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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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ihn jemand fragte, warum er diese Sachen so
liegen lasse, wie wenn sie nicht da wären, sagte
er, eben sehe er alle Tage mehr ein, es gehöre
nicht für den Menschen so viel Warum? und
Darum in seinen Kopf hinein zu mörden, und
die tägliche Erfahrung zeige, daß die Menschen
in dem Grad ihren natürlichen Verstand, und
die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Händen und
Füssen verlieren, als sie viel solche Warum?
und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ
auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein
langes Gebet auswendig lehrne, und sagte
es laut, es seye wieder den ausdrüklichen Geist
des Christenthums und die heiterste Vorschrift
die der Heiland der Menschen je seinen Jün-
gern gegeben, -- "wenn ihr aber betet" u.
s. w.

Und das lange Gebeter-machen komme auch
nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe,
welche einmal sich daran gewöhnt vor ihren
Mitmenschen so oft und viel Stunden lange
Reden zu halten, natürlich auch dem lieben
Gott ihre Angelegenheiten so in langen Re-
den vorzutragen belieben.



ihn jemand fragte, warum er dieſe Sachen ſo
liegen laſſe, wie wenn ſie nicht da waͤren, ſagte
er, eben ſehe er alle Tage mehr ein, es gehoͤre
nicht fuͤr den Menſchen ſo viel Warum? und
Darum in ſeinen Kopf hinein zu moͤrden, und
die taͤgliche Erfahrung zeige, daß die Menſchen
in dem Grad ihren natuͤrlichen Verſtand, und
die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Haͤnden und
Fuͤſſen verlieren, als ſie viel ſolche Warum?
und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ
auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein
langes Gebet auswendig lehrne, und ſagte
es laut, es ſeye wieder den ausdruͤklichen Geiſt
des Chriſtenthums und die heiterſte Vorſchrift
die der Heiland der Menſchen je ſeinen Juͤn-
gern gegeben, — „wenn ihr aber betet“ u.
ſ. w.

Und das lange Gebeter-machen komme auch
nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe,
welche einmal ſich daran gewoͤhnt vor ihren
Mitmenſchen ſo oft und viel Stunden lange
Reden zu halten, natuͤrlich auch dem lieben
Gott ihre Angelegenheiten ſo in langen Re-
den vorzutragen belieben.



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[300/0322] ihn jemand fragte, warum er dieſe Sachen ſo liegen laſſe, wie wenn ſie nicht da waͤren, ſagte er, eben ſehe er alle Tage mehr ein, es gehoͤre nicht fuͤr den Menſchen ſo viel Warum? und Darum in ſeinen Kopf hinein zu moͤrden, und die taͤgliche Erfahrung zeige, daß die Menſchen in dem Grad ihren natuͤrlichen Verſtand, und die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Haͤnden und Fuͤſſen verlieren, als ſie viel ſolche Warum? und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein langes Gebet auswendig lehrne, und ſagte es laut, es ſeye wieder den ausdruͤklichen Geiſt des Chriſtenthums und die heiterſte Vorſchrift die der Heiland der Menſchen je ſeinen Juͤn- gern gegeben, — „wenn ihr aber betet“ u. ſ. w. Und das lange Gebeter-machen komme auch nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe, welche einmal ſich daran gewoͤhnt vor ihren Mitmenſchen ſo oft und viel Stunden lange Reden zu halten, natuͤrlich auch dem lieben Gott ihre Angelegenheiten ſo in langen Re- den vorzutragen belieben.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/322>, abgerufen am 25.04.2024.