[1001]
Beilage zu Nr. 185 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Organ der Demokratie.
Mittwoch 3. Januar 1849.
[Französische Republik]
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[Fortsetzung] tückischer die verächtlichen Buben die seit Juni hier das Steuer führen, alle und jede Februarerrungenschaft attakiren, desto weiter und tiefer dehnt sich par la puissance élastique (wie „Citoyen“ von Dijon sagt) die demokratische Propaganda im geheimen aus. „Vor Ablauf des Winters ist ganz Frankreich, die Kolonieen u. Algerien mit, von geheimen Societäten bedeckt; und macht Bonaparte Krieg, so möge er sich erinnern, daß selbst sein Oheim nicht die geheime demokratische Gesellschaft der Philadelphen im französischen Heere ausrotten konnte, so daß Mallet 1811 den Kaiserthron in einer Viertelstunde gestürzt hätte“; sagte mir neulich ein bekannter Clubist mit ironischem Lachen und sein schwarzes Auge flammte. — Eine Gesellschaft von „Freunden des demokratischen Polen's“, ganz aus Franzosen bestehend, publizirt Folgendes: „Die Sache des demokratischen Frankreich ist unlöslich verknüpft mit der Polens, denn dadurch erst gewinnt man Gewähr gegen die erniedrigenden Zufälle die seit 1815 die Demokratie Europa's betroffen und Frankreichs Politik in Europa discreditirt haben … Die Polen müssen nach ihrem heroischen Unterliegen von 1831, 40 und 48 durch Hoffnung aufrecht erhalten werden; dazu diene fortan die den polnischen Emigrirten werdende Hülfe, und die Einrichtung einer permanenten Tribune zu Gunsten des polnischen Volkes, gegen welches die Menschheitsfeinde, in Ermangeln sonstiger Zerstörungswerkzeuge letzthin noch eine Doppelkonspiration von Lästerung und Stillschweigen einrichteten … Die Gesellschaft der Polenfreunde wird nicht eher vom Werke ablassen, als bis Polen, wieder in Besitz seines rühmlichen Schlachtschwertes gekommen, selber die nöthigen Kämpfe führen können wird. Sie vertheidigt also fortan Polen durch die Presse und die Tribüne; sie wendet sich zu Gunsten Polens an die französische Regierung, um das am 23. Mai 1848 von der Nationalassemblée erlassne Dekret zur Verwirklichung bringen zu helfen. Sie hilft materiell den emigrirten Polen. — Die Gründer zahlen per Monat 3 Fr., die angeschloßnen Mitglieder 1 Fr., die korrespond. Mitglieder brauchen nichts zu zahlen, bieten aber allen sonstigen Beistand an. Die Zahl dieser verschiedenen Bestandtheile ist unbeschränkt. Am 30. November 1848 hat sich folgendes Büreau konstituirt: „B. Guinard, Flocon, Glaisbizoin, Considerant (Kassirer), Chauffour (Sekretär), lauter Volksrepräsentanten.“ In der Gesellschaft befinden sich unter andern Vavin, Schölcher der Negrophile, Perdiguier, Pyat, Eugen Raspail, Matthieu, Baume, Baune, David, Mitglieder des Berges. — Das demokratische Polencomité wird eine Erklärung auf die Zuschrift der „Slavischen Linde“ aus Böhmen, von Paris aus erlassen und den ebenso albernen als brutalen Dünkel der tschechischen Pedanten hoffentlich in den Weg treten.
Der plötzliche Krakehl zwischen Bonaparte und Minister Malleville, der sogar sein Portefeuille ablegt, rührt allerdings einestheils von dem Bestehn des Präsidenten auf Generalamnestie her, wogegen das volksfeindliche Ministerium wüthend opponirt, und sogar an die spießbürgerliche Rachgier in der Brust der im Juni etwas unsanft aufgerüttelten Philister appellirt. Anderntheils aber hat der gute Prinz gewisse Briefschaften und Dokumente aller Art, z. B. was sich auf seine Haft in Schloß Ham und die Abentheuer zu Straßburg und Boulogne bezieht, reklamirt, und darunter sind nicht wenig Liebeswünsche an die durch p. p. Malleville ihm, qua Prinzen, mit Extrapost damals zuspedirten Operntänzerinnen groß und klein. Der Prinz wünscht nun sothane Korrespondenz aus den Händen Malleville's herauszuziehen, und Malleville sagt mit nichten, und tritt aus. Der Prinz umgibt sich nunmehr mit allem, was zum bonapartischen Stamm gehört, und da dieser entsetzlich reich an Zweigen und Blättern, so ist der Nepotismus im schönsten Schwunge. „Allgemeine Rührung erweckt das Erscheinen von fünf angenehmen prinzlichen Kindlein, deren drei von der nach hohen Dingen strebenden Kerkermeisterstochter zu Ham, und zwei von einer brittischen Dame. Wie heiter so ein Prinz selbst in Ketten und Banden lebt! die diamantherzigen Republikaner, die gegen den verjagten greisen Tyrannen konspirirten, und die seit Februar gegen Bourgeois und Aristokraten aufgetretenen Socialdemokraten, fragt sie einmal, ob sie im Kerker auch von Balletmädchen Besuch bekommen, und ob ihnen die Kerkermeistertöchter nachstellen. O Frankreich, Frankreich! du hast deine Weiber für Prinzen und gegen Demokraten erzogen; und du höhnst letztre obenein, offizielles Frankreich, und weigerst Generalpardon, und knieest vor dem goldenen Stier und dem bunten Tand der Pharisäer! die Prinzen und reichen Buben im Kerker fütterst du mit Pasteten und Champagner, und schickst ihnen Opernmädchen und Beamtentöchter, und läßt sie zuletzt als Maurergesell verkleidet echt prinzlich durchbrennen, oder in Gesundheitshäusern ihre Strafzeit zwischen feiner Tafel und Damengesellschaft abmachen: aber deine Söhne, die gegen das Privilegium und die blanke Sünde aufstanden, schändest du und schwächst du in langsam ausmergelnder Höllenhaft im Dämmerlicht und in feuchter Kühle und in der Einsamkeit: du Rabenmutter. Halte dich bereit, deine Stunde wird schlagen: schon tickt der Zeiger voraus …
[(Peuple souverain.)]
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[ 16 ] Paris, 30. Dezbr.
Der „Hanswurst unter allen Regierungen“ heißt ein guter Artikel in der Pariser und departementalen Demokratenpresse, worin man liest: „Die Bursche, welchen die Februarrevolution auf den Leib rückte, ehe sie sich's versahen, diese vor gekrönten und goldenen Kälbern räuchernden Baalspfaffen, sind eine hübsche Menagerie gegenüber der heiligen Schaar jener todesmuthignn Volksvertheidiger, die aus dem Boden aufwachsen wie die geharnischten Männer aus der Saat der Drachenzähne. Der schaurigste jener Burschen und der Dreisteste ist gewiß der Hanswurst aller Regierungen, der Exmarquis de la Paileterie, Dumas der Große, deß Taufname Alexander, und er ist nicht blöde, parole d'honneur, dieser Alexander, er suchte seinen Darius und glaubte ihn endlich zu finden in Gestalt der Februarrepublik. Holla! Marquis! halte dir den Kopf fest! springe und tanze für Louis Philipp und Heinrich V. und Herzog Montpensier und für die Reform und für die Republik und für L. Bonaparte, springe für Gott und Teufel; bis einst dein letzter Sprung … Aber heute laß uns nicht hypochondrisch sein; blicken wir lieber auf deine reiche Vergangenheit, mein Bursche … Sieh, da war einmal ein ekelhafter Beutelschneiderprozeß (Beauvallon und Esquevilley und sonstige verprassende Tagediebe standen vor Gericht als Eskroks) und du, du warst Zeuge und sagtest als echter Edelmann: jene Herre nhaben sich allemal als echte Edelleut. aufgeführt. Bravo, mein Junge; Namensfälschung, Untrrschleif, Diebstahl und Todtschlag waren die ihnen bewiesenen Vergehene Geoßer Montechristo, du Goldgräber! da du nicht die 2[unleserlicher Text] Franken Tagelohn als Kammermitglied bekamst, (du fielst nämlich im Seine- und im Yonnedepartement glänzend durch) ach da bliebst du ein kleiner Exmarquis. Deine s. g. historischen Romanfeuilletons die sehr unhistorisch, und die du selber den Nagel auf den Kopf treffend deine Waare zu nennen pflegtest, fielen seit der neuen Februarhistorie verteufelt im Preise. Derweilen bist du, Abends vor der Wahl Bonaparte's, Bonapartist geworden, und schreibst an deinen neuen Götzen: „Prinz, Sie präsidiren dem Geschicke der Republik, die keine Titel mehr duldet, aber Sie heißen trotzdem Prinz und ich bin Marquis. Nehmen Sie Lamartine zum Vicepräsidenten (der Marquis vergißt, daß dieser „gefallene Engel“ nur 10,000 Vota auf sieben Millionen erhielt) machen Sie Herzog Aumale d'Orleans zum Gouverneur Algiers, Joinville zum Großadmiral der Republik (warum nicht Louis Philipp zum Könige der Republik?) und Sie werden gesegnet sein.“
Der „Peuple souverain“ von Lyon, der auch vor den Assisen steht, dies vortreffliche Blatt, welches manchem Pariser weit vorzuziehen, sagt: „Die empörende Nachricht von einem stillen Ministerkomplott zu Paris kraft dessen Bürger L. Bonaparte die weltliche Landeshoheit des Pabstes mit Kanonen und Bomben herstellen wolle, ist bisheran noch nicht vom Ministerialorgan widerlegt. Also wird die Februarrepublik mit Preußen und Oestreich verbunden, gegen den Aufschwung der Völker zur Freiheit einschreiten. Glück zu! Dieser Greuel, doppelt arg bei dem Zustand des übrigen Europa, hat viel zur energischern Wiederaufnahme der Bankette in Paris beigetragen, denn endlich, endlich geht den echten Demokraten aller Lande die Einsicht von der Unerläßlichkeit eines gemeinsamen Handelns auf, gegen die gemeinsamen Feinde, die Aristokraten vom Kapital, vom Adel und vom Amt. Und so fand denn zu unsrer innigen Freude ein Pariser Bankett der deutschen und französischen Socialdemokraten statt.“ Mehrere deutsche Toaste werden abgedruckt; mit besonderem Nachdruck weist das Blatt auf den des Sekretärs Ruffoni der italienischen Demokratengesellschaft zu Paris hin, welcher in einer schlagenden Rede und unter großem Beifall die Anwesenden fragte: ob Frankreichs Krieger die Kardinalsdespotie in Rom herstellen und Arnold's von Brescia und Vanini's und Campanella's und anderer Märtyrer Manen höhnen sollten?
Wir fahren fort in der Bilanz Frankreichs:
Die 5. Kategorie schließt ein die 257,000 in Reichthümern lebenden Individuen der 33 Millionen starken französischen Nation. Von den 14,630 Pariser Wählern war bekanntlich nur ein Drittel wählbar, d. h. reich. Im Ganzen waren in Frankreich 57,000 wählbare Wähler vorhanden, was einen Familienanhang voraussetzt, der die gesammte reiche Klasse auf 257,000 Männer, Weiber und Kinder schätzen läßt.
Also in Summa 7,500,000 Bettler und Dürftige, 19,000,000 Halbarme, zusammen etwa 26,000,000, während die Begüterten und Reichen 6,950,000 ausmachen, worunter die Reichen nur 770,000 zählen.
Der Werth und das Eintragen des unbeweglichen Eigenthums mag 45-48 Milliarden geschätzt werden; 1818 mochte es 37 sein; die Gebäude schätzt man auf 5 Milliarden Werth; Thiere 2; Summa 46 Milliarden. Bruttoproduktion ist auf 5,237,17[unleserlicher Text],000 zu setzen, wovon aber 3,552,000,000 für Kosten der Bearbeitung (nämlich 400 Milliarden für Saat, 110 für Viehsterben, 332 1/2 für Hausreparatur, 200 für Tagelohn per Jahr, 409 1/2 für Tagelohn der nur zu gewissen Jahreszeiten Arbeitenden: Weinlese. Kornernte, Heuschnitt, endlich 1200 für menschliche, 900 für thierische Ernährung) abzuziehen, so daß nur 1,685,178,000 Fr. Nettoprodukt oder Bodenertrag zu rechnen sind. Hr. Adolph Thiers giebt nur 2000 Mill., Hr. Dupin gar nur 1900 an, aber das ist gewiß viel zu niedrig; 18[unleserlicher Text]5 taxirte man es schon auf 1600. Die genannten zwei Malthusianer müssen das eben so gut wissen wie wir. Wenn aber in einem Vierteljahrhundert unter dem vielberühmten Segen der Civilisation, das Einkommen des Bodens und der Gebäude in Frankreich nicht gestiegen ist, so möge man allerdings verzweifeln an der Civilisation. Nach Audissont's tüchtigen Studien ist folgendes die Sachlage: 1,600,000,000 von administrativer Seite veranschlagter Reinertrag des Grundbesitzes, wovon zu subtrahiren 1,062,000,000; nämlich Hypothekenschuldinteressen 550 Millionen, an die Justizbeamten bei Gelegenheit des unbeweglichen Eigenthums, nicht weniger als 100 Millionen, welche 100 Millionen auf nur 41,802 Individuen sich vertheilen, nämlich 15,850 Notare (daher der abergläubische Schauder des französischen Bauern, wenn er an die Hausthür mit den zwei vergoldeten ovalen Schildern kommt, das Wahrzeichen des Notars), 12,290 Huissiers, 8931 Avoues, 3896 Greffiers beim Friedensgericht und 835 bei den Tribunalen. Ferner sind abzuziehen die Abgaben und zwar die direkte von [unleserlicher Text]72 Millionen, die Thür- und Fenstersteuer 33 Millionen, macht 350 Millionen; desgleichen die direkten Abgaben unter dem Namen Einschreibegeld, Gerichtsgeld, Stempelgeld und Hypothecirungsgebühren, im [unleserlicher Text]elauf von 107. Es bleibt nach allen diesen Abzügen von dem Nettowerth nur ein Drittel übrig: 538,000,000 Fr. Die Hypothekenschuld war vor einigen Jahren eilftausend und eine halbe Million; 1844 betrugen ihre Zinsen weit über 550 Millionen. Wie gesagt, diese Lasten, die wohl zu den schwersten gehören, die je ein Land zu tragen gehabt, drücken viel mehr den kleinen als den großen Besitzer; dazu rechne man den Wucher, und man begreift, warum die von uns in Nro. 1 und Nro. 2 eingetragenen kleinen dennoch stets im Elend verharren müssen.
(Fortsetzung folgt).
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[ 12 ] Paris, 31. Dezember.
Ministerwechsel, revolutionäre Anfälle der Kammer, napoleonische plastische Vorstellungen — Alles ist eingetroffen. Minister einsetzen, das ist nichts; aber Minister absetzen und neue einsetzen — das ist schon das Zeichen einer Macht, und soweit ist bereits Napoleon gekommen. Napoleon bedeutete für die Wähler Alles nur nicht Louis Napoleon, sagten wir früher: aber Louis Napoleon will einmal für sich nichts bedeuten, als Napoleon — d. h. Hut, Sporn und Stiefel. Tant pis pour lui! Also Louis Napoleon hat den Malleville und den Bixio ab- und den Buffet und Lacrosse als Minister eingesetzt. Wir citiren bloß Namen, ohne uns um die Personen zu kümmern, und da wir in den nächsten Tagen einen neuen Ministerwechsel und folglich neue Namen zu citiren haben, die ebenso unbekannt sind wie die erstern, so lassen wir jede nähere Bezeichnung der Personen einstweilen bei Seite. Der Ministerwechsel ist noch nicht beseitigt durch die Beseitigung Malleville's: die Krise dauert fort, ungeachtet der neuen Ernennungen, und wird fortdauern, weil Napoleon der Präsident den Louis Napoleon nie verdrängen kann. Z. B. Napoleons erster Schritt nach seiner Installirung war, daß er von Malleville, dem Minister des Innern, die Auslieferung der Acktenstücke verlangte, die sich auf die ewig denkwürdige Geschichte des lebendigen Adlers von Boulogne und Straßburg beziehen. Malleville verweigert. Napoleon wiederholt seinen Antrag und ist ganz erstaunt, daß man sich nicht beeile, seinem Wunsche nachzukommen. Er verlangt die Papiere abermals. Abermalige Weigerung. Da schreibt er dann an Malleville: „Mein Wille ist, daß die Papiere zu der und der Stunde bei mir zu Hause sind? Das Journal des Debats, welches am meisten Interesse hat, jeden Skandal im Ministerium zu vertuschen, verbürgt diese Details, da sie doch schon stadtbekannt sein.“ Mehr bedurfte es nicht um Malleville abzusetzen; aber noch mehr, weit mehr fiel vor. Doch warum wandte sich nicht Napoleon an den Justiz-Minister Barrot, der eigentlich Inhaber dieser Acktenstücke sein muß. Gewiß Barrot würde schon Anstandshalber die Papiere dieses Criminalprozesses dem edlen Prinzen ausgeliefert haben. Das Weitere, das vorfiel, ist also kurzgefaßt, folgendes:
Nach den Debats verlangt Napoleon, daß alle ihn betreffenden Artikel und Akte, die im Moniteur eingerückt würden, aus dem Hotel der Präsidentschaft, und nicht aus dem Ministerium des Innern datirt werden sollten.
Ferner findet Napoleon, daß die Minister, „die er erwählt,“ gar kein Gewicht legten auf seine Prärogative, und er möchte doch auch nicht ein Präsident im Style der Konstitution von Sieyes sein. Was will dann nun Napoleon sein? Um das zu sein, was die Wähler wollen, müßte Napoleon wenigstens dreifältig sein. Den Louis Napoleon kann er nun einmal nicht abschütteln, noch weniger vertilgen; denn der Minister will ihn nicht herausgeben, sondern ihn eingeschlossen behalten in den Schranken der Archive. Dem Kaiser kann er auch nicht spielen, denn bei Lauterbach hat er seinen — Hut verloren; und ohne Hut kann man nicht Kaiser sein. Was bleibt also denn von den drei verschiedenen Parteien gewählten Napoleon anders übrig, als trotz seiner Dreifältigkeit einfältig zu bleiben?
Mit welcher Leichtigkeit übrigens Louis Napoleon, da er nichts besseres machen kann, geneigt ist, Minister zu machen, und alle abzusetzen, geht aus den Gründen hervor, die ihn zu dem jetzigen Schritte bewogen, und ihn bei seiner Wahl bestimmen denn wie gesagt, die Krisis ist nicht zu Ende — die beabsichtigte Ernennung des aristokratischen Bildhauers Newkerke an der Direktion „der schönen Künste“ (Newkerke ist von Mad. Demidoff protegirt); die Einsetzung von kaiserlichen Präfekten an die Stelle der Präfekten aus der Dynastie des National — Alles dieses sind Nebensachen für uns. Aber die Hauptsache ist: in welchem Verhältnisse stehn die Minister zum Präsidenten? In der alten Monarchie waren die Minister verantwortlich für den König; daher kam der Satz: le roi regne et ne gouverne pas. In der Republik ist der Präsident sowohl verantwortlich als die Minister.
Le roi regne et ne gouverne pas. Kann man analog nun sagen: le président préside et ne gouverne pas?
Wir haben die französischen Phrasen citiren müssen, weil es unmöglich ist, sie zu übersetzen, ohne einen Widerspruch zu begehn. Der Sinn der ersten Phrase ist: der König hat weiter nichts als die Eigenschaften des rex; er regiert bloß chronologisch, nicht administrativ, nicht im Sinne des wirklichen Einflusses auf die Angelegenheiten, denn er ist unverantwortlich für seine Akte; er kann keine Regierungsakte vollbringen: die Minister sind es, denen dieses alles anheim fällt. Der König zählt also blos chronologisch, durch die Dauer seines Regnums, und wenn man sich aus seiner Kinderzeit noch der geschichtlichen Tabellen erinnert, wo man die Könige auswendig lernte, und diejenigen am liebsten hatte, hinter deren Namen solche Zahlen standen, die von einander abgezogen, eine große Differenz als Zeit ihrer Regierung ergaben, so begreift man die Vorliebe Louis Philipp's, seine Regierung recht in die Länge zu ziehen, zu dauern als König und Mensch bis zur Großjährigkeit des Grafen von Paris. Um also einem solchen unverantwortlichen, blos chronologischen Könige zu verstehen zu geben, daß er aufgehört hat zu zählen, muß man ihn entweder Reißaus nehmen lassen, oder ihm den Faden des Lebens abschneiden und ihn so verhindern, weiter zu zählen, in der Geschichte, durch die Dauer seines Lebens. Nur so entgeht er der Verantwortlichkeit. Jetzt entsteht also die große Frage, ob man analog nach jenem ersten Satze sagen kann: le président préside, mail il ne gouverne pas, d. h. der Präsident präsidirt, es dauert 4 Jahre; aber er regiert nicht. Wenn er aber 4 Jahre dauert als Präsident, ohne zu regieren, so kann er ebenfalls nicht verantwortlich sein, und alles fiele demnach der olympischen Stirne Barrot's zur Last. Nun heißt es aber in der Konstitution: der Präsident ist verantwortlich; also muß er auch handeln können; und wenn Napoleon handeln kann, so darf er auch sagen: ich will nicht Präsident nach der Konstitution sein. Also Napoleon kann etwas sein; es darf etwas sein; er kann mehr sein als Louis Philipp. Die 5 Millionen Wähler und Bauern treiben ihn an, ungeheuer viel zu sein, und Malleville verurtheilt ihn, einfältig zu bleiben; er will dem Präsidenten Napoleon den Louis Napoleon nicht herausgeben!
Louis Napoleon ist verantwortlich; Guizot, Cunin-Gridaine, Trezel, alle kommen frei nach Frankreich zurück, und die 3000, die durch die Schuld Guizot's und Konsorten in den Ponton's schmachten, werden nicht amnestirt!
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Paris, 30. Dez.
Während alle Welt gestern die Ministerkrisis beigelegt glaubte, überrascht uns heute der Moniteur mit folgenden Ernennungen:
1) Leon Faucher ist zum Minister des Innern ernannt, in Ersetzung Leon de Maleville's, dessen Abdankung angenommen ist.
2) Lacrosse, Vizepräsident der Nationalversammlung, ist an die Stelle Leon Faucher's zum Minister der Staatsbauten ernannt.
3) Buffet, Repräsentant des Volks, ist zum Minister des Ackerbaus und Handels ernannt, in Ersetzung Bixio's, dessen Entlassung angenommen.
Diese drei Dekrete sind vom Präsidenten Louis Napoleon Bonaparte unterzeichnet und von dem, in Abwesenheit Bonaparte's den Ministerrath präsidirenden Justizminister und Siegelbewahrer Odilon-Barrot gegengezeichnet.
— Francois Simon Bernard, der bekannte Clubchef, stand gestern vor den Seine-Assisen. Die Staatsanwaltschaft hatte dreizehn Verbrechen gegen ihn artikulirt, welche alle gegen die drei Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft (Religion, Eigenthum und Familie) anstürmen. Nachdem ihn der Präsident nach Namen, Stand und Wohnung gefragt, begann Bernard:
„Bürger Präsident! Ich habe eine präjudizielle Ausnahme oder einen sogenannten Nullitäts oder Competenzgrund geltend zu machen. In der gegenwärtigen politischen Regierungsform Frankreichs steht Niemanden das Recht zu, sich in die Versammlungsvorträge des souveränen Volks zu mischen. Das Recht, frei zu sprechen, steht über allen geschriebenen Gesetzen; das Volk hat das Recht, alle nur erdenkliche Fragen und gesellschaftliche Einrichtungen zu besprechen, als da sind, Eigenthum, Familie und alle sonstige Infamien (wörtlich) die sie enthält. Die Systeme, ich fühle mich glücklich, sie bekämpfen zu können, und sie nicht so aufzufassen wie Ihr, Bürger ‥‥
Präsident. Aber Sie wollten ja eine Rechtsexzeption vorbringen!
Bernard. Mein Advokat wird die Rechtspunkte erledigen. Ich dagegen ‥‥
Präsident. Dann entziehe ich Ihnen das Wort.
Bernard. Und ich, ich entziehe Ihnen meine Gegenwart. (Er setzt den Hut auf und wendet sich dem Ausgange des Saales zu.)
Präsident. Sie setzen den Hut auf, nachdem sie den Gerichtshof und die Jury beschimpften! …
Bernard. Wenn Sie mich kennten, würden Sie wissen, daß ich niemals irgend Jemanden beschimpfe und zwar aus dem Grunde, weil ich niemals einen Schimpf ertragen würde. Ich habe es Ihnen hiermit gesagt, ich gehe fort; ich habe das Recht hierzu.
Präsident. Ja, das haben Sie. Gehen Sie.
(Bernard geht ab. Der Gerichtshof verurtheilt ihn „in absichtlicher Abwesenheit des Angeklagten“ zu 5 jähriger Gefängniß- und 6000 Frk. Geldstrafe.
— Passy bleibt Finanzminister. Er hat den Bitten der Herren Thiers und Molé, sowie einiger Glieder der Haute finance (Argout u. Rothschild) nachgegeben, welche ihm sagten, daß sein Rückzug eine allgemeine Verwirrung auf dem Geldmarkte hervorbringen müßte; es sei jetzt der wichtigste Augenblick im ganzen [1002] Jahre; viele Liquidationen ständen bevor und eine Finanzkrisis im Ministerium könnte ein wahres Nationalunglück nach sich führen. So vielen Gründen vermochte Passy nicht zu widerstehen, sein finanzieller Patriotismus siegte und er versprach gestern früh den Herren Bankiers, daß er die Staatsbarke im gegenwärtigen Monate nicht verlassen wolle.
— v. Falloux hat sein Unterrichtsportefeuille niedergelegt.
— Die Ernennung des Lacrosse zum Minister der Staatsbauten wird stark besprochen.
— Die Nationalversammlung besteht darauf, ihre zehn organischen Gesetze zu erlassen. Heute beschäftigten sich ihre Büreaus mit dem Gesetze für oder vielmehr gegen die Presse.
Montalembert, die Seele Falloux's, wollte durchaus nach London als Gesandter gehen. Napoleon hätte eingewilligt, aber Lord Palmerston fand die Wahl doch gar zu signifikativ und darum die neue Ministeränderung seit heute Vormittag.
National-Versammlung. Sitzung vom 30. Dezember. Vizepräsident Corbon führt den Vorsitz.
Um 2 Uhr angesagt, beginnt die Sitzung erst kurz vor 3 Uhr.
Nach Vorlesung des Protokolls zieht Corbon als Präsident die monatliche Erneuerung der Büreaus oder Abtheilungen.
Die Versammlung nimmt die gestern Abend abgebrochene Debatte über Gründung eines offiziellen Journals zum schnellern Druck der Parlaments-Diskussionen wieder auf.
Theodor Bac (vom Berge) regt die Amnestie der Mai- und Junigefangenen an. Er verlangt Amnestie.
Odilon-Barrot erklärt, daß er diesen Gegenstand dem Ermessen des Präsidenten überlasse. Das Ministerium könne diese Maßregel nicht bevorworten, es habe beide Elemente der Gesellschaft zu berücksichtigen. Odilon-Barrot sprach sehr hart und lange in Erwiderung Bacs über die Amnestiefrage. Man will uns, sagt er, die Amnestie durch Drohungen abzwingen. (Oh! Oh!) Sie beschäftige alle Gemüther u. s. w.; allein das Andenken an die Möglichkeit der Rückkehr von Junitagen beschäftigt noch viel mehr die Gemüther. (Beifall zur Rechten.) Man wirft ein, daß gegen die Insurgenten keine Gerechtigkeit geübt worden sei. Sind sie nicht laut eines Dekrets der National-Versammlung selbst deportirt worden? Von der National-Versammlung hängt also auch das fernere Schicksal derselben lediglich ab. Das Ministerium kann und darf nichts wagen.
Bac (ironisch): Das Kabinet will also die Initiative dieser edlen Maßregel uns überlassen. Wie vorsichtig! Es sagt ferner, wir wollten es durch Drohungen zu dieser großen Maßregel zwingen. Es ist mir aber nicht im Entferntesten eingefallen, Drohungen in meine Worte zu flechten. Der Minister fürchtet neue Gefahren aus der Amnestie. Ich dagegen bin der Ansicht, daß gerade mit der Amnestie die Gefahr schwinde. Nichts entwaffnet mehr als Edelmuth. Amnestie sei also ein Schritt zur Aussöhnung, deren das Kabinet sich so sehr rühme. Wir alle sind für die Ordnung und gegen den Bürgerkrieg u. s. w. Der Redner verlangt, daß man den nächsten Dienstag zur Debatte über die Amnestie ansetze.
Die Versammlung verwirft jedoch diesen Antrag und geht zur Tagesordnung (Petitionsberichte) über.
Nach Anhörung eines Stoßes von Petitionen wird die Sitzung am 1/4 6 Uhr aufgehoben.
Corbon liest die Tagesordnung für den Dienstag vor. Also zwei Feiertage.
Großbritannien.
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[ 68 ] London, 31. Dcbr.
Der kalifornische Goldsand gibt den Engländern Stoff zu immer neuen Besprechungen, namentlich da man sieht, daß Bruder Jonathan dies Mal seinen europäischen Anverwandten keinen Sand in die Augen gestreut hat. Die Sache ist richtig. Man findet Gold in Masse und wenn die Times früher spöttisch bemerkte, daß die Amerikaner wahrscheinlich die Kosten des mexikanischen Krieges mit dem Golde des Sakramento-Flusses decken können würden, so scheint dies jetzt wirklich der Fall zu sein. Die ruhigsten Korrspondenzen der englischen Presse sprechen von einem „Wirbelwind der Aufregung“, der ganz Nordamerika bei der Bestätigung der frühern Gerüchte ergriffen hat, und die Londoner Journole können es natürlich jetzt nicht mehr unterlassen, über den künftigen Preis des Goldes die tiefsinnigsten Betrachtungen anzustellen.
— Ueber die letzten Chartistenprozesse findet man jetzt überall die ausführlichsten Mittheilungen, aus denen nur zu deutlich abzunehmen ist, daß die Whigs unter Lord John Russell nicht besser mit dem Volke verfuhren, als einst die Torys unter Lord Castlereagh. Durch das erbärmlichste Spionir- und Denunciations-System hat die Regierung eine Masse Unglücklicher zu Opfern der Bewegung gemacht. Diese Thatsachen rechtfertigen auf's Neue den alten Haß des Volkes namentlich gegen die Whigs, die als die wahren Repräsentanten der freihandelsseligen Mittelklasse, in der rohsten Handhabung der Gewalt nicht hinter den Zuchtmeistern des Kontinents zurückbleiben.
— Ueber die verschiedenen Gegenstände, welche bei dem bevorstehenden Zusammtreten des Parlamentes debattirt werden sollen, verbreiten sich bereits allerlei Gerüchte.
Schweiz.
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[ ** ] Bern, 28. Dez.
Kaum sind die schweizer Truppen von der lombardischen Gränze zurückgezogen, so fangen Radetzki's Schikanen von neuem an. Er schreibt an die eidgenösische Repräsentanten in Tessin, es finde ein beunruhigender Waffenhandel an der Gränze Statt, und die eidgen. Repräsentanten bereden die tessiner Regierung, ihre Zustimmung zu mehreren Haussuchungen in Mendrisio zu geben. Man fand und konfiszirte einige Flinten. Wie man diese Verletzung des Hausrechts und Beschlagnahme fremden Eigenthums rechtfertigen will, ist nicht abzusehee. Es ist nur zu verwundern, daß die tessiner Regierung sich dazu hergegeben.
Die neapolitanischen Werbungen in Luzern und den Urkantonen scheinen nun doch zu nichts zu führen. Nicht als ob sich nicht eine genügende Anzahl biederer Alpensöhne gefunden, die ihre Haut für baares Geld zu verhandeln und im Solde Ferdinand's Kroatendienste zu thun Lust gehabt hätten; im Gegentheil! Aber die Sache scheitert an der Unmöglichkeit, von der Schweiz nach Neapel zu kommen.
Kapitulationsmäßig müssen die Rekruten über Genua geführt werden und die Turiner Regierung verweigerte den Durchzug. Es heißt nun, die Rekruten sollten nach Triest gebracht und dort eingeschifft werden. Diese Nachricht hat unter den Angeworbenen großen Schrecken verursacht. Nach Oestreich wollen sie nicht. Sie fürchten unter die echten Kroaten gesteckt und gegen die Magyaren geführt zu werden und petitioniren jetzt beim Luzerner Regierungsrath, daß man auf der Genueser Route bestehe. Sonderbar. Als ob es diesen Leibtrabanten der Contrerevolution nicht gleichgültig sein könnte, ob sie Magyaren oder Messineser massakriren! Aber freilich, östreichische Papierzwanziger und neapolitanische vollwichtige Dukaten, das ist ein Unterschied!
Uebrigens scheint die Luzerner Regierung der Berner nachfolgen und die Kapitulation so lange suspendiren zu wollen, bis die Schweizer Kaufleute in Neapel und Messina entschädigt sind. Wenigstens hat sie sich beim Bundesrath erkundigt, wie es mit dieser Entschädigung stehe. Es bleiben dann nur noch die Urkantonen, und diese werden sich das Recht jedes Bürgers sich zu verschachern, so lange nicht nehmen lassen, als die Bundesverfassung es ihnen verstattet, d. h. so lange, als die gegenwärtigen Kapitulationen noch zu laufen haben. Dies Recht der Selbstverschacherung ist eines der schönsten und ältesten Privilegien der freien Urschweizer, und wenn diese tapferen „Erstgebornen der Freiheit“ versuchten, „ihre fünfhundertjährige Rechte“ gegen die neue Bundesverfassung zu verwahren, so war es vor allem auf dies spezielle Recht abgesehen, das die neue Bundesverfassung abschafft. Die Militärkapitulationen sind wirklich eine Lebensfrage für die Urkantonen. Seit fünfhundert Jahren waren sie der Abzugskanal für die überzählige Bevölkerung, und daher die beste Garantie der bestehenden barbarischen Zustände. Man schaffe die Kapitulationen ab, und man wird eine wahre Revolution in diesen s. g. „reinen“ d. h. in der Praxis höchst unsaubern Demokratieen hervorrufen.
Die jüngeren Söhne der Bauern, die jetzt nach Neapel und Rom gehen, müssen zu Hause bleiben; sie werden keine Beschäftigung finden, weder in ihren eigenen Kantonen noch in der übrigen Schweiz, die schon hinreichend an „Ueberzähligen“ laborirt; sie werden eine neue Klasse von Bauernproletariern bilden, die durch ihre bloße Existenz alle die alten, auf tausendjährigem Herkommen beruhendem Eigenthums-, Erwerbs- und Rechtsverhältnisse dieser Hirtenstämme in die größte Verwirrung bringen muß. Woher sollen diese sterilen Gebirgsländer die Mittel nehmen, die Paupers zu ernähren, die ihnen von allen Seiten her auf dem Schub an die Gränze zugeführt werden? Schon jetzt existirt der Kern einer solchen Klasse von Paupers, und bedroht den übererbten Patriarchalismus auf höchst unangenehme Weise. Selbst wenn also, was nicht zu erwarten steht, auch in den nächsten Jahren die europäische Revolution denselben Respekt vor der schweizerischen Neutralität beobachten sollte wie bisher, so bereitet sich doch durch den Artikel der neuen Bundesverfassung: die Militärkapitulationen sind untersagt, ein revolutionäres Ferment vor, das die ältesten und beharrlichsten Sitze der reaktionären Barbarei in Europa endlich in Grund und Boden umwälzen würde. Wie die Monarchieen, so auch die reaktionären Republiken zu Grunde an der pekuniären gehen Schwindsucht, an der „blassen Wehmuth der Finanznoth.“
Ungarn.
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Preßburg, 23. Dcbr.
Den 23. d. war, brieflichen Nachrichten zufolge, schon die ganze Stadt Tyrnau der Ueberzeugung von der kaiserlichen Armee umzingelt und von der ungarischen abgeschlossen zu sein, als plötzlich Oberst Guyon, ein Engländer in ungarischen Diensten, mit einem Regimente Kossuth'scher Truppen in die Stadt einbrach und in aller Schnelle Vorbereitungen zu einem Straßenkampfe traf. Die Stadt ist ganz offen. Es wurden demnach Barrikaden errichtet, und das einzige noch vorhandene Thor verrammt. Da verkündigte Trommelschlag von allen Seiten das Hereinbrechen des Generals Simunich, welcher mit einer bedeutenden Macht allseitig angegriffen hatte. Der Kampf war fürchterlich. Die hereinbrechende Dunkelheit begünstigte die Flucht des Obersten Guyon, sowie eines Drittheils vom Regiment. 700 Mann wurden in dieselbe Straße hineingedrängt, deren Ausgang durch das verrammelte Thor abgeschlossen war. Diese gaben sich ohne Widerstand gefangen. Die aufgeregten kaiserlichen Soldaten fielen nun über die Häuser her, da von Seite der ungarischen Soldaten auch aus den Fenstern geschossen worden ist, und begannen zu plündern. Erst nachdem die Einwohnerschaft eine halbe Stunde lang den Gefahren und Schrecknissen der Soldaten unterworfen war, gelang es den von General Simunich ausgesendeten Patrouillen der Plünderung Einhalt zu thun.
[(A. Z.)]
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Agram, 23. Dezbr.
Im Banat hatten die Serben in der verwichenen Woche große, blutige Kämpfe zu bestehen. Die Magyaren haben Freitag, den 15. l. M., einen neuen kombinirten Angriff auf die beiden Serbenlager bei Alibunar und zu Tomasevac, wo sich der ritterliche Held Stevan Knicanin so oft glorreich behauptet, ausgeführt. Bei Alibunar kommandirte Major Mihal Ivanovic, ein zwar tapferer, aber unvorsichtiger und unbesonnener Offizier. Vier übermächtige magyarische Sturmkolonnen waren von Ivanovic's Schaar siegreich zurückgeschlagen worden, als plötzlich ein gut gelungenes Manöver der Magyaren der Sache eine ganz andere Wendung gab. Nachdem ihre vierte Sturmkolonne mit blutigen Köpfen zurückgeprallt war, warfen sie ihre meisten und besten Streitkräfte auf den schlecht besetzten Paß, zersprengten die Besatzung und nahmen den wichtigen Punkt, während Ivanovic's Aufmerksamkeit geschickt anderweitig beschäftigt ward. Bei Vertheidigung des Passes sind vier serbische Offiziere und zahlreiche Gränzer gefallen; auch ein Neffe des Patriarchen, Lieutenant Rajacic, starb bei dieser Gelegenheit den Heldentod. Die Magyaren erschienen so plötzlich und unerwartet auf den Höhen im Rücken des Lagers. Nun blieb für Ivanovic nichts anderes übrig, als das Lager Preis zu geben und sich in Eilmärschen zurückzuziehen. Wie ein Unfall den andern als Konsequenz mit sich bringt, geschah es auch jetzt. Knicanin war nun in Gefahr, umringt und abgeschnitten, ja aufgerieben zu werden. Er sah sich genöthigt, sein Lager abzubrechen und mit allem Geschütz einen geordneten Rückzug über Usdin und Antalfalva gegen Pancova anzutreten.
[(C. Bl. a. B.)]
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Karlowitz, 20. Dez.
Die Bevölkerung Ungarns, Kroatiens, Slavoniens und der Militärgränze beträgt bei 12,000,000 Seelen. Von diesen bekennen sich etwa über 1,800,000 zur griechisch nicht unirten Religion, und zwar theils in serbischer, theils in walachischer, theils in griechischer Sprache. Die Zahl der Serben beläuft sich auf 800,000, die im ganzen Lande zerstreut leben. In keinem Theile Ungarns bilden sie ausschließlich die Bevölkerung irgend einer umfangreicheren Gegend oder eines geschlossenen Distrikts. Am zahlreichsten sind sie in der kroatischen Militärgränze und in Slavonien.
Doch ist auch im Banate und im Bacser Comitate ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung serbischen Stammes. Und mit Ausnahme der Comitate Trenesin, Lipto, Arva, Turocz, Zolyom und vielleicht der Zips dürfte wohl kaum irgend ein Comitat, oder irgend eine bedeutende Ortschaft in Ungarn sein, wo sich nicht Serben in größerer oder geringerer Zahl aufhalten.
Namentlich schlecht verträgt sich der Serbe mit dem Deutschen, und die Criminalstatistik der Comitate Temes, Torontal, besonders aber Bacs, wo die Serben oft mit Deutschen die nämlichen Dörfer bewohnen, weist an diesen Serben unliebsame Erscheinungen auf, die doch sonst, wo die Bevölkerung rein serbisch ist, nicht vorkommen! Besser schon verträgt sich der Serbe mit dem Ungar, obgleich auch hier häufige Reibungen vorkommen.
Doch kann sich der Serbe für die ungarische Sache, ja sogar für die ungarische Sprache begeistern (der Serbe Vitkovic war einer der ausgezeichnetsten ungarischen Dichter); während eine ähnliche Begeisterung für die deutsche Sache und deutsche Sprache bis jetzt unter den Serben noch nicht bemerkt wurde. Auch mit dem Slovaken, ja sogar mit dem Schokatzen verträgt sich der Serbe schwer. Die Sympathie der Serben für die Kroaten datirt, wie man zu sagen pflegt, von gestern. Mit den Walachen, welche mit ihnen die nämliche Religion bekennen, finden wir sie ebenfalls häufig in Unfrieden.
Wir finden die Serben theils als Bauern in Dörfern; theils als Bürger der Städte, wo sie namentlich als Kaufleute einen bedeutenden Theil des Handels der unteren Gegenden Ungarn's in Händen haben. Die serbischen Bauern zeichnen sich im Ganzen durch ihren Wohlstand nicht besonders aus; wenigstens stehen sie dem unter gleichen Verhältnissen lebenden und dasselbe Land bebauenden Deutschen, ja auch dem ungarischen Bauer merklich nach. Als Kaufleute genießen sie wohl oft einen bedeutenden Wohlstand, der sich nicht selten bis zum Reichthume erhebt. Doch ist das in Ungarn gekannte Sprichwort, daß man aus einem Raitzen zehn Juden machen könne, — obgleich stark aufgetragen, bezeichnend genug, um jede weitere Erörterung überflüssig zu machen.
Neueste Nachrichten.
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[ * ] Deutz, 2. Januar.
Die Konstitution trägt ihre Früchte. Man geht offenbar darauf aus, Deutz in Belagerungszustand zu setzen. Wir haben noch unsere Waffen, und diese will man uns entreißen Man konnte kein besseres Mittel finden, als an die Stelle der 25er, die sich stets human betragen, die 34er zu setzen, deren brutales und empörendes Wesen sich seit 2 Tagen in der empörendsten Weise kund gibt. Vorgestern fielen sie unbewaffnete Bürger und Damen auf offener Straße an. Gestern sind sie handgemein mit Artilleristen und Uhlanen geworden. Von diesen fortgetrieben, gingen sie in die Kasematten, um Verstärkung zu holen. Sie kamen in großer Anzahl mit blankgezogenen Säbeln zurück, und da sie keine Militärs mehr fanden, um ihre Wuth auszulassen, warfen sie sich auf die Bürger. Sie drangen in die Wohnungen der Bürger Dieks, Zimmermann und in den bergischen Hof bei Höner ein, demolirten Alles, was sie vorfanden, und fielen dann mit ihren Waffen über die dort befindlichen Gäste her.
Ein großes Unglück war unvermeidlich, wenn die Nachbaren sich nicht beeilt hätten, die Offiziere der betreffenden Kompagnien herbeizuholen. Alles ist bei uns in der größten Aufregung. Wir sind keinen Augenblick mehr sicher vor der brutalen Gewalt dieser neuen Croaten, die bereits in Köln, in der Kämergasse, die bekannten Exzesse verübten. So eben sollen auf der Landbrücke 4 Soldaten desselben Bataillons verhaftet worden sein, welche gegen Bürger ohne Veranlassung blank zogen. Glücklicher Weise kam ein Artillerieoffizier vorbei und verhinderte weitere Exzesse.
Wann wird die Militärbehörde einschreiten? Will der Ober-Kommandant diesem Treiben nur dann erst Einhalt thun, wann der Belagerungszustand erklärt ist und ist der Belagerungszustand der Preis, um den wir Bürger unsere Sicherheit erkaufen müssen?
[Redakteur en chef: Karl Marx. ]
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[ * ] Köln, 29. Dez.
Unter diesem Datum geht uns folgende Mittheilung zu:
Am 23. d. Mts. reisten wir von Düsseldorf nach Duisburg auf der Köln-Mindener Eisenbahn. Das Unglück führte uns in einen Wagen 4. Klasse, der ganz voll von Kriegsknechten war, die wahrscheinlich zu dem bevorstehenden Weihnachtsfeste in ihre Heimath reisen wollten. Schon beim Eintritt in den Wagen hallten uns keine angenehmen Töne zum Willkomm entgegen, wir hielten uns jedoch ganz ruhig, um nicht im Mindesten Veranlassung auch nur zu einem Wortwechsel mit jenen rüden Menschen zu geben. Als wir uns nun ruhig an das Wagengeländer stellten, bemerkte ein Lümmel aus dem 7. (gelben) Uhlanen-Regimente: „daß er es doch vorziehen müsse, uns den H. …… zuzudrehen“ (ipsissima verba!). Dieses gemeine Benehmen drang uns denn doch die Bemerkung ab, daß uns dies ganz und gar gleichgültig sei, er solle jedoch nur nicht glauben, daß er in seiner blauen Jacke hier in dem Wagen mehr Vorrechte habe, als andere. Kaum waren diese Worte verhallt, als das ganze im Wagen vorhandene königlich preußische Militär (größtentheils aus dem 16. Infanterie-Reg.) in ein höllisches Geschrei ausbrach, aus dem man nur die Worte: „Ein Demokrat! Heraus mit dem Kerl! Ein Halunke! Heraus!“ vernehmen konnte. Dabei stampften die ehrenwerthen königl. preußischen Soldaten mit ihren Kommißschuhen so stark auf den Boden, daß derselbe Gefahr lief, zu durchbrechen. Wir unsererseits ließen uns durch dieses Geschrei gar nicht irre machen und lachten über die verrückten Gestikulationen, die zu Tage gefördert wurden.
Als die Kriegsknechte nun auf keinen Widerstand stießen, ließen sie, sich vielleicht in ihrem Unrechte fühlend, nach und nach von ihrem Geschrei ab, obgleich ihre scheelen Augen uns noch immer verfolgten. Sie schienen dann ihre grenzenlose Wuth darüber, daß ein Demokrat — sie hatten sich in der Person nicht geirrt — das Recht hatte, in ihrer ehrenwerthen Gesellschaft reisen zu dürfen, durch das Abschreien einiger Preußen-Lieder, als: „Ich bin ein Breuße“ etc. und „Wir bleiben unserm König treu“ etc. so wie „Unser König hat viel Geld“ etc. (wenn das nur so wäre!) und anderer zu beschwichtigen.
Es lebe die königl. preußische Soldaten-Humanität!
Auf einer andern Tour haben wir dagegen auch vernünftige Soldaten getroffen, die wir hierdurch gern in Schutz nehmen, namentlich einen aus dem 13. und einen aus dem in Köln hinlänglich bekannten 16. Inf.-Reg. Letzterer gestand uns im Vertrauen, daß er froh wäre, wenn seine Dienstzeit verflossen, und er nach Hause gehen könnte und daß er sich niemals gegen seine Mitbrüder als eine willenlose Maschine von seinen Obern gebrauchen lassen würde.
Wir theilen diese Vorfälle der Oeffentlichkeit mit, weil sie ein Bild von den verschiedenartigen Elementen unter dem Militär geben.
Und dann fragen wir:
Ist es nicht eine Schande, daß das Militär von oben herab — anders kann es nicht sein! — so fanatisirt wird?
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Abgesehen davon, was man sich ursprünglich bei dem Worte „selbstständig“ gedacht haben mag, kann die Befürchtung, daß dieses in der sogenannten Verfassung und dem Wahlgesetze gebrauchte Wort eine Verminderung der frühern Wählerzahl herbeiführen werden, als beseitigt angesehen werden. Der Minister des Innern hat den Staats-Ministerialbeschluß vom 19. Dezember, wornach jeder sonst Qualificirte als selbstständig angesehen werden soll, wenn er über seine Person und sein Eigenthum verfügen kann, durch Reskript vom 20. Dezember dahin erläutert, daß da, wo die sonstigen Bedingungen des Wahlgesetzes erfüllt seien, die erforderliche Selbstständigkeit der Urwähler so lange als vorhanden angenommen werden soll, als nicht der Beweis des Gegentheils vorliegt. Es wird weiter darin ausgesprochen, daß die politische Selbstständigkeit keineswegs identisch sei mit der Selbstständigkeit, von welcher privatrechtliche Bestimmungen die volle Gültigkeit gewisser Rechtsgeschäfte abhängig mache, daß auch ebensowenig zur Selbstständigkeit die Führung eines eigenen Haushalts nothwendig sei, daß daher weder bei den Eltern wohnende Söhne, noch bei Fremden wohnende Dienstboten als unselbstständig zu betrachten seien.
Als Schluß wird dann noch die sehr überflüssige Bemerkung hinzugefügt, daß Personen, die nicht frei über ihre Person und ihr Eigenthum verfügen könnten, solche anzusehen seien, die wahnsinnig, wegen Verschwendung interdicirt oder eingesperrt wären. Nun wahrlich, wenn ursprünglich nichts anderes bezweckt worden ist durch die Einschiebung jenes Wortes, dann hätte doch die sehr unnöthige dadurch hervorgerufene, Zweideutigkeit vermieden werden sollen.
Geilenkirchen, 28. Dezember.
Ein Urwähler.
Handelsnachrichten.
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