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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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te *) sich ob diesem Wort vor Aglee, that derglei-
chen, wie wenn sie ihn nicht verstanden -- aber
doch redte sie bis izt nichts. --

Es ist gleich viel, erwiederte diese. Der Mann
hat sich doch besser gehalten als der Hund.

Es ist wahr, sagte Sylvia, die Bestie hat kein
Herz, ich habe es gesehen, sie hat ihr schon ge-
fürchtet, eh' er ihr den ersten Streich gab. Dann
gieng auch sie in die Stube, sagte dem Onkle ins
Ohr, sie glaube, der Hund habe dem Kerl zu Ader
gelassen, aber nur ein wenig am Bein, und es ma-
che nichts. Dieser gähnte eben als sie es sagte,
und hörte es kaum. -- Aber der Michel blutete
immer stärker, und unten am Vorreyn wollte ihm
ohnmächtig werden, er merkte es und schickte den
Karl fort, dem Klaus zu sagen, er soll zu ihm
hinunter kommen, und das geschwind. --

Du bist izt hier sicher, und es thut dir hier ge-
wiß Niemand nichts, sagte der Knabe, und dann



*) Anmerkung. Es ist ein Zug ihres Karak-
ters, sie schämt sich nie -- daß sie sich izt
schämt, widerspricht diesem Zug nicht, so wie
der Hochmuth ohne Ehrliebe statt hat, so hat
falsche Scham ohne wahre Schamhaftigkeit
statt. -- --

te *) ſich ob dieſem Wort vor Aglee, that derglei-
chen, wie wenn ſie ihn nicht verſtanden — aber
doch redte ſie bis izt nichts. —

Es iſt gleich viel, erwiederte dieſe. Der Mann
hat ſich doch beſſer gehalten als der Hund.

Es iſt wahr, ſagte Sylvia, die Beſtie hat kein
Herz, ich habe es geſehen, ſie hat ihr ſchon ge-
fuͤrchtet, eh' er ihr den erſten Streich gab. Dann
gieng auch ſie in die Stube, ſagte dem Onkle ins
Ohr, ſie glaube, der Hund habe dem Kerl zu Ader
gelaſſen, aber nur ein wenig am Bein, und es ma-
che nichts. Dieſer gaͤhnte eben als ſie es ſagte,
und hoͤrte es kaum. — Aber der Michel blutete
immer ſtaͤrker, und unten am Vorreyn wollte ihm
ohnmaͤchtig werden, er merkte es und ſchickte den
Karl fort, dem Klaus zu ſagen, er ſoll zu ihm
hinunter kommen, und das geſchwind. —

Du biſt izt hier ſicher, und es thut dir hier ge-
wiß Niemand nichts, ſagte der Knabe, und dann



*) Anmerkung. Es iſt ein Zug ihres Karak-
ters, ſie ſchaͤmt ſich nie — daß ſie ſich izt
ſchaͤmt, widerſpricht dieſem Zug nicht, ſo wie
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[29/0047] te *) ſich ob dieſem Wort vor Aglee, that derglei- chen, wie wenn ſie ihn nicht verſtanden — aber doch redte ſie bis izt nichts. — Es iſt gleich viel, erwiederte dieſe. Der Mann hat ſich doch beſſer gehalten als der Hund. Es iſt wahr, ſagte Sylvia, die Beſtie hat kein Herz, ich habe es geſehen, ſie hat ihr ſchon ge- fuͤrchtet, eh' er ihr den erſten Streich gab. Dann gieng auch ſie in die Stube, ſagte dem Onkle ins Ohr, ſie glaube, der Hund habe dem Kerl zu Ader gelaſſen, aber nur ein wenig am Bein, und es ma- che nichts. Dieſer gaͤhnte eben als ſie es ſagte, und hoͤrte es kaum. — Aber der Michel blutete immer ſtaͤrker, und unten am Vorreyn wollte ihm ohnmaͤchtig werden, er merkte es und ſchickte den Karl fort, dem Klaus zu ſagen, er ſoll zu ihm hinunter kommen, und das geſchwind. — Du biſt izt hier ſicher, und es thut dir hier ge- wiß Niemand nichts, ſagte der Knabe, und dann *) Anmerkung. Es iſt ein Zug ihres Karak- ters, ſie ſchaͤmt ſich nie — daß ſie ſich izt ſchaͤmt, widerſpricht dieſem Zug nicht, ſo wie der Hochmuth ohne Ehrliebe ſtatt hat, ſo hat falſche Scham ohne wahre Schamhaftigkeit ſtatt. — —

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/47>, abgerufen am 24.04.2024.