Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
bey der Froschmäusler-Gesellschaft.
18. Maxime.

Jn Trauer-Spielen stelle man jeden Affect
so gekünstelt vor, daß man offenbar merke, der
duellirende Rival habe z. E. den andern nur in
eine mit Blut gefüllte Rinds-Blase gestochen;
die überwältigte Schöne habe nicht mehr Ler-
men gemacht, als wenn sie sich an einer Nadel
geritzt hätte; der sterbende Cato habe, mitten
in der Todes-Angst, noch politische Staats-
Discurse
von Wiederaufhelfung des verfallnen
Roms
vorgebracht; der tödtlich erstochene A-
mant
habe nach vier und zwanzig Stunden sei-
ne Schöne wieder bedienet; nebst tausend an-
dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.

19. Maxime.

Jn lustigen Schau-Spielen pflegen die krie-
chende Poeten den Harlequin und Scharamuz
die Haupt-Person seyn zu lassen; der aber nicht
eben sonderlich die Leser und Zuschauer mit
scharfsinnigen Spaß-Reden, sondern haupt-
sächlich mit Zoten, abgeschmackten Fratzen, pö-
belhaften Ausdrücken und ungeschliffenen Re-
den ergötzen muß. Doch giebt es auch Sauer-
töpfe
unter denen kriechenden Poeten, die in
keiner Oper einen Harlequin, ja sogar die Mu-
sic nicht,
leiden wollen, weil es nicht natürlich
sey, nach der Music mit einem zu reden. Da-
für bringen sie lieber weitgeholte und grillen-
fängerische Reflexionen
aufs Tapet, darüber
die Zuschauer einschlafen, und da sie verhofft, die

Lebens-
E 4
bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
18. Maxime.

Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect
ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der
duellirende Rival habe z. E. den andern nur in
eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen;
die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler-
men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel
geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten
in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats-
Diſcurſe
von Wiederaufhelfung des verfallnen
Roms
vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A-
mant
habe nach vier und zwanzig Stunden ſei-
ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an-
dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.

19. Maxime.

Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie-
chende Poeten den Harlequin und Scharamuz
die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht
eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit
ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt-
ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ-
belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re-
den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer-
toͤpfe
unter denen kriechenden Poeten, die in
keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu-
ſic nicht,
leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich
ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da-
fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen-
faͤngeriſche Reflexionen
aufs Tapet, daruͤber
die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, die

Lebens-
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0079" n="71"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">bey der Fro&#x017F;chma&#x0364;usler-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">18. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Jn <hi rendition="#fr">Trauer-Spielen</hi> &#x017F;telle man jeden Affect<lb/>
&#x017F;o <hi rendition="#fr">geku&#x0364;n&#x017F;telt</hi> vor, daß man offenbar merke, der<lb/><hi rendition="#fr">duellirende Rival</hi> habe z. E. den andern nur in<lb/>
eine mit Blut gefu&#x0364;llte Rinds-Bla&#x017F;e ge&#x017F;tochen;<lb/>
die <hi rendition="#fr">u&#x0364;berwa&#x0364;ltigte Scho&#x0364;ne</hi> habe nicht mehr Ler-<lb/>
men gemacht, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich an einer Nadel<lb/>
geritzt ha&#x0364;tte; der <hi rendition="#fr">&#x017F;terbende Cato</hi> habe, mitten<lb/>
in der Todes-Ang&#x017F;t, noch <hi rendition="#fr">politi&#x017F;che Staats-<lb/>
Di&#x017F;cur&#x017F;e</hi> von Wiederaufhelfung des <hi rendition="#fr">verfallnen<lb/>
Roms</hi> vorgebracht; der <hi rendition="#fr">to&#x0364;dtlich er&#x017F;tochene A-<lb/>
mant</hi> habe nach vier und zwanzig Stunden &#x017F;ei-<lb/>
ne Scho&#x0364;ne wieder bedienet; neb&#x017F;t tau&#x017F;end an-<lb/>
dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">19. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Jn <hi rendition="#fr">lu&#x017F;tigen Schau-Spielen</hi> pflegen die krie-<lb/>
chende Poeten den <hi rendition="#fr">Harlequin</hi> und <hi rendition="#fr">Scharamuz</hi><lb/>
die Haupt-Per&#x017F;on &#x017F;eyn zu la&#x017F;&#x017F;en; der aber nicht<lb/>
eben &#x017F;onderlich die Le&#x017F;er und Zu&#x017F;chauer mit<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;charf&#x017F;innigen Spaß-Reden,</hi> &#x017F;ondern haupt-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;chlich mit <hi rendition="#fr">Zoten,</hi> abge&#x017F;chmackten <hi rendition="#fr">Fratzen,</hi> po&#x0364;-<lb/>
belhaften Ausdru&#x0364;cken und <hi rendition="#fr">unge&#x017F;chliffenen</hi> Re-<lb/>
den ergo&#x0364;tzen muß. Doch giebt es auch <hi rendition="#fr">Sauer-<lb/>
to&#x0364;pfe</hi> unter denen <hi rendition="#fr">kriechenden Poeten,</hi> die in<lb/>
keiner Oper einen Harlequin, ja &#x017F;ogar die <hi rendition="#fr">Mu-<lb/>
&#x017F;ic nicht,</hi> leiden wollen, weil es <hi rendition="#fr">nicht natu&#x0364;rlich</hi><lb/>
&#x017F;ey, nach der Mu&#x017F;ic mit einem zu reden. Da-<lb/>
fu&#x0364;r bringen &#x017F;ie lieber <hi rendition="#fr">weitgeholte</hi> und <hi rendition="#fr">grillen-<lb/>
fa&#x0364;ngeri&#x017F;che Reflexionen</hi> aufs Tapet, daru&#x0364;ber<lb/>
die Zu&#x017F;chauer ein&#x017F;chlafen, und da &#x017F;ie verhofft, die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Lebens-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. 18. Maxime. Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der duellirende Rival habe z. E. den andern nur in eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen; die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler- men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats- Diſcurſe von Wiederaufhelfung des verfallnen Roms vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A- mant habe nach vier und zwanzig Stunden ſei- ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an- dern abentheuerlichen Abbildungen mehr. 19. Maxime. Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie- chende Poeten den Harlequin und Scharamuz die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt- ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ- belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re- den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer- toͤpfe unter denen kriechenden Poeten, die in keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu- ſic nicht, leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da- fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen- faͤngeriſche Reflexionen aufs Tapet, daruͤber die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, die Lebens- E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/79
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/79>, abgerufen am 18.04.2024.