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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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mal so sehr auf die Gegenseitigkeit angewiesen sind? Wie
ist überhaupt eine Zusammenarbeit von Student und Stu-
dentin möglich bei der Art sexueller Erziehung des jungen
Mannes, wie sie allgemein üblich ist? Der Mann wird
in dem Universitätsalter beinahe gezwungen, das weib-
liche Geschlecht nur als zu seiner Unterhaltung vorhanden
zu nehmen, nicht nur die korpsstudentische Erziehung tut
dies; die Lieder, die studentischen Traditionen, die An-
schauungen im Volke, die Frauen selber bringen ihn dazu.
Nichts ist häßlicher, nichts entwürdigt die der wissen-
schaftlichen Arbeit geweihten Räume mehr als wenn der
Klatsch die Gänge durchschleicht, dem sich die sexuelle
Lüsternheit beimischt, wenn etwa Studentinnen mit jener
dem Ballsaal entnommenen herausfordernden Haltung
durch die Hallen und die Lehrsäle gehen, womöglich mit dem
neuen Hut und der modernen Jacke angetan, um durch ihr
unakademisches Aussehen zu beweisen, wie wenig der Ernst
der Universität und der Wissenschaft ihnen bekannt ist.
Ebenso muß es scharf getadelt werden, wenn Studenten
sich nach jeder Kommilitonin umschauen, ihre Bemer-
kungen, ihre zweideutigen Witze machen und so ihren
tiefen Kulturstand beweisen.

Es ist dieses Kapitel eines der allerwichtigsten in dem
Leben des jungen Akademikers, denn wenn in dieser Peri-
ode, wo der Geschlechtstrieb in seiner vollen Gewalt ein-
zusetzen beginnt, nicht die Achtung vor dem andern Ge-
schlecht, die Ueberzeugung von der Gleichwertigkeit und
berechtigung eintritt, so ist die richtige sexuelle Erziehung
meistens verloren. Was der Student nicht lernt, lernt
der Akademiker im Berufe nie. Wir erkennen die Wahrheit
dieses Satzes in allen Handlungen und Unternehmen,
die vom Akademiker ausgehen. Wir sehen sie in der
Einschätzung der Frau im öffentlichen Leben, wo beinahe

mal so sehr auf die Gegenseitigkeit angewiesen sind? Wie
ist überhaupt eine Zusammenarbeit von Student und Stu-
dentin möglich bei der Art sexueller Erziehung des jungen
Mannes, wie sie allgemein üblich ist? Der Mann wird
in dem Universitätsalter beinahe gezwungen, das weib-
liche Geschlecht nur als zu seiner Unterhaltung vorhanden
zu nehmen, nicht nur die korpsstudentische Erziehung tut
dies; die Lieder, die studentischen Traditionen, die An-
schauungen im Volke, die Frauen selber bringen ihn dazu.
Nichts ist häßlicher, nichts entwürdigt die der wissen-
schaftlichen Arbeit geweihten Räume mehr als wenn der
Klatsch die Gänge durchschleicht, dem sich die sexuelle
Lüsternheit beimischt, wenn etwa Studentinnen mit jener
dem Ballsaal entnommenen herausfordernden Haltung
durch die Hallen und die Lehrsäle gehen, womöglich mit dem
neuen Hut und der modernen Jacke angetan, um durch ihr
unakademisches Aussehen zu beweisen, wie wenig der Ernst
der Universität und der Wissenschaft ihnen bekannt ist.
Ebenso muß es scharf getadelt werden, wenn Studenten
sich nach jeder Kommilitonin umschauen, ihre Bemer-
kungen, ihre zweideutigen Witze machen und so ihren
tiefen Kulturstand beweisen.

Es ist dieses Kapitel eines der allerwichtigsten in dem
Leben des jungen Akademikers, denn wenn in dieser Peri-
ode, wo der Geschlechtstrieb in seiner vollen Gewalt ein-
zusetzen beginnt, nicht die Achtung vor dem andern Ge-
schlecht, die Ueberzeugung von der Gleichwertigkeit und
berechtigung eintritt, so ist die richtige sexuelle Erziehung
meistens verloren. Was der Student nicht lernt, lernt
der Akademiker im Berufe nie. Wir erkennen die Wahrheit
dieses Satzes in allen Handlungen und Unternehmen,
die vom Akademiker ausgehen. Wir sehen sie in der
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[21/0020] mal so sehr auf die Gegenseitigkeit angewiesen sind? Wie ist überhaupt eine Zusammenarbeit von Student und Stu- dentin möglich bei der Art sexueller Erziehung des jungen Mannes, wie sie allgemein üblich ist? Der Mann wird in dem Universitätsalter beinahe gezwungen, das weib- liche Geschlecht nur als zu seiner Unterhaltung vorhanden zu nehmen, nicht nur die korpsstudentische Erziehung tut dies; die Lieder, die studentischen Traditionen, die An- schauungen im Volke, die Frauen selber bringen ihn dazu. Nichts ist häßlicher, nichts entwürdigt die der wissen- schaftlichen Arbeit geweihten Räume mehr als wenn der Klatsch die Gänge durchschleicht, dem sich die sexuelle Lüsternheit beimischt, wenn etwa Studentinnen mit jener dem Ballsaal entnommenen herausfordernden Haltung durch die Hallen und die Lehrsäle gehen, womöglich mit dem neuen Hut und der modernen Jacke angetan, um durch ihr unakademisches Aussehen zu beweisen, wie wenig der Ernst der Universität und der Wissenschaft ihnen bekannt ist. Ebenso muß es scharf getadelt werden, wenn Studenten sich nach jeder Kommilitonin umschauen, ihre Bemer- kungen, ihre zweideutigen Witze machen und so ihren tiefen Kulturstand beweisen. Es ist dieses Kapitel eines der allerwichtigsten in dem Leben des jungen Akademikers, denn wenn in dieser Peri- ode, wo der Geschlechtstrieb in seiner vollen Gewalt ein- zusetzen beginnt, nicht die Achtung vor dem andern Ge- schlecht, die Ueberzeugung von der Gleichwertigkeit und berechtigung eintritt, so ist die richtige sexuelle Erziehung meistens verloren. Was der Student nicht lernt, lernt der Akademiker im Berufe nie. Wir erkennen die Wahrheit dieses Satzes in allen Handlungen und Unternehmen, die vom Akademiker ausgehen. Wir sehen sie in der Einschätzung der Frau im öffentlichen Leben, wo beinahe

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/20>, abgerufen am 28.03.2024.