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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Eine Hand wäscht die andere.

Jn diesem Sprüchworte liegt der Grund aller
geselligen Pflichten, und aller daraus ent-
springenden Glückseligkeit der Menschen. Unsere
Philosophen mögen gleich ganze Lasten moralischer
Qvartanten auf einander häufen, so werden sie
doch darinnen weiter nichts sagen können, als was
uns dieses einzige Sprüchwort lehrt. Wer dieses
in seinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor-
sicht eines vernünftigen Mannes ausübt; der kann
seines Glücks gewiß seyn. Er wird bey mittel-
mäßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler
hat, doch bey jedermann beliebt seyn. Versäumt
er aber die große Pflicht, auf die uns dieses
Sprüchwort weist; so ist er unvermeidlich verlo-
ren. Ohne diese Tugend scheint uns der größte
Prinz nur ein verächtlicher Verwalter fremder
Güter zu seyn, der auf Rechnung sitzt. Der
Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi-
nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant
zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch für an-
dere lebt, und daß er nicht glücklich seyn kann, ohne
vorher andere glücklich zu machen, oder, mit un-
serm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine
Hand sich selbst waschen könne.

Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Mühe, zu
zeigen, daß wir Menschen so verderbt nicht sind,

als


Eine Hand waͤſcht die andere.

Jn dieſem Spruͤchworte liegt der Grund aller
geſelligen Pflichten, und aller daraus ent-
ſpringenden Gluͤckſeligkeit der Menſchen. Unſere
Philoſophen moͤgen gleich ganze Laſten moraliſcher
Qvartanten auf einander haͤufen, ſo werden ſie
doch darinnen weiter nichts ſagen koͤnnen, als was
uns dieſes einzige Spruͤchwort lehrt. Wer dieſes
in ſeinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor-
ſicht eines vernuͤnftigen Mannes ausuͤbt; der kann
ſeines Gluͤcks gewiß ſeyn. Er wird bey mittel-
maͤßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler
hat, doch bey jedermann beliebt ſeyn. Verſaͤumt
er aber die große Pflicht, auf die uns dieſes
Spruͤchwort weiſt; ſo iſt er unvermeidlich verlo-
ren. Ohne dieſe Tugend ſcheint uns der groͤßte
Prinz nur ein veraͤchtlicher Verwalter fremder
Guͤter zu ſeyn, der auf Rechnung ſitzt. Der
Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi-
nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant
zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch fuͤr an-
dere lebt, und daß er nicht gluͤcklich ſeyn kann, ohne
vorher andere gluͤcklich zu machen, oder, mit un-
ſerm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine
Hand ſich ſelbſt waſchen koͤnne.

Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Muͤhe, zu
zeigen, daß wir Menſchen ſo verderbt nicht ſind,

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[120/0142] Eine Hand waͤſcht die andere. Jn dieſem Spruͤchworte liegt der Grund aller geſelligen Pflichten, und aller daraus ent- ſpringenden Gluͤckſeligkeit der Menſchen. Unſere Philoſophen moͤgen gleich ganze Laſten moraliſcher Qvartanten auf einander haͤufen, ſo werden ſie doch darinnen weiter nichts ſagen koͤnnen, als was uns dieſes einzige Spruͤchwort lehrt. Wer dieſes in ſeinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor- ſicht eines vernuͤnftigen Mannes ausuͤbt; der kann ſeines Gluͤcks gewiß ſeyn. Er wird bey mittel- maͤßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler hat, doch bey jedermann beliebt ſeyn. Verſaͤumt er aber die große Pflicht, auf die uns dieſes Spruͤchwort weiſt; ſo iſt er unvermeidlich verlo- ren. Ohne dieſe Tugend ſcheint uns der groͤßte Prinz nur ein veraͤchtlicher Verwalter fremder Guͤter zu ſeyn, der auf Rechnung ſitzt. Der Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi- nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch fuͤr an- dere lebt, und daß er nicht gluͤcklich ſeyn kann, ohne vorher andere gluͤcklich zu machen, oder, mit un- ſerm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine Hand ſich ſelbſt waſchen koͤnne. Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Muͤhe, zu zeigen, daß wir Menſchen ſo verderbt nicht ſind, als

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/142>, abgerufen am 28.03.2024.