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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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IV. Ein Gehacktes.
ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter sei-
nen Gedichten anbringet, wie z. E. der berühm-
te
Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge-
wohnt ist, die Leser überlisten wollte, daß sie
Text und Noten lesen müßten, sie mögten wol-
len, oder nicht: So mache er nur auch so ein
Zerhacktes, wie unser neuer Speise-Künstler
im Tempel des guten Geschmacks gethan, und
setze itzt ein paar Strophen Verse, gleich drauf
in einem Striche die Anmerkungen, und löte
sie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol-
genden neuen Stücklein von ein paar Versen
zusammen; diesen füge er, in gerader Reihe,
und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch-
staben, oder das verdammte Wort Anmerkung
weglasse, ein Fleck Prosa wieder an: So wird
ein völliges Lungenmus herauskommen. Man
könnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen,
welches bey uns Köchen das heißt, wenn in ei-
ner
Schüssel Gekochtes und Gesottenes, oder
Gesottenes und Gebratenes liegt. Denn wo
zugleich prosaischer und metrischer Text ist,
gereimt und ungereimt: So ist es noch mehr,
als ein gehackt Lungenmus. Es ist ein Zwit-
ter,
weil es weder pure Prose, noch pure Poe-
sie
ist.

Fünftes Couvert.
Eine Potage von Hühnern.

Ein Traiteur ist oft übel dran, wenn Leute
von allzuverschiedenem Geschmacke in sein

Spei-

IV. Ein Gehacktes.
ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter ſei-
nen Gedichten anbringet, wie z. E. der beruͤhm-
te
Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge-
wohnt iſt, die Leſer uͤberliſten wollte, daß ſie
Text und Noten leſen muͤßten, ſie moͤgten wol-
len, oder nicht: So mache er nur auch ſo ein
Zerhacktes, wie unſer neuer Speiſe-Kuͤnſtler
im Tempel des guten Geſchmacks gethan, und
ſetze itzt ein paar Strophen Verſe, gleich drauf
in einem Striche die Anmerkungen, und loͤte
ſie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol-
genden neuen Stuͤcklein von ein paar Verſen
zuſammen; dieſen fuͤge er, in gerader Reihe,
und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch-
ſtaben, oder das verdammte Wort Anmerkung
weglaſſe, ein Fleck Proſa wieder an: So wird
ein voͤlliges Lungenmus herauskommen. Man
koͤnnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen,
welches bey uns Koͤchen das heißt, wenn in ei-
ner
Schuͤſſel Gekochtes und Geſottenes, oder
Geſottenes und Gebratenes liegt. Denn wo
zugleich proſaiſcher und metriſcher Text iſt,
gereimt und ungereimt: So iſt es noch mehr,
als ein gehackt Lungenmus. Es iſt ein Zwit-
ter,
weil es weder pure Proſe, noch pure Poe-
ſie
iſt.

Fuͤnftes Couvert.
Eine Potage von Huͤhnern.

Ein Traiteur iſt oft uͤbel dran, wenn Leute
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[268/0276] IV. Ein Gehacktes. ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter ſei- nen Gedichten anbringet, wie z. E. der beruͤhm- te Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge- wohnt iſt, die Leſer uͤberliſten wollte, daß ſie Text und Noten leſen muͤßten, ſie moͤgten wol- len, oder nicht: So mache er nur auch ſo ein Zerhacktes, wie unſer neuer Speiſe-Kuͤnſtler im Tempel des guten Geſchmacks gethan, und ſetze itzt ein paar Strophen Verſe, gleich drauf in einem Striche die Anmerkungen, und loͤte ſie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol- genden neuen Stuͤcklein von ein paar Verſen zuſammen; dieſen fuͤge er, in gerader Reihe, und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch- ſtaben, oder das verdammte Wort Anmerkung weglaſſe, ein Fleck Proſa wieder an: So wird ein voͤlliges Lungenmus herauskommen. Man koͤnnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen, welches bey uns Koͤchen das heißt, wenn in ei- ner Schuͤſſel Gekochtes und Geſottenes, oder Geſottenes und Gebratenes liegt. Denn wo zugleich proſaiſcher und metriſcher Text iſt, gereimt und ungereimt: So iſt es noch mehr, als ein gehackt Lungenmus. Es iſt ein Zwit- ter, weil es weder pure Proſe, noch pure Poe- ſie iſt. Fuͤnftes Couvert. Eine Potage von Huͤhnern. Ein Traiteur iſt oft uͤbel dran, wenn Leute von allzuverſchiedenem Geſchmacke in ſein Spei-

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/276>, abgerufen am 28.03.2024.