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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Vierter Freuden-Sektor.

Der Traum vom Himmel -- Brief Hoppedizels.


Seitdem ich neben meinem biographischen Hand¬
werk noch das eines Damenschneiders betreibe:
wächst ein ganz neues Leben in mir auf. Gleich¬
wohl muß man dem künftigen Schrökh, der in sein
Bilderkabinet berühmter Männer mich auch als ei¬
nen hineinhängen will, den Rath geben, daß er
sich mäßige und aus meiner Schneiderei nicht alles
deducire, sondern etwas aus meiner Phantasie.
Die letztere hat sich im vorigen Winter und Herbst
durchs Malen so vieler Naturßenen so gestärkt, daß
der gegenwärtige Frühling an mir ganz andre Au¬
gen und Ohren findet als die andern alle. Das
hätten wir alle, ich und Leser eher bedenken sol¬
len; wenn der Reiz gewisser Laster durch die täg¬
lich wachsenden Anstrengungen der Phantasie un¬
bezwinglich wird: warum geben wir ihrem hinreis¬
senden Pinsel nicht würdige Gegenstände? Warum
richten wir sie nicht im Winter ab, den Frühling
aufzufassen oder vielmehr auszuschaffen? Denn man

Vierter Freuden-Sektor.

Der Traum vom Himmel — Brief Hoppedizels.


Seitdem ich neben meinem biographiſchen Hand¬
werk noch das eines Damenſchneiders betreibe:
waͤchſt ein ganz neues Leben in mir auf. Gleich¬
wohl muß man dem kuͤnftigen Schroͤkh, der in ſein
Bilderkabinet beruͤhmter Maͤnner mich auch als ei¬
nen hineinhaͤngen will, den Rath geben, daß er
ſich maͤßige und aus meiner Schneiderei nicht alles
deducire, ſondern etwas aus meiner Phantaſie.
Die letztere hat ſich im vorigen Winter und Herbſt
durchs Malen ſo vieler Naturſzenen ſo geſtaͤrkt, daß
der gegenwaͤrtige Fruͤhling an mir ganz andre Au¬
gen und Ohren findet als die andern alle. Das
haͤtten wir alle, ich und Leſer eher bedenken ſol¬
len; wenn der Reiz gewiſſer Laſter durch die taͤg¬
lich wachſenden Anſtrengungen der Phantaſie un¬
bezwinglich wird: warum geben wir ihrem hinreiſ¬
ſenden Pinſel nicht wuͤrdige Gegenſtaͤnde? Warum
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aufzufaſſen oder vielmehr auszuſchaffen? Denn man

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[817/0327] Vierter Freuden-Sektor. Der Traum vom Himmel — Brief Hoppedizels. Seitdem ich neben meinem biographiſchen Hand¬ werk noch das eines Damenſchneiders betreibe: waͤchſt ein ganz neues Leben in mir auf. Gleich¬ wohl muß man dem kuͤnftigen Schroͤkh, der in ſein Bilderkabinet beruͤhmter Maͤnner mich auch als ei¬ nen hineinhaͤngen will, den Rath geben, daß er ſich maͤßige und aus meiner Schneiderei nicht alles deducire, ſondern etwas aus meiner Phantaſie. Die letztere hat ſich im vorigen Winter und Herbſt durchs Malen ſo vieler Naturſzenen ſo geſtaͤrkt, daß der gegenwaͤrtige Fruͤhling an mir ganz andre Au¬ gen und Ohren findet als die andern alle. Das haͤtten wir alle, ich und Leſer eher bedenken ſol¬ len; wenn der Reiz gewiſſer Laſter durch die taͤg¬ lich wachſenden Anſtrengungen der Phantaſie un¬ bezwinglich wird: warum geben wir ihrem hinreiſ¬ ſenden Pinſel nicht wuͤrdige Gegenſtaͤnde? Warum richten wir ſie nicht im Winter ab, den Fruͤhling aufzufaſſen oder vielmehr auszuſchaffen? Denn man

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 817. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/327>, abgerufen am 23.04.2024.