Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
verhärten schiene. Sie suchte mich darüber lächer-
lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach
in Herrn Lovelacen verliebt hätte. Sie wunder-
te sich, daß die witzige, die kluge, die gehorsah-
me
die gott - - - see - - - lige Clärchen, (das letzte
Beywort konnte sie so spöttisch ziehen) sich in einen
so liederlichen Bösewicht so sterblich verliebt hät-
te, daß ihre Eltern sie einsperren müßten, damit
sie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch
doch wol fragen, Schwester, wie ihr jetzt eure
Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet?
wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr nä-
het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum
Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu
der Liebe? Jch fürchte ich fürchte, mein kleines
liebes Ding, die Liebe st bey dir wie Aharons Stab,
und verschlinget das übrige alles. Jst es nicht
so? sagt es mir doch.

Jch antwortete: es sey für mich eine doppelte
Kränckung daß ich einem Manne, dem ich kei-
nen Danck schuldig seyn wollte, meine Sicherheit
vor dem Zorn meines Vaters zu dancken hätte.
Jch suchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu
entschuldigen; und das that ich mit solchem Eifer,
als ihre Verdienste es erforderten. Mit gleicher
Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden
Schmähungen, damit sie mich in Absicht auf Herrn
Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner
Stunden anlangt, so sagte ich, es würde sich
beßer für sie geschickt haben, mit einer unglückli-
chen Schwester Mittleiden zu haben, als über sie

zu

der Clariſſa.
verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher-
lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach
in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder-
te ſich, daß die witzige, die kluge, die gehorſah-
me
die gott ‒ ‒ ‒ ſee ‒ ‒ ‒ lige Claͤrchen, (das letzte
Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen
ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt-
te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit
ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch
doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure
Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet?
wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ-
het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum
Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu
der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines
liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab,
und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht
ſo? ſagt es mir doch.

Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte
Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei-
nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit
vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte.
Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu
entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer,
als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher
Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden
Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn
Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner
Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich
beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli-
chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſie

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0499" n="479"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
verha&#x0364;rten &#x017F;chiene. Sie &#x017F;uchte mich daru&#x0364;ber la&#x0364;cher-<lb/>
lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach<lb/>
in Herrn <hi rendition="#fr">Lovelacen</hi> verliebt ha&#x0364;tte. Sie wunder-<lb/>
te &#x017F;ich, daß die <hi rendition="#fr">witzige,</hi> die <hi rendition="#fr">kluge,</hi> die <hi rendition="#fr">gehor&#x017F;ah-<lb/>
me</hi> die <hi rendition="#fr">gott &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x017F;ee &#x2012; &#x2012; &#x2012; lige Cla&#x0364;rchen,</hi> (das letzte<lb/>
Beywort konnte &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;ch ziehen) &#x017F;ich in einen<lb/>
&#x017F;o liederlichen Bo&#x0364;&#x017F;ewicht &#x017F;o &#x017F;terblich verliebt ha&#x0364;t-<lb/>
te, daß ihre Eltern &#x017F;ie ein&#x017F;perren mu&#x0364;ßten, damit<lb/>
&#x017F;ie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch<lb/>
doch wol fragen, Schwe&#x017F;ter, wie ihr jetzt eure<lb/>
Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet?<lb/>
wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr na&#x0364;-<lb/>
het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum<lb/>
Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu<lb/>
der Liebe? Jch fu&#x0364;rchte ich fu&#x0364;rchte, mein kleines<lb/>
liebes Ding, die Liebe &#x017F;t bey dir wie Aharons Stab,<lb/>
und ver&#x017F;chlinget das u&#x0364;brige alles. J&#x017F;t es nicht<lb/>
&#x017F;o? &#x017F;agt es mir doch.</p><lb/>
        <p>Jch antwortete: es &#x017F;ey fu&#x0364;r mich eine doppelte<lb/>
Kra&#x0364;nckung daß ich einem Manne, dem ich kei-<lb/>
nen Danck &#x017F;chuldig &#x017F;eyn wollte, meine Sicherheit<lb/>
vor dem Zorn meines Vaters zu dancken ha&#x0364;tte.<lb/>
Jch &#x017F;uchte hierauf die ehrliche Frau <hi rendition="#fr">Norton</hi> zu<lb/>
ent&#x017F;chuldigen; und das that ich mit &#x017F;olchem Eifer,<lb/>
als ihre Verdien&#x017F;te es erforderten. Mit gleicher<lb/>
Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden<lb/>
Schma&#x0364;hungen, damit &#x017F;ie mich in Ab&#x017F;icht auf Herrn<lb/><hi rendition="#fr">Lsvelace</hi> belegte. Was die Eintheilung meiner<lb/>
Stunden anlangt, &#x017F;o &#x017F;agte ich, es wu&#x0364;rde &#x017F;ich<lb/>
beßer fu&#x0364;r &#x017F;ie ge&#x017F;chickt haben, mit einer unglu&#x0364;ckli-<lb/>
chen Schwe&#x017F;ter Mittleiden zu haben, als u&#x0364;ber &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[479/0499] der Clariſſa. verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher- lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder- te ſich, daß die witzige, die kluge, die gehorſah- me die gott ‒ ‒ ‒ ſee ‒ ‒ ‒ lige Claͤrchen, (das letzte Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt- te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet? wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ- het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab, und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht ſo? ſagt es mir doch. Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei- nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte. Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer, als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli- chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſie zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/499
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/499>, abgerufen am 25.04.2024.