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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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den Füßen weggerissen. Wenn sie's gekonnt hätten, sie hätten
ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.

Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus sollten sie
ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht
machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhause zu
sehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er
seinen Kopf für sich hatte. Mit guten Lehren und Ratschlägen
waren sie immer schnell bei der Hand gewesen, aber ihn zu
retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete sie alle,
die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Gesichter mehr zu
sehen brauchte, war ihm ein langersehntes Glück. Sie ließen
einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man sich auch verkroch,
sie kamen einem nach, überallhin, die geschwätzige neugierige Art.
Man mußte schon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu
haben. Und nach seinem Tode würden sie wahrscheinlich erst recht
klug reden. Das hätte er nicht thun sollen, würden sie sagen.
Ein großes Gezeter würden sie anheben. Er kannte sie ja,
wie sie waren, kaltherzig und gleichgültig, so lange einer zappelt,
und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬
röchelt war, dann kamen sie herbeigelaufen, umstanden das
Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.

Aber das sollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja
alles nicht mehr! -- Er that, was er für recht hielt. Hier durfte
ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit sich selber konnte man
anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte
einem auch nichts zu befehlen! --

Jetzt war er seinem Ziele schon ganz nahe. Dort am
äußersten Feldrande stand der Baum; ein wilder Kirschbaum,
schlank gewachsen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬
sammengelesen, lag darunter. Die Krone stand in voller
Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬
hinter lag das Büschelgewende.

Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen?
Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen schnurgerade ausge¬
richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen
hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!

den Füßen weggeriſſen. Wenn ſie's gekonnt hätten, ſie hätten
ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.

Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus ſollten ſie
ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht
machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhauſe zu
ſehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er
ſeinen Kopf für ſich hatte. Mit guten Lehren und Ratſchlägen
waren ſie immer ſchnell bei der Hand geweſen, aber ihn zu
retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete ſie alle,
die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Geſichter mehr zu
ſehen brauchte, war ihm ein langerſehntes Glück. Sie ließen
einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man ſich auch verkroch,
ſie kamen einem nach, überallhin, die geſchwätzige neugierige Art.
Man mußte ſchon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu
haben. Und nach ſeinem Tode würden ſie wahrſcheinlich erſt recht
klug reden. Das hätte er nicht thun ſollen, würden ſie ſagen.
Ein großes Gezeter würden ſie anheben. Er kannte ſie ja,
wie ſie waren, kaltherzig und gleichgültig, ſo lange einer zappelt,
und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬
röchelt war, dann kamen ſie herbeigelaufen, umſtanden das
Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.

Aber das ſollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja
alles nicht mehr! — Er that, was er für recht hielt. Hier durfte
ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit ſich ſelber konnte man
anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte
einem auch nichts zu befehlen! —

Jetzt war er ſeinem Ziele ſchon ganz nahe. Dort am
äußerſten Feldrande ſtand der Baum; ein wilder Kirſchbaum,
ſchlank gewachſen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬
ſammengeleſen, lag darunter. Die Krone ſtand in voller
Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬
hinter lag das Büſchelgewende.

Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen?
Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen ſchnurgerade ausge¬
richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen
hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!

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[424/0438] den Füßen weggeriſſen. Wenn ſie's gekonnt hätten, ſie hätten ihm gewiß auch Licht und Luft genommen. Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus ſollten ſie ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhauſe zu ſehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er ſeinen Kopf für ſich hatte. Mit guten Lehren und Ratſchlägen waren ſie immer ſchnell bei der Hand geweſen, aber ihn zu retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete ſie alle, die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Geſichter mehr zu ſehen brauchte, war ihm ein langerſehntes Glück. Sie ließen einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man ſich auch verkroch, ſie kamen einem nach, überallhin, die geſchwätzige neugierige Art. Man mußte ſchon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu haben. Und nach ſeinem Tode würden ſie wahrſcheinlich erſt recht klug reden. Das hätte er nicht thun ſollen, würden ſie ſagen. Ein großes Gezeter würden ſie anheben. Er kannte ſie ja, wie ſie waren, kaltherzig und gleichgültig, ſo lange einer zappelt, und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬ röchelt war, dann kamen ſie herbeigelaufen, umſtanden das Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten. Aber das ſollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja alles nicht mehr! — Er that, was er für recht hielt. Hier durfte ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit ſich ſelber konnte man anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte einem auch nichts zu befehlen! — Jetzt war er ſeinem Ziele ſchon ganz nahe. Dort am äußerſten Feldrande ſtand der Baum; ein wilder Kirſchbaum, ſchlank gewachſen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬ ſammengeleſen, lag darunter. Die Krone ſtand in voller Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬ hinter lag das Büſchelgewende. Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen? Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen ſchnurgerade ausge¬ richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/438>, abgerufen am 16.04.2024.