervorruft, wird das hohe Kriegsministerium angefragt:
„Aus welchen Gründen und zu welchem Zwecke die schlesische Landwehr in diesem Augenblicke eingezogen werde?“
Die Zulassung dieser Interpellation erfordert eine Abstimmung, welche zweifelhaft ist. Die Zählung ergiebt: 171 Stimmen für und 152 gegen die Zulassung.
Abg. Pinoff schildert die Aufregung welche die Einziehung der Landwehr, als wäre der Feind vor der Thur, in ganz Schlesien hervorgerufen habe. Besonders da Familienväter eingezogen würden, deren Angehörigen dadurch brodlos würden, da der Staat diesen Angehörigen keine Unterstützung ertheilt.
Der Kriegsminister Pfuel antwortet, daß die Sache sehr einfach sei, indem den Behörden von allen Seiten Vorstellungen eingegangen seien, Vorkehrungen zum Schutze des Eigenthums zu treffen. Uebrigens würde die Landwehr nicht vollständig einberufen, sondern nur 4-600 Mann von jedem Bataillon, welche einberufen worden, da das Eigenthum niedergebrannt und zerstört worden ist.
Abg. Pinhoff: Wir haben die Mittel in der Hand, diesen Zerstörungen Einhalt za thun, daß sind freie Institutionen; geben wir diese nicht, so rufen wir die Anarchie hervor.
Der Minister Eichmann erklärt ebenfalls, daß die Landwehr nur zum Schutz des Eigenthums einberufen werde.
Nachdem noch einige Anträge, wie der des Abg. Kirchmann und Consorten, einen Gesetzentwurf, betreffend die Einführung der Geschwornen, Grebel wegen Holzdiebstahl, an die betreffenden Fach-Kommissionen verwiesen wurden, kommt man zur Tagesordnung, die Berathung des Gesetzes wegen Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben.
Da es sich heute um die sehr wichtige Frage, die Aufhebung der Laudemien handelt, so sieht sich die Versammlung genöthigt, die Debatte, obgleich sie schon Sonnabend begann und heute drei Stunden fortgesetzt wurde, doch bis morgen zu vertagen und morgen wieder aufzunehmen.
Die Abg. Teichmann, Wollheim u. A. sprachen mit vieler Gründlichkeit für die Aufhebung.
Gegen 1 Uhr Mittags zogen mehrere tausend Arbeiter vor dem Sitzungssaale der Versammlung. Sie sandten eine Deputation an den Präsidenten und übergaben vermittelst dem Abg. Behrens eine Petition. Die Versammlung hat diese Petition für dringend anerkannt und hat die Petitionskommission beauftragt, morgen darüber Bericht zu erstatten.
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[ 109 ] Düsseldorf, 17. Okt.
Am 15. Oktober war, wie man weiß, Königs Geburtstag; Kanonen wurden gelöst, Paraden und ähnliche harmlose Spielereien vorgenommen, Bier und doppelte Löhnung unter die Soldaten vertheilt; die rechte Feier aber ging erst heute vor sich. Heute Abend nämlich fand eine Versammlung des demokratisch-monarchischen Vereins statt. Die Soldaten waren, wie überhaupt in letzter Zeit, in äußerst großer Anzahl erschienen, einige aber mit unter den Röcken verborgenen Säbeln. In der heutigen Düsseldorfer Zeitung hatte ein, von einem Unteroffizier unterzeichneter Aufsatz gestanden, dessen wesentlicher Inhalt etwa ist, das Militär werde sich nicht durch die Vorspiegelungen der Demokraten verleiten lassen; sein Wahlspruch werde vor wie nach bleiben: „mit Gott für König und Vaterland“ und so weiter in dem alten Commisstyle. In der heutigen Versammlung wurde nun von den Mitgliedern des demokratischen Vereins dieser Aufsatz verlesen und die Anfrage an die Soldaten gerichtet, ob sie denselben billigten. Ein einstimmiges „Nein“ erscholl aus allen Kehlen, einzelne Soldaten riefen: das habe sicherlich der Major einrücken lassen. Unter Lebehochs auf die Demokratie und Freiligrath entfernte sich das Militär. Aber beim Austritt aus dem Saale fing ein Unteroffizier mit einigen Mann plötzlich an unter dem Ruf: „es lebe der König!“ mit Steinen die Fenster des Saales einzuwerfen. Die meisten Soldaten zogen sich in die Kaserne zurück, manche blieben in dem Saale, einige Angestiftete aber richteten ein wohlunterhaltenes Bombardement von Steinen auf den Saal, während andere unter dem Lied: „ich bin ein Preuße etc.“ mit gezogenem Säbel auf- und abstürzten und ruhige Bürger (Comptoirist Becker, Geometer Engels etc.) mißhandelten. Die Thüren des Lokals waren natürlich sofort geschlossen worden, und nur mit Mühe gelang es dem Präsidium, die fortwährenden Steinwürfen ausgesetzten Mitglieder des Vereins abzuhalten, hinauszustürzen, um die Unruhstifter zu bestrafen. Ein Kind soll von den Soldaten arg durch Steinwürfe und mit Säbelhieben niedergeworfen und mißhandelt worden sein. Unterdeß befand ich mich zufällig zusammen mit dem Hauptmann der 8. Bürgerwehrkompagnie Hr. Hölterhoff in einer vom Vereinslokal nicht weit entfernten Weinstube. Auf die Nachricht von diesen Vorgängen beschloß der Hauptmann natürlich die Kompagnie sofort alarmiren zu lassen. Zu diesem Zwecke wollten wir uns auf die Wachtstube, welche dem Vereinslokale gegenüber liegt, begeben. Aber kaum hatten wir einige Schritte gemacht, als eine Anzahl von 15-20 Soldaten mit gezogenen Säbeln auf uns losstürzte und unter dem Geschrei: „Demokraten, Demokraten!“ einen Regen von faustdicken Bausteinen uns entgegensandten. Umsonst versuchten wir seitwärts vorzurücken, unser Ziel zu erreichen, aber der Steinhagel wurde immer heftiger, dicke Kiesel flogen uns um Kopf und Schultern, so daß wir uns eiligst in die Weinstube, von der wir ausgegangen waren, zurückziehen mußten. Zehn Minuten darauf versuchten wir noch einmal die Wachtstube zu gewinnen, um die Alarmirung der Bürgerwehr veranlassen zu können. Inzwischen waren aber die Soldaten in die Kaserne zurückgegangen. Wir begegneten einer aus 4 Mann bestehenden Deputation des demokratischen Vereins, welche sich zu dem General v. Drigalsky begab, um sich über jene Excesse zu beschweren. Wir schlossen uns der Deputation an. Und nun folgte eine Scene, die ich umsonst versuchen werde, Ihnen würdig zu beschreiben. Wir ließen uns als eine aus 6 Mitgliedern bestehende Deputation melden. Wenn die Zahl 6 Hrn. v. Dr. zu groß erschien und ihm Besorgnisse irgend einer Art erregte, so hätte er uns dies hinunter sagen lassen müssen. Dies geschah nicht. Wir werden vielmehr angenommen. Sr. Exz. empfing uns auf dem obern Ende der Treppe. Die etwas schmale Treppe nöthigte uns einzeln hinaufzugehen.
Nachdem die beiden ersten von uns auf dem Flur angelangt und bei Hrn. v. Drigalski vorbeipassirt waren, machte Hr. v. D. mit der Hand ein haltgebietendes Zeichen und donnerte mit überlauter Kommandostimme: „Nun ist's genug, die andern machen, daß sie fortkommen. Zwei davon sind genug. Auch nicht ein halber Mann mehr als zwei Mann, sage ich.“ Bei diesen Worten bemühte sich Hr. Hölterhoff, der Hrn. v. D. persönlich bekannt ist, den Flur zu gewinnen. Hr. v. D. machte zuerst eine Bewegung, um ihn zurückzustoßen. Als er ihn aber erkannte, korrigirte er sich. „Ach, Sie sind Herr Hölterhoff. Sie kenne ich(!) Bleiben Sie da. Die anderen Leute aber kenne ich nicht. Wollen Sie augenblicklich das Haus verlassen.“ Ich, der ich mich unter dem so flegelhaft zurückgewiesenen Theile der Deputation befand, sah mich bewogen, für diese das Wort zu ergreifen. „Wir wollten Ihnen als Behörde wichtige Thatsachen vortragen, Hr. v. Drigalski. Wollen Sie verweigern dieselben anzuhören?“ Der General gewann mehr und mehr das Aussehen eines wüthend gewordenen kalekutischen Auerhahns. Er hatte von Anfang an mit donnernder Stimme gesprochen. Jetzt steigerte er sie durch ein eigenthümliches Geschnarre zu einem ohrenzerreißenden Gebrülle. „Wollen Sie gehen? Sind zwei Mann nicht genug? Was kommen Sie 6 Mann hoch bei sinkender Nacht (!).“ Ich: „Wir haben Sie vielleicht über 6 verschiedene Thatsachen zu unterhalten.“
Er: „Ich kann bei diesen stürmischen Zeiten bei sinkender Nacht nicht Deputationen von 6 Mann hoch annehmen.“ (Der kgl. preuß. General fürchtete sich also; das Vorherrschen dieses Gemüthszustandes in ihm scheint beiläufig auch dadurch bestätigt zu werden, daß, wie wir später Gelegenheit hatten wahrzunehmen, das Haus mit mindestens 10-15 Mann Soldaten angefüllt war). Ich: „Ich glaube nicht, daß Sie von einer friedlichen Deputation etwas zu fürchten haben.“ Der General wurde kirschbraun: „Herraus, herraus sage ich. Wollen Sie 'raus?“ Ich: „Meine Herren, ich bitte Sie, diesen Empfang sich zu notifiziren. Das Weitere wird sich finden. Hr. v. D. verweigert uns anzuhören. Es ist gut. Lassen Sie uns gehen.“ Damit wandten wir uns. Der General, welcher merkt, daß er eine Dummheit gemacht habe und sie redressiren will, brüllt uns nach: „Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann besuchen Sie mich.“ Ich (zurücktretend): „Gut, Das ist es, was wir thun. Dazu sind wir da.“ Der General, wieder kirschbraun: „Aber nicht heute, kommen Sie wieder.“ Ich: „Darf man fragen, wann Hr. v. D. für Angelegenheiten von der höchsten Dringlichkeit zu sprechen ist?“ Er: Kommen Sie, wenn ich die ersten Zwei gesprochen habe.„ Ich: „Meine Herren, dann lassen Sie uns warten, bis dies geschehen ist.“ Der General, vor Wuth überschnappend: „Aber nicht in meinem Hause. Herrraus, sage ich, herrraus. Wollen Sie augenblicklich machen, daß Sie fortkommen? Soll ich meine Leate rufen? Werde ich mein Hausrecht haben? (Eine Behörde, die gegen Beschwerde führende Bürger das Hausrecht geltend macht! Bei diesen Worten macht der General eine Bewegung nach dem Korridor zu, wie um seine Diener zu rufen.) Ich: „Meine Herren, ich bitte Sie, sich auch dies zu notifiziren. Lassen Sie uns gehen.“ Wir gehen die Treppe hinab. Der General hinter uns herstürzend: Notiren Sie sich, was Sie wollen. Notifiziren Sie sich auch, daß ich Sie mit Gewalt hinausgeschmissen habe.
Der General begleitete uns dabei, dicht hinter uns her, die Treppen hinunter, natürlich nicht um uns das Ehrengeleit zu geben, sondern um unsern Gang, der ihm zu langsam sein mochte, zu beschleunigen. Seine Haltung ‒ er hatte die Hand ausgestreckt und machte mit derselben die Geberde eines in Thätigkeit begriffenen Kehrbesens ‒ war so drohend, daß wir alle Augenblicke fürchteten, er würde mit uns handgemein werden. Doch verschonte er uns noch mit dieser letzten Gattung von Gemeinheit. Nachdem wir so glücklich zum Hause hinaus geschmissen waren, kehrte der General zu jenen drei zurückgelassenen Deputirten zurück und bemühte sich nun, jenen Empfang, dessen beschämende Folgen für ihn zum Bewußtsein kommen mochten, wieder auszugleichen. Er versicherte, über das Benehmen der Soldaten höchlich entrüstet zu sein, eine strenge Untersuchung einzuleiten, wenn dies von der Oberprokuratur beantragt würde; Ja, er trieb die Leutseligkeit so weit, am Schlusse des Gesprächs zu erklären, nunmehr auch die andern Herren hören zu wollen. Natürlich fanden wir uns nicht veranlaßt, uns zu Hern. v. D. zurückzubegeben.
Auf so pöbelhafte, so schamlose Weise wird von der obersten Militärbehörde Düsseldorfs eine Deputation Bürger empfangen, welche sich an den Schutz derselben mit einer Beschwerde über die rohesten Mißhandlungen von Seiten der Soldaten wendet. Ich kann Sie versichern, daß wir über die Exzesse des Hrn. v. D. bei Weitem mehr entrüstet waren, als über die der Soldaten.
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[ 36 ] Minden, 16. October.
Zur Feier des Geburtstages des Königs von Preußen hatten sich die Preußenfreunde bei einem Zweckessen versammelt, um bei Regimentsmusik und perlendem Champagner ihrem Ingrimm gegen die Demokraten Luft zu machen und in patriotischen Seufzern der untergegangenen Monarchie nachzuheulen. Ein Obrist sprach salbungsvolle Toaste. Preußen soll nicht in Deutschland aufgehen! Nein, es soll an seiner Spitze stehen! so brüllte unaufhörlich das Corps der Preußenfreunde mit martialischer Manier und des süßen Weines voll. Wir würden nicht von diesen geringfügigen schwarzweißen Demonstrationen reden, diesen albernen Comödien bureaukratischer Schmarotzer, deren Hurrah! und Hoch! die blasse Furcht vor der Zukunft schlecht verbirgt, wenn der Comödie am Tage nicht eine Tragödie am Abende nachgefolgt wäre, die einem Menschen beinahe das Leben gekostet hätte. Das Militär wird hier von seinen Offizieren schon seit einiger Zeit systematisch aufgehetzt; man erzählt sich sogar ‒ doch fehlen hiefür noch die genauen Beweise ‒ daß ein höherer Offizier vollständige Amnestie für alle Vergehen der Soldaten am 15. October versprochen habe. Daß er den Soldaten befohlen hat, augenblicklich Jeden niederzustoßen oder zu verhaften, der ihnen mit Plakaten u. dgl. sich zu nähern wagen sollte, ist bekannt genug. Es scheint, man will durch Brutalitäten der aufgehetzten Soldateska auch hier Unruhen hervorrufen, den „friedlichen“ Bürger zum Widerstande reizen, dann unter dem Vorgeben, daß die „ Ruhe und Ordnung wiederhergestellt werden müsse“, die Bürgerwehr entwaffnen, dann die Stadt à la Köln in Belagerungszustand erklären, kurz, es hier so machen, wie überall. Es wäre ein Leichtes, dem Militärdespotismus Veranlassung zu diesen „Sicherheitsmaßregeln“ zu geben. Jener Bürger von Minden begibt sich nämlich harmlos auf den Platz, wo die Militärbehörde die Soldaten fütterte und tanzen ließ, wo die Offiziere leutselig mit den Soldaten herumsprangen und brüderlich mit ihnen schwarzweiße Gesänge brüllten. Kaum hatte er sich dem Tanzboden genähert, als er schon von besoffenen Soldaten, die ihn seines starken Bartes wegen für einen „Republikaner“ erklärten, umringt und insultirt wurde. Immer dichter umringt ihn der tobende Haufen, so daß er in das Tanzlokal zurückfliehen mußte; hier trat ihn ein Unteroffizier, der Rädelsführer bei dieser Schlacht, entgegen, und machte ihm durch einige Prügel bemerklich, daß er das Preußenlied singen müsse, wenn er nicht ‒ todtgeschlagen werden wolle! Er mußte, um sein Leben zu retten, dem Willen der bis zur Bestialität aufgehetzten Rotte nachgeben. Wie schmachvoll und empörend! Die Mütze wurde ihm vom Kopfe geschlagen, Prügel regnete es von allen Seiten, so daß der Mißhandelte beinahe besinnungslos zusammensank; der Mantel wurde ihm abgenommen, der Rock in Fetzen gerissen, mit einem Stein wurde ihm ein Loch in den Kopf geschlagen, dann wollte ihn die besoffene Bande in einen Festungsgraben werfen, ließ ihn aber wieder los. Er wurde in das Wachtlokal abgeführt, verfolgt von brüllenden Haufen. Hier trat ihm der wachthabende Offizier (von Döring heißt dieser kleine Held) entgegen: „Eigentlich müßte ich Ihn der Rache des Volkes (?!) preisgeben, Er hat's verdient dadurch, daß Er die Leute gegen ihre Oberen aufgehetzt hat (ist nämlich eine unverschämte Lüge, der Mann hat nicht durch ein einziges Wort zu solchen Brutalitäten Veranlassung gegeben)! Der Laternenpfahl ist viel zu gut für Ihn! In das schmutzigste Loch werde ich Ihn mit Bajonetten hinabstoßen lassen!“ Ein anderer Bramarbas, der Lieutenant Rintel besieht sich den Arrestanten, weil er wie ein zerlumpter Vagabund aussah, von Oben nach Unten, den Schnurbart streichend: Herr, hat Er Ehre (Aehre preußisch) im Leibe? Wenn Er Ehre hätte, so möchte ich mich 'mal mit ihm fassen u. dgl. Nachdem der Mißhandelte 1/2 Stunde in ein Arrestlokal eingesperrt worden war, wurde er wieder herausgeholt und ging unter dem Schutze des Polizei-Kommissars nach Hause. Eine auf Morgen anberaumte Volksversammlung wird die geeigneten Mittel berathschlagen, wie man künftig Seitens der Bürger dem Soldaten übermuth entgegenzutreten habe!
Soeben hören wir, daß noch mehrere Bürger ohne alle Veranlassung von Soldaten mißhandelt worden sind. Man sieht, wie der Beschluß gegen die reaktionären Offiziere praktisch ausgeführt wird!
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Liegnitz im Oktober.
Der hiesige demokratische Verein hat an den Minister Eichmann folgenden „offenen Brief“ erlassen:
Exzellenz! Sie waren so gnädig, sich unser, der Demokraten, wenn auch vielleicht nicht in der freundlichsten Beziehung zu erinnern; und wir fühlen uns verpflichtet, auf diese Bemerkung eine Erwiderung folgen zu lassen. Bis jetzt haben wir mit Bestimmtheit geglaubt, daß da, von wo aus uns die demokratische Verfassung kommen soll, auch die ersten, edelsten Demokraten sein müßten; aber leider scheint dieser Glaube, wie so mancher, auf Trugschlüssen zu beruhen. Freilich mögen seit den Märztagen manche Gedächtnisse Lücken bekommen haben, daß man nun die Erinnerung an längst vergessene Dinge unbequem findet, und so mag es auch mit dem verpönten Worte Demokratie sein. Exzellenz waren ferner so gnädig, uns Demokraten mit Anarchisten in gleiche Reihe zu stellen: dagegen müssen wir aber entschieden protestiren, weil grade die anarchischen Bestrebungen von ‒ uns ganz entgegengesetzten ‒ Punkten ausgehen, wir aber streng auf dem Rechte sutzen. Allerdings ist es unangenehm, wenn die leuchtenden Blitze von Unten die Wühler von Oben beleuchten; dergleichen Dinge sind jedoch zu vermeiden oder zu ertragen. Exzellenz sagten: „die Aufregung im Lande Schlesien sei eine bedeutende!“ Davon müßten wir Schlesier doch vor allen Dingen zuerst Kunde haben? Zwar wissen wir nicht genau, welchen Begriff Sie mit dem Worte Aufregung verbinden. Nach unserem schwachen Verständiß sind wir aufgewacht aus der Nacht der Knechtschaft; wenn Sie das Aufregung zu nennen belieben, dann freilich sind wir aufgeregt. Exzellenz sagten ferner: daß Breslau und Liegnitz die Hauptpunkte der Unruhen in Schlesien seien: das ist wieder nicht der Fall, und daß Emissäre anarchische und demokratische Gesinnungen zu verbreiten bemüht seien. Ja, Sie haben Recht! Nur wissen wir nicht, welcher Partei Sie Recht geben? Ob Sie den anarchischen Wühlereien von Oben herab oder den demokratischen Bestrebungen von Unten herauf den Vorzug ertheilen? Ja, Exzellenz haben mit Ihrem Ausspruche vollkommen Recht! Es gibt, wenn auch wenige, Anarchisten, und es gibt, aber sehr viele, Demokraten. Während wir Demokraten auf gesetzmäßigem Wege fortschreiten und Licht zu verbreiten bemüht sind in die untersten Schichten der Menschheit, um die gewaltsamen Elemente abzuschäumen; wühlen die Anarchisten unter allen möglichen Formen von Oben her, versuchen es, die gesunde Vernunft wieder zu umschleiern und bedienen sich aller, selbst des fluchwürdigsten Mittel, ihren Zweck zu erreichen. Dadurch freilich Hierzu eine Beilage.