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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No. 172. Köln, Dienstag den 19. Dezember. 1848.
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Bestellungen auf die „Neue Rheinische Zeitung“ für das nächste Quartal, Januar bis März 1849, wolle man baldigst machen und zwar in Köln bei der Expedition der Zeitung (unter Hutmacher Nr. 17), auswärts bei den Postanstalten Deutschlands.
Für Frankreich übernehmen Abonnements Hr. G. A. Alexandre, Nr. 28 Brandgasse in Straßburg, und Nr. 23 rue Notre Dame de Nazareth in Paris, so wie das k. Oberpostamt in Aachen; für England die HH. J. J. Ewer u. Comp., 72, Newgate Street in London; für Belgien und Holland die resp. k. Briefpostämter und das Postbüreau in Lüttich.
Durch den Wegfall des Stempels wird der Abonnementspreis ermäßigt und beträgt von jetzt ab für Köln nur 1 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf., bei allen preußischen Postanstalten, (das Porto einbegriffen) nur 1 Thlr. 17 Sgr. vierteljährlich; für Abonnenten im übrigen Deutschland tritt ein verhältnißmäßiger Postaufschlag hinzu.
Die Redaktion bleibt unverändert.
Die bisherigen Monatsgänge der „Neuen Rheinischen Zeitung“ sind ihr Programm. Durch ihre persönlichen Verbindungen mit den Chefs der demokratischen Partei in England, Frankreich, Italien, Belgien und Nordamerika ist die Redaktion in Stand gesetzt, ihren Lesern die politisch-soziale Bewegung des Auslandes richtiger und klarer abzuspiegeln, als irgend ein anderes Blatt. Die „N. Rh. Ztg.“ ist in dieser Beziehung nicht blos das Organ der deutschen, sondern der europäischen Demokratie.
Inserate: Die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.
Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen unseres Blattes eine sehr weite Verbreitung.
Die Gerantur der „Neuen Rheinischen Zeitung.“
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Uebersicht.
Deutschland. Köln. (Friedrich Wilhelm IV. und die Breslauer Deputation. Uerdingen. (Eine Dankadresse). Kleve. (Kochs. — Arntz). Münster. (Lieutenant Bruchhausen). Berlin. (Der Weihnachtsmarkt. — D'Ester. Der demokratische Centralausschuß. — Ende des Dowiatschen Prozesses. Breslau. (Der Bürgerwehrcongreß. — Nachmittagssitzung desselben. — Die Belagerungszustände. — Erzwungene Ehelosigkeit. — Die neuesten politischen Verurtheilungen. — Pläne der Regierung in Betreff der Wahlen). Wien. (Der Prinz Karl in Olmütz. — Intriguen. — Der Lloyd und die franzosische Bourgeoisie. — Oestreicher als preußische Patrioten. — Die „Presse.“ — Der junge Standrechtskaiser und seine Xantippe. — Der Reichstag in Kremsier. — Slaven und Deutsche. — Großfürst Michael und Prinz Albert von Sachsen in Olmütz. — Volkswuth über die Bourgeoisie. — Hinrichtungen. — Joseph des II. Statue. — Ungarn von allen Seiten bedrängt. — Verhaftungen auf dem Lande.) Pillau. (Politische Untersuchung gegen 13 Militärs.) Mähren. (Desertirte ungarische Husaren). Prag. (Aufhebung der demokratischen Vereine. — Ein Befehl von Windischgrätz und Protest dagegen.) — Frankfurt. (Ministerialveränderungen. — N.-V. — Streit unter den Truppen. — Die pr. Soldaten.) Hamburg. (14. Dec. Die constituirende Versammlung. — 15. Dec. Zweite Sitzung derselben.)
Ungarn. Preßburg. (Die Russen in Kronstadt.)
Italien. (Vier Vermittlungsvorschläge zum Brüßler Congreß.) Rom. (Protest der N.-V. — Angebliche Bildung einer provis. Regierung. — Ein Brief Zucchi's an Rossi. — Zucchi und der römische Kriegsminister Latour.) Mailand. (Füsilladen.) Turin. (Die „Concordia“).
Französische Republik. Paris. (Vorkehrungen Cavaignacs und Vorkehrungen des Volks. — Vermischtes. — National-Versammlung. — Handschreiben des Papstes an Cavaignac. — Proklamation Lamoricieres an die Armee. — Stimmenzahl für Louis Napoleon. — Gerichtliches. — Barbet, Letrouet, Bugeaud u. Changarnier. — Legitimistenclub. — National-Versammlung. — Louis Napoleon. — Die Rue Poitiers. — Cavaignac und die Arbeiter.
Großbritannien. London. (Ueber Auswanderung nach Australien. — Chartistenprozeß in Liverpool.) — Dublin. (Die Liquidation der „Versöhnungshalle.“)
Deutschland.
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[ 68 ] Köln, 18. Dezbr.
Wie es nach den ersten Brandenburg-Wrangel'schen Gewaltthaten gegen die Vertreter des Volks Adressen regnete, die zur Freude des potsdamer Königthums in den Preußenvereinen „mit Gott, für König und Junkerschaft“ fabrizirt wurden: so schneit es jetzt nach der Octroyirung einer Charte wiederum Adressen der outrirtesten Loyalität in solcher Menge, daß sie noch lange zur Füllung des „Pr.-St.-A.“ und der „N. Pr. Z.“ ausreichen werden,
Den Adressen schließen sich die Deputationen an. Nicht Deputationen, wie die aus Köln, Koblenz und Trier, welche zu Gunsten der Volksvertreter und gegen die brutale Gewart sprechen wollten. Für diese hat das Potsdamer Königthum weder Zeit noch Ohren.
Das „neugekräftigte“ Königthum ist nur den Abgesandten der „Preußen“- und ähnlicher Vereine zugänglich. Bei ihrem Anblick geht ihm das Herz auf und es beginnt, sich um so ungenirter auszuschütten, als es seiner eigentlichen Sprache monatelang bittere Gewalt anthun mußte.
Unter jenen loyalen Deputationen finden wir auch eine aus Breslau. Bei ihr wollen wir einen Augenblick verweilen. Nicht wegen der Leute, aus denen die Deputation bestand, nicht um der Adresse willen, die sie nach Potsdam brachte: sondern wegen der Worte, die der König von Preußen huldreichst fallen ließ.
Nachdem er gedankt, daß grade von Breslau, von wo er so viel „Trübes und Bitteres“ erfahren müssen, eine solche Deputation bei ihm erschienen sei, fuhr er fort: „Ich muß es Ihnen frei heraus sagen, daß die Behandlung, welche mir durch die Breslauer Deputation im März geworden, das Verletzendste war, was einem König in dieser Beziehung je geboten wurde. Dieser verletzenden Form mußte ich damals mit der Würde entgegen treten, welche ich mir und meinem Volke schuldig war u. s. w.“
Die Könige haben das Glück, daß auch ihr Gedächtniß in unterthänigster Ergebenheit vor ihrer Majestät erstirbt. Andern Sterblichen wird selbst die Freude durch düstre Erinnerungen getrübt. Königen wird der Schmerz selbst aufgeklärt durch die Voraussicht, daß in bessern Zeiten das Gedächtniß selbst sein Gedächtniß verlieren muß.
Am 22. März sagte der König von Preußen vor dem gesammten damaligen Ministerium zur Breslauer Deputation, nachdem sie den Zweck ihres Kommens auseinandergesetzt:
Ich danke Ihnen, m. H., daß Sie gekommen sind; ich sehe mit Freuden Männer mit den populärsten Namen vor mir; wirken Sie fort für Erhaltung der Monarchie, wie Sie bisher gewirkt, so werden Ihre Namen in der Geschichte gesegnet sein!“
So sprach der König von Preußen am 22. März zur Deputation von Breslau; die H. H. Kopisch, Abegg, Tschocke, Stadtrath Becker, Theinert, Heinrich Simon und die übrigen Mitglieder der Deputation sind deß Zeuge.
Kann ein Mensch, der über's Schwabenalter hinaus ist, innerhalb 8 Monaten in größern Widerspruch mit sich selbst gerathen? Es ist dieß nicht die erste Inkonsequenz Friedrich Wilhelms des Vierten, es wird kaum seine letzte sein.
Nehmen wir indeß die letzte Erklärung als die aufrichtig gemeinte, so fragt sich's, womit die März-Deputation aus Breslau so fürchterlich verletzt hat? Die Antwort ist nicht schwer. Die Deputation verlangte im Namen des Volkes allgemeines Stimmrecht und ähnliche gottlose und hochverrätherische Dinge, und das Königthum fühlte sich plötzlich „von Gottes Gnaden“ nicht stark genug, dieser „pressure from without“ (diesem Druck von außen) zu widerstehen. Es mußte die Forderungen der bürgerlichen Kanaille bewilligen oder — sein Testament machen. Es zog das Erstere vor. Hinc illae lacrymae! Von daher das Gift und die Galle!
Und der König sprach zu der December-Deputation aus Breslau weiter:
„Gewiß der gute Sinn ist nicht erloschen, aber er trat in Breslau wie in andern großen Städtchen in den Hintergrund und so haben wir 7 Monate durchmachen müssen, von welchen jeder ächte Patriot nur wünschen kann, daß ihre Schmach aus unserer Geschichte ausgelöscht werde.“
Sieben Monate der Schmach — vom Zusammentritt der National-Versammlung im Mai bis zu ihrer Auflösung im December —: Interpellationen über die königlich-preußischen Gräuelthaten im Posen'schen, über die königlich-preußische Perfidie im dänischen Kriege, über das königlich-preußische Niederschießen von Bürgern und schwangern Frauen in Schweidnitz, über Exzesse der Soldateska an 100 andern Orten; Beschlüsse über Entfernung reaktionärer Offiziere, Abschaffung „von Gottes Gnaden“, Aufhebung des Adels und seiner Vorrechte, Beseitigung der christlich-germanischen Wirthschaft mit Orden und sogenannten „Hundezeichen“ und endlich bevorstehende Erlösung des Landvolks von seinen gutsherrlichen Lasten etc.: Diese „Schmach muß ausgelöscht“ werden. Wie wird sie's? Durch Wrangel's haarscharfgeschliffene Schwerdter und kugelvolle Büchsen, durch Fortjagung der Volksvertreter, Einsperren der Kämpfer für des Volkes Rechte, durch allgemeinen Belagerungszustand und durch Octroyiren einer Verfassung, die uns nothwendig binnen Kurzem, könnte sie irgend Bestand gewinnen, in einen schlimmern Zustand zurückschleudern würde, als der vor 1848 war.
Friedrich Wilhelm in Potsdam fuhr fort:
„Was mich dabei, nächst Gottes Beistand, erhalten hat, was die ganze Zeit hindurch mein Trost gewesen, das ist die treffliche Haltung, die Treue und rührende Liebe des Landvolks. Ja, meine Herren, das platte Land hat die Städte beschämt. … Bis zur Weichsel hin und darüber hinaus baten sie, als Zuzug nach Berlin kommen zu dürfen, um meine Feinde niederzuschlagen.“
Und hat das Landvolk nicht Ursache zu seiner „Treue und rührenden Liebe“? Ist es nicht von den gnädigen Gutsherren, von den Landräthen, Patrimonialrichtern und Gensd'armen unter der Firma „von Gottes Gnaden“ hinreichend gequält und ausgesaugt worden, so daß ihm wohl die Augen vor lauter „Liebe und Treue“ übergehen mußten? Zeigt nicht der im Namen der National-Versammlung veröffentlichte Finanzbericht, daß [Fortsetzung]
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Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.
Zweite Abtheilung. — Drittes Kapitel.
Der Graf hatte Alles aufgeboten, um die Herzogin glänzend zu empfangen. Vor allen Dingen hatte er für die Gesellschaft der hervorragendsten Häupter des benachbarten Adels gesorgt, die entweder für einige Tage bei ihrem Wirthe verweilten, oder am Abend von ihren Landsitzen zu der Wohnung des Grafen hinübereilten, um sich dann erst spät in der Nacht wieder zu entfernen.
Baron von … war einer von den Gästen, die immer nur wenige Stunden blieben. — Er war ein Fünfundvierziger, und ein hoher, breitschultriger, robuster Mann, mit braunem Schnurrbart und einem Backenbart, der in wilden Büscheln bis hoch hinauf auf die Wangen wuchs. Nase, Füße und Hände des Barons waren sehr gewöhnlich; zwei große lebendige Augen verliehen ihm aber einiges Interesse. In seinen Manieren war der Baron im höchsten Grade ungeschlacht; die geräumigsten Zimmer waren zu klein für seine grotesken Bewegungen; er zerbrach bei jeder Soirée einige Tassen, einen Stuhl, oder irgend ein anderes unschuldiges Möbel, so daß seine Freunde ihn ein für allemal als den kostspieligsten Gast bezeichneten. Im Gespräche war der Baron sehr verständlich; er führte die undiplomatischsten Redensarten, und drückte sich sogar sehr derb aus, wenn er in Eifer gerieth. Nichtsdestoweniger war er bei den Damen gern gesehn, denn der Baron war jedenfalls eine zu ehrliche Erscheinung, als daß man ihm hätte zürnen sollen. Er ließ sich auch so willig von den jungen Comtessen an der Nase herumführen, daß man ihm schon der komischen Scenen wegen, zu denen er Veranlassung gab, mit Freuden alle Extravaganzen verzieh. Schrecklich blieb er freilich für die meisten Damen, durch den mehr als pikanten Duft des Pferdestalles, den er fortwährend in seinen Kleidern trug. Die Röcke und Beinkleider des adligen Herrn waren dergestalt von diesem durchdringenden Parfum gesättigt, daß die Fürstin X. einst ohnmächtig wurde, als sie den Baron näher beroch. Ein wahrer Kampf entspann sich zwischen der Atmosphäre des Salons und der Atmosphäre des Stalls, wenn der Baron zur Thüre hineintrat, und Fürstin X. behauptete, sie glaube auch jedesmal nichts anderes als daß ein leibhaftiger, vierfüßiger Hengst hereinspaziere. Das Eigenthümliche und Charakteristische des Barons hatte sich aus seiner täglichen Beschäftigung, aus seinem stündlichen Umgang entwickelt. Der Baron war nämlich nicht nur ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Reiter, sondern er trieb auch in eigner Person den bedeutendsten Roßhandel. Besonderes Vergnügen machte es ihm stets, von wahrhaft fabelhaften Gewinnsten zu erzählen, die er bei seinem Schacher realisirt zu haben meinte. Kein Roßkamm, versicherte er, habe ihn je betrogen; er sei dagegen der Mann, der alle Welt überliste, und halbtod wollte er sich oft über diesen und jenen Israeliten lachen, den er bei dem letzten Geschäft hintergangen zu haben vorgab. Gut unterrichtete Freunde wußten indeß besser, wie es mit der Liebhaberei des Barons aussah. Sie hatten meistens schon selbst davon profitirt, und hüteten sich wohl, ihren enthusiastischen Bekannten in seinen Illusionen zu stören. Sie wußten, daß der Baron nur der Lust des Kaufens und des Verkaufens wegen den Roßhandel trieb, und daß er sich wenig daraus machte, wenn die Summe seiner Verluste jährlich einen nicht unbeträchtlichen Ausfall in seinen sonstigen Revenüen hervorbrachte. Vor allen andern zeichnete sich der Baron als Mitglied eines Reitjagd-Klubs aus, der nach englischem Muster, bei dem schlesischen Adel seiner Zeit viel Furore machte. Dieser Klub existirte nur für den Adel und für wenige auserlesene Bürgerliche; er sollte die Freuden des Reitens und der Jagd miteinander verbinden, „um die preußische Jugend wieder zu stählen.“
Dieses „Stählens“ bedurfte der Baron freilich nicht, denn trotz mancher Ausschweifungen mit den Landschönheiten seiner Umgebung, führte er im Ganzen ein sehr regelmäßiges Leben, und konservirte seinen eisernen Körper. Er stand Morgens mit der Sonne auf und schlief deswegen auch Abends im Salon, in der besten Gesellschaft, oft laut schnarchend auf seinem Stuhle ein. In den von den Landräthen ausgeschriebenen Kreisversammlungen, die in Schlesien gewöhnlich aus 50 adligen Gutsbesitzern und aus nur 6 oder 8 bürgerlichen und bäuerlichen Deputirten bestehen, fehlte der Baron selten. Noch pünktlicher fand er sich indeß auf den in allen benachbarten Orten regelmäßig statthabenden Wochenmärkten ein; nicht nur um Pferdehandel zu treiben und als Schaafzüchter seine Wolle an den Mann zu bringen, sondern namentlich der Annehmlichkeit wegen, viele Leute seines Gelichters beim Trunk oder Spiel zusammen anzutreffen. Diese Wochenmärkte bildeten für den schlesischen Adel lange Zeit einen besuchteren Sammelplatz, als die gegen das Ende der dreißiger Jahre gestifteten Adels-Reunionen, die zuerst nach den Freiheitskriegen auftauchten, dann aber für einige Jahre wieder verschwanden. Die Krone aller Vergnügungen war für den Baron der jährlich gleich nach Pfingsten stattfindende große Wollmarkt in Breslau. Es ist hinlänglich bekannt, daß der ganze schaafzüchtende schlesische Adel um diese Zeit nach der Hauptstadt der Provinz pilgert. Der Baron war von jeher einer der hervorragendsten Besucher dieses Marktes. Er schlug bei solchen Gelegenheiten mehr Geld todt als jeder andere, und es war ihm schon mehr als einmal passirt, daß er eine gehörige Portion Schulden machte, statt einen Haufen Geldes für die verkaufte Wolle mit nach Hause zurückzubringen. Außer dem unvermeidlichen Pferde- und Wollhandel, trieb der Baron auch noch die Runkelrüben-Kultur und die Schnapsbrennerei, so daß er also in seiner Person fast alle „nobeln Passionen“ des schlesischen Landadels vereinigte.
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[Deutschland]
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[Fortsetzung] die sauer errungenen Pfennige des Landvolks auf königliche Wildparks, Schlösser, zu Geschenken an Adlige und hohe Beamte, zum Wohlleben und zur Verschwendung des Hofes wie seiner Kreaturen verwandt wurden? Wahrlich, das Landvolk muß wohl unter solchen Umständen von ungeheuer „rührender Liebe“ beseelt sein.
Die Treue und Liebe ist auch zum Ausbruch gekommen. Die Illustrationen zu der königlichen Behauptung haben die Landwehrmänner des platten Landes in fast allen Provinzen geliefert, indem sie fast überall die Einkleidung weigerten, wenn nicht Noth oder Gewalt sie dazu zwang. Was aber den „Zuzug nach Berlin“ anbelangt, so beschränkte er sich auf einen verrückten Justizkommissar zu Samter, in dessen Gehirn 20,000 bewaffnete Bauern herumspukten, die sich höchstens auf einige von Beamten, Gutsbesitzern und pietistischen Pfaffen verdreht gemachte Pferdeknechte reduzirt hätten.
Wie es mit der stereotyp gewordenen „Treue und Liebe“ des Landvolks aussieht, das zeigen ferner Schlesien, wo seit Juni mobile Kolonnen von wegen der „Treue und Liebe“ das Land durchstreifen; das ergibt sich aus den vom Landvolk gewählten Vertretern; das läßt sich daraus erkennen, daß gerade die ländlichen Kreise mit dem königl. preuß. Belagerungszustande beglückt werden und daß ganz ähnlich in Pommern, Sachsen, Westphalen und der Rheinprovinz jene „rührende Liebe“ an den Tag gelegt wird.
Es genüge diese Illustration zu der königl. Behauptung über die Schwärmerei des platten Landes für „das Königthum von Gottes Gnaden.“ Bestätigte sich aber die Allerhöchste Ansicht, so würden spätere Geschlechter den Zwiespalt zu lösen haben, daß im Staate der Intelligenz, in Preußen, die Residenzen der Intelligenz, die Städte gegen und die Dörfer sich für das Königthum aussprechen, nach der Meinung eines Königs des Staates der Intelligenz. Allerdings erklärte schon Cäsar, er ziehe vor, der Erste in einem Dorfe als der Zweite in Rom zu sein.
Nicht zufrieden, die verschiedenen Klassen des Volks, die Land- und Städtebewohner, einander feindlich entgegenzustellen und diesen Haß, wäre er vorhanden, noch mehr anzufachen, statt zu besänftigen: weiß der König von Preußen schließlich seine Rache nicht besser zu kühlen, als daß er der großen Mehrheit des Volkes einen unerhörten Hohn ins Gesicht schleudert, der freilich verdoppelt auf ihn zurückprallt.
„Aber, Gott sei Dank, es (der Bauern-Zuzug) war nicht nöthig, denn meine Feinde sind auch heute gewesen, wie sie sich immer gezeigt, sie sind feige gewesen.“
Allerdings hat sich die Bourgeoisie feige gezeigt: in Berlin, wie in Breslau, an der Weichsel, wie am Rhein. Und nicht blos feig, sondern hündisch.
Aber es war auch nicht die Bourgeoisie, von welcher die Revolution gemacht, von welcher gekämpft worden. Ihr genügte es, die Revolution in ihrem eigenen Interesse auszubeuten. Das so leicht Errungene ließ sie eben so leicht aus den Händen gleiten.
Mag dieses noch so richtig sein, so sollte sich ganz besonders der König von Preußen hüten, dieses verfängliche Thema zu berühren. Denn es gibt ein Schloß in Berlin, zu dessen Balkon im März der donnernde Ruf drang:
„Hut ab!“ — „Er zog den Hut!“
Und in Potsdam lebt ein Mann, der 11 Monate zuvor bei allen Himmeln geschworen, daß sich zwischen ihn und sein Volk nie ein beschriebenes Blatt Papier (nach französischem Muster) drängen solle: Der aber das Alles in der Angst vor den Feiglingen des März vergaß und Alles genehmigte, was er sonst für unverträglich mit seinem Gotte und seiner Religion erklärt hatte. Auch von den tapfern Schaaren „mit Gott für König und Junkerschaft“ war nichts zu spüren, bis endlich im Bündniß mit Nikolaus und Windischgrätz und im Hinblick auf die vermehrten und konzentrirten Kanonen und Bajonette ein urplötzlicher Muth auftauchte, der am „passiven“ Widerstande seine Lorbeeren errang.
Ist aber einmal von Feigheit die Rede, so kommts lediglich auf die Frage an: Wer ist der Feigste, der Feigling, welcher siegt, oder der vom Feigling Besiegte?
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[ 115 ] Uerdingen, 15. Sept.
Die reaktionäre Partei in unserm winzigen Städtchen hat durch die gewaltsamen Ereignisse in diesen Tagen es endlich wagen können, ihr Spiel öffentlich zu spielen; sie hat mit der Komödie: „Dankadresse an den König“, begonnen. Das Komische darin ist der Dank für die Entrichtung einer Schuld, die vor drei und dreißig Jahren hätte bezahlt werden müssen, zu deren Erhebung die Kreditoren am 18. März den Weg der Exekution einschlugen, dem Schuldner dabei aber, um ihn nicht gänzlich in Armuth zu stürzen, und um nicht hart zu erscheinen, den Vortheil zukommen ließen, mit ihnen freundschaftlichst sich zu vereinigen, um zu untersuchen, wie groß die Schuld eigentlich sei, welche Vereinigung der geängstete Schuldner natürlich annahm.
Als derselbe Schuldner aber sah, daß die Forderungen der Kreditoren zu groß werde und dieselben unter sich uneinig seien, da rief er seine Knechte zusammen sammt ihren Mistgabeln, und trieb nun die Kreditoren weg, diktirte ihnen eigenmächtig die Größe seiner Schuld, wobei er weislich einige ihrer Forderungen acceptirte.
Aus dem Gemeinderathe bildete sich mit Ausnahme zweier Mitglieder desselben, welche aus wohl zu vermuthenden Gründen nicht mitspielen konnten, ein Comité, das für die glückliche Ausführung des Stückes Sorge tragen sollte. Sogleich wurde durch einen buntfarbigen Diener das Vorhaben des Comité's bekannt gemacht mit der Einladung zu einer zahlreichen Theilnahme. Es meldeten sich gleich einige freiwillige Theilnehmer; da aber ihre Anzahl zur Ausführung des Stückes zu klein war, so kommandirten einige dieser Theilnehmer ihre Untergebenen, natürlich gegen eine bedeutende Gage, darin bestehend, ferner auf beständige Arbeit rechnen zu können; einige sollen sogar zu dem Spiele gezwungen worden sein. Die gutmüthigen Arbeiter bedenken übrigens nicht, daß man sie dennoch gehen läßt und gehen lassen muß, wenn die Geschäfte wieder stocken. Viele haben sich betheiligt, weil sie befürchteten, es würde ihnen in der jetzigen schweren Zeit ihre Gage, die Arbeit entzogen werden. Mit zerknirschter Seele beklagen diese den augenblicklichen Sieg der Reaktion, der sie verurtheilt, ein so unwürdiges Spiel mit sich spielen zu lassen. Ihre Wuth im Herzen verbürgt uns eine bessere Zukunft. Einige eben dem Knabenalter entwachsene Jünglinge sollen auch zu dem Spiele herangezogen worden sein.
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[ 72 ] Cleve, 15. Dez.
Zu Zeiten geht es hier recht gemüthlich her. Auf der verhängnißvollen Fahrt von Berlin nach Brandenburg begriffen, war unser Mitbürger Landgerichtsrath Kochs, Deputirter für den Kreis Geldern, auf eine kurze Zeit in hiesiger Stadt anwesend. Einer gewissen ziemlich hochgestellten Person wurde auf einem Spaziergange die bestimmte Nachricht, besagtem Deputirten sollte eine Anerkennung in Form einer feierlichen Katzenmusik dargebracht werden. Der Erzähler der bestimmten Nachricht machte einen unschuldigen Witz, dessen Folgen aber bedeutend wurden. Schon war es dunkel in den Straßen der alten Stadt, als plötzlich die Bürgerwehr bis an die Zähne bewaffnet, aufmarschirte und die halbschlafenden Einwohner in einen panischen Schrecken versetzte. Verwirrte Fragen: „was soll's? was wirds? kommen die Preußen? oder gar die Franzosen?“, die hörte man allenthalben. Nichts von dem; es soll eine Katzenmusik dem Hrn. Kochs gebracht werden, und das glückliche Volk begleitete die Bürgerwehr. Es hatte noch nie eine derartige Musik gehört, es war im guten Glauben, die Bürgerwehr wolle ein Spalier bilden für die Katzenmusikanten. Kein gemüthlicheres Volk giebt es als hier am Orte, so ruhig, so gänzlich harmlos, und doch mißtraut man ihm, fürchtet es sogar, und das ist bitterer als Wermuth. Eine Katzenmusik fand demnach nicht statt, kein Musikant war am Platze, todt und leer war alles. Einige Neugierige wurden den Abend durch Polzisten verhaftet, sofort aber durch den wachehabenden Bürgerwehrhauptmann in Freiheit gesetzt; ein kleines achtjähriges Würmchen erhielt einen unbedeutenden Stockhieb und ein Buchbinder einen flachen, mithin auch unschuldigen Säbelhieb; darauf ging dann Bürgerwehr, Polizei und Volk ruhig schlafen.
Dem jetzt aus Berlin zurückgekommenen Deputirten Arnttz, der stets auf der Rechten saß als echter doktrinärer Brüsseler Professor und erst zuletzt aus konstitutioneller Entrüstung den Ministerialismus aufgab, sollte ein feierlicher Fackelzug gebracht werden, auch ein Beweis der politischen Unschuld in Cleve und umliegenden Ortschaften. Wir vergessen leicht. Ein Fackelzug für Hrn. Arntz ist doch so unschuldig wie nur etwas; bei alledem aber ward er verboten, weil durch den Steuerverweigerungsbeschluß Zwiespalt und Unruhe im Lande enstanden sei. Ein Fackelzug und ein Steuerverweigerungsbeschluß, wie reimen sich die zusammen? Nicht dem Hrn. Arntz, ahnte die Regierung, sondern der Steuerverweigerung galt dieser Fackelzug. Die Seele aller dieser Maßregeleien scheint ein Mann zu sein, der die seit 200 Jahren dem Hause der Hohenzollern in treuester Liebe ergebene Stadt, in Belagerungstand versetzt wissen möchte; ein Mann, der im März und April jeden Menschen Freund und Bruder nannte, mit jedem freundlich that, sogar mit der Kanaille Schnaps trank, Bruderküsse erhielt, und jetzt? wie ist doch Alles so ganz anders geworden!
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@facs0928
[ 71 ] Münster, 12. Dezbr.
Unsere Militärbureaukratie hat wieder einmal eine Probe ihrer Thätigkeit abgelegt, die hinter den ältern in der 7. Artilleriebrigade seiner Zeit vielbesprochenen Proben nicht zurücksteht. Diesmal ist es der Lieutenant und Dr. phil. v. Bruchhausen (Bruder des Abgeordneten zur Berliner Nationalversammlung), welcher zur Zeit der hier stattgehabten Anneke'schen Prozesse nach Luxemburg kommandirt und jetzt das Opfer der offen und geheim täglich frecher wirkenden Partei gewordrn. Am 18. März befand er sich in Berlin und war Augenzeuge der dortigen Ereignisse. Der Tod seines Freundes, des Lieutenant Tüpke, wurde Veranlassung, daß er damals einen Aufruf „An sämmtliche Berliner“ drucken und vertheilen ließ. Schon bei dieser Gelegenheit beabsichtigte man Etwas gegen ihn; aber man begnügte sich vorläufig mit seiner Zurückversetzung zu seiner Brigade. Ein Kriegsgericht wurde nicht beantragt, weil man keinen haltbaren Grund finden konnte und ein Ehrengericht?! Man hat damals förmlich bei den Offizieren der Brigade rundgefragt, „ob sich dieser Fall zu einem Ehrengerichte eigne?“ Die Offiziere, die in ihrer Majorität längst das unsinnige Institut der preußischen Ehrengerichte haßten, sprachen sich auch diesmal gegen ein Ehrengericht aus. Später hat der Lieutenant v. B. in öffentlichen Blättern auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die uns von Seiten der Russen drohten. Er hat den russischen Staat als Staat der Knechtschaft und Lüge hingestellt, kurz, sehr viel gegen die Russen geschrieben. Alle diese verschiedenen Artikel hat er mit seinem Namen und seiner Charge unterzeichnet. Dies war den Herren vom Militär etwas zu arg. Der Kommandeur, Major Leonhard, ließ ihn zu sich bescheiden und verwies ihm sein öffentliches Auftreten gegen die Russen. Er, als preußischer Offizier (!) dürfe eine „befreundete Macht“ (!!) auf diese Weise nicht angreifen. Er solle überhaupt das Schreiben gegen die Russen unterlassen (!!!) Lieutenant v. B. kehrte sich indessen nicht daran. Vorläufig ließ man ihn zwar in Ruhe. Nach dem Falle Wiens aber, am 2. November, sagte ihm sein Kommandeur: wenn er sein feindliches Auftreten gegen die Russen nicht lassen könne, so möchte er als invalide seinen Abschied nehmen. Einmal ist nun B. nichts weniger wie invalide, anderntheils wollte er aber auch sehen, wie weit man es mit ihm in dieser Beziehung treiben würde. Er erklärte also, nicht abgehen zu wollen. Seiner Russenfeindschaft wegen, die er gewagt hat, offen und ohne Rückhalt auszusprechen, will man ihn à tout prix aus der Armee heraus haben; deshalb sagte ihm sein Kommandeur: „Man würde beantragen, daß er zur Disposition gestellt werde, weil er (der bereits seit 12 Jahren bei der Artillerie dient) dienstlich unbrauchbar sei. Durch das viele Studiren habe er den praktischen Blick verloren etc.
v. B. that seit dieser Zeit keinen Dienst mehr und erwartete, daß er jetzt mit Gewalt aus der Armee entfernt wird, trotzdem daß nichts, als seine Abneigung gegen die Russen gegen ihn vorliegt.
Gestern hat er nun wirklich seinen Abschied erhalten, in welchem sich noch die Phrase findet: aus Gnaden mit Pension.“
Das herzlichste Einverständniß zwischen den hohen Verschwornen von Potsdam, Berlin und Petersburg erfordert, wie sich von selbst versteht, die Entfenung jedes Offiziers, der sich nicht zum Werkzeug der kosakisch-preußischen Contrerevolution mißbrauchen lassen will.
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[ 14 ] Berlin, 15. Dez.
Es ist Weihnachtsmarkt, und alle Welt vergnügt mit Ausnahme der Mißvergnügten. Es ist so wie im vorigen Jahre, mit der Ausnahme, daß es schlechter ist. Wer sich jetzt amüsiren will, hat Gelegenheit vollauf dazu, aber seltsam genug, Niemand amüsirt sich. Da spazieren die belagerten oktroyirten Verfassungs-Unterthanen mit gähnenden Mäulern zu Kroll oder in Sommers Salons, nach Villa Colonna oder in die neue Konversationshalle auf dem Dönhofsplatze. Ueberall ist prachtvoller Schimmer und ödeste Langeweile. Nur „Lucifers Töchter“ im Königsstädtischen Theater machen in letzterer Beziehung eine Ausnahme, wogegen wiederum Held's Puppenspiel in Mylius-Hotel nicht viel Erquickliches bietet. Der große Held! Vor Kurzem noch der Mann des Volkes und nun der Affe des Volkes. Tempora mutantur — gedankt sei Dir, Vater Wrangel!
Der Weihmachtsmarkt ist gut und reichlich ausgestattet, was nicht wohl anders sein kann, weil die Hälfte der Verkäufer — Ausverkauf hält. Vater Wrangel hat es sich nun einmal vorgenommen, daß Gras in Berlin's Straßen wachsen soll. Was der Revolution nicht gelungen, wird dem Belagerungszustand gelingen. Vielleicht aber ist der Erlöser nahe. Im Vertrauen sagte mir gestern ein junger Kaufmann, er wisse aus sicherer Quelle, daß am 20. d. das ganze königliche Haus in Berlin erscheinen werde, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Der junge Kaufmann freute sich auf die Friedrichsd'or (die Leute haben noch Geld), wir freuen uns auf die strahlenden selbstzufriedenen Gesichter, der Abwechselung wegen. Gehen wir nämlich jetzt auf den Weihnachtsmarkt, so begegnen uns dutzendweise die Paupers und namentlich arme Weiber mit schreienden Würmern auf den Armen, die Alle nach den glänzenden Sachen verlangen, aber nichts kriegen, weil — die Leute kein Geld haben.
Von Politik schreibe ich Ihnen nichts — es gibt keine.
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@facs0928
[ * ] Berlin, 16. Dezember.
D'Ester hat gestern einen Zwangspaß erhalten und ist nach Cöthen gegangen, wohin der Centralausschuß der Demokraten verlegt ist.
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@facs0928
[ 68 ] Berlin, 16. Dez.
Gestern ist endlich in dem Dowiat'schen Prozeß das Urtel gesprochen worden, und zwar zum ersten Mal unter der durch die Verfassung festgesetzten Formel: „Im Namen des Königs etc. Die beiden Hauptangeschuldigten, Dowiat und der Handlungsdiener Müller, sind als des Aufruhrs schuldig beide zu 6 Jahren Festung kondemnirt. Von den übrigen Angeklagten sind als der Theilnahme des Aufruhrs schuldig 4 zu 6 Jahr Strafarbeit, 2 zu 3 Jahr, 2 zu 1 Jahr und 1 zu 6 Monat verurtheilt; 5 sind von der Anklage entbunden und 1 der thätlichen Widersetzlichkeit nicht schuldig erklärt worden.
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@facs0928
[ X ] Breslau, 15. Dez.
Der Bürgerwehrkongreß für Preußen wurde heute früh um 10 Uhr eröffnet. Der Saal war militärisch mit Waffen, Trommeln und Fahnen geschmackvoll dekorirt, unter letztern befand sich sogar eine — rothe. Der zeitige Oberst Engelmann hielt eine kurze Anrede, worin er als Vorlage entwickelt: die Verbesserung des Bürgerwehrgesetzes und die Organisation der Bürgerwehr selbst. Angemeldet waren 55 Wehrmänner. Die Versammlung schreitet dann zur Wahl des Büreaus — durch Stimmzettel. Nachdem einige der Herren mit feinen Komplimenten für die Ehre, Präsident zu sein, gedankt hatten, wurde als solcher proklamirt: Engelmann, der, nebenbei gesagt, vorher sich geweigert hatte, dieses Amt zu bekleiden. Vicepräsidenten wurden: Pfeiffer aus Breslau und Schücker aus Breslau. Plötzlich tagt es bei den Herren Kameraden, und die Sekretäre werden durch [0929] Akklamation gewählt: Tülf, Rawizcz aus Breslau, Schmiedecke aus Neiße und Schulz aus Brieg. Die aufgelöste Berliner Bürgerwehr wird gehocht, und dafür dann gedankt. (Wofür?)
Es entspann sich eine Debatte über die bedingte und unbedingte Oeffentlichkeit. Das Comité hatte einen Unterschied gemacht zwischen dem bewaffneten und unbewaffneten Volk, letzterem war der Zutritt bisher verweigert, dagegen den Bürgerwehrfrauen — der Elite, der Hauptleute, kurz der Bevorzugten — gestattet. Letztere Maxime wurde verworfen und unbedingte Oeffentlichkeit beliebt. Um die Tagesordnung festzusetzen, debattirte man so lang und breitspurig, wie nur die Deutschen vermögen, endlich einigte man sich dahin, zuerst die Kritik des Bürgerwehrgesetzes vorzunehmen. Doch begreifen die Herren, daß sie eine ziemlich langweilige Aufgabe lösen müßten. Simion aus Berlin wünscht daher, daß man sich nur über die Prinzipien des Bürgerwehrgesetzes verständige, die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes für die Kammern dagegen einer Kommission nach Beendigung des Kongresses überlasse. Er hebt vorzüglich hervor: Ressort der Bürgerwehr, Eidesleistung, Strafbestimmung, Gerichtswesen, Wahl der Führer und Kostenpunkt. So zweckmäßig dieser Antrag auch ist, so setzen doch die Breslauer Bourgeoisdeputirten ihre sehr unvollständigen Vorlagen durch. Aus dem Antrage Simion's wurde doch noch herausgelesen: die Bürgerwehr möge nicht in das Ressort eines Ministeriums gehören, sondern Gemeinde-Anstalt bleiben. Hierüber wird heute Nachmittag berathen. Mit seltener Konsequenz hatten diese Herren, die den Simion'schen Antrag verworfen hatten, diesen wieder hervorgeholt, und um die Breslauer Stadtverordneten in ihrer Inkonsequenz noch zu übertreffen, faßten sie sogar den Beschluß: Eine Kommission niederzusetzen, die für die nächsten Kammern einen neuen Gesetzentwurf ausarbeiten soll. Sapienti sat.
Dies die Thaten der Herren am ersten Morgen.
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@facs0929
[ X ] Breslau, 15. Dezbr.
In der Nachmittagssitzung waren noch Deputirte gekommen aus Danzig, Elberfeld und Spremberg. Die Debatte begann wieder wie bei allen Deutschen mit Formalien und immer waren auf hohem Rosse der Dr. Edler aus Berlin, der stets unwillig wurde, wenn man seine formellen Anträge nicht annehmen wollte. Jetzt geht man zum Ressortverhältniß der Bürgerwehr über. Der Antragsteller Meyer aus Berlin motivirt seinen Antrag auf §. 4 des Gesetzes dadurch, daß die Wehrmänner Söldlinge seien. Er beantragt: Jede Provinz sendet einen Vertreter, also 9 Männer, diese wählen einen Vorsitzenden und bilden ein Volksministerium. (Seit wann hat Preußen 9 Provinzen?) Dr. Edler, der Feenritter, wünscht als ersten Paragraphen des zukünftigen Wehrgesetzes, „die Bürgerwehr ist ein Theil der Volkswehr“ doch wünscht er Volkswehr! Es ist klassisch! Es will also Dr. Edler die Bürgerwehr gesondert von der Volswehr hinstellen. Werthmann aus Magdeburg spricht gegen die Anhäufung der Ministerien, steigert am Ende der Rede seine Stimme bedeutend, um — Er erhält ein Bravo. — Pflücker aus Breslau wünscht die Debatte fallen zu lassen. Um die Verfassung zu schützen, müsse die Bürgerwehr Gemeindesache werden, nur von der Gemeinde könne die Requisition an die Bürgerwehr ergehen. Die Bildung eines besondern Ministerii hält der Redner für ein Unding, und beantragt, die Sache so zu nehmen, wie sie liegt, zumal da das Gesetz nur provisorisch ist. Schildknecht aus Berlin und Friedensburg: die Bürgerwehr soll allein abhängig von der Kommunal- und Distriktsbehörde sein. Simion hält für die beste Organisation: die Provinz wählt Provinzialräthe, die Centralräthe, die neben dem Bürgerwehrminister stehen, sollen von der Volksvertretung gewählt werden. Diese Kommission soll darüber wachen, daß von den Ministern nicht die Verfassung verletzt werde. Ruge (der Biedermann) ritt bekanntlich einst auf dem Humanismus durch Deutschland und zwar beschränkte sich sein Humanismus auf eine einzige Rede, worin er viel Humanismus von den Zuhörern beanspruchte. Gleiches thut der Hr.Meyer, ehemaliger Schauspieler, er bringt fortwährend die Floskel: „das Recht ist eine wächserne Nase“ in allen seinen Reden vor, und erndtet meistentheils dadurch der Zuhörer Beifall. Die wächserne Nase ist immer den Humanismus werth. Thouet, ein gewrangelter Berliner, ist gegen jeden weitgehenden Antrag, denn das Ministerium legt solche bei Seite, und das wäre doch gräßlich. Nur bescheiden, nur bescheiden! Der Formenritter Edler erscheint auf dem Kampfplatze, spricht von Allem, nur nicht von der Sache, sogar von der Spitze der Führer, erzählt Berliner Geschichtchen etc.
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@facs0929
Mätze,
Exdeputirter, fürchtet mit Recht, daß ein Bürgerwehrminister das ihm gebotene Gift am Hofe ebenfalls einathmen wird, und daß nie ein Minister das Volk aufrufen würde gegen das Ministerium selbst das Volk selbst müsse freiwillig handeln und nicht erst warten eines Rufes von Oben. Die Centralisation der Bürgerwehr sei die der Freiheit; jeder Bürgerwehr stehe es frei, ihre Verbindung zu suchen; eine Organisation von Oben ist stets verwerflich. Die Bürgerwehr braucht kein Ministerium. (Endloser Jubel.)
Pfeiffer, ebenfalls ein gewrangelter Berliner, spricht sehr sentimental, er fordert ein Glaubensbekenntniß, damit die Regierung sich endlich überzeuge, daß wir keine Republik, am allerwenigsten aber — jenes Scheusal — die rothe Republik fordern, sondern einzig und allein die Monarchie, in der das Volk seine Angelegenheit selbstständig verwaltet! Hr. Pfeiffer will also eine republikanische Monarchie.
Engelmann stellt auf: die Regelung des Ressortverhältnisses sei sehr schwierig, zerfließt in Pathos, spricht von Vereidigung des Heeres auf die Verfassung etc., über freie Gemeindeverfassung und kommt dadurch auf die Bürgerwehr zurück; dieselbe soll nach Bezirken, Distrikten und Provinzen abgegrenzt sein und je nachdem besondere Kommandeure erhalten, und sich dem Ministerium des Innern unterordnen.
Der Schluß wurde jetzt endlich beliebt, und aus dem Chaos geht hervor: als Schöpfung preußischer Wehrmänner:
1) die Streichung des §. 5: „Die Bürgerwehr gehört zum Ressort des Ministeriums des Innern.“
2) mit 27 gegen 25 Stimmen: „ein Ministerium der Bürgerwehr zu konstituiren, das die Krone ernennt.“
Recht so, immer mehr Organe für die Krone; es lebe die Bureaukratie! Neben diesen königl. Minister sollen Räthe stehen, gewählt entweder von Prov.-Räthen, oder den Vertretern des Volkes. Bravo, bravissime, sollten doch Paulskirchler einst von den Vertretern des Volks — dem Vereinigten Landtag erwählt werden! Man sieht: die braven Preußen lernen nichts aus der Geschichte; das alte Vertrauen ist immer noch nicht verloren.
Hiermit schloß die Verhandlung des ersten Tages; die Versammelten begaben sich aus dem Saale, wo so manche Disharmonie geherrscht hatte, in den Wintergarten, um ihre Disharmonie durch harmonische Töne eines Concerts paralysiren zu lassen.
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@facs0929
[ X ] Breslau, 15. Dez.
Statt einer Revolution gibt's Revolutiönchen in Schlesien. In Kreutzburg verlangten bekanntlich mehrere Bauern Befreiung von ihren Robotdiensten etc., dem widersetzte sich der Gutsherr. Es kam zu Streitigkeiten, bei denen 3 Bauern erschossen und ein Gutsherr v. Gladis getödtet wurde. Sofort trat der Belagerungszustand ein. Bereits sind Massen von Gefangenen nach Neisse und Brieg eingebracht und die sogenannten Rädelsführer auch schon zu 3 Jahre Zuchthaus verurtheilt worden. Auch im Gleinitzer Kreise soll es Bauernunruhen geben, ist dies der Fall, so wird auch jener Kreis nebst einer Demarkationslinie, die noch einige angrenzende Kreise zur Hälfte einschließt, mit dem Belagerungszustand beehrt werden. Der Wunsch der „Galgenzeitung“ in Berlin, (Organ der Brandenburg-Manteuffel und Comp.): über ganz Schlesien ja recht schnell den Belagerungszustand zu verhängen, könnte sonach bald in Erfüllung gehen. Wir leben jetzt unter einem größern Druck als die Juden unter Pharao. Man war damals noch humaner, als man glaubt. Pharao erlaubte den Juden wenigstens zu heirathen, die Erstgebornen aber befahl er zu tödten, wir dagegen dürfen laut §. 17 der Verfassung von „Gottes Gnaden“ nicht mehr heirathen, es sei denn — daß das Gesetz über die Civilehe bald erscheint. Doch damit wird's gute Weile haben, und darum sind alle Heieathslustigen und -bedürftigen zu beklagen.
Sie kennen ohne Zweifel die Verurtheilung Dr. Borchards zu 12 Jahr Festung und Verlust der Nat.-Cocarde und des Dr. Asch zu 1 Jahr Festung. Unbekannt dagegen dürften Ihnen die Gründe des Urtheils sein. Dr. Asch und Borchard haben die Kokarde verloren — aus Mangel an „patriotischer Gesinnung“ denken Sie? Bewahre! dies wäre ja ein Paragraph aus dem Allg. Landrecht, das nichts mehr gilt, seitdem durch die octroyirte Verfassung den Gesetzen Hohn gesprochen worden, nein, Beide müssen diesen schrecklichen Cocardenverlust erleiden aus Mangel an — „politischer Gesinnung!“ Auch ist unter den Belastungszeugen gegen Dr. Asch angefuhrt: Dr. Asch selbst. Dies zur Charakteristik des hiesigen Gerichts.
Als Curiosum noch Folgendes: der deutsche biedre Mann, dem der Mann von „Gottes Gnaden“ die Hand drückt ob seines guten Benehmens bei den Vorgängen am 20. Nov. auf dem Stadthause, dieser biedre Mann, Klempnermeister Vogt, ist ob jener Vorgänge in Untersuchung gezogen. Dieser „königliche handgedrückte“ Mann lud nämlich am 20. Nov. sein Gewehr, um die Mitglieder des Magistrats sofort, wie die Fama sagt, am Weitergehen zu verhindern.
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Breslau, 14. Dezember.
Wie ernst es der Regierung ist, mit den versprochenen Freiheiten das Volk wirklich zu beglücken, geht aus folgenden zwei Thatsachen hervor. Zunächst läßt die Regierung von den Landräthen Recherchen anstellen, ob die Deputirten den von der Nationalversammlung gefaßten Beschluß der Steuerverweigerung in irgend welcher Weise verbreitet haben, um diese Deputirten zur Untersuchung ziehen zu können. Man glaubte, die Regierung habe diese Absicht aufgegeben, indeß dem ist nicht so. Wie sollte sie auch? Ist dies doch das beste Mittel, jene Männer für die Wahlen unschädlich zu machen, und in welcher Weise ginge dies besser? Es ist aber nicht allein nothwendig, daß man die Männer, die möglicher Weise einen Einfluß ausüben können, in jeder Weise verfolgt, die Regierung sieht sich auch zu anderen Maßnahmen — die Furcht gebietet sie ihr — genöthigt. Diese bestehen darin, daß man ganze Kreise in Belagerungszustand versetzt. Durch das sofort proklamirte Martialgesetz wird die Presse unterdrückt, Versammlungen werden verboten — d. h. die Wahlen so geleitet, wie es die Regierung wünscht. Wie versetzt man aber Kreise in Belagerungszustand? Im Rosenberger Kreise waren unruhige Auftritte in einem Dorfe, die den gewünschten Vorwand abgaben. Wie aber in andern Kreisen? Ei nun! Da hat die Regierung die Landräthe durch Rescript gefragt, ob sie wünschten, daß ihr Kreis oder ein Theil desselben in Belagerungszustand erklärt werden solle. Je nach dem Wunsche der Landräthe würde dann das Nöthige wahrscheinlich verfügt werden. Mancher dürfte bei dieser Meldung ungläubig den Kopf schütteln, aber es ist nun einmal so; die Thatsache ist vorhanden und dürfte schwerlich weggeleugnet werden können. Man wird nach und nach die ganze Provinz, wo man der Wahlen nicht sicher ist, in Belagerungszustand erklären und dann wird das Volk in „Ruhe und Ordnung“ frei die freien Volksvertreter wählen.
[(A. Od.-Ztg.)]
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@facs0929
[ 121 ] Wien, 13. Dezbr.
Aufgepaßt! Prinz Karl von Preußen ist am 10. nach Prag abgereist. Dort, wie in Olmütz, soll derselbe über die Zwecke und Absichten Preußens die beruhigendsten Versicherungen gemacht haben. „Es handle sich nicht von einem politischen Ehrgeize Preußens, sondern davon, durch Wiederherstellung einer starken Centralgewalt in Deutschland den absoluten Mächten wiederum den Halt und Vorposten gegen Frankreich zu geben, die sie vor dem März gehabt. Die innern Verhältnisse Oestreichs erlaubten vor der Hand nicht, daß es in Frankfurt die Zügel führe, darum werde Preußen sich derselben bemächtigen. Dazu bedürfe es der Sympathien der europäischen Bourgeoisie, und glaube sich dieselben durch die Verfassungsurkunde, die übrigens durchaus von den künftigen Bestimmungen Frankfurt's und von den Ereignissen abhange, erworben zu haben. Es habe der Eile bedurft, weil der rothe Sturm dem Ausbruche nahe sei. Die ehrenwerthen Vertreter Frankreichs seien ebenso mit dem Geschehenen einverstanden, als sämmtliche deutsche Fürsten.“ So sollen die Versicherungen des Prinzen gelautet haben, die Kamarilla soll davon jedoch wenig erbaut worden sein. Sie fürchtet Preußens Ehrgeiz mehr, als alles andere, und überwindet daher alle préjugés, um mit den gemeinen französischen Bourgeois in immer größere Intimität zu treten. Nebenbei regnet's russische Kouriere in Olmütz, und die unter Metternich berüchtigtsten Personen sind dort wieder in Aktivität, z. B. Ward, Beherrscher Parma's und Maria Louisen's, Hofrath Werner, Postillon Metternich's und Nikolausen's. Der französische Gesandte, ein Jude, ist in diese Intriguen aktiv verflochten, er macht, wie Frankreich, den Livreebedienten des Absolutismus, und wird dafür von ihm erwischt, wie die Pariser Bourgeois mit der Flucht des Pabstes von ihm erwischt worden sind. Spauer hatte von Oestreich und Rußland den Auftrag, den Pabst um keinen Preis nach Frankreich zu den gemeinen Bourgeois entfliehen zu lassen, weil er in gewissen Fällen dort als Geißel hätte dienen können. — Folgende Stellen des standrechtlich redigirten ministeriellen Henkerblattes Lloyd mögen Ihnen eine fernere Probe sein, wie der Absolutismus die französischen Bourgeois benutzt, um ihnen dann auf die gemeinen Pfoten zu klopfen. — Ein östreichischer Emissär und Spion schreibt nämlich aus Paris, daß die Gutgesinnten, wobei er als Spitzen die Namen Molé, Bugeaud, Soult, Thiers, Barrot, Garnier-Pagès, Cremieux, Pagnerre und, um bei dem hiesigen Blödsinn Glauben zu finden, die Koryphäen der äußersten Linken nennt, erklärt hätten, für Ludwig Napoleon stimmen zu wollen, „weil er förmlich verspricht“, schreibt der Spion, „als Präsident der Republik alle Maßregeln zu treffen, um das Ansehen der päbstlichen Regierung herzustellen, d. h. gegen die Rebellen in Rom zu Felde zu ziehen, wozu Cavaignac sich nimmer herbeilassen würde, weil er als Mann des National im Grunde des Herzens der Revolution in Rom Beifall zollt.“ Ein solches Versprechen heißt begreiflicher Weise nichts anders, als Oestreich die Unterdrückung Italiens gänzlich überlassen; mit Napoleon siegt nämlich in der bornirten Vorstellung Napoleons und der deutsch-russischen Höfe der Absolutismus, mit Cavaignac die Bourgeoisie in Frankreich, darum ist Napoleon der Kandidat des Absolutismus. Der Spion schreibt nun noch, daß das Programm unseres Henkerministeriums den besten Eindruck in Paris hervorgebracht habe, und die meisten Blätter dasselbe mit lobender Anerkennung des konstitutionellen Geistes (!! ein famoses Kompliment für die französisch republikanische Presse) der darin weht, besprächen. — Aus einem Aufsatze desselben Lloyd: „Die ungarische Rebellion“ überschrieben, hebe ich, den französischen Bourgeois zum Frommen, noch folgende, Obiges erläuternde Stelle hervor: „Der ungarische Landtag 1847 hatte schon in den vierten Monat gewährt, und es schien, daß er ebenso erfolglos sein werde, wie die früheren, als die Februarrevolution in Paris statt hatte. Wenn die Ungarn damals den Sinn ihrer Väter gehabt hätten, wenn sie den Namen einer edlen Nation behaupten wollten, hätten sie sagen müssen: in der gegenwärtigen Lage Europa's ist ein Krieg leicht möglich, wir bieten also unserm König gleich jetzt einmalhunderttausend Rekruten an.“ Mit solcher Unverschämtheit drückt sich schon jetzt das östreichische Ministerium aus. Ungarn hat im März also der franz. Bourgeoisie einen ungeheuern Liebesdienst erwiesen, wofür diese Bourgeoisie nunmehr die Magyaren auch ermorden läßt. Sie bleibt sich gleich, sei's in Paris, sei's anderwärts. Hätte der Kaiser damals die 100,000 Mann gehabt, die Bourgeois-Republik hätte dieselben zur nähern Besichtigung zugeschickt bekommen. Daß sie nunmehr mit in das Komplott der Fürsten, Jesuiten und andern Erdenscheusale getreten ist, wird sie um so gewisser verderben. — Für den Fall, daß er mit ihm seine Zwecke erreicht, soll die Knutenmajestät von Irkutz und Tobolzk Ludwig Napoleon nebst einer Cesarewna, Land zum Anpflanzen eines dynastischen Baums bestimmt zugesagt haben. Darum ist auch die Erfüllung der preuß. Verfassung bis in den Februar verschoben, und kann dann, je nachdem, weiter verschoben werden. Die Eile, mit welcher diese Verfassung aus dem Belgischen übersetzt worden, muß in der That groß gewesen sein, weil man den so gutmüthigen deutschen § mit dem belgischen Rebellen-Artikel aus Versehen vertauschen konnte.
In den heutigen offiziellen Organen des Henkerministeriums beginnt die österreichische Katze Deutschland zu streicheln, und den König von Preußen in ein zweideutiges Licht zu stellen. Der „Lloyd“ sagt: „Oesterreich ist in Deutschland von Narren (!) verläumdet worden. Oesterreich verdient nicht die vielen harten Redensarten, welche man in Deutschland gegen dasselbe geschleudert hat. Wir sind der festen Ueberzeugung, daß seit dem Monat März es keine Zeit gegeben hat, welche einer Einigung Deutschlands und Oesterreichs so günstig gewesen ist, als die jetzige.“ Soll man die dynastische Banditen-Unverschämtheit, oder die österreichische Bornirtheit hier mehr bewundern? Wie in Paris, so hat unser Ministerium namentlich auch in Berlin seine Spione, die mit österreichischer Scheinheilgkeit und gemeiner Polizeischlauheit in die Wiener Zeitung, in die Presse, in den Lloyd und österreichischen Korrespondenten schreiben, und sich, wie namentlich im heutigen Lloyd geschieht, alle Mühe geben, sich als patriotische Preußen zu gebärden, um von diesen Standpunkt aus österreichisch zu wirken. Wir sind wieder ganz in dem alten Dynasten- und Diplomatenstil, wo Volk Pöbel, Freiheit Anarchie heißt. Es würde zu weit führen, Ihnen den Auswurf dieser österreichischen Auswürflinge auch nur im Auszuge mitzutheilen. Entweder die Freiheit, oder das Scheusal, welches man österreichische Gesammtmonarchie nennt, müssen untergehen, beide können in Europa zusammen nicht bestehen. Das zweite ministerielle Organ die „Presse“ sagt:
„Wir halten den Entwicklungsgang der preußischen Staatseinrichtungen für einen unglücklichen. Wir wünschen für Oesterreich eine natürlichere, weniger gewaltsame Lösung aller Schwierigkeiten.“
Eine solche Sprache nach dem Mord ganzer Bevölkerungen und nach den infamsten Gewaltstreichen ist gewiß nur mehr im Munde des österreichischen Kretinismus und der österreichischen Verruchtheit denkbar. Man findet noch immer ganze Keller voll ermordeter Menschen; die ganze Umgegend Wiens liegt voll verbrannter und verstümmelter Leichname, welche von den k. k. Banditen im Auftrage des alten und neuen Standrechtskaisers ermordet und verscharrt worden sind, und was täglich in Ungarn geschieht, übersteigt das Entsetzen aller Jahrhunderte. Auch die Vergiftung Karl Alberts, welche man der Demokratie von hier aus aufbürdet, ist durch Oesterreich geschehen. Vergiften war Metternichs beliebtester Staatsakt; auch Marie Louise ist vergiftet worden. — Aus einigen in der gestrigen Abendbeilage zur „Wiener Zeitung“ enthaltenen Andeutungen, die ich für offiziell ansehen muß, geht hervor, daß man, um die Bevölkerung zu gewinnen, den Belagerungszustand gerne aufheben möchte; indessen kommen noch täglich standrechtliche Verurtheilungen vor. Auch von einer Amnestie wird geredet. Der preußische Staatsstreich wird den jungen Standrechtskaiser und seiner Xantippe zwingen, dem Volke ein freundliches Hyänenantlitz zu zeigen, denn in allen deutschen Provinzen beginnt man sich schon zu erheben, und täglich wird ungehorsames Militär aus Ungarn hierherzurückgebracht. Das russische Militär soll verkleidet massenweise nach Ungarn strömen, aber der französische Gesandte drückt die Augen zu.
Die Kamarilla beschäftigt den Reichstag mit dem Entwurf einer neuen Geschäftsordnung. Von Berathung einer Verfassung oder organischer Gesetze keine Rede. Man will hier den vollendetsten Despotismus erhalten, und nennt jeden einen Anarchisten, der auch nur die bescheidenste Reklamation wagt. Selbst Pillersdorf ist mit vielen andern ganz gemäßigten Deputirten aus Dégout ausgetreten. Die Deputirten der s. g. Linken, denen man standrechtliche Mißtrauensvota zugeschickt, sind darum nicht ausgetreten, weil sie wissen, daß sie alsdann im Auftrage der ministeriellen Henker ermordet werden. Die Czechen lassen sich noch fortwährend dazu benutzen, die Schergen der Kamarilla zu machen. Sie haben von Prag aus in Kroatien, Dalmatien und dem Küstenlande Slowanska lipa's gebildet, und überall in den ungarischen Ländern Deputirtenwahlen zum österreichischen Reichstag, der sich in lauter Erbärmlichkeit auflösen wird, anordnen lassen. Der Staatsbankrott rückt immer fürchterlicher heran, Gold und Silber stehen in enorm hohen Preisen. Nur ein kräftiger Stoß von wo immer her, und die Gesammtmonarchie aller Verruchtheit Europa's stürzt unter einem furchtbaren Erdbeben zusammen. Gott gebe es!
Sich in die Arme des Slaventhums zu werfen wird unseres Romulus Augustolus letztes Röcheln sein. Deutschland hat dann einen harten Kampf um die demokratische Feuerprobe zu bestehen, denn die 17 Millionen Slaven werden auf Seite des asiatischen Despotismus kämpfen.
Nachschrift: Großfurst Michael von Rußland ist in Olmütz angekommen. Ebenso Prinz Albert von Sachsen nebst Könneritz und Mengald. Letztere stammeln Entschuldigungen wegen des Leipziger Vorfalls, und tragen ihre Dienste an. Was ersterer will, können Sie sich denken.
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@facs0929
[ 24 ] Wien, 14. Dezember.
Je niedertrachtiger, je hündischwedelnder die hiesige Bourgeoisie auftritt: desto mehr kocht in dem gesunden Theile des Volkes, in der arbeitenden Klasse, die Rache, der Durst nach einem einzigen Tage einer kleinen Abrechnung. Denn vollständige Abrechnung ist nicht möglich, selbst wenn dieses feige Schachergesindel christlichen und jüdischen Glaubens sammt und sonders an Laternenpfählen aufgeknüpft wurde. Zu solchen schaamlos-gemeinen Adressen, wie sie hier gleich Pilzen aufschießen, zu diesen Denunziationen an die Kriegsgewalt und zu den übrigen Früchten der bestialischen Gemeinheit, würden Sie wohl kaum bei den Herren im Wupperthal ein Gegenstück finden. (Doch, doch! tout comme chez nous!)
Würde indeß der Haß des Volkes auch nicht durch die Thaten der Bourgeoisie genährt und täglich höher angefacht: das Verfahren der k. k. Beamten-Bestien in Civil und Militär wäre an sich schon hinreichend, Gift und Galle rege zu erhalten. Verurthei- [0930] lungen, Hinrichtungen, nach wie vor. Einem weit verbreiteten Gerücht zufolge hat sich ein geheimer Verein gebildet, zu dem Zweck, für jeden Hingerichteten einen Offizier zu tödten. Ermordungen aus Rache werden jetzt so häufig, wie in dem heißblütigsten Theile Italiens. — Nach der Erstürmung Wiens hatten die einrückenden Truppen der Statue Joseph's II. statt der deutschen Fahne eine schwarzgelbe in die Hand gegeben. Ein Wagehals hat in einer der letzen Nächte, trotz der dabei stehenden Schildwache, die schwarzgelbe Fahne herabgeholt. Entdeckt man ihn, so ist er einer Ladung von „Pulver und Blei“ sofort gewiß. Aber dieser Eine Fall spricht über die hiesige Stimmung schon mehr als ein ganzer Bogen Raisonnements. — Es heißt, daß Graf Schlick mit seinem Korps von 18,000 Mann von Gallizien aus in Ungarn eingedrungen sei und bereits Eperies bedeckt habe. So wird Ungarn von allen Seiten immer enger zusammengeschnürt. In Siebenbürgen sind die Russen eingerückt und drohen, im Einverständniß mit Windischgrätz und Konsorten, von Osten aus anzugreifen, wobei ihnen namentlich das servile Volk der Sachsen in Siebenbürgen hülfreiche Hand leisten wird. Im Süden dringen die Serben, Kroaten etc. vor; von Westen hier ziehen die Horden der Windischgrätze und wie die Spießgesellen des Absolutismus weiter heißen, mit großer Macht heran. Und Frankreich ist ruhig! Und Deutschland, dessen sogenannte Vertreter in Frankfurt so heuchlerischen Jubel über die Verbrüderungsanträge der Magyaren laut werden ließen, sind apathisch und stumm. Die Nemesis wird aber nur um so unvermutheter über sie kommen!
Seit einigen Tagen finden auf dem Lande in der Nähe von Wien, ungemein viele Verhaftungen statt. Es sind größtentheils Studenten, welche sich Anfangs Novembers mit Passirscheinen versehen, aufs Land begaben, und nun von dort abgeholt werden. Die Ursache, daß man sie damals nicht verhaftete, war Mangel an Arrest-Lokalen.
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@facs0930
Pillau, 13. Dez.
Von den 13 Militärs hiesiger Garnison (darunter Offiziere, Militärärzte, Feldwebel und Unteroffiziere) welche in Folge ihrer Unterschrift der Adresse an die National-Versammlung angeklagt und während der Untersuchung mit dem strengsten Festungsarrest belegt sind, haben am 9. d. Mts. drei Feldwebel ihre Freiheit erlangt und die Untersuchung gegen diese soll niedergeschlagen werden. Gegen die übrigen 10 wird die Untersuchung aber eifrig fortgesetzt und es bleibt der strengste Arrest über sie verhängt.
[(Osts.-Z.)]
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@facs0930
Mähren.
In Chorin bei Walachisch-Meseric nahmen Nationalgarden und Landvolk 56 Husaren, die aus Böhmen desertirt waren und durch Preußisch-Schlesien kommend nach Ungarn ziehen wollten, gefangen, und lieferten sie nach Meseric ab. 24 davon entliefen wieder. Ein Husar wurde erschlagen, Pferde wurden 80 eingefangen.
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@facs0930
Prag, 14. Dezember.
Seit gestern circulirt in der Stadt das Gerücht, daß alle demokratischen Vereine aufgehoben werden, und daß die Slowanska Lipa und der Deutsche Verein darunter begriffen seien. Der Ministerialerlaß, der an den Vicepräsidenten erlassen wurde, lautet seinem wesentlichen Inhalte nach: Da alle unter dem Namen demokratische Vereine bestehenden und die andern, demokratische Tendenzen verfolgenden Vereine und Arbeiterklubs sowohl die öffentliche Ruhe als auch das Leben und Eigenthum Einzelner gefährden, werden Sie unter Ihrer Verantwortlichkeit aufgefodert, die in diese Kategorie gehörenden Vereine in Ihrer Provinz unverzüglich aufzulösen.
Diese Nachricht brachte die ganze Stadt in Bewegung. In der Abends abgehaltenen Sitzung der Stadtverordneten theilte der Bürgermeister Dr. Wanka den Erlaß des Präsidiums an den Bürgermeister mit, worin ihm die Auflösung aufgetragen wird. Der Bürgermeister bemerkte aber, daß Vereine mit so destruktiven Tendenzen, wie sie das Präsidialschreiben bezeichnet, glücklicherweise in Prag nicht vorhanden, also auf Prag keine Anwendung fänden. Diese geschickte Wendung erhielt vielen Beifall, allein es ist dessenungeachtet nicht zu zweifeln, daß trotz derselben die Auflösung baldigst erfolgen werde. In derselben Sitzung des Stadtverordnetenkollegiums kam ein Befehl des Fürsten Windischgrätz zur Sprache, um Einräumung der im Magistratsgebäude befindlichen Bürgerwehr-Hauptwache an das Militär. Man beschloß, dagegen energisch zu protestiren und es dem verantwortlichen Präsidenten der Landesstelle zu überlassen, ob er einen solchen Befehl auch in Ausführung bringen werde.
[(D. A. Z.)]
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@facs0930
[ * ] Frankfurt, 16. Dez.
Das offizielle Organ der Reichsohnmacht berichtet den Rücktritt des Hrn. Schmerling, bisherigen Hochverräthers am deutschen Volke und Intimus des Herrn Metternich; ferner die Entlassung des Herrn Würth, eines würdigen Kumpans des vorigen und drittens die Beseitigung eines Herrn Andrian, der sich in London auf Kosten des deutschen Volkes einige Zeit lang mit tiefen Studien über die beste Zubereitung von englischen Puddings, Pies, Jellies etc. beschäftigt hat.
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@facs0930
Frankfurt, 15. Dez.
Ein böser Geist der Uneinigkeit ist mit unsern Frankfurter Linientruppen eingezogen. Diese und die Preußen stehen sich im feindlichsten Verhältniß einander gegenüber, und wenn nicht energisch eingeschritten wird, so haben wir noch stürmischere Ereignisse zu erwarten, als sie gestern Abend bei uns stattfanden. In mehreren Bier- und Apfelweinschenken entspann sich ein heftiger Streit zwischen den Frankfurtern und den mit ihnen verbündeten großherzoglich hessischen Soldaten und den Preußen. Letztere zogen überall den Kürzeren und wurden arg mißhandelt, aus den Wirthshäusern gejagt. Am tumultuarischsten ging es in der Nähe der sogenannten Konstablerwache her. Die Preußen, welche sich bisher von unsern Bürgern wohl verpflegt, sehr behaglich befunden haben, bezogen nur ungern die neue Kaserne im Graben, hinsichtlich deren Lage oder inneren Einrichtung sie bald dies, bald jenes auszusetzen hatten. Diese Unzufriedenheit, gepaart mit ihrer durch den Streit mit den Frankfurter und hessischen Soldaten veranlaßten Aufregung verleitete die Preußen, sich in ihrer Kaserne den größten Excessen zu überlassen. Sie zerschlugen hier Fenster und Möbel und was ihnen sonst unter die Hände kam, und der Schaden den sie anrichteten, ist um so empfindlicher, da sämmtliche Gegenstände mit vielem Geldaufwande neu angeschafft worden waren. Wie überall erzählt wird, so respektirten die wüthenden Soldaten weder die Warnungen noch die Befehle ihrer herbeigekommenen Oberen, indem sie höhnend das Heckerlied anstimmten und den Besungenen hoch leben ließen! Nur mit Mühe gelang es, die Ordnung wieder herzustellen.
Der Groll der Frankfurter Soldaten gegen die Preußen soll in Schleswig-Holstein seinen Anfang genommen haben. Jene behaupten, von den Preußen mit Uebermuth behandelt worden zu sein, und auch die hessischen Soldaten glauben von den Preußen über die Achsel angesehen zu werden. Wie ich höre, vergingen sich die aufrührerischen Preußen in ihrer Kaserne selbst gegen den Stadtkommandanten, den preuß. Major Deetz. Morgen früh verlassen diese Truppen unsere Stadt und begeben sich — wie man sagt zur Strafe — nach Mainz!
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@facs0930
[ !!! ] Frankfurt, 16. Dezember.
Sitzung der National-Versammlung.
Tagesordnung:
1. Ergänzungswahl eines Mitgliedes in den völkerrechtlichen Ausschuß. (v. Vinke wurde gewählt).
2. Wahl eines Schriftführers an die Stelle des Hrn. Schuler. (Koch aus Leipzig wurde gewählt).
3. Berathung des vom Abgeordneten Stahl, Namens des volkswirthschaftlichen Ausschusses erstatteten Berichts über die in der Sitzung vom 23. September gemachte Vorlage des Reichshandelsministers Duckwitz, die kommerzielle Einheit Deutschlands bertreffend.
4. Fortsetzung der Berathung über die Vorlage zur zweiten Lesung der Grundrechte.
Es ist sehr leer und öde im Hause. Man zählt die Mitglieder. Beseler (aus Schleswig) sitzt auf dem Präsidentenstuhl. Schmerling ist nicht mehr, d. h. er ist nicht mehr Minister. Heinrich v. Gagern ist Ministerpräsident. Um 10 Uhr sind kaum 200 Abgeordnete da. Gagern ist nicht in der Sitzung, er hat angenommen, wie v. Beckerath gestern verbreitet hat.
Präsident Beseler meldet, daß 20 Minuten vor 10 Uhr 123 Mitglieder anwesend waren und bittet, sich etwas früher einzufinden, da jede Stunde von Wichtigkeit sei.
Hierauf genehmigt man das nie gehörte Protokoll.
Linde wird beurlaubt, leider nur auf 8 Tage.
Ein dringlicher Antrag von Schrott aus Wien wegen Ablösung des Bergzehnten wird nach langem Streit als nicht dringlich an den volkswirthschaftlichen Ausschuß verwiesen.
Hierauf erledigt man die beiden ersten Punkte der Tagesordnung.
Sehr viele Mitglieder der Linken erklären, sich bei der Wahl zum völkerrechtlichen Ausschuß nicht betheiligt zu haben, weil doch nie ein Abgeordneter von der Linken gewählt wird.
Herr Riesser äußert hierüber von der Tribüne seine Entrüstung.
Hierauf beginnt die Debatte über Punkt drei der Tagesordnung. Die Liste der Redner ist sehr bedeutend (durch ihre Zahl). Die Mitglieder der Minorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses v. Reden, Moritz Mohl, Eisenstuck, Schwarzenberg, v. Dieskau u. a. befinden sich unter den Rednern, welche die Vorlage eines Reichsgesetzes, betreffend die kommerzielle Einheit Deutschlands, entworfen vom Handelsminister von Duckwitz, bekämpfen.
v. Reden spricht zuerst dagegen. Das Handelsministerium sei gar nicht geeignet, die Enquere zur Ausarbeitung des Handelsgesetzes zu übernehmen. Nur durch Einigung des Handelsministeriums mit den Betheiligten und dem volkswirthschaftlichen Ausschusse sei die Vorlage zu Stande zu bringen. (Centrum: Schluß:) Reden beweist u. a. daß sehr viele Handelsverträge, welche annoch zwischen den Staaten Deutschlands und auswärtigen bestehen, im Widerspruch sind mit den von der Majorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses vorgeschlagenen Anträgen.
Diese Anträge der sehr schwachen Majorität lauten:
1. Die National-Versammlung ermächtiget die Centralgewalt, die Lösung der zwischen deutschen Einzelstaaten und fremden Nationen bestehenden Handels- und Schifffahrtsverträge, und erforderlichen Falles deren Umwandlung in Reichsverträge zu bewirken, auch neue Verträge dieser Art abzuschließen, alles unter Vorbehalt der Genehmigung der National-Versammlung.
2. Die National-Versammlung beschließt, daß der Ausschuß der Centralgewalt die zur Bearbeitung von Reichsgesetzen über deutsche Schifffahrt, Eisenbahnen und Postwesen in seinen Akten vorhandenen Materialien zu dem Zwecke uberweise, die diese Verhältnisse betreffenden Gesetzentwürfe baldthunlichst der National-Versammlung zur Beschlußnahme vorzulegen.
3. Die National-Versammlung beauftragt die provisorische Centralgewalt, mit möglichster Beschleunigung Gesetzesvorlagen zur Begründung einer Zolleinheit Deutschlands zu machen.
4. Die National-Versammlung beauftragt die Centralgewalt, ein Zollgesetz und einen Zolltarif zu entwerfen und der National-Versammlung vorzulegen.
5. Die National-Versammlung erklärt, daß sie durch die vorstehend ertheilten Aufträge in keiner Weise das ihr zustehende Recht der Initiative gefährdet wissen will. (Höchst naiv).
Dagegen der Entwurf der sehr starken Minorität dieses Ausschusses (Degenkolb, v. Dieskau, Eisenstuck, Hildebrand, Holland, Makowiczka, M. Mohl, Muller, v. R[e]den, Schwarzenberg):
Entwurf
eines Reichsgesetzes, betreffend die kommerzielle Einheit Deutschlands.
1. Die Einzelstaaten des deutschen Reichs werden zu einem Zoll- und Handelsgebiet vereinigt, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgränze, mit Wegfall aller Binnenzolle.
2. Die zur Ausführung erforderlichen Reichszoll- und Schifffahrtsgesetze und Tarife werden der verfassunggebenden Reichsversammlung zur Genehmigung schleunigst vorgelegt.
3. Durch besondere Reichsgesetze sollen die von Reichswegen zu erhebenden Produktions- und Verbrauchssteuern angeordnet werden. Auf gleiche Weise soll bestimmt werden, welche Gegenstande die Einzelstaaten Produktions- oder Verbrauchssteuern für Rechnung des Staates oder einzelner Gemeinden unterwerfen dürfen, und welche Bedingungen und Beschränkungen dabei eintreten sollen.
4. Mit Einführung der, § 2 bezeichneten Gesetze hören alle von einzelnen Staaten bisher erhobenen Ein-, Aus- und Durchfuhrzolle auf. Gleichzeitig hört das Recht der Einzelstaaten auf, Gesetze über Zoll-, Handels- und Schifffahrtsangelegenheiten zu erlassen.
5. Von Verkündigung dieses Gesetzes an, darf kein deutscher Staat die, zwischen ihm und nicht-deutschen Staaten bestehenden Handels- und Schifffahrtsverträge erneuern oder verlängern, noch dergleichen Verträge abschließen
6. Die Lösung oder Umwandlung der, zwischen deutschen und fremden Staaten bestehenden Handels- und Schifffahrtsverträge, wird hiermit der provisorischen Centralgewalt übertragen. Die Genehmigung diesfallsiger Uebereinkünfte bleibt der Reichsversammlung vorbehalten.
Franke aus Schleswig spricht für die Majorität des Ausschusses, indem er Hrn. v. Reden angeifert. Er weiß nicht, ob v. Reden pro domo oder pro ministerio gesprochen hat. (Links: Oh!)
Der Handelsminister von Duckwitz hat die Ueberzeugung, daß der Handelsminister eine Null ist, wenn er das Vertrauen dieses Hauses nicht hat, wie die Centralgewalt eine Null, wenn sie nicht ihre Stütze in diesem Hause hat. Er geht nun seine Wirksamkeit bisheran durch, und ist überzeugt, daß er das Vertrauen des Hauses verdient und hat. — Er wird bei der Entscheidung der Handelsfragen Sachverständige zusammenberufen. Eine Diskussion über die vorliegenden Gesetze würde zu spät sein, weil die Gesetze schon vorliegen, er empfiehlt die Annahme des vorliegenden Entwurfs der Majorität. Er bekämpft schlüßlich die Einwande des Herrn von Reden und rechtfertigt seine Aufsätze in der Oberpostamtszeitung. Zu dieser Rechtfertigung bildet das rechte Centrum (besonders der Landsberg) das Echo! — Die Annahme des Gesetzes der Minorität würde den Norden Deutschlands, dem er (der Minister) selbst angehört, verletzen! (Nun Herr Franke pro domo oder pro ministerio?) Er empfiehlt, nicht weiter zu diskutiren.
Hierauf antwortet die Rechte und die Centren mit wüthendem Schlußruf, welcher sich, als dennoch Moritz Mohl die Tribüne besteigt, zur Raserei steigert. Das Vertrauensvotum für das Handelsministerium ist dennoch — wenigstens nicht laut genug, denn Mohl gelangt zum Sprechen. Hierauf leert sich das ganze rechte Centrum und Mohl spricht für den Entwurf der Minorität des Ausschusses. Man schließt sodann die Debatte, und es spricht der Berichterstatter der Minorität.
Eisenstuck. Die Blüthen des März sind vom Winterfrost dieses Hauses geknickt. Wegen dreier Fragen hat tagtaglich das Volk an die Thüren dieses Hauses geklopft, 1) wegen der Befreiung des Grund und Bodens, 2) wegen der Gewerbefreiheit und endlich 3) wegen der komerziellen Einheit Deutschlands. In dieser letzten Angelegenheit sind zahllose Petitionen mit 29,000 Unterschriften an das Haus gelangt. Das Wirken des Handelsministeriums sei so bedeutend nicht, jedenfalls habe es bei seinem Wirken für die Zolleinheit, vulgär zu reden, die Sache beim Schwanz angefaßt.
Man habe nichts zu fragen nach einem Vertrauensvotum für das Handelsministerium, sondern nach der Rechtsfrage. Er schließt, wenn wirklich noch einmal das Gebäude der politischen deutschen Einheit (was zweifellos ist!) über unsern Häuptern zusammenbricht, dann gehe ich weiter als meine politischen Freunde, dann will ich mindestens es fur unsere Pflicht ansehen, aus diesen zusammenbrechenden Trümmern deutscher Einheit soviel als möglich von der materiellen Einheit für unser Volk zu retten, (warmer Beifall). Meine Herren, es liegen zwei motivirte Tagesordnungen vor; ich frage Sie, ob Sie über die für nächste Woche vorliegende Büdgetvorlage von 30 Millionen Gulden auch zur Tagesordnung überzugehen gedenken, über jene 30 Millionen Gulden, die man vom deutschen Volke verlangt, ohne ihm auch nur fur einen Pfennig Erleichterung verschafft zu haben? (Tiefe Stille — sehr wahr! einzelne Stimmen.) Eisenstuck sagt, meine Herren ich schließe, (rechts Bravo — links sehr laut: Ruhe!) nehmen Sie diesmal die Anträge der Majorität nicht an. — (Die Rechte war sehr erbittert über diese Rede, sie muß wohl sehr gut gewesen sein. Dem kräftigen Schluß derselben folgte lang anhaltender Beifall vom halben Hause und den Tribünen.) — Endlich sprach Stahl der Berichterstatter der Majorität des Ausschusses für diese. Bei der Abstimmung wurde dieser Antrag auf motivirte Tagesordnung über die Anträge der Majorität fast einstimmig verworfen. (Jordan von Berlin stand auf.) Der Antrag auf motivirte Tagesordnung über die Anträge der Minorität mit 262 Stimmen gegen 175 angenommen, und hierauf die 5 Anträge der Majorität des Ausschusses (wie oben) angenommen. Ein Zusatz von Höfken „Spätestens am 1. Mai 1849 sollen alle inneren Zollinien in Deutschland fallen u. s. f.“ wurde nur von der Linken angenommen, also verworfen. Einer von Moritz Mohl dito.
Präsident Beseler theilt ein Schreiben des Erzherzogs Johann (Reichsverweser) mit, durch welches dem Ritter Anton von Schm[e]rling und dem Unterstaatssekretär von Würth Dimission ertheilt wird.
H. von Gagern meldet dem Hause mit tiefgerührter Stimme, daß, nachdem zu seinem Schmerz Männer wie von Schmerling und von Würth abgedankt, er ins Ministerium getreten, und heut seine Stelle als Präsident der hohen Versammlung niederlege. Noch gerührter fährt er fort: Nicht Ehrgeiz spornt mich, mein Ehrgeiz hatte hier an dieser Stelle volle Befriedigung gefunden; auch nicht Ueberschätzung meiner schwachen Kräfte, ich rechne auf die starke Unterstützung des Reichsverwesers und dieses hohen Hauses. (3/4 des Hauses klatschten gewaltig in die Hände — hierauf beschließt man ehrfurchtsvoll sich zu vertagen, und alles ist wieder gut! — Gott schütze Deutschland! —)
Tagesordnung für Montag: 1) Wahl des ersten Präsidenten an Gagerns Stelle, 2) Fortsetzung des Entwurfs „der Reichstag“.
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[ 126 ] Hamburg, 14. Dez.
Die konstitutionelle Versammlung ward heute 1/4 nach 2 Uhr durch den Alterspräsidenten, Oberstlieutenant Mettlerkamp eröffnet und für konstituirt erklärt.
Die provisorische Geschäftsordnung ward nach Hinzufügung eines Amendements, daß dieselbe keinen Einfluß auf die Debatte über die Eidesleistung haben soll, angenommen, und wird bis zur Berathung der Geschäftsordnung als wirklich provisorische fortbestehen.
Nach der Geschäftsordnung werden die Vorstandsmitglieder auf 4 Wochen gewählt.
Zum ersten Präsidenten wurde ernannt Dr. Baumeister mit 141 Stimmen von 181. Zum ersten Vicepräsidenten Senator Lutteroth mit 132 Stimmen von 181; zum zweiten Vecepräsidenten Dr. Versmann mit 129 Stimmen von 181. Zum ersten Sekretär Dr. Cropp mit 157, zum zweiten Dr. Lazarus mit 151, zum dritten Dr. Beckendorf mit 133, und zum vierten Sekretär W. F. Schütt mit 133 Stimmen ernannt.
Somit ist denn allen Parteien bei dem Vorstande vorgestanden. Der Präsident Dr. Baumeister, Präsident des deutschen Klubs und der eigentliche Führer der ganzen Bewegung, ist ein Mann des linken Centrums, der 2te Präsident, Senator Lutteroth, ist ein Mann des rechten Centrums, der 3te Präsident, Dr. Versmann, gehört der Linken an; ebenso vertreten die 4 Sekretäre die verschiedenen Parteien, Dr. Cropp die Rechte, Dr. Lazarus das linke Centrum, Dr. Beckendorf das rechte Centrum und W. F. Schütt die Linke. Die äußerste Linke scheint sich jede Wahl vorerst verboten zu haben, um sich desto eifriger bei der Debatte betheiligen zu können; ihr gehören an W. Marr, Hagen, Löwe, Dr. Trittau und Dr. Galwis.
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@facs0930
[ * ] Hamburg, 15. Dez.
Die konstituirende Versammlung beschäftigte sich in ihrer heutigen Sitzung mit Anträgen über den im Rath- und Bürgerschluß vom 7. Sept. für die Mitglieder der Konstituante festgesetzten Eid. Ein Theil der Anträge will „Vereinbarung“ mit der annoch regierenden Sippschaft, ein anderer Theil der Anträge dringt energisch auf Wahrung der Volkssouverainetät. Namentlich sind es die H. H. Jacobsen, Dr. Ree und Dr. Wille, welche die Vereinbarungsideen auf's kräftigste bekämpfen.
Ungarn.
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@facs0930
[ 68 ] Preßburg, 13. Dez.
Was längst vorausgesehen wurde, ist geschehen. Die Russen sind in Siebenbürgen eingerückt und haben Kronstadt besetzt. Somit sind sie Herr einer Festung, die wegen des nach der Walachei führenden Gebirgspasses höchst wichtig ist. Jetzt werden wohl auch dem Blödesten die Augen aufgehen über die zwischen Rußland, Oestreich und Preußen verabredeten Pläne, über die Verschwörung des Absolutismus gegen alle und jede Freiheitsbestrebungen in Mittel-, Süd- und West-Europa.
Französische Republik.
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@facs0930
[ 19 ] Paris, 16. Dez.
Seit vorgestern Abend hat das Gouvernement wieder die großartigsten Anstalten zu einer Straßenschlacht getroffen. Die Mobilen und Nationalgarden marschiren von 6 Uhr bis Mitternacht durch alle Quartiers, an ihrer Spitze eine Kolonne Polizisten, welche „zuerst allein“ den Versuch machen sollen, die Attroupements zu zerstreuen. Maueranschläge sind erlassen, worin die freien Citoyens bei Strafe von drei bis zwölf Monaten vor Betheiligung an „Zusammenkünften“, bei 1-5 Jahren vor Tragen von Waffen vor oder nach Mitternacht u s. w. gewarnt werden. In den meisten Stadttheilen, sogar in Straßen wie die Rue Lafitte, sind von 20-20 Schritten Schildwachen aufgestellt; nach dem Hotel-de-Ville, welches den ganzen Tag von Bajonetten umzäumt war, und dem Faubourg St. Antoine sah ich am Donnerstag Morgen ganze Reihen Munitionswagen unter der Eskorte des 14. Regiments sich bewegen, desselben Regiments, welches im Februar vor dem Hotel Guizots zuerst auf das Volk schoß; und selbst die ehrbare Nationalversammlung, Montagne wie Rue Poitiers hat sich außer den gewöhnlichen Nationalgarden (bekanntlich werden zu diesem Elitendienst die Juden und Banquiersjungen kommandirt, die kein Pulver riechen können,) noch ein Bataillon Infanterie und und eine Schwadron Dragoner zu Thürstehern genommen. Gestern Morgen dirigirte man neue Truppen nach dem Hotel der Invaliden, vor welchen in den ehemaligen breiten Alleen bis zur Seine bereits seit dem Juni ein vollständiges Winterlager von kleinen steinernen Hütten für die Mobilen errichtet ist. Die armen Invaliden! Es handelte sich um nichts Geringeres, als den Jahrestag der Ankunft der kaiserlichen Asche, um eine „stille Messe“ im Dom, an welcher der Exkönig von Westphalen, der Deputirte Jerome, die Invalidengenerale Montholon, Pyat und einige neuerwachsene Champions der „Kaiserfamilie“ Theil nahmen. Der „Prinz Napoleon“, der neue Keuschheitswächter unserer prostituirten Bourgeois-Republik, nahm an dieser Messe gar keinen Theil; er hatte bereits am Abend vorher „im Stillen“ an dem Grabe sein Gebet verrichtet, ohne Zweifel, um die Manen seines Oheims für die ihm gespielte Farce um Verzeihung zu bitten. Nur das Gouvernement der honetten Boutiken-Republik zitterte auch hier vor den Ausbrüchen der gewitterheißen Pariser Luft, vor den Gespenstern der Zerstörung, die es hinter den Stelzfüßen und Armstummeln der armen kaiserlichen Invaliden zu sehen glaubte.
Das Volk behält indeß seine drohende Haltung bei. Von dem Boulevard St. Denis bis zum Bastillenplatz, in den Faubourgs und an den Barrieren dieselben lauten, stürmischen Versammlungen jeden Abend. Wie sie an dem einen Ende auseinandergedrängt werden, sind sie an dem andern in derselben Gestalt schon wieder beisammen. Die Klubführer, die einen neuen Plan gefaßt haben, thuen übrigens das Ihrige, um vor der Hand den Ausbruch des Kampfes noch zu verschieben, und bei der fast militärischen Organisation der ganzen revolutionären Partei in Paris wird es ihnen wahrscheinlich gelingen. Ihre Absicht, die ihnen die doktrinären Montagnards eingeblasen haben, ist, die zwei Wintermonate noch zu warten, bis Napoleon sich durch seine jesuitische Umgebung unpopulär gemacht hat und seine Partei wieder in ihre „Elemente“ zerfallen ist. Die Klubführer und Montagnards fürchten sich Angesichts der ungeheuern Majorität für die Napoleonische Kandidatur; die Furcht ist überhaupt in diesem Augenblick die Führerin aller Führer.
Napolen fürchtet Cavaignac, den er für entschlossen hält, durch Provocation einer Emeute den Bonapartisten sowohl wie den Rothen einen Kampf auf Leben und Tod zu bieten; Grund, weshalb sich der „Prinz“ dem Junischlächter genähert und ihm das
Hierzu eine Beilage.