Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite


Ehrlich währt am längsten*.

Jch speiste in der letzten Ostermesse auf Schell-
hafers Saale, und kam an einen Tisch zu
sitzen, wo ich mir die Gesellschaft nicht merkwür-
diger hätte wählen können. Sie bestund aus ei-
nem Kaufmanne, welcher zween sehr vortheilhafte
Bankerutte gemacht hatte, und itzo in weit bessern
Umständen steht, als seine betrognen Gläubiger.
Der zweyte war ein Regimentsquartiermeister,
der vor einiger Zeit die sämtlichen Regiments-
gelder verspielt hatte, und ohne den vollgültigen
Vorspruch seiner jungen und schöngebildeten
Schwester gewiß würde haben hängen müssen.
Der dritte war der Spieler, der ihm diese Gelder
abgewonnen hatte, und nunmehr in der Messe
aus bewegenden Ursachen seine Bekanntschaft vom
neuen suchte. Der vierte war ein Mann ohne
Charakter, welcher aus einem benachbarten Lande
hatte flüchtig werden müssen, weil er die ihm an-
vertrauten Mündel um das ihrige gebracht, und
in die elendeste Armuth gestürzt hatte. Der
fünfte war ein Beamter, welcher mit dem Mini-
sterio sehr unzufrieden war, daß es ihn abgesetzt,
und seine Caution eingezogen hatte, und zwar um

einiger
* Dieses Sprüchwort ist ebenfalls im Jahr 1748. gefer-
tigt, und im Jahr 1750. der obenbenannten Monats-
schrift eingeschaltet worden. Diese Anmerkung wird
vielleicht manche vorwitzige Ausleger um ihren Schlüs-
sel bringen.


Ehrlich waͤhrt am laͤngſten*.

Jch ſpeiſte in der letzten Oſtermeſſe auf Schell-
hafers Saale, und kam an einen Tiſch zu
ſitzen, wo ich mir die Geſellſchaft nicht merkwuͤr-
diger haͤtte waͤhlen koͤnnen. Sie beſtund aus ei-
nem Kaufmanne, welcher zween ſehr vortheilhafte
Bankerutte gemacht hatte, und itzo in weit beſſern
Umſtaͤnden ſteht, als ſeine betrognen Glaͤubiger.
Der zweyte war ein Regimentsquartiermeiſter,
der vor einiger Zeit die ſaͤmtlichen Regiments-
gelder verſpielt hatte, und ohne den vollguͤltigen
Vorſpruch ſeiner jungen und ſchoͤngebildeten
Schweſter gewiß wuͤrde haben haͤngen muͤſſen.
Der dritte war der Spieler, der ihm dieſe Gelder
abgewonnen hatte, und nunmehr in der Meſſe
aus bewegenden Urſachen ſeine Bekanntſchaft vom
neuen ſuchte. Der vierte war ein Mann ohne
Charakter, welcher aus einem benachbarten Lande
hatte fluͤchtig werden muͤſſen, weil er die ihm an-
vertrauten Muͤndel um das ihrige gebracht, und
in die elendeſte Armuth geſtuͤrzt hatte. Der
fuͤnfte war ein Beamter, welcher mit dem Mini-
ſterio ſehr unzufrieden war, daß es ihn abgeſetzt,
und ſeine Caution eingezogen hatte, und zwar um

einiger
* Dieſes Spruͤchwort iſt ebenfalls im Jahr 1748. gefer-
tigt, und im Jahr 1750. der obenbenannten Monats-
ſchrift eingeſchaltet worden. Dieſe Anmerkung wird
vielleicht manche vorwitzige Ausleger um ihren Schluͤſ-
ſel bringen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0083" n="61"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Ehrlich wa&#x0364;hrt am la&#x0364;ng&#x017F;ten</hi><note place="foot" n="*">Die&#x017F;es Spru&#x0364;chwort i&#x017F;t ebenfalls im Jahr 1748. gefer-<lb/>
tigt, und im Jahr 1750. der obenbenannten Monats-<lb/>
&#x017F;chrift einge&#x017F;chaltet worden. Die&#x017F;e Anmerkung wird<lb/>
vielleicht manche vorwitzige Ausleger um ihren Schlu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;el bringen.</note>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch &#x017F;pei&#x017F;te in der letzten O&#x017F;terme&#x017F;&#x017F;e auf Schell-<lb/>
hafers Saale, und kam an einen Ti&#x017F;ch zu<lb/>
&#x017F;itzen, wo ich mir die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nicht merkwu&#x0364;r-<lb/>
diger ha&#x0364;tte wa&#x0364;hlen ko&#x0364;nnen. Sie be&#x017F;tund aus ei-<lb/>
nem Kaufmanne, welcher zween &#x017F;ehr vortheilhafte<lb/>
Bankerutte gemacht hatte, und itzo in weit be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;teht, als &#x017F;eine betrognen Gla&#x0364;ubiger.<lb/>
Der zweyte war ein Regimentsquartiermei&#x017F;ter,<lb/>
der vor einiger Zeit die &#x017F;a&#x0364;mtlichen Regiments-<lb/>
gelder ver&#x017F;pielt hatte, und ohne den vollgu&#x0364;ltigen<lb/>
Vor&#x017F;pruch &#x017F;einer jungen und &#x017F;cho&#x0364;ngebildeten<lb/>
Schwe&#x017F;ter gewiß wu&#x0364;rde haben ha&#x0364;ngen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Der dritte war der Spieler, der ihm die&#x017F;e Gelder<lb/>
abgewonnen hatte, und nunmehr in der Me&#x017F;&#x017F;e<lb/>
aus bewegenden Ur&#x017F;achen &#x017F;eine Bekannt&#x017F;chaft vom<lb/>
neuen &#x017F;uchte. Der vierte war ein Mann ohne<lb/>
Charakter, welcher aus einem benachbarten Lande<lb/>
hatte flu&#x0364;chtig werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil er die ihm an-<lb/>
vertrauten Mu&#x0364;ndel um das ihrige gebracht, und<lb/>
in die elende&#x017F;te Armuth ge&#x017F;tu&#x0364;rzt hatte. Der<lb/>
fu&#x0364;nfte war ein Beamter, welcher mit dem Mini-<lb/>
&#x017F;terio &#x017F;ehr unzufrieden war, daß es ihn abge&#x017F;etzt,<lb/>
und &#x017F;eine Caution eingezogen hatte, und zwar um<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einiger</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0083] Ehrlich waͤhrt am laͤngſten *. Jch ſpeiſte in der letzten Oſtermeſſe auf Schell- hafers Saale, und kam an einen Tiſch zu ſitzen, wo ich mir die Geſellſchaft nicht merkwuͤr- diger haͤtte waͤhlen koͤnnen. Sie beſtund aus ei- nem Kaufmanne, welcher zween ſehr vortheilhafte Bankerutte gemacht hatte, und itzo in weit beſſern Umſtaͤnden ſteht, als ſeine betrognen Glaͤubiger. Der zweyte war ein Regimentsquartiermeiſter, der vor einiger Zeit die ſaͤmtlichen Regiments- gelder verſpielt hatte, und ohne den vollguͤltigen Vorſpruch ſeiner jungen und ſchoͤngebildeten Schweſter gewiß wuͤrde haben haͤngen muͤſſen. Der dritte war der Spieler, der ihm dieſe Gelder abgewonnen hatte, und nunmehr in der Meſſe aus bewegenden Urſachen ſeine Bekanntſchaft vom neuen ſuchte. Der vierte war ein Mann ohne Charakter, welcher aus einem benachbarten Lande hatte fluͤchtig werden muͤſſen, weil er die ihm an- vertrauten Muͤndel um das ihrige gebracht, und in die elendeſte Armuth geſtuͤrzt hatte. Der fuͤnfte war ein Beamter, welcher mit dem Mini- ſterio ſehr unzufrieden war, daß es ihn abgeſetzt, und ſeine Caution eingezogen hatte, und zwar um einiger * Dieſes Spruͤchwort iſt ebenfalls im Jahr 1748. gefer- tigt, und im Jahr 1750. der obenbenannten Monats- ſchrift eingeſchaltet worden. Dieſe Anmerkung wird vielleicht manche vorwitzige Ausleger um ihren Schluͤſ- ſel bringen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/83
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/83>, abgerufen am 28.03.2024.