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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Funfzig Maximen
von lauter kriechenden Poeten geschrieben wor-
den. Sie hält solche als einen geheimen Schatz
unerkannter Wahrheiten,
und ist zu neidisch,
solche public zu machen. Es ist genug, daß sol-
che nach denen, in dem ersten Probestück auf
mathematische Art vestgestellten, Grund-Re-
geln, desgleichen dem Character derer im an-
dern Probestück
angegebenen zwölf Arten krie-
chender Thiere
und sechs Sorten von Schmie-
den
vollkommen gemäß sind; und werde ich in
denen folgenden zwanzig Maximen die Sache,
wo nicht in völliges Licht, doch wenigstens in
Licht und Schatten, zu setzen, mir angelegen
seyn lassen.

31. Maxime.

Ein poetischer Frosch quäket alle Vorüber-
gehende, und wer ihm am ersten in den Wurf
kömmt, mit seinen Reim-Gedichten an; es mag
nun dem andern gefallen oder verdriessen. So
wenig der Frosch sich daran kehrt, ob es dem
Vorbeygehenden gelegen sey, seinem Gequäke
zuzuhören: So wenig fragt auch ein poetischer
Frosch darnach.

32. Maxime.

Eine poetische Maus stenkert am liebsten die
Anecdoten oder unherausgegebene Poesien an-
derer durch, oder auch solche Poeten, die durch
die Länge der Zeit schon wieder in Vergessenheit
gekommen. Solche bemauset er, wo er kann,
und giebt es für seine eigenen Einfälle aus. Ver-

stehet

Funfzig Maximen
von lauter kriechenden Poeten geſchrieben wor-
den. Sie haͤlt ſolche als einen geheimen Schatz
unerkannter Wahrheiten,
und iſt zu neidiſch,
ſolche public zu machen. Es iſt genug, daß ſol-
che nach denen, in dem erſten Probeſtuͤck auf
mathematiſche Art veſtgeſtellten, Grund-Re-
geln, desgleichen dem Character derer im an-
dern Probeſtuͤck
angegebenen zwoͤlf Arten krie-
chender Thiere
und ſechs Sorten von Schmie-
den
vollkommen gemaͤß ſind; und werde ich in
denen folgenden zwanzig Maximen die Sache,
wo nicht in voͤlliges Licht, doch wenigſtens in
Licht und Schatten, zu ſetzen, mir angelegen
ſeyn laſſen.

31. Maxime.

Ein poetiſcher Froſch quaͤket alle Voruͤber-
gehende, und wer ihm am erſten in den Wurf
koͤmmt, mit ſeinen Reim-Gedichten an; es mag
nun dem andern gefallen oder verdrieſſen. So
wenig der Froſch ſich daran kehrt, ob es dem
Vorbeygehenden gelegen ſey, ſeinem Gequaͤke
zuzuhoͤren: So wenig fragt auch ein poetiſcher
Froſch darnach.

32. Maxime.

Eine poetiſche Maus ſtenkert am liebſten die
Anecdoten oder unherausgegebene Poeſien an-
derer durch, oder auch ſolche Poeten, die durch
die Laͤnge der Zeit ſchon wieder in Vergeſſenheit
gekommen. Solche bemauſet er, wo er kann,
und giebt es fuͤr ſeine eigenen Einfaͤlle aus. Ver-

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[80/0088] Funfzig Maximen von lauter kriechenden Poeten geſchrieben wor- den. Sie haͤlt ſolche als einen geheimen Schatz unerkannter Wahrheiten, und iſt zu neidiſch, ſolche public zu machen. Es iſt genug, daß ſol- che nach denen, in dem erſten Probeſtuͤck auf mathematiſche Art veſtgeſtellten, Grund-Re- geln, desgleichen dem Character derer im an- dern Probeſtuͤck angegebenen zwoͤlf Arten krie- chender Thiere und ſechs Sorten von Schmie- den vollkommen gemaͤß ſind; und werde ich in denen folgenden zwanzig Maximen die Sache, wo nicht in voͤlliges Licht, doch wenigſtens in Licht und Schatten, zu ſetzen, mir angelegen ſeyn laſſen. 31. Maxime. Ein poetiſcher Froſch quaͤket alle Voruͤber- gehende, und wer ihm am erſten in den Wurf koͤmmt, mit ſeinen Reim-Gedichten an; es mag nun dem andern gefallen oder verdrieſſen. So wenig der Froſch ſich daran kehrt, ob es dem Vorbeygehenden gelegen ſey, ſeinem Gequaͤke zuzuhoͤren: So wenig fragt auch ein poetiſcher Froſch darnach. 32. Maxime. Eine poetiſche Maus ſtenkert am liebſten die Anecdoten oder unherausgegebene Poeſien an- derer durch, oder auch ſolche Poeten, die durch die Laͤnge der Zeit ſchon wieder in Vergeſſenheit gekommen. Solche bemauſet er, wo er kann, und giebt es fuͤr ſeine eigenen Einfaͤlle aus. Ver- ſtehet

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/88>, abgerufen am 19.04.2024.