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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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2. Pfingsttag. -- 34. Hundsposttag.

Der Morgen -- Die Aebtissin -- Der Wasserspiegel -- stummer
Injurienprozeß -- Der Regen und der ofne Himmel.


Um zwei Uhr zog der Morgenwind lauter und küh¬
ler durch Viktors ofnes Zimmer und rüttelte schon
Thautropfen von geglättetem Laub -- das nahe
Blätter-Geflüster wirbelte sich durch seine Ohren in
seine Träume -- Die Lerche fuhr als Ouvertüre des
Tages hoch in's Himmels-Grau hinauf und läutete
das Trommetenfest des Morgens ein -- Dieser Wek¬
ker wurde durch ein Träumen zum herumfliegenden
Nachhall, das sich mit dem Morgen vermischte und
unter dem sanften Einfallen des nachbarlichen Getö¬
nes schloß er langsam die Augen auf und träumte
weiter, und that sie wieder zu und erwachte mehr
und der Schlaf fuhr nicht wie ein dickes Leichentuch
aus Nacht hinweg, sondern wallete wie ein Schleier
aus Morgenduft empor und seine Seele schloß sich,
ohne eine einzige Bewegung mit dem Körper zu ma¬
chen, mit dem stillen Erwachen eines Blumenkelchs
vor dem Morgen auseinander. . . .

-- Jetzt bin ich schon wieder im Sieden und
Flammen -- und doch nehm' ich mir, so oft ich ein¬

Hesperus. III Th. K
2. Pfingſttag. — 34. Hundspoſttag.

Der Morgen — Die Aebtiſſin — Der Waſſerſpiegel — ſtummer
Injurienprozeß — Der Regen und der ofne Himmel.


Um zwei Uhr zog der Morgenwind lauter und kuͤh¬
ler durch Viktors ofnes Zimmer und ruͤttelte ſchon
Thautropfen von geglaͤttetem Laub — das nahe
Blaͤtter-Gefluͤſter wirbelte ſich durch ſeine Ohren in
ſeine Traͤume — Die Lerche fuhr als Ouvertuͤre des
Tages hoch in's Himmels-Grau hinauf und laͤutete
das Trommetenfeſt des Morgens ein — Dieſer Wek¬
ker wurde durch ein Traͤumen zum herumfliegenden
Nachhall, das ſich mit dem Morgen vermiſchte und
unter dem ſanften Einfallen des nachbarlichen Getoͤ¬
nes ſchloß er langſam die Augen auf und traͤumte
weiter, und that ſie wieder zu und erwachte mehr
und der Schlaf fuhr nicht wie ein dickes Leichentuch
aus Nacht hinweg, ſondern wallete wie ein Schleier
aus Morgenduft empor und ſeine Seele ſchloß ſich,
ohne eine einzige Bewegung mit dem Koͤrper zu ma¬
chen, mit dem ſtillen Erwachen eines Blumenkelchs
vor dem Morgen auseinander. . . .

— Jetzt bin ich ſchon wieder im Sieden und
Flammen — und doch nehm' ich mir, ſo oft ich ein¬

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[145/0155] 2. Pfingſttag. — 34. Hundspoſttag. Der Morgen — Die Aebtiſſin — Der Waſſerſpiegel — ſtummer Injurienprozeß — Der Regen und der ofne Himmel. Um zwei Uhr zog der Morgenwind lauter und kuͤh¬ ler durch Viktors ofnes Zimmer und ruͤttelte ſchon Thautropfen von geglaͤttetem Laub — das nahe Blaͤtter-Gefluͤſter wirbelte ſich durch ſeine Ohren in ſeine Traͤume — Die Lerche fuhr als Ouvertuͤre des Tages hoch in's Himmels-Grau hinauf und laͤutete das Trommetenfeſt des Morgens ein — Dieſer Wek¬ ker wurde durch ein Traͤumen zum herumfliegenden Nachhall, das ſich mit dem Morgen vermiſchte und unter dem ſanften Einfallen des nachbarlichen Getoͤ¬ nes ſchloß er langſam die Augen auf und traͤumte weiter, und that ſie wieder zu und erwachte mehr und der Schlaf fuhr nicht wie ein dickes Leichentuch aus Nacht hinweg, ſondern wallete wie ein Schleier aus Morgenduft empor und ſeine Seele ſchloß ſich, ohne eine einzige Bewegung mit dem Koͤrper zu ma¬ chen, mit dem ſtillen Erwachen eines Blumenkelchs vor dem Morgen auseinander. . . . — Jetzt bin ich ſchon wieder im Sieden und Flammen — und doch nehm' ich mir, ſo oft ich ein¬ Heſperus. III Th. K

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/155>, abgerufen am 19.04.2024.