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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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verschönern. Aber eben dieß gab dem Pöbel und den Spöttern Veranlassung zum Verdacht, als wenn sie von den Schwächen des großen Haufens nicht frey wären. Dieser Verdacht traf auch den Sokrates. Zwey seiner Schüler, Xenophon und Plato, haben ihn von diesem Vorwurfe zu befreyen, und zugleich seine wahren Grundsätze über die Liebe zu entwickeln gesucht. Die Nachrichten, welche sie uns darüber liefern, scheinen Anfangs ein wenig widersprechend: sie lassen sich aber am Ende mit einander vereinigen. Es scheint mir interessant zu seyn, einen kurzen Ueberblick ihrer Darstellungen zu liefern, und eine Vergleichung zwischen ihnen anzustellen. Ich fange mit dem Xenophon an.

In den Denkwürdigkeiten dieses Schriftstellers wird Sokrates nicht bloß als ein enthaltsamer Mann geschildert, der sich durch vorsichtige Entfernung von allen Versuchungen, vor der Gefahr unter diesen zu fallen, zu bewahren weiß; sondern als ein abgehärteter Mann, der sich durch Ausbildung seines Charakters gegen alle Versuchungen stark zu machen gewußt hat, und sich daher ruhig und mit festem Schritte ihnen nähert. Er ist mäßig in Speise, Trank, und Befriedigung der Geschlechtssympathie. Diese drey Stücke werden in eine Klasse gesetzt. Besonders machen schöne Gestalten nicht mehreren Eindruck auf ihn, als häßliche, als gewöhnliche Menschen. Aber nicht alle Charaktere haben so viel Gewalt über sich selbst, und daher räth er seinen Schülern, sich durch behutsame Vermeidung aller Gelegenheiten, die zu Schwächen verleiten könnten, vor diesen zu bewahren. Sie sollen sich vor dem Umgange mit Menschen hüten, die sie zur Unmäßigkeit in Speise und Trank verführen könnten: sie sollen

verschönern. Aber eben dieß gab dem Pöbel und den Spöttern Veranlassung zum Verdacht, als wenn sie von den Schwächen des großen Haufens nicht frey wären. Dieser Verdacht traf auch den Sokrates. Zwey seiner Schüler, Xenophon und Plato, haben ihn von diesem Vorwurfe zu befreyen, und zugleich seine wahren Grundsätze über die Liebe zu entwickeln gesucht. Die Nachrichten, welche sie uns darüber liefern, scheinen Anfangs ein wenig widersprechend: sie lassen sich aber am Ende mit einander vereinigen. Es scheint mir interessant zu seyn, einen kurzen Ueberblick ihrer Darstellungen zu liefern, und eine Vergleichung zwischen ihnen anzustellen. Ich fange mit dem Xenophon an.

In den Denkwürdigkeiten dieses Schriftstellers wird Sokrates nicht bloß als ein enthaltsamer Mann geschildert, der sich durch vorsichtige Entfernung von allen Versuchungen, vor der Gefahr unter diesen zu fallen, zu bewahren weiß; sondern als ein abgehärteter Mann, der sich durch Ausbildung seines Charakters gegen alle Versuchungen stark zu machen gewußt hat, und sich daher ruhig und mit festem Schritte ihnen nähert. Er ist mäßig in Speise, Trank, und Befriedigung der Geschlechtssympathie. Diese drey Stücke werden in eine Klasse gesetzt. Besonders machen schöne Gestalten nicht mehreren Eindruck auf ihn, als häßliche, als gewöhnliche Menschen. Aber nicht alle Charaktere haben so viel Gewalt über sich selbst, und daher räth er seinen Schülern, sich durch behutsame Vermeidung aller Gelegenheiten, die zu Schwächen verleiten könnten, vor diesen zu bewahren. Sie sollen sich vor dem Umgange mit Menschen hüten, die sie zur Unmäßigkeit in Speise und Trank verführen könnten: sie sollen

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[154/0154] verschönern. Aber eben dieß gab dem Pöbel und den Spöttern Veranlassung zum Verdacht, als wenn sie von den Schwächen des großen Haufens nicht frey wären. Dieser Verdacht traf auch den Sokrates. Zwey seiner Schüler, Xenophon und Plato, haben ihn von diesem Vorwurfe zu befreyen, und zugleich seine wahren Grundsätze über die Liebe zu entwickeln gesucht. Die Nachrichten, welche sie uns darüber liefern, scheinen Anfangs ein wenig widersprechend: sie lassen sich aber am Ende mit einander vereinigen. Es scheint mir interessant zu seyn, einen kurzen Ueberblick ihrer Darstellungen zu liefern, und eine Vergleichung zwischen ihnen anzustellen. Ich fange mit dem Xenophon an. In den Denkwürdigkeiten dieses Schriftstellers wird Sokrates nicht bloß als ein enthaltsamer Mann geschildert, der sich durch vorsichtige Entfernung von allen Versuchungen, vor der Gefahr unter diesen zu fallen, zu bewahren weiß; sondern als ein abgehärteter Mann, der sich durch Ausbildung seines Charakters gegen alle Versuchungen stark zu machen gewußt hat, und sich daher ruhig und mit festem Schritte ihnen nähert. Er ist mäßig in Speise, Trank, und Befriedigung der Geschlechtssympathie. Diese drey Stücke werden in eine Klasse gesetzt. Besonders machen schöne Gestalten nicht mehreren Eindruck auf ihn, als häßliche, als gewöhnliche Menschen. Aber nicht alle Charaktere haben so viel Gewalt über sich selbst, und daher räth er seinen Schülern, sich durch behutsame Vermeidung aller Gelegenheiten, die zu Schwächen verleiten könnten, vor diesen zu bewahren. Sie sollen sich vor dem Umgange mit Menschen hüten, die sie zur Unmäßigkeit in Speise und Trank verführen könnten: sie sollen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/154>, abgerufen am 25.04.2024.