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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Da der seelige Landesvater ein Landeskind im
physiologischen Sinne geworden war, d. h. so alt als
er war, da man ihm das erste Ordensband statt ei¬
nes Laufbandes umflocht, nämlich 61/2 Jahr: so wur¬
de dem Fürsten das ewige Unterschreiben seiner Kabi¬
netsdekrete viel zu sauer und zuletzt unmöglich --
da er indessen doch noch regieren konnte, als er nicht
mehr schreiben konnte: so stach der Hofpettschierste¬
cher seinen dekretirenden Namen so gut in Stein
aus, daß er den Stempel bloß einzutunken und naß
unters Edikt zu stoßen brauchte: so hatt' er sein
Edikt. So regierte er um 15 Prozent leichter -- der
Minister um 100 Prozent. Denn der muß doch Mit¬
tel gefunden haben, ein Pettschaft, das er Michel
Angelo's seinem vorzog, einzutunken, weil der
alte Herr ein Paar Tage nach seinem eignen Tode
verschiedene Vokationen und Reskripte unterschrieben
hatte -- dieser Poussiergriffel und Prägstock der
Menschen war der Legestachel und Vater der besten
Regierungsbeamten und laichte zuletzt den Pesti¬
lenziarius


Da der ſeelige Landesvater ein Landeskind im
phyſiologiſchen Sinne geworden war, d. h. ſo alt als
er war, da man ihm das erſte Ordensband ſtatt ei¬
nes Laufbandes umflocht, naͤmlich 6½ Jahr: ſo wur¬
de dem Fuͤrſten das ewige Unterſchreiben ſeiner Kabi¬
netsdekrete viel zu ſauer und zuletzt unmoͤglich —
da er indeſſen doch noch regieren konnte, als er nicht
mehr ſchreiben konnte: ſo ſtach der Hofpettſchierſte¬
cher ſeinen dekretirenden Namen ſo gut in Stein
aus, daß er den Stempel bloß einzutunken und naß
unters Edikt zu ſtoßen brauchte: ſo hatt' er ſein
Edikt. So regierte er um 15 Prozent leichter — der
Miniſter um 100 Prozent. Denn der muß doch Mit¬
tel gefunden haben, ein Pettſchaft, das er Michel
Angelo's ſeinem vorzog, einzutunken, weil der
alte Herr ein Paar Tage nach ſeinem eignen Tode
verſchiedene Vokationen und Reſkripte unterſchrieben
hatte — dieſer Pouſſiergriffel und Praͤgſtock der
Menſchen war der Legeſtachel und Vater der beſten
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[134/0170] Da der ſeelige Landesvater ein Landeskind im phyſiologiſchen Sinne geworden war, d. h. ſo alt als er war, da man ihm das erſte Ordensband ſtatt ei¬ nes Laufbandes umflocht, naͤmlich 6½ Jahr: ſo wur¬ de dem Fuͤrſten das ewige Unterſchreiben ſeiner Kabi¬ netsdekrete viel zu ſauer und zuletzt unmoͤglich — da er indeſſen doch noch regieren konnte, als er nicht mehr ſchreiben konnte: ſo ſtach der Hofpettſchierſte¬ cher ſeinen dekretirenden Namen ſo gut in Stein aus, daß er den Stempel bloß einzutunken und naß unters Edikt zu ſtoßen brauchte: ſo hatt' er ſein Edikt. So regierte er um 15 Prozent leichter — der Miniſter um 100 Prozent. Denn der muß doch Mit¬ tel gefunden haben, ein Pettſchaft, das er Michel Angelo's ſeinem vorzog, einzutunken, weil der alte Herr ein Paar Tage nach ſeinem eignen Tode verſchiedene Vokationen und Reſkripte unterſchrieben hatte — dieſer Pouſſiergriffel und Praͤgſtock der Menſchen war der Legeſtachel und Vater der beſten Regierungsbeamten und laichte zuletzt den Peſti¬ lenziarius

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/170>, abgerufen am 19.04.2024.