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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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sprechlich schnell vorbey, sie drükt mich wie den
Junker, dem sie vor Augen stuhnde.

Dieser fragte noch ehe er unter die Linde
gieng den Pfarrer, was für Leuthe beym
Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha-
ben, der Jakoblj heisse, und sagte, es seyen
drey Tritt vor ihrem Haus.

Wenn der Pfarrer schon seinen Kragen auf
die Kanzel vergessen hätte, er hätte nicht mehr
können betroffen seyn, als daß er er vergessen
mit dem Junker von dieser Haushaltung zu re-
den, wie er sich vorgenommen. Er sagte es
ihm jezt und erzählte ihm, daß ihn keine von
den Leuthen, die unter die Linde müssen, dau-
ren wie diese, weil sie bis auf den lezten Winter
sich vor allen Wirthshaus Schulden gehütet,
die Frau aber seye vom Herbst an bis auf den
Frühling bettliegrig gewesen, und ihr Mann
habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch
wachen müssen. Ihr könnet wohl denken,
Junker, sagte der gute Pfarrer, wie es dann
geht, die Nächte sind lang, und wenn ein Mann
den Tag über arbeitet, schlechte Speisen hat,
und denn noch die Nacht durch wachen muß,
was will man darüber sagen? wenn er auch
dann ein Glas Wein mehr gelüstet als er soll-
te.

Er rühmte die Haushaltung gar, und sag-
te: sie seyen noch von dem alten Vogt Linden-

ſprechlich ſchnell vorbey, ſie druͤkt mich wie den
Junker, dem ſie vor Augen ſtuhnde.

Dieſer fragte noch ehe er unter die Linde
gieng den Pfarrer, was fuͤr Leuthe beym
Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha-
ben, der Jakoblj heiſſe, und ſagte, es ſeyen
drey Tritt vor ihrem Haus.

Wenn der Pfarrer ſchon ſeinen Kragen auf
die Kanzel vergeſſen haͤtte, er haͤtte nicht mehr
koͤnnen betroffen ſeyn, als daß er er vergeſſen
mit dem Junker von dieſer Haushaltung zu re-
den, wie er ſich vorgenommen. Er ſagte es
ihm jezt und erzaͤhlte ihm, daß ihn keine von
den Leuthen, die unter die Linde muͤſſen, dau-
ren wie dieſe, weil ſie bis auf den lezten Winter
ſich vor allen Wirthshaus Schulden gehuͤtet,
die Frau aber ſeye vom Herbſt an bis auf den
Fruͤhling bettliegrig geweſen, und ihr Mann
habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch
wachen muͤſſen. Ihr koͤnnet wohl denken,
Junker, ſagte der gute Pfarrer, wie es dann
geht, die Naͤchte ſind lang, und wenn ein Mann
den Tag uͤber arbeitet, ſchlechte Speiſen hat,
und denn noch die Nacht durch wachen muß,
was will man daruͤber ſagen? wenn er auch
dann ein Glas Wein mehr geluͤſtet als er ſoll-
te.

Er ruͤhmte die Haushaltung gar, und ſag-
te: ſie ſeyen noch von dem alten Vogt Linden-

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[170/0192] ſprechlich ſchnell vorbey, ſie druͤkt mich wie den Junker, dem ſie vor Augen ſtuhnde. Dieſer fragte noch ehe er unter die Linde gieng den Pfarrer, was fuͤr Leuthe beym Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha- ben, der Jakoblj heiſſe, und ſagte, es ſeyen drey Tritt vor ihrem Haus. Wenn der Pfarrer ſchon ſeinen Kragen auf die Kanzel vergeſſen haͤtte, er haͤtte nicht mehr koͤnnen betroffen ſeyn, als daß er er vergeſſen mit dem Junker von dieſer Haushaltung zu re- den, wie er ſich vorgenommen. Er ſagte es ihm jezt und erzaͤhlte ihm, daß ihn keine von den Leuthen, die unter die Linde muͤſſen, dau- ren wie dieſe, weil ſie bis auf den lezten Winter ſich vor allen Wirthshaus Schulden gehuͤtet, die Frau aber ſeye vom Herbſt an bis auf den Fruͤhling bettliegrig geweſen, und ihr Mann habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch wachen muͤſſen. Ihr koͤnnet wohl denken, Junker, ſagte der gute Pfarrer, wie es dann geht, die Naͤchte ſind lang, und wenn ein Mann den Tag uͤber arbeitet, ſchlechte Speiſen hat, und denn noch die Nacht durch wachen muß, was will man daruͤber ſagen? wenn er auch dann ein Glas Wein mehr geluͤſtet als er ſoll- te. Er ruͤhmte die Haushaltung gar, und ſag- te: ſie ſeyen noch von dem alten Vogt Linden-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/192>, abgerufen am 29.03.2024.