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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit.

In wie viel andern Fällen zeigt sich nicht der nehmliche Unterschied! Cimon, der ungebildete rohe Mensch, gerührt durch den Anblick der Schönheit, wird ein rechtschaffner, und an Cultur ausgezeichneter Mensch. Wem strebt er dadurch Gutes zu thun? Sich selbst! Er bahnt sich den Weg zu dem Herzen der Geliebten auf eine edle Weise. Hofft er durch die Veredlung, die er sich selbst giebt, die Geliebte zu beglücken; ja, dann liebt er auf eine edle Art.

Rousseaus Laura, die Römische Buhlerin, ist Zeugin der edlen Liebe Mylords Bomston zu der Marquise. Mit Abscheu sieht sie forthin auf ihren glänzenden aber lasterhaften Lebenswandel zurück, und vertauscht ihn mit klösterlicher Einsamkeit. Edle Danae! eine gleiche Wirkung verdanktest du deiner Verbindung mit Agathon! Glaubtet ihr den Geliebten durch eure Entfernung zu beglücken: waret ihr überzeugt, daß das Weib, das eigne Würde nicht immer geachtet hat, des Mannes der immer verehrungswürdig war, nicht werth sey; dann habt ihr geliebt! Hat aber Ehrgeitz und die Besorgniß

dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit.

In wie viel andern Fällen zeigt sich nicht der nehmliche Unterschied! Cimon, der ungebildete rohe Mensch, gerührt durch den Anblick der Schönheit, wird ein rechtschaffner, und an Cultur ausgezeichneter Mensch. Wem strebt er dadurch Gutes zu thun? Sich selbst! Er bahnt sich den Weg zu dem Herzen der Geliebten auf eine edle Weise. Hofft er durch die Veredlung, die er sich selbst giebt, die Geliebte zu beglücken; ja, dann liebt er auf eine edle Art.

Rousseaus Laura, die Römische Buhlerin, ist Zeugin der edlen Liebe Mylords Bomston zu der Marquise. Mit Abscheu sieht sie forthin auf ihren glänzenden aber lasterhaften Lebenswandel zurück, und vertauscht ihn mit klösterlicher Einsamkeit. Edle Danae! eine gleiche Wirkung verdanktest du deiner Verbindung mit Agathon! Glaubtet ihr den Geliebten durch eure Entfernung zu beglücken: waret ihr überzeugt, daß das Weib, das eigne Würde nicht immer geachtet hat, des Mannes der immer verehrungswürdig war, nicht werth sey; dann habt ihr geliebt! Hat aber Ehrgeitz und die Besorgniß

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dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit.</p>
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[62/0062] dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit. In wie viel andern Fällen zeigt sich nicht der nehmliche Unterschied! Cimon, der ungebildete rohe Mensch, gerührt durch den Anblick der Schönheit, wird ein rechtschaffner, und an Cultur ausgezeichneter Mensch. Wem strebt er dadurch Gutes zu thun? Sich selbst! Er bahnt sich den Weg zu dem Herzen der Geliebten auf eine edle Weise. Hofft er durch die Veredlung, die er sich selbst giebt, die Geliebte zu beglücken; ja, dann liebt er auf eine edle Art. Rousseaus Laura, die Römische Buhlerin, ist Zeugin der edlen Liebe Mylords Bomston zu der Marquise. Mit Abscheu sieht sie forthin auf ihren glänzenden aber lasterhaften Lebenswandel zurück, und vertauscht ihn mit klösterlicher Einsamkeit. Edle Danae! eine gleiche Wirkung verdanktest du deiner Verbindung mit Agathon! Glaubtet ihr den Geliebten durch eure Entfernung zu beglücken: waret ihr überzeugt, daß das Weib, das eigne Würde nicht immer geachtet hat, des Mannes der immer verehrungswürdig war, nicht werth sey; dann habt ihr geliebt! Hat aber Ehrgeitz und die Besorgniß

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/62>, abgerufen am 29.03.2024.