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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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ungeheuren, gar nicht mehr zu erschwingenden Sum-
men die Aufführung solcher Werke von Grund aus
heut zu Tage kosten würden. Die arbeitenden Klas-
sen, und zum Theil die Künstler, haben offenbar in
unserer Zeit über die Verzehrenden den Vorsprung ge-
wonnen, und ihre Arbeit ist daher so theuer gewor-
den, daß etwas wirklich Großes in der Kunst nach
diesem Maaßstabe kaum mehr bezahlt werden könnte,
denn für die Summe, welche ehemals ein Götter-
werk Raphaels erkaufte, kann man heute (selbst ver-
hältnißmäßig in Hinsicht auf den geringern Geld-
werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr
erstehen. Der botanische Garten schloß unsre Prome-
nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens
werth wäre. Ich erlöse Dich daher für jetzt, meine
gute Julie. Mais c'est a y revenir demain.



Es ist sündlich, wie mein Privat-Tagebuch seit
lange schon von mir vernachlässigt wird! Je mehr die
Reisebriefe an Dich anschwellen, je mehr schrumpft jenes
unglückliche Journal zusammen. Wenn Du diese Briefe
verbrannt hast, werde ich gar nicht mehr wissen,
was in jener Zeit aus mir geworden ist. Denke Dir
wie unangenehm, vor seinem eignen Gedächtniß zu
verschwinden! Ja, meine Einbildungskraft ist durch

ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum-
men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus
heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ-
ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in
unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge-
wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor-
den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach
dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte,
denn für die Summe, welche ehemals ein Götter-
werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver-
hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld-
werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr
erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome-
nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens
werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine
gute Julie. Mais c’est à y revenir demain.



Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit
lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die
Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes
unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe
verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen,
was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir
wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu
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[293/0339] ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum- men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ- ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge- wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor- den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götter- werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver- hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld- werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome- nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais c’est à y revenir demain. Buckingham, den 10ten. Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen, was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/339>, abgerufen am 28.03.2024.