[1405]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 251. Köln, Mittwoch, den 21. März. 1849.
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Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. — Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.
Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.
Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.
Nur frankirte Briefe werden angenommen.
Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.
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Bestellungen auf die Neue Rheinische Zeitung für das II. Quartal (April-Juni) bitten wir möglichst frühzeitig zu machen.
Unsere auswärtigen geehrten Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, daß die Abonnements jedesmal am Schlusse des Quartals bei den Postämtern erneuert werden müssen.
Einige hundert Exemplare der gestrigen Zeitung sind irriger Weise mit Nro. 249 statt 250 nummerirt.
Die Expedition.
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Uebersicht.
Deutschland. Köln. (Bankett auf dem Gürzenich). Düsseldorf. (Der demokratische Verein. — Das Militär am 18. März). Irlich (Märzfeier). Jülich. (Hr. Mylius zum Landrath octroyirt). Berlin. (Der 18. März). Von der mecklenburgischen Gränze. (Einrücken der Preußen). Bernburg. (Metzelei und Belagerungszustand). Liegnitz („Mein tapferes Kriegsheer.“ — Landrechtliche. Verurtheilung). Wien. (Stimmung der Wiener. — Standrechtliche Märzerinnerungen). Prag. (Verwahrung mehrerer Deputirten). Dresden. (Kammersitzung).
Ungarn. (Vom Kriegsschauplatze).
Italien. Rom. (Exekutiv-Comite. — Konspirationen in den Provinzen. — Mazzini. — Giuccioli nach Venedig). Palermo. (Kriegssteuer). Turin. (Karl Albert an die Gränze. — Aufkündigung des Waffenstillstandes der Kammer mitgetheilt).
Schweiz. Bern (Verwahrung der tessinischen Gränze. — Alle Verbindungen zwischen der Lombardei und Tessin abgebrochen).
Franz. Republik. Paris (Garnier-Pagès. — Die Rue Poitiers. — Vermischtes.) Bourges. (Prozeß der Maigefangenen.)
Die demokratischen Vereine der Rheinprovinz werden ersucht, ihre Adressen der „Neuen Rheinischen Zeitung“ oder der „Neuen Kölnischen Zeitung“ baldigst zugehen zu lassen.
Deutschland.
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[ * ] Köln, 20. März.
Gestern Abend fand auf dem Gürzenich ein Bankett zur Erinnerung an die Berliner Barrikadenkämpfe des vorigen Jahres statt. Wenn schon das Bourgeoiskonzert vom 18., „zur Feier der Verheißung“ einer Konstitution etc. etc. den größten Saal unsrer Stadt anständig gefüllt hatte, so war gestern der Raum nicht zur Hälfte hinreichend, das herzuströmende Publikum zu fassen. Während oben 5-6000 Menschen Kopf an Kopf gedrängt standen, warteten mehrere Tausend vergebens auf die Möglichkeit hereinzukommen. Der Saal hatte sich so rasch gefüllt, daß selbst mehrere Redner erst nach 9 Uhr ein Mittel fanden, sich durchzudrängen.
Karl Schapper präsidirte und eröffnete die Versammlung mit einem Toast auf das souveräne Volk, die einzige Quelle aller gesetzlichen Macht. Es wurden ferner folgende Toaste ausgebracht: H. Becker: den Todten des 18. und 19. März; Bürger Wachter: auf die Besserung des deutschen Michel; Bürger Weyll: der ganzen Revolution, nicht der halben; Bürger Rittinghausen: ein Pereat dem deutschen Kaiser; C. Cramer den demokratischen Frauen, die unserm Bankett beiwohnen; W. Wolff, Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung: den italienischen Republiken; E. Dronke, Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung: der proletarischen Revolution; P. Nothjung: dem Sieg der Magyaren und Kossuths; H. Bürgers, Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung: dem Sturz Oestreichs; F. Wolff, Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung: den Angeklagten von Bourges; F. Engels, Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung: den Juniinsurgenten von Paris; K. Schapper: den englischen Chartisten und ihren revolutionärsten Chefs Ernest Jones und G. J. Harney; Karl Kramer: den Polen; Chr. Esser, Redakteur der Arbeiter-Zeitung: der rothen Republik.
Das Bankett, das in der größten Ruhe und Ordnung verlief, wurde gegen elf Uhr mit einem allgemeinen Hoch auf die rothe Republik geschlossen. Gegenüber dem am 18. auf dem Gürzenich abgehaltenen Heulerkonzert freut es uns, daß noch nie ein Fest in Köln ein so zahlreiches und zugleich so taktvolles Publikum vereinigte, wie das unter den Auspicien der rothen Fahne abgehaltene Bankett von gestern Abend.
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[ 109 ] Düsseldorf, 19. März.
Mein neulicher Bericht über die hiesige offizielle demokratische Partei hat dieselbe zu den verschiedenartigsten Recriminationen in der Düsseldorfer Zeitg. und andern obscuren Blättern veranlaßt. Wahrlich, wenn sie meine Behauptungen widerlegen wollte, sie müßte vorsichtiger zu Werke gehn. Ich kann mich mit Aufweisung von Thatsachen begnügen. Den nachfolgenden Brief hat sich der „democratische“ Verein nicht entblödet, an den Vorstand des Volksklubs zu richten.
An den geehrten Vorstand des Volksklubs hier.
Der demokratische Verein hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, behufs der Feier des 18. und 19. März mit den übrigen (dem Bürgerverein also!) hier bestehenden politischen Vereinen in Verbindung zu treten und in Gemeinschaft mit diesen den Gemeinderath (!) und die städtische Verwaltung (!!) zur öffentlichen allgemeinen Begehung derselben in angemessener Weise aufzufordern.
Der demokratische Verein wurde dabei von dem Gedanken geleitet, daß durch die Ereignisse der Märztage v. J. das ganze Volk eine Stellung im Staate gewonnen hat, welche zum wahren Wohl desselben schon längst als unabweisbar nothwendig erkannt und erstrebt worden war. Wenn auch in jüngster Zeit gar manches (also doch „gar Manches?“) eingetreten ist, was den vollen Genuß jener neuerrungenen Geltung des Volksrechtes, sei es hinsichtlich der Freiheit des Einzelnen, sei es hinsichtlich der Theilnahme des Volks an Gesetzgebung und Verwaltung eine Allgemeine, sei es hinsichtlich der Herbeiführung einer größern materiellen und socialen Wohlfahrt, vielfältig zu schmälern und zu verkümmern versucht (ein unschuldiger Versuch), so kann doch hierin kein Grund liegen, sich nicht dessen, was wir bis zur Stunde erlangt und gesichert haben (was denn?), gemeinschaftlich (!!!) zu freuen und in gemeinsamer Betrachtung der Lage des Vaterlandes den Entschluß bei uns allen zu stählen, als gute Bürger einer Stadt zur Erhaltung der Freiheit auch in der Zukunft ohne Rücksicht der Partei (!!!! mit dem Bürgerverein, dem reactionären Gemeinderath und der Polizei!) treu zusammenzuhalten. Der demokratische Verein ist der Meinung, daß auf dieser Grundlage die beiden andern politischen Vereine hierselbst sich ihm anzuschließen vermögen, ohne ihren bekanntgewordenen Grundsätzen ungetreu zu werden (!!!!!). Er stellt daher an den Vorstand des Volksklubs das Ersuchen, eine Kommission aus seiner Mitte zu wählen, damit diese mit der diesseits gewählten Festkommission in Gemeinschaft das weitere veranlasse und in Rücksicht auf die kurze Zeit heute Abend acht einhalb Uhr sich bei Hilger auf dem obern Stock in einem abgesonderten Zimmer zu einer kurzen Berathung zu versammeln
Düsseldorf, den 15. März 1849.
Aus Auftrag der Kommission des demokratischen Vereins:
Euler, Vorsitzender.
[unleserlicher Text]
v. Sybel, Schriftführer.
Sie können denken, daß der Vorstand des Volksklubs die Zumuthung mit Entrüstung zurückwies, mit dem Repräsentanten der Reaction, dem Bürgerverein, dem Stadtrath (man erinnere sich an dessen jämmerliches, serviles Auftreten während des Belagerungszustandes) und der Polizei, also mit der ganzen Schaar der ärgsten Feinde der Volkspartei, den Jahrestag der Märzrevolution zu feiern, und dagegen Verwahrung einlegte, daß man dies Fest, wenn es zu Stande käme, ein „democratisches“ nenne. — Die Herren gaben zur Entschuldigung dieses zum mindesten seltsamen Auftretens an: wenn alle Parteien das Fest gemeinsam gefeiert hätten, so wäre der Ruhm Düsseldorfs, die Vertreterin der Demokratie zu sein, aufs Neue gewahrt gewesen; und dann hätte man ja auch beim Feste „Propaganda“ machen, und dem Bürgerverein eins oder das andre seiner Mitglieder wegfischen können. Also es war eines Theils darauf abgesehen, dem Publikum weiß zu machen, daß die Düsseldorfer Polizei demokratisch gesinnt sei; anderntheils bildete man sich ein, der Bürgerverein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die Errungenschaften der Revolution zu vernichten, werde wirklich allen Ernstes auf die collossale Zumuthung des „demokratischen“ Vereins eingehen, um sich vor der ganzen Rheinprovinz lächerlich zu machen. Diese Erklärung gab Herr Bloem, Exdeputirter der Linken. Ich überlasse Ihren Lesern die Beurtheilung dieses Auftretens. Der Bürgerverein würdigte den „demokratischen“ natürlich nicht einmal einer Antwort. — Um alledem die Krone aufzusetzen, fand gestern ein „demokratisches“ Bankett auf eigne Hand Statt. Der Eintrittspreis war 10 Sgr.! Wahrscheinlich damit die Arbeiter sich daran betheiligten! Um 11 Uhr, der gewöhnlichen Polizeistunde, wollte man die Theilnehmer des Banketts auseinandertreiben. Es wurde aber dem Polizei-Commissär erklärt, er habe kein Recht, die Gesellschaft zu stören, weil Hr. v. Faldern die Erklärung gegeben habe: die „demokratische“ Gesellschaft bedürfe keiner Beaufsichtigung mehr!!! Der Commissair vermochte natürlich so inhaltschweren Gründen nicht zu widerstehen. Für das Publikum aber ist der eine Satz die beste Kritik unsrer offiziellen „demokratischen“ Partei. — Cantador ist auf diesem Bankett erschienen. Wir sind begierig, ob er auf dem am Dienstag stattfindenden Arbeiterbankett erscheinen wird. Dies wird über seine künftige Stellung in der demokratischen Partei entscheiden.
Düsseldorf ist so gut wie in Belagerungszustand. Des Abends finden offiziell organisirte Hetzjagden von Seiten des Militairs Statt, so daß mißliebige Personen kaum ihres Lebens sicher sind, während die „demokratische Gesellschaft keiner Beaufsichtigung mehr bedarf.“ Morgen Genaueres über diesen unerklärten aber leicht erklärlichen Belagerungszustand.
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Düsseldorf, 19. März.
Der verhängnißvolle „18. März“ ist vorüber. Wir haben ihn verlebt wie jeden andern Tag, nur mit dem Unterschiede, daß wir einige Rippen- und Kolbenstöße „zur Verherrlichung des Festes“ erhielten. Wir sind sonst ganz gemüthlicher Natur, freuen uns des Lebens, und brummen nicht einmal, wenn man von „Märzerrungenschaften“ spricht; aber was gestern Abend von Seiten der Polizei und Soldaten „zur Verherrlichung des Festes“ geschehen, hat doch unserer harmlosen gemüthlichen Natur so zugesetzt, daß wir uns selber nicht mehr kennen. Von den Rippen-, Kolben- und Säbelstößen, die wir in höchsteigener Person erhielten, wollen wir gar nicht sprechen, aber sagen wir, daß wir gesehen, wie zwei Personen von der Polizei zu Boden gerissen, von Soldaten, welche im Nu bei der Hand waren, mit Kolbenstößen traktirt und dann nach dem Rathhause geschleppt wurden.
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Reveille. *) Für die Revolutionsfeier auf dem Gürzenich gedichtet. Es wurde von der Versammlung mit donnerndem Beifall begrüßt und einem dreifachen Hoch auf den Dichter, und auf allgemeines Verlangen am Schluß der Sitzung nochmals gesungen. Anmerk. d. Red.
Melodie der Marseillaise.
Frisch auf zur Weise von Marseille
Frisch auf ein Lied mit hellem Ton!
Singt es hinaus als die Reveille
Der neuen Revolution!
Der neuen Revolution!
Der neuen, die mit Schwert und Lanze
Die letzte Fessel bald zerbricht —
Der alten, halben singt es nicht!
Uns gilt die neue nur, die ganze!
Die neue Rebellion!
Die ganze Rebellion!
Marsch, Marsch!
Marsch, Marsch!
Marsch — wär's zum Tod!
Und uns're Fahn' ist roth! (bis.)
Der Sommer reift des Frühlings Saaten,
Drum folgt der Juni auf den März.
O Juni, komm und bring' uns Thaten!
Nach frischen Thaten lechzt das Herz!
Nach frischen Thaten lechzt das Herz!
Laß deine Wolken schwarz sich ballen,
Bring' uns Gewitter Schlag auf Schlag!
Laß in die ungesühnte Schmach
Der Rache Donnerkeile fallen!
Die neue Rebellion!
Die ganze Rebellion!
Marsch, Marsch!
Marsch, Marsch!
Marsch — wär's zum Tod!
Und unsre Fahn' ist roth! (bis.)
An uns're Brust, an uns're Lippen,
Der Menschheit Farbe, heil'ges Roth!
Wild schlägt das Herz uns an die Rippen —
Fort in den Kampf! Sieg oder Tod!
Fort in den Kampf! Sieg oder Tod!
Hurrah, sie sucht des Feindes Degen,
Hurrah, die ew'ge Fahne wallt!
Selbst aus der Wunden breitem Spalt
Springt sie verachtend ihm entgegen!
Die neue Rebellion!
Die ganze Rebellion!
Marsch, Marsch;
Marsch, Marsch!
Marsch — wär's zum Tod!
Und uns're Fahn' ist roth! (bis.)

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Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.
(Fortsetzung von Nro. 238, 241, 243 und 250.)
Die Göttin der Langenweile wunderte sich keineswegs über die Geschichte der jungen Miß Thomson. „Mit den Heirathen ist es ein eigenes Ding in England“ — fuhr sie fort — „die Heirathen stehen in England in genauem Zusammenhange mit den Waizenpreisen. Wahrscheinlich ist dies in andern Ländern nicht weniger der Fall, aber ich möchte fest behaupten, daß sich namentlich in England die gegenseitige Annäherung junger Personen, ja, mit einem Worte, daß sich die Liebe beider Geschlechter genau nach den Notirungen der Kornhändler von Marklane richtet. So wurden z. B. im Jahre 1832 bei einem Waizenpreise von 52 Shilling pr. Quarter 242,469 Ehen geschlossen, eine Anzahl, die sich im Jahre 1835 bei einem Waizenpreise von 34 Shilling bis auf 275,508 Ehen vergrößerte.
Haben Sie nur die Güte, die höchst interessanten statistischen Tabellen über die Population der Vereinigten Königreiche, in Porter's Progress of the Nation nachzuschlagen, und Sie werden nicht nur finden, daß diese Angaben durchaus richtig sind, sondern daß sich dieselben Schwankungen auch in allen übrigen Jahren seit dem Beginn dieses Jahrhunderts wiederholten.
Ja, der Gott Amor hängt von den Fruchthändlern der Londoner City ab; die Fruchthändler der City richten sich nach dem Wind und dem Wetter und die Liebe ist eine rein ökonomische Frage.
Wenn Ihnen die allerliebste Miß Thomson einen Heirathsantrag machte, so glauben Sie daher ja nicht, daß diese Artigkeit Ihren geistigen und körperlichen Vorzügen gegolten hätte — nein, Fräulein Thomson hatte vielleicht gerade in irgend einer Zeitung gelesen, daß wegen des schlechten Wetters und in Folge einer be- [1406] vorstehenden Mißernte, die Fruchtpreise bedeutend in die Höhe gehen würden und es verstand sich daher von selbst, daß sie als echte Engländerin sofort den Entschluß faßte, sich zu verlieben, um Sie noch zur rechten Zeit zu der Thorheit einer ehelichen Verbindung zu verleiten.
Die Ehe ist in England eine Geschäftssache, welche man so rasch und so rund als nur möglich abzuthun pflegt und wenn man der Liebe noch keinen besondern Platz auf der Börse anwies, unterblieb dies nur deswegen, weil man bisher derglerichen geringfügige Geschichten en passant abmachte und sie mehr unter die Rubrik der Spekulationen brachte, welche ganz im Stillen und ohne viel Geräusch behandelt werden wollen.
Die englischen Arbeiter machen einzig und allein eine Ausnahme in dem Geschäftsabschluß der Ehe. Es liegt auf der Hand, daß diese armen Leute sich nur durch den Frühling, durch einen singenden Vogel, oder durch eine hübsche Blume zur Liebe hinreißen lassen, denn die Konsequenzen ihrer ehelichen Verbindungen kommen nicht in Pfunden Sterling, sondern nur in jenen hungrigen Kindern zum Vorschein, deren Sterblichkeit, wie bekannt, nach einer schlechten Ernte, oder nach einer Handelskrise, um 25 bis 30 Prozent über die Summe des gewöhnlichen Todtenzettels hinauszusteigen pflegt.
Die Aristokratie verheirathet sich in England, um ihre Raçe fortzupflanzen; die Mittelklasse sucht ein Zinsengeschäft zu machen und der Arbeiter nimmt ein Weib, damit ein gleichgestimmtes Wesen seine Noth und seine Langeweile theile, denn man langweilt sich jedenfalls weniger zu zweien als allein.
Aus diesem Grunde bin ich gegen jede Ehe!
Ostern und Pfingsten sind die Zeitpunkte, wo namentlich die englischen Arbeiter ihre Ehen schließen. Es ist nicht selten, daß man dann vierzig bis sechszig Paare vor den verschiedenen Kirchenthüren einer Fabrikstadt antrifft. Die heirathslustigen Männer, junge Burschen von 18 bis 22 Jahren, haben sich so hübsch als möglich herausgeputzt. Ihre Bräute tragen schwarze Merinokleider und ein schneeweißes wollenes Tuch darüber. Beiläufig bemerkt, unterscheiden sich die Fabrikarbeiterinnen in ihrer Kleidung sehr von den weiblichen Dienstboten. Während die erstern nämlich im gewöhnlichen Leben alle Farben, und an ihrem Hochzeitstage schwarz tragen, kleiden sich die Dienstboten, namentlich die der wohlhabendern Familien, fast durchgängig violett, eine Farbe, die sich sehr hübsch macht, besonders im Gegensatze zu dem schneeweißen englischen Teint des Halses und des Busens, der bei dem tiefen Einschnitt der Kleider stets Gelegenheit hat, sich dem Auge des aufmerksamen Beobachters in seinen vortheilhaftesten Formen zu zeigen.
Ist die Ehe kirchlich eingesegnet, so ziehen die Neuvermählten, ein Paar hinter dem andern, durch die Stadt, um nach einem schnellbeendigten Mittagessen gemeinschaftlich eine Hochzeitsreise in die nächsten Felder oder auf die umliegenden Hügel zu unternehmen, wo man sie in dem geselligsten Zusammensein bis gegen Abend durch Spielen, Tanzen und Singen ihren Hochzeitstag feiern sieht.
Wie die englischen Arbeiter in fast Allem, was sie thun und treiben, aus der gewöhnlichen guten Sitte der steifen Mittelklasse heraustreten, so zeichnen sie sich auch durch diese massenhaftere und deswegen viel interessantere Hochzeitsfeier vor den übrigen Klassen der Gesellschaft vortheilhaft aus. Statt eines einzigen frisch vermählten Paares, das von seiner Umgebung mit dummen Glossen und mit abgenutzten Witzen umringt wird, begehen die Arbeiter in Gesellschaft den Tag der ersten Liebe und der Himmel ist auch fast immer so gefällig, die kurze Feier mit seiner Oster- oder Pfingstsonne auf's freundlichste zu begünstigen.
In früheren Jahren dehnten Neuvermählte fast nie ihre Hochzeitsreisen weiter als auf den Besuch der nächsten Felder aus. Erst seit die Eisenbahnen den Verkehr erleichtert haben, unternehmen sie auch Touren nach den benachbarten Städten und Dörfern. Von einer solchen Reise hatte ich neulich das komischste Beispiel. Tom Holmes, ein Fabrikarbeiter, liebte nämlich Mary Ann Wilson, das Dienstmädchen einer vornehmen Kaufmannsfamilie in Manchester. Der Frühling kam und Tom bestand darauf, daß man Hochzeit halte. Mary Ann mußte sich daher am Sonntag für einige Stunden Urlaub ausbitten; man ging zur Kirche und ließ sich kopuliren. Leider waren aber so viele Brautleute vor Tom und Mary Ann eingeschrieben, daß unser junges Paar fast drei Stunden auf seinen Segen warten mußte. Von den vier Stunden, welche Mary Ann Urlaub erhalten hatte, blieb daher nach dem Schluß der kirchlichen Feier nur noch eine Stunde übrig. Es war nun zu spät, eine beabsichtigte Eisenbahntour nach Liverpool zu machen und Mary Ann schlich zur bestimmten Stunde wieder zurück in das Haus ihrer Herrschaft. Traurig langweilig traf ich das arme Mädchen hier an. Den Kopf auf die Hand gestützt und die hellen Thränen im Auge, saß das verlassene Kind in dem stillen Zimmer der Küche und begriff eigentlich nicht recht, weßhalb man nur deßwegen heirathe, um sich gleich wieder von seinem Manne zu trennen. Da tritt die Dame des Hauses vor ihre Magd. Sie sieht, daß das schöne Mädchen geweint hat, und sie erkundigt sich nach der Ursache ihres Kummers. Mary Ann will lange Zeit nicht mit der Sprache heraus, zuletzt gesteht sie, daß Tom es „nicht länger habe aushalten können“, daß sie geheirathet hätten und daß der Urlaub leider nur gerade für die Kirchenfeier ausgereicht habe, und daß Tom, da sie gezwungen gewesen sei, nach Hause zurückzukehren, nun „allein“ die beabsichtigte Hochzeitsreise nach Liverpool unternommen habe, von der er hoffentlich zurückkehren werde, um dann später einmal seine Frau wiederzusehen.
Die Göttin der Langenweile schwieg. „Diese Heirath scheint also weder aus Spekulation noch aus Vergnügen unternommen worden zu sein? “setzte ich hinzu. „Ja, nicht einmal die Fruchtpreise wurden dabei berücksichtigt. —“
„Tom konnte es nicht länger aushalten,“ wiederholte die Göttin und der graue Spleen meinte, daß er sehr wahrscheinlich in dieser Geschichte ein bedeutendes mitgespielt habe. [Fortsetzung]
(Forts. folgt.)
[Deutschland]
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@facs1406
[Fortsetzung] Die Mißhandelten gaben keinen Laut von sich. Nun wollen wir annehmen, daß dieselben sich gegen die Anordnungen der Polizei vergangen, dann hätten 2 Mann hingereicht, sie zu arretiren; aber mit Kolbenstößen einem am Boden liegenden wehrlosen Menschen begreiflich machen, daß er am 18. März nicht über die Straße gehen darf, das ist ungesetzlich, das ist roh und brutal. Diesen Akt der rohesten Gewalt haben wir selbst zugesehen. Erzählen haben wir gehört, daß Polizisten und Soldaten die unschuldigsten Menschen von der Welt verwundet haben.
[(D. Z.)]
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@facs1406
[ 149 ] Irlich, 19. März.
Der seit einiger Zeit hier bestehende demokratische Verein beging gestern die Feier zum Andenken an die Märztage Berlins. Ein beschlossener Festzug mußte unterbleiben, weil der Bürgermeister Kampers von Heddesdorf in richtiger manteufel'scher Auffassung des Gesetzes über das freie Associationsrecht, einen solchen untersagt hatte.
Obgleich sehr zahlreich besucht und größtentheils aus Bauern des Standes bestehend, welche die benachbarte Neuwider schwarz-weiße lämmelbrüderische Partei gemeinhin als Rebellen und Ruhestörer bezeichnet, fiel auch nicht die geringste Unordnung vor.
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@facs1406
[ 150 ] Jülich, 19. März.
Endlich sind die frommen Wünsche und heißen Gebete des Herrn v. Mylius erhört. Er wird wieder Landrath. Glücklicher Mylius, armer Kreis, wie wirst du jetzt gezwiebelt werden. Kennen Sie den Mylius, den dicken Mann mit der hohen sich bis in den Nacken ziehenden Stirn, dem großen Barte, dem aufgedunsenen Gesichte mit der rothen Rubinen-Nase und den stierenden Kalbsaugen? Es ist derselbe Mylius, von dem Ihr geschätztes Blatt schon mehreres berichtete, derselbe der sich bei der Wahl in Düren so gründlich blamirt, derselbe der trotz einstimmigen Mißtrauungsvoten nach Brandenburg seiner Zeit abgereis't, derselbe der bei der Kreisdeputirtenwahl, wo er sich so sehr bemüht, keine Stimme erhalten, derselbe der Geldern in Frankfurt so glänzend vertreten, derselbe der zur Hebung der inländischen Industrie — der Fabrikation der gebrannten Wasser vulgo Schnaps — so viel thut; derselbe — doch was soll ich Ihnen alle Verdienste dieses Mannes aufzählen, der Raum ihres Blattes würde nicht hinreichen.
Wir fragen den Herrn Präsidenten, ob der zukünftige Landrath nicht derselbe Mylius sei, von dem der Minister Kühlwetter seiner Zeit gesagt: „Dieser Mensch ist für gar nichts zu gebrauchen.»??
Wie wir hören wird der Kreistag zusammentreten, um weitere energische Schritte gegen diese Kreisoctroyirung zu thun; wollen sehr ob das Kreisphilisterium es wagen wird.
Jemand frug jüngst den lieben Mylius, warum er doch nicht lieber nach Geldern als Staatsprokurator zurückging, als sich dem Kreise, wo er doch so verhaßt sei, mit Gewalt aufdrängen zu lassen. „Weil ich dort noch mehr verhaßt bin“, war die naive Antwort. Armer verkannter Mylius.
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@facs1406
[ * ] Berlin, 18. März.
Aus den Abtheilungen vernimmt man zahlreiche Klagen über die lässige Theilnahme der Oppositionsmitglieder an den Sitzungen. Bei der stets nur geringen Majorität der einen oder der andern Parthei entscheidet schon der Ausfall nur einer Stimme. So gelangte heute, durch das Wegbleiben eines Mitglieds der Rechten, die Linke in der dritten Abtheilung bei der Berathung des Klubgesetzes zu der ephemeren Majorität von einer Stimme. Das Klubgesetz, welches schon in früheren Sitzungen dieser Abtheilung berathen wurde, wird als ein höchst unschädliches Produkt demnach aus derselben hervorgehen.
In der siebenten Abtheilung fand ein interessanter Zwischenfall statt, der deutlich zeugt, was unsere schwarz-weißen Helden von der Freiheit des Volkes und von dem Rechte, der durch sie eingedrillten Maschinen halten. Der Abg. Görz (Frankfurt a/O.) stellte nämlich den Antrag, daß nur Beamten der Polizei gestattet sein solle, bewaffnet in den Klubs zu erscheinen. Der schon gestern erwähnte Griesheim, ein Urpreuße vom reinsten Wasser und Verfasser mehrerer bramarbasirenden Soldatenbrochüren, widersetzte sich zuerst diesem Antrage. Als er aber sah, daß der Antrag Unterstützung fand, ja daß sogar A. v. Auerswald ihn acceptirte, erwiderte Griesheim höhnisch, daß er auch jetzt dem Antrage beistimme, da jetzt die höheren Offiziere nur zu befehlen brauchten, daß kein Soldat ohne Waffen ausgehen dürfe, um so die willenlosen Krieger vom Gifte der Klubs fern zu halten.
Das milde Kosch'sche Centrum hat eine heilige Scheu vor der revolutionären Gewalt der Klubs, und nur die Scham verhindert es das Klubgesetz in Pausch und Bogen anzunehmen. Das hindert aber einige der Herren dennoch nicht, einzelne Paragraphen des „Liebesgesetzes“ zu arceptiren. Vor Allem ist unter diesen zweideutigen Freunden der Linken Professor Olawski, ein sog. deutscher Demokrat aus Posen, der neulich ein albernes Buch des französischen Pedanten Marc St. Girardin als Autorität in der Schulfrage auf der Tribune citirte, zu erwähnen. An der Demokratie dieses Olawski kann man die reaktionäre Größe der posener Schwarzweisen und Netzeroaten ermessen.
In der ersten Abtheilung ist das Plakatgesetz gänzlich verworfen worden. — So liegen uns denn, die Verhandlungen der Abtheilungen in Betreff der ministeriellen Entwürfe vor. Wir sehen aus ihnen, daß die Kammer nicht viel besser ist, wie ihr Ministerium. Selbst die Linke trat sehr leise und schüchtern auf und nur wenige dieser Parthei waren offen und muthig genug, die revolutionären Principien auch bei der Berathung dieser schmachvollen Gesetze anzuwenden. Die Linke durfte nur auf vollständige Verwerfung der Gesetze antragen.
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@facs1406
[ 9 ] Berlin, 18. März. 11 Uhr Morgens.
Es ist kühles Wetter draußen — wenig Sonnenschein am Himmel und in den Herzen.
Die Nationalzeitung bringt eine Zeichnung vom Friedrichshain, damit ihre Leser, die Bourgeois, welche heute zu feig oder zu bequem sind, in Person nach den Gräbern zu wandern, darin im Geiste herumwandeln können. Die Gekreuzigte ist heute auch etwas blöde, sie spricht in biblischem Style von dem Eckstein, den Gott gesetzt und den die ruchlosen Radikalen nicht umstoßen werden. Gott weiß es!
Hr. Held glaubt am heutigen Tage sich auch bemerklich machen zu müssen. Gegen Mittag wurde von ihm ein großes gelbes Plakat angeschlagen, worin er eine Revolutionsgeschichte Berlins ankündigt. Das Plakat enthält mehrere (wie uns nach flüchtiger Beschauung scheint) reaktionäre Holzschnitte, die einen Konstabler auf der Friedrichsstraße bewogen haben müssen, das Plakat abzureißen. Das Volk bemächtigte sich des Konstablers, schlug das Plakat wieder an, und so entstand ein bedeutender Auflauf, in welchem wir einen Obersten und mehrere Lieutenants provozirend sich bewegen sahen. Sehr bedenklich!
Außer vielen Frauen und Kindern mit Todtenkränzen gewahrt man auf den Straßen eine Menge Menschen mit Flore um die Hüte, und handgroßen deutschen Kokarden.
4 Uhr. Ich komme so eben vom Friedrichshain. Die Militärschergen entweihen förmlich die Gräber. Das ganze Terrain ist von Kürassieren und Infanterie umzingelt, und sobald sich eine Menschengruppe bildet, sprengen die Herren Kürassiere mitten in dieselbe. Die Erbitterung der Massen ist sehr groß, und wenn es nicht zu Konflikten kommt, so ist die Soldateska wenigstens unschuldig daran. Ich versichere Sie, daß es ein empörender Anblick war zu sehen, wie das Volk auf den Gräbern seiner Gefallenen von deren Mördern wie Bestien gehetzt wurde. Das Alles hat der passive Widerstand der Vereinbarer herbeigeführt. Hätte das Volk Waffen, so — —
6 Uhr. Gegen 5 Uhr wurde das Landsberger- und Königsthor dem Publikum vom Militär vor der Nase zugeschlossen. Sie transit gloria! Etwas später bewegte sich ein großer, fast humoristischer Zug durch die Königsstraße, vorauf einige Kinder, dann drei Reiter, von denen der erste mit Kränzen überladen war. Dem Zuge folgten mehrere Tausend Menschen, die an jeder Stelle, wo am vorigen Jahre eine Barrikade gestanden, hielten und Hurrah schrieen.
Man spricht von einzelnen Verhaftungen und vielen Konstabler-Durchprügelungen.
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@facs1406
[ 104 ] Liegnitz, 17. März.
Allah ist groß und Liegnitz auf dem Wege, das schwarzweiße Mekka zu werden. Die in ihm unter einem Pascha von zwei Roßschweifen stehenden Janitscharen treiben ihr tolles, zügelloses Wesen noch immer in der Art und Weise, wie Ihnen bereits frühere Berichte gemeldet haben. Bald fallen sie im Bewußtsein ihrer vortrefflichen Disciplin ruhige Bürger mit blanker, scharfer Waffe in der Hand auf offener Straße an und bringen ihnen gefährliche Verletzungen bei, bald gerathen sie sich gegenseitig selbst in die Haaren. Am verflossenen Dienstage wurde in einem hiesigen öffentlichen Lokale ein Soldatenball abgehalten. Ein denselben frequentirender knochenfester Kriegsknecht von der renommirten Truppe der stets schlagfertigen Fünfer wird dabei von der Liebenswürdigkeit einer anwesenden Grisette entzückt und ist auch so glücklich, sehr bald ihre Neigung zu gewinnen. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein sichrer Bund zu flechten, und die Gunst springt öfters ab. Ein Zwanziger, der jedenfalls im Besitze größerer Attraktionskraft gewesen sein muß, als sein Kollege, zieht durch einige geschickte Manövers das in seliger Liebe schwimmende Mädchenherz an sich und macht es zu dem seinigen. Dafür schwört ihm aber der betrogene Fünfer blutige Rache, und ein Fünfer hält ebenso Wort, wie sein großes Vorbild, der wahrheitsliebende Wrangel. Als der Zwanziger die gewonnene Grisette an seinem Heldenarme nach Hause führt, wird er unverhofft von dem erbitterten Kameraden überfallen und mit einem großen Messer nach ächter Fleischerart wie ein fetter Bulle ins Genick gestochen, so daß er auf dem Flecke zusammenstürzt und jetzt bereits zur großen Armee in das Jenseit abgegangen ist. — Am 15. d. M. wurde der hiesige Buchdruckereibesitzer, Harry d'Oench wegen Abdrucks und Verbreitung des allgemein bekannten Panegyrikus auf den alten Bundestag, und zweier ebenfalls von ihm nachgedruckter und verbreiteter Karrikaturen, in denen bureaukratische Adleraugen Beleidigungen des Staatsoberhauptes erkannt haben wollen, durch Erkenntniß erster Instanz zu drei Jahren Festungsstrafe und zum Verluste der Nationalkokarde verurtheilt. Er wird wegen des gegen ihn gefällten Urtheils Appellation ergreifen. — Den Redakteur der hiesigen Silesia, Dr. Cunerth, erwartet nächstens ein gleiches Schicksal wie d'Oench. Und warum? Weil er unumwunden das ausgesprochen hat, was Niemand als eine Lüge zu bezeichnen im Stande ist. „Die Wahrheit ist aber ein Hund, der ins Loch muß, und hinausgepeitscht wird, während Madame Schooßhündin am Feuer stehen und stinken darf“ — sagt der Narr im König Lear.
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@facs1406
Posen, 15. März.
Die sehr verbürgten Berichte aus dem benachbarten Königreiche Polen bestätigen die Nachricht, daß drei neue russische Armeekorps in Polen eingerückt sind und daß das letztere von diesen schon sein Hauptquartier in Konin aufgeschlagen hat. Diese neuen Heeresmassen, die jedenfalls an 60000 Mann der verschiedensten Waffen zählen, stehen nunmehr sämmtlich ziemlich nahe an der preußischen Gränze und können dieselbe binnen wenigen Stunden überschritten haben; unmittelbar an der Gränzlinie stehen theils Kosaken, theils ein großer Artilleriepark, letzterer bei Bloszko, dessen Mündungen zu uns herübergähnen. Das große Lager bei Kirchdorf in der Nähe von Kalisch ist fast fertig und bereits von zahlreichen Truppen bezogen, die bei jedem Wetter von früh bis spät exerziren. Die Soldaten selbst haben sämmtlich die Ueberzeugung, daß sie nächstens in das preußische Gebiet einrücken werden.
[(D. A. Z).]
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[ 12 ] Von der Meklenburgischen Grenze, 16. März.
Die Gerüchte wegen bevorstehender Auflösung der meklenburgischen Kammer und Oktroyirung einer Verfassung gewinnen immer mehr an Wahrscheinlichkeit. Die gottbegnadeten Großherzöge wollen hinter andern großen Herren von Gottes Gnaden nicht zurückbleiben. Zu diesem Behufe haben sie sich einige Tausend Mann „Reichstruppen“ vom preußischen Vetter geliehen, die wohl die rebellische Kammer zu Paaren treiben werden. — Bereits gestern verbreitete sich das Gerücht in Brandenburg, die Preußen seien im Anmarsche. Es entstand auch bald eine furchtbare Aufregung, die sich jedoch für heut nach dem Einwerfen mehrerer Fenster wieder legte. — Heute Nachmittag rückten nun in der That zwei Eskadronen des Pasewalker preußischen Cürassier-Regiments in dem kleinen meklenburgischen Städtchen Woldegs ein, von wo sie weiter auf Brandenburg marschirt sind.
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[ * ] Wien.
Einem uns zur Benutzung übergebenen Privatbriefe aus Wien vom 14. März entnehmen wir folgendes:
Wien, den 14. März.
„‥‥… Wie schon oben erwähnt, überraschte uns am 7. März früh an allen Straßenecken eine von Gottes Gnaden uns aufgedrungene Verfassung, worüber die volksverrätherische Bourgeoisie ein Freudengezeter erhob, da ihnen in derselben versprochen ist, daß Wien der Sitz des Kaisers, der Regierung und der Kammern bleiben wird; sie sich daher einen reichen Schacher hoffen. Also gleich ging eine Deputation zum Kaiser nach Olmütz, um ihm ihre loyalen Gesinnungen darbringen zu können.
In der Stube des Handwerkers, des ehrlichen Liberalen, des Proletariers, wurde mit Verachtung und Fluch von dieser neuen Metternich'schen Association mit der Kamarilla gesprochen.
Schlechteres, miserableres könnte man uns nicht mehr geben, wir sind viel schlechter d'ran, als wie vor dem März 1848. Jeder Paragraph ist mit jesuitisch-büreaukratisch-teuflischer Schlechtigkeit ausspintisirt, hat 10 Hinterthüren, und kann gedeutet werden, wie man es will.
Jeder fühlt, so kann es nicht bleiben, für so viele Opfer, so eine Miserabilität? Jedoch, was jetzt angefangen, der für Ordnung und Ruhe wachende Sicherheitsausschuß blickt unheilverkündend von den Basteien, und zu dem, nicht einmal einen Bratspieß zur Waffe! Hoffend und wünschend blickt der Demokrat nach dem Osten, wo sich der tapfere Magyare schon 5 Monate für seine, und für die Freiheit von beinahe halb Europa schlägt.
Eine wahre Entrüstung brachte die Verfassung unter den Czechen hervor, welche dieselbe an vielen Orten verbrannten. Heute sprach ich einen Geistlichen aus Neufalz in Ungarn, der sagte dasselbe, überall wird das Pamphlet mit Koth beworfen und beschmiert.
Am Abende des 7. März wurde trotz der Nichterlaubniß des Gouverneurs Welden freiwillig die Stadt beleuchtet, alles war still und lautlos.
Sonntag den 11. März war große Kirchenfeierlichkeit zu St. Stephan, wozu 18,000 Mann Militär ausrückten und auf den Plätzen und Straßen der inneren Stadt aufgestellt waren, mit Geschütz und brennender Lunte, mehr um zu imponiren, und die Ruhe der Feierlichkeit zu sichern, als wie zur Feierlichkeit selbst, von den Wällen wurden 303 Kanonensalven gelöst, Abends war die Stadt und Theile gewisser Vorstädte abermals illuminirt. Ein großer Zapfenstreich mit Militärbanden, die bekannte Volkshymne spielend, durchzog die Stadt, wobei vieles schlechte, und theils bezahlte Gesindel Vivat! rief. Ein Fiaker durchzog die Stadt bis in die Nacht mit dem Bildniß des Kaisers, welches mit Blumen geziert und beleuchtet war; dieser Kerl war bezahlt wie das Gesindel, welches dem Wagen nachlief; ich merkte mir die Schreier, welche immer Vivat Franz Joseph schrieen, es waren in jeder Straße dieselben.
Alles war schon seit längerer Zeit auf den 13. März begierig. Früh fanden sich auf dem Friedhofe bei'm gezierten Grabe der Märzgefallenen viele Akademisten, Männer, Frauen und Mädchen mit Flören, und die Frauen größtentheils in Trauerkleidern ein; es wurden viele Thränen vergossen. Bei St. Stephan war schon vorgestern ein Hochamt für die Märzgefallenen bezahlt worden.
Auf dem Stephansplatze sammelten sich die Leute immer mehr. Es rückte Militär aus, sperrte alle Zugänge und Straßen auf obgenanntem Platz, ließ Niemanden auf denselben, jedoch Alle heraus, und arretirte eine Menge junger Männer ohne die geringste Veranlassung.
Nicht viel fehlte, so hätte man mich an der Gewölbsthür einer Pelzwaarenhandlung ebenfalls arretirt, blos weil ich vertraulich mit der Eigenthümerin gesprochen, ohne daß Jemand das Gesprochene gehört haben konnte.
Es wurden Angesichts des Volkes die Gewehre geladen, und hierauf das Volk, eigentlich lauter friedliche und neugierige Spaziergänger, aufgefordert, auseinander zu gehen. Das Militär machte Miene zum Dreinschlagen.
[1407]
Die Leute verliefen sich und es ist gegenwärtig ganz ruhig, um 4 Uhr Nachmittags.
Wird heute der Belagerungszustand aufgehoben, so haben wir in 14 Tagen die wüthendste Revolution. Die Freiheit ist für uns zur Lebensfrage geworden.
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@facs1407
[ 068 ] Prag, 15. März.
Gestern Abend brachten die hiesigen Studenten den Abgeordneten Rieger und Borrosch einen Fackelzug. Auch Nationalgarden nahmen daran Theil. Das „C. Bl. g. B.“ enthält eine von vielen Abgeordneten aus Böhmen, Mähren etc. unterzeichnete Verwahrung gegen die Sprengung des Reichstages in Kremsier. Es sind im Ganzen 33 Unterschriften, darunter befinden sich die von Hornborstel, Rieger, Palacky, Hawliczek, Strobach, Pillersdorf, Klaudy, Pinkas etc. die Verwahrung lautet:
„Als die tiefe Erschütterung aller Bande des Vertrauens und die Lockerung der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche lange vorher in allen Theilen der Monarchie sich verkündet hat, in den Märztagen des vorigen Jahres zum Ausbruche kam und der gerechte Monarch die Größe der Gefahr so wie die Dringlichkeit der Hilfe erkannte, zugleich aber in der Einberufung eines constituirenden Reichstages das einzige legale Mittel erblickte, um unabweisbaren Forderungen Genüge zu leisten, da waren die Erwartungen sowie die Ansprüche der Völker an den Reichstag darauf gerichtet, daß er das erschütterte Vertrauen befestigen, daß er das Band, welches verschiedenartige Völker umschlingt, durch die freie Entwickelung ihrer Nationalitäten fester knüpfen und daß er der Regierung die Kraft und die Mittel gewähren werde, um den äußeren und inneren Feinden des Staates mit entscheidendem Erfolge entgegenzutreten.
Der Reichstag mußte sich ebenso diese Pflicht wie die Wege, welche er in der Erfüllung derselben einzuschlagen hatte, klar machen. Sie lagen ihm in der Aufgabe vor, den organischen Gesetzen, welche in der Verfassung ihre Sanction und Grundlage finden sollten und in dieser der Freiheit so wie den Nationalbedürfnissen der Völker untrügliche Bürgschaften bieten müssen, eine ruhige und reife Prüfung zu widmen, bei allen Völkern die Ueberzeugung zu begründen, daß nur in dem festen Anschließen an die Gesammtmonarchie auch ihr Wohl gefördert werden könne, endlich der Regierung keine Mittel zu versagen, welche sie zur Abwendung innerer und äußerer Gefahren unerläßlich bedarf.
Konnte das erste Parlament Oestreichs dieses Ziel aber auch mit jenem sicheren raschen Gange verfolgen, welchen gesetzgebende Körper seit Generationen, mit dieser Bahn vertraut, auf derselben einzuschlagen vermögen? Konnte er jenem Ziele stets unverrückt entgegengehen, während ihm kein Führer, keine Stütze zur Seite stand, während Aufruhr und Bürgerkrieg mehrmal an seine Thore klopfte und die Hand der exekutiven Gewalt bald machtlos dahin sank, bald der Militärdiktatur gefesselt erlag?
Der Reichstag hat sich jedoch keiner dieser Aufgaben, der Erfüllung keiner dieser Pflichten entzogen; er hat den Erwartungen derjenigen, welche ihm ihr Mandat anvertrauten, mit strenger Gewissenhaftigkeit zu entsprechen sich bestrebt, die Völker Oestreichs wurden durch denselben sich näher gerückt und ihre Vertreter haben es stets bewiesen, daß sie zu jedem Opfer, welches das Gesammtvaterland fordert, bereit sind.
Der Reichstag hat diese Opfer auch in dem ausgedehntesten Umfange zur Verfügung der Regierung gestellt, wo es galt, daß diese Kraft entwickle und ihren Gegnern gegenüber mächtig erscheine.
Hätte der Reichstag auch Nichts geleistet, als mehrere Millionen gedrückte Landleute von schweren Fesseln zu befreien und zu der Würde freier Staatsbürger zu erheben, so würde ihm für diese That allein reicher Segen folgen und das Bewußtsein begleiten, dem Vaterlande dadurch Ruhe, Frieden und Eintracht, die Liebe und Dankbarkeit seiner besten Söhne gewahrt zu haben. Allein auch das Verfassungswerk war in seinem Entwurf vollendet, zu dem zweiten Stadium seiner Prüfung gelangt und ein mächtiges Gefühl war bei Allen, welche an dieser Prüfung theilzunehmen hatten, vorherrschen, daß der Zweck, daß das Ganze in das Auge gefaßt, daß die Aufmerksamkeit nicht auf das Einzelne gerichtet werden müsse, daß das Verfassungswerk schnell, wenn auch mit einigen Mängeln gefördert werden solle. Der schwierigere Weg war bereits zurückgelegt, die Grundrechte waren zum großen Theile beschlossen und es waren nicht mehr tiefgreifende Prinzipienfragen zu erörtern, bei welchen das Gebiet der Theorie nicht unberührt bleiben kann und soll; es handelte sich nunmehr darum, den aufgestellten Prinzipien eine konsequente Anwendung zu sichern und in dieser ein fest verbundenes organisches Ganzes zu begründen. —
Da traf den constituirenden Reichstag das Schicksal der Auflösung durch, ein Manifest des constitutionellen Monarchen, welches eine oktroyirte Verfassung verkündiget. Die Mission des Reichstages ist dadurch erloschen den Gliedern desselben bleibt aber die Pflicht, in denjenigen, welche ihnen diese Mission anvertraut, die Ueberzeugung festzustellen, daß sie der Regierung kein Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke vorenthalten haben. Die Verfassung konnte, ja sie mußte nach dem Geiste, welcher die Versammlung beseelte, in wenigen Wochen der Sanktion des Monarchen unterzogen werden. Hätte sich die Exekutiv-Gewalt bei d[e]n Erörterungen darüber betheiliget, hätte Vertrauen und Offenheit, jene Grundbedingungen des Zusammenwirkens zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, die Stellung der Exekutiv-Gewalt gegen die gesetzgebende Versammlung bezeichnet, wären die Worte des ministeriellen Programmes je zur vollen Wahrheit geworden, so würde dieser Zeitpunkt, sowie er in Aller Wünschen lag, auch in seiner Ausführung noch bedeutend näher gerückt worden sein.
Das Programm des Ministeriums vom 27. November v. J. sicherte dem Reichstage Vorlagen über die Entschädigungen der beim Grundbesitzthum Betheiligten, über die Regelung der Gemeindeangelegenheiten, über die Umstaltung und Einrichtung der Rechtspflege, über die Feststellung des Postwesens und des Associationsrechtes, über die Nationalgarde und über mehre, den öffentlichen Haushalt und das Wohl des Volkes nahe berührende Angelegenheiten zu. Allein keine dieser Vorlagen ist erfolgt. Auf sich selbst beschränkt und seit vier Monaten von jenen Standpunkten getrennt, auf welchen höhere Bildung, Intelligenz und Betriebsamkeit in allen Zweigen der Thätigkeit ein regeres Leben entfaltet, konnte der Reichstag nur über seine eigenen Kräfte verfügen.
Lag es in der Absicht der Regierung ein gemeinschaftliches Band über alle Theile der Monarchie zu schlingen und dieses in dem Verfassungswerke zum segensreichen Bunde unauflöslich zu knüpfen, so würde der Reichstag ein solches Vorhaben mit Freude begrüßt haben. Er kannte jedoch bis zur Verlautbarung des Manifestes weder die Absichten der Regierung noch die von ihr eingeschlagenen Wege. Wenn aber die Residenz noch an tiefen Wunden blutet, wenn diese Wunden auf alle Lebensfunktionen des Herzens und sämmtlicher Organe eines großen Reiches traurig zurückwirken, so fühlte der Reichstag schmerzlich, daß ihm jedes Mittel benommen war, hier eilend und lindernd einzugreifen; er fühlte, daß die höchsten Interessen der Monarchie und der Dynastie es fordern, daß die Hülfe nicht verschoben, daß ihr Erfolg nicht durch Bitterkeit oder unheilvolle Verblendung vereitelt werde. Allein die Mitglieder des Reichstages haben das beruhigende Bewußtsein, auch diesen großen Interessen ihre Blicke nicht entzogen zu haben und das Vertrauen, daß ihre Kommittenten sie vor dem Vorwurfe freisprechen werden, in der ersten und würdigen Auffassung derselben Etwas unterlassen oder versäumt zu haben.
Eine offene Sprache ist die Pflicht des freien Mannes, ist die heiligste Pflicht der Volksvertretung, sie ist zugleich das Wesen und die Seele des konstitutionellen Lebens. Selbst irrige Auffassungen von Regierungsmaßregeln und darauf gestützte Beschuldigungen der Exekutiv-Gewalt, welche eines festen Grundes entbehren, werden die Regierung jeder Zeit vielmehr stärken, gegründete Klagen aber schnell zur Abhülfe führen.
Die Mitglieder des aufgelösten Reichstages, welche in dieser Erklärung den Ausdruck ihrer innigsten Ueberzeugung und eines unwiderstehlichen Pflichtgefühles niederlegen, werden, auch ihres Mandates entkleidet, fortfahren, ihren Mitbürgern Friede, Eintracht und Gesetzlichkeit an das Herz zu legen, wie sie bisher als Theilnehmer an der Gesetzgebung für die Förderung dieser Zwecke alle Kräfte aufgeboten haben. Sie werden so durch die That bewähren, daß einer hochherzigen Regierung andere Wege zu Gebote stehen, als loyale Gesinnungen mit dem Mackel unverdienten Argwohnes zu beflecken und daß es nicht der militärischen Gewalt bedurfte, um den Beschlüssen des Monarchen Geltung zu verschaffen.
Möge der eingeschlagene Weg zum Heil des Vaterlandes führen!
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[ 213 ] Dresden, 16. März.
In der gestrigen Sitzung der 2ten Kammer erblickte ich zum erstenmale Sachsens Gesammtministerium vom Held bis zum Rabenhorst. Ein schönes Agglomerat von Heuler-Büreaukraten- und kontrerevolutionären Säbelgesichtern. Mitten daruntrr der demokratisirende Blödsinn als Minister des Innern.
Unter den eingelaufenen Petitionen, von welchen sich viele zu Gunsten, keine gegen die Kammer aussprachen, war auch eine, welche das Ministerium für alle Kosten einer etwa gewaltsam geschehenden Kammerauflösung verantwortlich machte. Manche verlangten die Entfernung des Ministeriums. Die antiministeriellen Eingaben kommen meist vom Lande, wo die Demokratie viel intensiver zu sein scheint, als in den Städten Dresden und Leipzig.
Um die Kammer ferner zu beschäftigen, ließ das Ministerium ein königl. Dekret, Vorschläge zur Uebernahme der Riehaer Eisenbahn enthaltend, vorlesen. Die Geschäftsordnung verfügt nämlich, daß jedes königl. Dekret sofort vorgelesen werde, und das Ministerium benutzt diesen §, um der Kammer als königl. Dekrete seine werthvollen Lukubrationen vortragen zu lassen.
Zur Beantwortung einiger früher gestellten Interpellationen erhob sich hierauf Held, der Leithammel ohne Leitung des kleinen Manteuffel-Ministeriums. Nachdem er eine Jagdinterpellation beantwortet, erklärte er indessen, daß das Ministerium die zweite Interpellation, die Revision der Verfassung betreffend, nicht beantworten würde. Er that dies in einem immer schnaubender werdenden Bulldogtone, welcher zuletzt in die tiefste germanisch-sittliche Schulmeister-Entrüstung ausartete, und unserm armen Held das Ansehen eines mit Zinnober überstrichenen Frosches gab. Die eigentlichen drei ministeriellen Teufel Beust, Ehrenstein und Rabenhorst schienen ihre dumme Firma innerlich auszulachen
Vicepräsident Tzschirner, eins der tüchtigsten Talente der Kammer, und, was in Sachsen viel sagen will, ein entschiedener, ehrlicher Charakter, suchte unsern Held zwar zurecht zu weisen, aber weder Präsident Hensel, noch auch die Kammer leisteten ihm dazu den erforderlichen Beistand. Die Deutschen lieben ja Schur und Dressur.
In einer neuen Interpellation protestirte Tschirner alsdann wider den Welker'schen Kaiser, namentlich wider Kaiser- homunculus Fritz, und forderte das Ministerium auf, zu sagen, ob es sich in diesem Sinne an die Centralgewalt nach Frankfurt gewendet.
Endlich erwies ein gewisser Spitzner dem Kriegsminister den Gefallen, das Ministerium darüber zu interpelliren, ob es wahr sei, daß die schmachvollen Beschuldigungen, welche man in der Kammer wider das in Altenburg stehende sächsische Reichsmilitär vorgebracht, von den dortigen Behörden in Abrede gestellt würden. Die Kammer schwieg nach einer kurzen zurechtweisenden Bemerkung des Präsidenten wider den Redner, und nur Tzschirner lehnte sich wider den Kroatendefensor auf.
In der heutigen Sitzung zweiter Kammer meldete sich der Kriegsminister alsbald zum Wort. „Mit Freuden ergreife ich die Gelegenheit,“ sagte er, „die gestrige Interpellation des Abgeordneten Spitzner schon heute zu beantworten.“ Hätte der schnauzbärtige Kavallerie-Säbel sich nur etwas geschickt zu benehmen gewußt, so hätte ein großer Theil der Kammer nicht gemerkt, daß Interpellation und Antwort eine zwischen Diesem und Spitzner abgekartete Sache gewesen; da er aber sprach, wie ein Pferdeknecht, der zum erstenmale eine Striechelrede hält, so begann die ganze Kammer und die Galerien ihn auszulachen, ohne den Glauben an die kroatischen Eigenschaften der in Altenburg oktroyirenden sächsischen Reichstruppen zu verlieren.
Rabenhorst hatte sich von der altenburger Regierung nämlich eine Adresse zuschicken lassen, in welcher das sächsische Militär gepriesen wird wie homerische Helden. Schade, daß er seiner stotternden Sprache wegen von allen Seiten verlacht und noch gar von Tzschirner ad absurdum widerlegt wurde. — Die Sitzung wurde endlich noch humoristischer, als Spitzner für die rasche und befriedigende Antwort sich gnädigst bedankte.
Beust beantwortete Tzschirners Kaiserinterpellation, indem er erklärte, das Ministerium wolle abwarten, bis in Frankfurt ein wirklicher Beschluß gefaßt. Der Potsdamer Fritz war nämlich vor einigen Tagen in Inkognito eines Endymion hier beim Höfchen, um geheime Plänchen in's Reine zu bringen; das Ministerium kann darum auf solche Sachen nicht antworten.
Advokat Blöde will, daß das Ministerium seine Interpellation über die kontrerevolutionären Wühlereien beantworte. Der Justizminister ist nicht da, darum verspricht das anwesende Ministerium die Interpellation durch den Justizminister beantworten zu lassen. Das nächstemal wird's umgekehrt geschehen.
Tzschirner verlangt vom Ministerium, daß es eine Vorlage über die Geschäftsordnung mache (die bestehende ist nämlich nur provisorisch), damit seine Einsprache die Bewegung der Kammer nicht ferner paralysire.
Es halten sich hier einige östreichische Spione auf, welche bei dem östreichischen Tamerlans-Konsul Beschwerde darüber führen, daß man hier den Windischgrätz einen Mordbrenner nennt. Die Kerls haben den Konsul sogar durch die öffentlichen Blätter zum Einschreiten aufgefordert. Ist das nicht k. k. östreichisch standrechtlich dumm und lächerlich?
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@facs1407
[ 213 ] Dresden, 17. März.
Sitzung der zweiten Kammer. Auf der Registrande befindet sich unter andern eine von 10,000 Arbeitern unterzeichnete Petition um Abänderung des Gewerbegesetzes vom Monat Oktober letzthin.
Minister Held beantwortet Blöde's Interpellation, die dem König einzureichende kontrerevolutionäre Adresse betreffend, wonach der Thron als gefährdet hingestellt wird, indem er versichert, daß das Ministerium, wenn ihm Unternehmungen, wie die in der Adresse dargestellten bekannt wären, mit allen ihm zu Gebot stehenden Mitteln dawider auftreten würde, es könne jedoch bloßen Urtheilen nicht vorgreifen, die Ueberreichung der Adresse an den König also nicht verhindern, und müsse es der Presse und dem Publikum überlassen, dawider anzukämpfen. Die Staatsregierung würde, wenn es nöthig werde zu handeln, mit Kraft auftreten. (mit 20,000 Baiern oder Preußen!)
Blöde. Ich bin für diese Antwort dem Ministerium einerseits dankbar, anderseits nicht dankbar. Es freut mich, daß ihm von den in der Adresse besprochenen Unternehmungen und Throngefährdungen nichts bekannt, die Adresse mithin eine Lügenadresse ist. Was den zweiten Theil der Antwort betrifft, so meine ich, das Ministerium habe dem König zu rathen, die Adresse nicht anzunehmen.
Held. Das Ministerium darf in das Recht Adressen zu überreichen, nicht eingreifen.
Tzschirner fragt, warum auf die Landtagsschrift in der Blum'schen Angelegenheit noch kein königl. Dekret erfolgt und Könneritz immer noch in Wien sei; ob deßhalb ein Entschluß zu erwarten sei, oder was dem entgegenstehe.
Riedel. Schon unter dem Ministerium Könneritz sind uns Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens zugesagt worden, das Ministerium Kaunitz wollte einen Schritt darin thun, als der März kam und das Ministerium Braun. Trotz aller Zusagen ist bis auf den heutigen Tag nichts geschehen, man hat nur Grundzüge zu jener Einrichtung gemacht; das Volk aber wird ungeduldig, daß gerade diese Reformen so lange hinausgeschoben werden. Ich frage daher, wie weit die Arbeiten vorgerückt sind, ob die Gesetzentwürfe noch dem Landtage vorgelegt, und die neuen Einrichtungen noch im Laufe dieses Jahres in Ausführung gebracht werden.
Held. Das Kriminalgesetzbuch ist angefangen; das frühere Ministerium wurde durch politische Geschäfte abgehalten; das neue Ministerium hat es sich aber zur Pflicht gemacht, die Sache in Ausführung zu bringen, und zwar noch in diesem Jahre, wenn die Umstände es erlauben. (Tout comme chez nous en Prusse.)
An der Tagesordnung ist die Berathung über den Antrag Böttcher's den Abmarsch sächsischer Truppen nach den Herzogthümern und den Einmarsch von Reichstruppen nach Sachsen betreffend.
Jäkel: Wir würden unsere Truppen zwar in die Herzogthümer senden, wenn wir nur wüßten, daß sie der Sache nützten. Aber die Diplomatie handelt in den Herzogthümern, sie will den Krieg nicht enden, will Deutschland eine offene Wunde lassen. Die Diplomatie macht's in den Herzogthümern gerade so wie die Päbste früher mit Palästina, wohin sie Europa Kreuzzüge machen ließen. Die Requisition der Centralgewalt kann uns wenig kümmern, denn sie hat alles gethan, ihre Mutter, die Revolution, zu verleugnen; sie hat bei uns alles Vertrauen verloren. Wie haben keine Lust, uns von ihr die Freiheit diesmal ebenso im Namen der deutschen Einheit rauben zu lassen, wie sie uns 1813 im Namen des Patriotismus geraubt wurde. Schick spricht wider den Antrag und beruft sich darauf, daß das Gesetz der Centralgewalt in Sachsen publizirt, die frühere Bundestagsgewalt auf sie übergegangen sei, und die Kammer dem beigepflichtet habe. Sachsen habe noch nichts gethan, obwohl alle deutsche Staaten verpflichtet seien, am Kriege Theil zu nehmen. Schick spricht mit Brustkaramellenheiserkeit gleich einem Unteroffizier, der zum ersten Male eine politische Zeitung gelesen.
Helbiger. Die Geschichte wird richten, daß wir kurzsichtige Menschen sind. Unsere Truppen sollen blos dazu dienen, die Freiheitsbestrebungen der Herzogthümer zu dämpfen, und selbst viel zu demokratisch, geopfert zu werden. Das Gesetz über die Verordnungen der Centralgewalt ist nicht auf loyale Weise entstanden, die Kammern haben dazu ihre Einwilligung nicht gegeben, wie es im §. 120 der Verfassungsurkunde vorgesehen. Es hat damals keine überlegte Berathung, sondern nur eine einseitige Erklärung des Präsidiums stattgefunden. Der den Bundestag betreffende §. 89 der Verfassungsurkunde könne doch gewiß nicht mehr angerufen werden. Auch andere Staaten, z. B. Preußen, Hannover, gehorchten der Centralgewalt nur wie es ihnen gutdünkte. Uebrigens sei der Krieg in den Herzogthümern eine bloße Maske, ein Spiel, die dortigen Bestrebungen der Freiheit zu unterdrücken. Dänemark wende sich darum auch immer nur nach Berlin, niemals nach Frankfurt. Die deutschen Grundrechte seien eine Arbeit der Nationalversammlung, nicht der Centralgewalt, die Anerkennung der Grundrechte involvire daher nicht auch schon einen blinden Gehorsam für die Centralgewalt.
Bertling beantragt, über den Antrag Böttcher's Tagesordnung.
Tzschirner verwahrt sich gegen Vorwürfe, als habe er seine Gesinnung in Beziehung auf die Nationalversammlung geändert. Wer denn früher nicht für dieselbe gewesen sei? Die Nationalversammlung hat zuerst ihre Rolle gewechselt, so daß Volksmänner sich nicht mehr an sie anklammern können. Erst seitdem die Nationalversammlung ausschließlich den Fürsten dient, wird sie von denselben als ein heiliges Corps angesehen, so oft sie ihnen zu etwas gut dünkt. Es ist dahin gekommen, daß das Volk sich neue Bahnen brechen muß, um uns wieder andere Haltpunkte zu geben.
Das Dekret über die Verfügungen der Centralgewalt war eine Ueberrumpelung, der §. 123 der Verfassungsurkunde ist keine blose Formel, und danach hätte dasselbe einer Deputation der Kammern überwiesen werden müssen. Es ist wahrlich an der Zeit, der Centralgewalt gegenüber zu sagen, daß wir ihr nicht gehorchen, weil sie ein volksfeindliches Institut geworden. — Der Friede mit Dänemark ist längst abgeschlossen, allein das schleswig-holsteinische Volk gefällt den Herrn nicht, sie wollen es unter Belagerungszustand setzen. (Bravo der Gallerien.) Wenn's den Fürsten convenirt, so brauchen sie die Centralgewalt, während sie dieselbe überall sonst desavouiren. Die allgemeine Sicherheit des deutschen Vaterlandes ist nicht gefährdet, die sächsische Kammermajorität gefährdet sie auch nicht (Bravo.) — Der Berichterstatter der Leipziger Zeitung ruft in die Gallerie: Haltet die Mäuler! Präsident mahnt das Publikum nach der Geschäftsordnung zum Schweigen.)
Hähnel, ein ungeheuer langweiliger Pädagog, salbadert während einer halben Stunde mit der Virtuosität eines Tugendpredigers gegen den Antrag, und leitet die Centralgewalt aus dem Bundestag.
Lielte (Bürgermeister). Die Centralgewalt hat für sich kein Geld und keine Mittel, die Expedition auszuführen, wir müssen also bezahlen, das sächsische Volk, dessen Steuern erst neulich um 300,000 Thaler erhöht worden sind, eine Erhöhung, die gerade das arme Volk am härtesten trifft. Mit unserer Freiheit ist's aber aus, wenn es der Centralgewalt zusteht, selbst gegen den Willen des sächsischen Volks uns mit ihren Reichstruppen heimzusuchen. (Bravo.)
Fischer (ein Leipziger Thomasprediger) im predigenden Katakomben-Miserere-Ton: Es liegt uns nicht weniger vor, als ein Antrag auf einen Bruch mit Deutschland! Jetzt ergeht er sich in protestantisch-pastoralischem deutsch-katholischem Patriotismus und bietet so der Versammlung das leibhaftigste Bild eines heulenden Froschungeheuers aus den Sümpfen Sachsens dar. Die Centralgewalt wird vertheidigt und, etwaige Schurkereien der Fürsten müsse man erst abwarten. (Allgemeine Verhöhnung.)
Bertling rechtfertigt seinen Antrag auf Tagesordnung, weil es unnöthig sei, einen Beschluß über Aus- oder Einrücken der Truppen zu fassen. Der Antrag wird unterstützt.
Köchly (Lehrer der Geschichte aus Dresden, hochweiser Forscher, suffisanter Unfehlbarkeitsgeist, studirter Achselträger, demokratischer Halunke). Wie die Geschichte über uns richten wird, können wir nicht sagen. (Mit Professorenpathos.) Der heutige Beschluß wird ein folgenreicher sein, enthalten wir uns aller Heißblütigkeit (ohnehin ein Mirakel in Sachsen), beschließen wir ohne Leidenschaft, ohne Parteilichkeit (ohne Hitze und Blut, comme à l'ordinaire). Ich bin stets für die Vereinbarung gewesen, obwohl nicht für die Vereinbarung vom Standpunkte der Fürsten aus. (Heuchler!) Die Revolution war schon mit dem Vorparlament geschlossen, es wollte keine Permanenz, sondern Vereinbarung. Unsere Zustände sind noch nicht so verzweiflungsvoll; ich stimme gegen den Antrag. Denn warum so entscheidende Schritte? Daraus kann ein hundertjähriger Bürgerkrieg entstehen; wir dürfen der Centralgewalt den Gehorsam nicht aufkündigen. Die Regierung wir uns wegen der Kosten Vorlagen machen. Freilich besteht die Meinung, daß der dänische Krieg zu andern Zwecken ausgebeutet wird, aber wir haben darüber noch keine offizielle Wahrheit. Er beantragt, die Regierung zur Vorlage aller auf den dänischen Krieg bezüglichen Papiere aufzufordern, und schließt sich nur dem zweiten Theil des Böttcher'schen Antrags an.
Minist. v. Beust: Die Kammern haben durch Akklamation ihre Zustimmung zur Verfügung über die Verordnungen der Centralgewalt gegeben. Was soll aus der deutschen Einheit werden, wenn der Centralgewalt kein Gehorsam geleistet wird. Die preuß. Regierung geht mit einem guten Beispiel voran und sendet 12,000 Mann in die Herzogthümer; Deutschland ist an den Gränzen bedroht (auch an den russischen, Hr. Beust?). Nun vertheidigt er die geheimen Absichten der preußischen Regierung, erwähnt der ungeheuern Opfer, die Preußen für den Krieg bereits gebracht und lobt überhaupt das Preußenthum noch mehr, als der berlin-kranzerischste Chokoladen-Schwätzer von Geheimrath es je gethan. (Preußen hat uns hier aus seinem geheimen Ottergezücht ein lweidliches Exemplar zugesendet.) Beust versichert, daß die Centralgewalt in Betreff des Einmarsch's fremder Reichstruppen nach Sachsen noch nichts von sich habe verlauten lassen.
Nach dem Schluß der Debatte erhält noch Vinke das Wort. Er weiß nicht, ob die Annahme des Antrags der Diplomatie nicht gerade recht erwünscht sei, denn es sei möglich, daß sie solche Verleugnung der Centralgewalt gerne sehe; man solle die Centralgewalt daher nicht diskreditiren. Er glaube nicht an einen Krieg Deutschlands gegen Dänemark, noch an den guten Zweck dieses Kriegs, noch daran, daß er von der Centralgewalt, die längst ein [1408] Fabel sei, ausgehe. Die Regierung ist schuldig uns Mittheilungen über all das zu machen, denn es ist Thatsache, daß sie über unser Gut und Blut disponirt, ohne das Volk zu fragen. Er will nur eine Verwahrung dawider eingelegt wissen, daß die Regierung Truppen ohne Einwilligung der Kammern außer Landes verlege. Gegen Tzschirners exklusiven Freisinn.
Finanzminister v. Ehrenstein. Der §. 89. ist noch anwendbar, weil die Befugnisse des Bundestags auf die Centralgewalt übergegangen sind; dem Reichsverweser ist die Gewalt vom ehemaligen Bundestag übertragen worden. (!! Prost Mahlzeit.)
Bertlings Antrag auf Tagesordnung wird mit namentlicher Abstimmung (46 gegen 19) verworfen; ebenso der erste Theil des Böttcher'schen Antrags (40 gegen 24) nach namentlicher Abstimmung.
Hierauf wird Vinke's Antrag gegen 24 Stimmen angenommen; ebenso der zweite Theil des Böttcher'schen Antrags (58 gegen 6) im Verein mit der I. Kammer zu erklären, daß der Einmarsch der Reichstruppen nach Sachsen ohne verfassungsmäßigen Beschluß der Kammer nicht geduldet werde. Das Amendement: „ohne besondern Beschluß der Nationalversammlung“ wurde verworfen. Der erste Theil des Bertling'schen Antrags, gegen die Truppendislokation keinen Widerspruch zu erheben, wurde mit 34 gegen 30 Stimmen verworfen.
Dagegen ward Köchly's Antrag auf Vorlage der Papiere über den dänischen Krieg angenommen.
Schluß der Sitzung 3 Uhr.
Vor einigen Tagen befand sich ein Commis-Voyageur des Hrn. von Schwarzer von der Oestr. Allgem. Zeitung hier. Er durchreist Deutschland, um Abonnenten zu sammeln, und soll hier am Platze deren 200 requirirt haben. Die verblödete Demokratie Sachsens wird mit den östreichischen Juden ein Schutz- und Trutzbündniß schließen. — Die in Ihrem Blatte Nummer 246 enthaltene Entgegnung der Hrn. Buchhändler Schreck und Konsorten aus Leipzig, welche mich unwahren Berichts bezüchtigt, würde ich sehr gerne unterschreiben, wenn ich wirklich Unwahres berichtet hätte. Ich bedaure, daß Hexamer die 200,000 Thaler nicht heirathet; ich berichtete dies nach einem überall zirkulirenden Gerüchte, nachdem es schon in öffentlichen Blättern gestanden. Was den chinesischen Kaiser u. s. w. anbelangt, so muß ich dabei verbleiben.
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[ 223 ] Bernburg, 17. März.
Auch bei uns sind die Standrechtsbestien endlich losgelassen. Lange genug haben sie gefletscht an ihren Ketten, immer sich bemüht, dem gottbegnadeten Preußenthum nachzuäffen. Berlin eine octroyirte Verfassung und Bernburg keine? In Berlin die Vereinbarer auseinandergetrieben und in Bernburg nicht? Das konnte nicht sein. Flugs also damals ein Paar Bataillone Preußen zufällig durchmarschiren lassen, den Landtag auflösen und eine Verfassung octroyiren. Seit jener Zeit haben die Hunde das Volk gehetzt, wo sie nur konnten, aber das Volk ward gut und hat sich widersetzt, wo es nur konnte. Das mußte anders werden! Das gottbegnadete Beamtenthum wollte nicht länger gequält sein von den Forderungen des Volkes. Schießt die Kanaillen todt! Ein Königreich für einen Putsch! — Und der Putsch kam. — Gestern befreite das Volk einen seiner Führer, einen hier ansäßigen Bürger, den Lederhänler Calm, der unter dem Namen Hecker bekannt ist, aus dem Gefängnisse, weil das Gericht ihn gegen Kaution nicht freigeben wollte. Im Triumpf trägt man ihn auf den Markt, dort stellt er sich dem Obergericht freiwillig und bietet nochmals Kaution an. Während dieses das Freilassungsdekret ausfertigt, rücken 3 Kompagnien Militär an, man kommt bis unter das Brückportal, giebt die Signale, ein Schuß fällt. Der Haufen läuft auseinander, man brüllt nach Waffen, wirft Wagen um zu Barrikaden, ein Mann, der Fahnenträger des demokratischen Clubs stellt sich vor das Haus, worin Calm und die Uebrigen sind, welche man fangen will, mit der schwarz-roth-goldenen Fahne und erklärt, nicht weichen zu wollen. Die „Kroaten“ dringen vor. Wieder fällt ein Schuß und ein Bürger, der mit dem Kommandeur unterhandelt, stürzt mit zerschmettertem Schädel zur Erde. Da erfolgt eine Salve und noch eine und noch eine. Der Fahnenträger, von mehr als 20 Kugeln durchbohrt, stürzt nieder; hier liegt eine abgeschossene Hand, dort Finger, hier wälzt sich ein Sterbender in seinem Blute, dort liegt Einer und neben ihm auf der Treppe des Hauses das Hirn aus seinem Kopfe. Ein scheußliches Gemetzel! Männer, Weiber, Kinder, denen Allen die Sache zu unerwartet kam, als daß sie sich hätten bewaffnen und vertheidigen können, wurden geradezu geschlachtet. Einer Frau, die ihren Sohn aus den Reihen der Soldaten reißen wollte, rief der Kommandeur Trützschler-Welden zu, wenn sie nicht gehe, würde er sie von ihrem eigenen Sohne erschießen lassen. Ein Kroat, ein Welden, alle diese Mordgesellen Windischgrätz, Radetzky und wie die Bluthunde weiter heißen, sind die würdigen Vorbilder dieses Trützschler.
Jetzt hat man es erreicht. Belagerungszustand! o welche Wonne für das Beamtenthum! Belagerungszustand, die einzige Sehnsucht seit Monaten, endlich soll sie in Erfüllung gehen. Und flugs wird das längst vorbereitete Plakat an allen Ecken Bernburgs angeschlagen: „Da das hiesige Militär in seiner dienstlichen Funktion angegriffen und auf dasselbe geschossen worden“ u. s. w. in dem längst bekannten Style der Männer des Standrechts und der Knute.
Ungarn.
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Edition: [Friedrich Engels: Vom Kriegsschauplatze, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
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Italien.
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[ 068 ] Rom, 8. März.
Die „Alba“ vom 10. hat im Augenblick, wo sie in die Presse ging, die Nachrichten erhalten, daß die Assemblé in ihrer gestrigen geheimen Abendsitzung, nach den stürmischsten Debatten und mit einer großen Majorität den Beschluß gefaßt habe, dem Triumvirat oder Executiv-Comitee die nöthige discretionäre Gewalt zur Ergreifung aller Maßregeln zu ertheilen, welche es für das Wohl des Vaterlandes für nöthig findet. Morgen wird die Kammer in ihrer öffentlichen Sitzung darüber verhandeln.
In den Provinzen conspirirt der Clerus mit allen Mitteln gegen die Constitution. In Terracina ist ein Priester, Defrade, als Spion der verbündeten Diplomaten von Gaëta verhaftet worden. Pius IX. hat aus Frankreich von den Bischöfen bereits über 150,000 Fr. erhalten, und wird diesen Obolus ohne Zweifel im Sinne Gottes und des bourbonischen Mordhundes von Neapel verwenden. Rußland soll, wie es heißt, das Originalaktenstück, durch welches Pius IX. als junger Mensch in den Bund des „jungen Italiens“ eintrat, für 6000 Thaler gekauft und das Autograph dem heiligen Vater wieder zugestellt haben.
Mazzini hat von den römischen Demokraten eine große Demonstration erhalten, und dem Volke durch eine energische, mit Jubel aufgenommene Ansprache geantwortet. Der Austritt Giuccioli's und Sterbini's hat keinen andern Grund, als Mangel an revolutionärer Energie, und man erwartet, daß am 9. andere Kräfte in das Ministerium treten.
Die fremden Gesandtschaften, welche bei der Republik noch nicht accreditirt sind, haben ihre Insignien und Wappen abgenommen.
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[ 068 ] Palermo, 12. März.
Die Präskriptionen aller Art, wie sie aus der Blüthe des östreichischen Blutsystems Sitte sind, dauern in der ganzen Lombardei fort. In Parma hat der General Dangenfeld, ohne irgend einen Vorwand, eine neue Steuer, e'est-à-dire Plünderung von 500,000 Fr. ausgeschrieben.
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[ 068 ] Padua, im März.
Herr F.-M.-L. Haynau, der bekannte k. k. Räuberchef, der die Stadt Ferrara überfiel, brandschatzte und beim Abzug 6 Geißeln mit sich fortschleppte, hat aus seinem Hauptquartier Padua eine für die Zustände des bis jetzt noch östreichischen Oberitaliens zu sehr bezeichnende Proklamation erlassen, als daß wir sie unsern Lesern vorenthalten sollten. Sie lautet:
„Sämmtliche an die beurlaubten Militärs Italienischer Regimenter Betreff ihrer Einrückung erlassenen Ermahnungen blieben bis nun fruchtlos, indem der schlechte Geist der Bevölkerung die Urlauber mit falschen Nachrichten, Versprechungen und sogar mit Androhungen verhindert, zu ihrer Pflicht zurückzukehren.
Es ist erwiesen, daß die Verwandten und Freunde der abwesenden Soldaten, ja sogar die Beamten und Geistlichen Schuld an diesen abscheulichen Umtrieben tragen. Ein anderer erwiesener Thatbestand ist, daß sich Deserteurs mit Wissen der Obrigkeiten in den Gemeinde-Gebiethen aufhalten, und auf diese Art von denselben unterstützt, dem k. k. Militärdienste entzogen, hingegen mit allen erdenklichen Vorspiegelungen und Verführungskünsten für den Dienst der aufrührerischen Stadt Venedig angeworben werben.
Um diesem unerlaubten Fürgange Einhalt zu thun, welches überhaupt den betreffenden Ortsobrigkeiten nicht unbekannt sein kann, wird mit dieser Proklamation kund gegeben, daß jene Gemeinde, in deren Gebiete Deserteure, Urlauber oder Rekruten nach ihrer Vorrufung nicht einrücken, und ihrem Bataillon bis 25. Februar 1849 übergeben werden, zu einer Contribution von 500 Zwanzigern verurtheilt wird.
Mit eben dieser Strafe wird jene Gemeinde belegt, wo ein Deserteur aufgegriffen wird, und derselbe angibt, daß die Gemeinde von seinem Aufenthalte Kenntniß hatte.
Die Familie eines derlei Deserteurs wird übrigens dem Regimente ein taugliches Individiuum als Substituten und in Ermangelung dessen die Commune ein anderes taugliches Individuum aus der Gemeinde zu stellen haben, welcher so lange als Supplent des Deserteurs zu verbleiben hat, bis der Letztere eingebracht worden ist.
Hat der Deserteur Montur oder Armatur mitgenommen, so leistet die betreffende Gemeinde an das Aerar die Entschädigung.
Jene Gemeinde, welche binnen 5 Tagen die ihr auferlegte Contribution an das Distrikts-Kommissariat nicht geleistet hat, wird mit dem doppelten Betrage bestraft, und bis zur Leistung der Contribution ein entsprechendes Executions-Detachement dahin entsendet, welchem die Gemeinde pr. Kopf 20 Kreuzer auf die Zeit der Stationirung zu zahlen hat.
Gegen jene Gemeinden, welche feindliche Absichten beweisen, werden überdies viel schärfere militärische Maßregeln angewendet.
Schließlich wird bemerkt, daß Jeder ohne Unterschied standrechtmäßig erschossen wird, der überwiesen ist, einem Urlauber oder Rekruten bei seiner beabsichtigten Einrückung hinderlich gewesen zu sein.
Gegenwärtige Proklamation ist vom Pfarrer jeder Gemeinde durch 3 Tage, worunter ein Sonntag sein muß, seiner Gemeinde vorzulesen und zu erklären, und unter dem Einflusse der Commune besonders jenen Familien an das Herz zu legen, wo sich noch besagte Deserteurs befinden sollten.“
Der k. k. Commandant des 2. Reserve-Armeecorps, Haynau, Feldmarschall-Lieutenant.
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[ 068 ] Turin, 14. März.
Die „Concordia“ meldet, daß Karl Albert gegen die Grenze aufgebrochen ist.
Die „Alba“ von Florenz erzählt, daß ein Kaufmann, der sich nach Mantua hatte begeben wollen, die Stadtthore von Mantua geschlossen gefunden habe, und ein Kampf zwischen den Ungaren und Croaten ausgebrochen sei.
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Mailand, 13. März.
Der Marschall Radetzky hat die Aufkündigung des Waffenstillstandes mit den Worten: „Turin ist unsre Losung!“ erwidert, concentrirt seine Korps, zusammen 55000 bis 60000 Mann, und dürfte sein Hauptquartier in einigen Tagen nach Crema verlegen.
Schweiz.
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Bern, 16. März.
Der eidgenössische Kommissär Sidler im Tessin hat ein Bataillon dieses Kantons unter die Waffen berufen, um die Grenze zu besetzen und die Neutralität zu bewahren.
Die Generalpostdirektion in Bern hat von dem Tessinischen Postamt die amtliche Mittheilung erhalten, daß die Postverbindungen zwischen der Lombardei und dem Kanton Tessin unterbrochen sind. Eine andere Staffette von General Haller meldet, daß in Folge der Wiedereröffnung der Feindseligkeiten alle Verbindungen Piemonts und des Kantons Tessin mit der Lombardei unterbrochen bleiben müssen.
Französische Republik.
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[ 12 ] Paris, 17. März.
Das Wahl-Comite der Rue Poitiers hat sein Manifest an die Wähler erlassen. Die Rue Poitiers faßt bekannter Weise die reinen Bourgeois-Elemente in sich. Die Partei der alten Konservateurs hatte sich beim Beginn der Nationalversammlung mit der Partei der alten Oppositionellen verbunden, um auf jede mögliche Weise die alte Bourgeois-Gesellschaft zu vertheidigen. Die Juni-Schlacht setzte diesem Vereine die Krone auf. Die Partei des Nationals ist die einzige Bourgeois-Partei, die nicht in diesem Vereine figurirte: sie hatte, als sie am Ruder war, das republikanische Volksfell übergezogen, um ihren Bourgeois-Leib zu verbergen; aber sie ließ ihre Bourgeois-Eselsohren zu sehr hervortreten, und für diesen ihren Mißgriff steht sie jetzt allein. Mit Ausnahme dieser Partei besteht das Wahl-Komite der Rue Poitiers aus den heterogensten Elementen: Namen wie Thiers und Hugo finden sich neben einem Berryer und Montalembert. Achille Fould figurirt neben einem Lucian Murat. Das Wahl-Komite hat diese seine heterogene Zusammensetzung gefühlt und sucht sie im Anfange des Manifestes folgender Maßen zu rechtfertigen:
„Angesichts der großen Gefahren, denen Frankreich die letzte Zeit ausgesetzt gewesen, haben sich Männer jeder Meinung, jeden Ursprungs vereinigt, um gemeinsam die bedrohte Gesellschaft zu vertheidigen. Obgleich die Einen sowohl wie die Anderen, ehemals verschiedenen Parteien angehörend, sich lange und heftig bekämpft, so haben sie jetzt ihre alten Zwistigkeiten vergessrn, um sich gegen die Anarchie zu vereinigen.“ Dieser ganze Umfang verräth eine gewisse Bourgeois-Verlegenheit, welche diese Männer nicht sich selbst, sondern dem „ganzen Frankreich“ gegenüber, fühlen, wenn sie ihre Namen friedlich nebeneinander gestellt sehen. Diese Männer glauben noch immer zum sogenannten pays légal zu sprechen, zu dem Frankreich, dessen Deputirte aus dem Census hervorgingen. Und da die Wahlagitation sich über ganz Frankreich erstrecken soll, so forderte das Volk die Franzosen, die Census-Zahlenden Franzosen dazu auf, ihre besonderen Neigungen bei Seite zu setzen, um die in Gefahr schwebende Gesellschaft zu retten. Was sind diese besonderen Neigungen? Offenbar Neigungen zu dieser oder jener königlichen oder kaiserlichen Familie. Nun gibt es drei solcher Familien, folglich auch dreierlei besondere Neigungen, und diese besonderen Neigungen entsprechen ganz besonderen Interessen. Das Manifest fordert auf, diese besonderen Neigungen einstweilen bei Seite zu setzen, um das allgemeine Interesse der Gesellschaft zu vertheidigen. Das allgemeine Interesse der Gesellschaft ist von „einer Faktion bedroht, welche das Eigenthum, die Familie, die Religion bedrohen will.“ Das Eigenthum! z. B. Wenn die Bauern, welche die Milliarde bezahlt haben, von allen Seiten auf der Rückforderung dieser Milliarde bestehen, so bekäme das Grundeigenthum allerdings einen harten Stoß. Wenn die Arbeiter mit einem Rothschild zu rechnen anfangen, um wie viel Prozent er z. B. bei dem letzten Staatsanleihen, das unter Louis Philipp bereits abgeschlossen war, die neue rebublikanische Regierung betrogen hat, so kann das Eigenthum der hohen Bank dabei einen kleinen Stoß erleiden. Wenn nun das Wahl-Komite, um dieses Eigenthum zu schützen. das alte legale Frankreich anruft, das aus höchstens 200,000 Wählern bestand, und das allein an der Vertheidigung dieses Eigenthums betheiligt war, so mag es allerdings bei dem alten legalen Frankreich auf Erfolg zählen. Aber zu dem alten legalen Frankreich gesellt sich das jetzige, durch das allgemeine Stimmrecht berufene Frankreich, das aus Millionen von Bauern und Arbeitern besteht, die am meisten durch das Eigenthum des alten legalen Frankreichs verloren haben. Werden diese Millionen dem Manifeste beistimmen? Nein! ungeachtet der Familie und der Religion, unter deren Schutz das Bourgeois-Manifest das Bourgeois-Eigenthum stellte. Seitdem die Prostitution die Bourgeois-Familie vernichtet, seitdem die heilige Roma den heiligen Pabst nach Gaëta hat entfliehen lassen, wem kann es nunmehr noch einfallen, die Religion und die Familie zum Schutz des bürgerlichen Eigenthums aufzustellen?
Das bürgerlich-christliche Eigenthum ist dem jüdisch-bürgerlichen Rothschild auch anheingefallen und das Wahl-Comité der Rue Poitiers stützt sich auf den Schutz der Religion. Als wenn nach der Juni-Schlacht noch ein Zweifel obwalten könne, in wessen Händen das klein-bürgerliche, redlich-erworbene Eigenthum sich befindet. Und hat nicht das Manifest durch die Unterschrift eines Foulds hinlänglich bekundet, wessen Eigenthum, wessen Familie, wessen Religion beschützt werden soll? Das beste Eigenthum, die beste Religion in jetziger Zeit — das ist die Religion und
Hierzu eine Beilage.