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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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Geschäffte und mit eingestreuten Ruhepunkten
angestrengt wird. Die Uebungen der einzelnen
Seelenvermögen übergehe ich. Sie sind bereits
oben angeführt. Das letzte und höchste Geschäfft
des Psychologen sey, dem Kranken selbst Sinn
für seine eigne moralische und intellectuelle Kul-
tur beizubringen. Ist er mit sich selbst, mit sei-
nen Schwächen und Vollkommenheiten vertraut,
dann wird er selbst am besten seine Lücken ausfül-
len und solchen moralischen Reizen, die er noch
nicht wohl verträgt, durch ein sorgfältiges See-
lenregime ausweichen, wie es Diätophilus *)
angegeben hat.

§. 23.

Wie soll ein Irrenhaus eingerich-
tet seyn, damit es als Heilanstalt sei-
nem Zwecke am vollkommensten ent-
spreche
? Es muss so construirt seyn, dass alle
Kräfte zur Heilung der Kranken vorräthig sind,
harmonisch in einander greifen und nichts ihrem
freien Spiele widerstreite. Daher darf es zuvör-
derst nur Geisteszerrüttete aufnehmen, die wenig-
stens subjektiv heilbar sind, damit nicht durch an-
dere sich vielleicht widersprechende Bestimmun-
gen sein Hauptzweck verlohren gehe. Diese
Trennung heilbarer und unheilbarer Irrenden in
besondere Anstalten sey der erste Schritt, mit

*) l. c. 2 Th. 165 S.

Geſchäffte und mit eingeſtreuten Ruhepunkten
angeſtrengt wird. Die Uebungen der einzelnen
Seelenvermögen übergehe ich. Sie ſind bereits
oben angeführt. Das letzte und höchſte Geſchäfft
des Pſychologen ſey, dem Kranken ſelbſt Sinn
für ſeine eigne moraliſche und intellectuelle Kul-
tur beizubringen. Iſt er mit ſich ſelbſt, mit ſei-
nen Schwächen und Vollkommenheiten vertraut,
dann wird er ſelbſt am beſten ſeine Lücken ausfül-
len und ſolchen moraliſchen Reizen, die er noch
nicht wohl verträgt, durch ein ſorgfältiges See-
lenregime ausweichen, wie es Diätophilus *)
angegeben hat.

§. 23.

Wie ſoll ein Irrenhaus eingerich-
tet ſeyn, damit es als Heilanſtalt ſei-
nem Zwecke am vollkommenſten ent-
ſpreche
? Es muſs ſo conſtruirt ſeyn, daſs alle
Kräfte zur Heilung der Kranken vorräthig ſind,
harmoniſch in einander greifen und nichts ihrem
freien Spiele widerſtreite. Daher darf es zuvör-
derſt nur Geiſteszerrüttete aufnehmen, die wenig-
ſtens ſubjektiv heilbar ſind, damit nicht durch an-
dere ſich vielleicht widerſprechende Beſtimmun-
gen ſein Hauptzweck verlohren gehe. Dieſe
Trennung heilbarer und unheilbarer Irrenden in
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*) l. c. 2 Th. 165 S.
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[453/0458] Geſchäffte und mit eingeſtreuten Ruhepunkten angeſtrengt wird. Die Uebungen der einzelnen Seelenvermögen übergehe ich. Sie ſind bereits oben angeführt. Das letzte und höchſte Geſchäfft des Pſychologen ſey, dem Kranken ſelbſt Sinn für ſeine eigne moraliſche und intellectuelle Kul- tur beizubringen. Iſt er mit ſich ſelbſt, mit ſei- nen Schwächen und Vollkommenheiten vertraut, dann wird er ſelbſt am beſten ſeine Lücken ausfül- len und ſolchen moraliſchen Reizen, die er noch nicht wohl verträgt, durch ein ſorgfältiges See- lenregime ausweichen, wie es Diätophilus *) angegeben hat. §. 23. Wie ſoll ein Irrenhaus eingerich- tet ſeyn, damit es als Heilanſtalt ſei- nem Zwecke am vollkommenſten ent- ſpreche? Es muſs ſo conſtruirt ſeyn, daſs alle Kräfte zur Heilung der Kranken vorräthig ſind, harmoniſch in einander greifen und nichts ihrem freien Spiele widerſtreite. Daher darf es zuvör- derſt nur Geiſteszerrüttete aufnehmen, die wenig- ſtens ſubjektiv heilbar ſind, damit nicht durch an- dere ſich vielleicht widerſprechende Beſtimmun- gen ſein Hauptzweck verlohren gehe. Dieſe Trennung heilbarer und unheilbarer Irrenden in beſondere Anſtalten ſey der erſte Schritt, mit *) l. c. 2 Th. 165 S.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/458>, abgerufen am 28.03.2024.