Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Der achtzehente Brief
von
Fräulein Howe an Fräulein Clarissa
Harlowe.
(Eine Antwort auf den achten und vierzehenten
Brief.)

Seyn Sie deswegen nicht so sehr bekümmert,
daß bisweilen zwischen meiner Mutter und
mir ein Streit entstehet. Wir haben uns den-
noch hertzlich lieb. Wenn meine Mutter mit mir
nicht keifen könnte, so müßte sie sonst mit jemand
keifen: und ich bin auch ein eigensinniges Mädchen;
hätte ich diese Gelegenheit nicht, so müßte ich den
Eigensinn auf eine andere Art auslassen.

Jch habe Jhnen sonst erzählet, daß dieses
nichts ungewöhnliches zwischen uns sey: Sie selbst
könnten es nicht wissen, wenn Sie es nicht von
mir gehört hätten. Denn so oft Sie bey uns ge-
wesen sind, haben Sie den Frieden und die Einig-
keit zwischen uns beyden erhalten, und ich habe
mich in der That mehr vor Jhnen als vor meiner
Mutter gefürchtet. Allein diese Furcht war mit
Liebe verknüpft. Jhre Verweise sind beständig sanft,
und mehr ein Unterricht als ein Verweiß zu nennen:
es ist so offenbar, daß sie zur Besserung abzielen,
daß ein aufrichtiges Gemüth sich durch sie bessern
lassen muß. Allein erinnern Sie sich, wie meine
Mutter zu reden pflegte. Hieß es nicht selbst in
Jhrer Gegenwart: Du mußt das thun, meine

Toch-


Der achtzehente Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
(Eine Antwort auf den achten und vierzehenten
Brief.)

Seyn Sie deswegen nicht ſo ſehr bekuͤmmert,
daß bisweilen zwiſchen meiner Mutter und
mir ein Streit entſtehet. Wir haben uns den-
noch hertzlich lieb. Wenn meine Mutter mit mir
nicht keifen koͤnnte, ſo muͤßte ſie ſonſt mit jemand
keifen: und ich bin auch ein eigenſinniges Maͤdchen;
haͤtte ich dieſe Gelegenheit nicht, ſo muͤßte ich den
Eigenſinn auf eine andere Art auslaſſen.

Jch habe Jhnen ſonſt erzaͤhlet, daß dieſes
nichts ungewoͤhnliches zwiſchen uns ſey: Sie ſelbſt
koͤnnten es nicht wiſſen, wenn Sie es nicht von
mir gehoͤrt haͤtten. Denn ſo oft Sie bey uns ge-
weſen ſind, haben Sie den Frieden und die Einig-
keit zwiſchen uns beyden erhalten, und ich habe
mich in der That mehr vor Jhnen als vor meiner
Mutter gefuͤrchtet. Allein dieſe Furcht war mit
Liebe verknuͤpft. Jhre Verweiſe ſind beſtaͤndig ſanft,
und mehr ein Unterricht als ein Verweiß zu nennen:
es iſt ſo offenbar, daß ſie zur Beſſerung abzielen,
daß ein aufrichtiges Gemuͤth ſich durch ſie beſſern
laſſen muß. Allein erinnern Sie ſich, wie meine
Mutter zu reden pflegte. Hieß es nicht ſelbſt in
Jhrer Gegenwart: Du mußt das thun, meine

Toch-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0196" n="182"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der achtzehente Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Howe an Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a<lb/>
Harlowe.</hi></head><lb/>
          <list>
            <item>(Eine Antwort auf den achten und vierzehenten<lb/>
Brief.)</item>
          </list><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>eyn Sie deswegen nicht &#x017F;o &#x017F;ehr beku&#x0364;mmert,<lb/>
daß bisweilen zwi&#x017F;chen meiner Mutter und<lb/>
mir ein Streit ent&#x017F;tehet. Wir haben uns den-<lb/>
noch hertzlich lieb. Wenn meine Mutter mit mir<lb/>
nicht keifen ko&#x0364;nnte, &#x017F;o mu&#x0364;ßte &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t mit jemand<lb/>
keifen: und ich bin auch ein eigen&#x017F;inniges Ma&#x0364;dchen;<lb/>
ha&#x0364;tte ich die&#x017F;e Gelegenheit nicht, &#x017F;o mu&#x0364;ßte ich den<lb/>
Eigen&#x017F;inn auf eine andere Art ausla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Jch habe Jhnen &#x017F;on&#x017F;t erza&#x0364;hlet, daß die&#x017F;es<lb/>
nichts ungewo&#x0364;hnliches zwi&#x017F;chen uns &#x017F;ey: Sie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ko&#x0364;nnten es nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wenn Sie es nicht von<lb/>
mir geho&#x0364;rt ha&#x0364;tten. Denn &#x017F;o oft Sie bey uns ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ind, haben Sie den Frieden und die Einig-<lb/>
keit zwi&#x017F;chen uns beyden erhalten, und ich habe<lb/>
mich in der That mehr vor Jhnen als vor meiner<lb/>
Mutter gefu&#x0364;rchtet. Allein die&#x017F;e Furcht war mit<lb/>
Liebe verknu&#x0364;pft. Jhre Verwei&#x017F;e &#x017F;ind be&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;anft,<lb/>
und mehr ein Unterricht als ein Verweiß zu nennen:<lb/>
es i&#x017F;t &#x017F;o offenbar, daß &#x017F;ie zur Be&#x017F;&#x017F;erung abzielen,<lb/>
daß ein aufrichtiges Gemu&#x0364;th &#x017F;ich durch &#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en muß. Allein erinnern Sie &#x017F;ich, wie meine<lb/>
Mutter zu reden pflegte. Hieß es nicht &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
Jhrer Gegenwart: <hi rendition="#fr">Du mußt das thun, meine</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Toch-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0196] Der achtzehente Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. (Eine Antwort auf den achten und vierzehenten Brief.) Seyn Sie deswegen nicht ſo ſehr bekuͤmmert, daß bisweilen zwiſchen meiner Mutter und mir ein Streit entſtehet. Wir haben uns den- noch hertzlich lieb. Wenn meine Mutter mit mir nicht keifen koͤnnte, ſo muͤßte ſie ſonſt mit jemand keifen: und ich bin auch ein eigenſinniges Maͤdchen; haͤtte ich dieſe Gelegenheit nicht, ſo muͤßte ich den Eigenſinn auf eine andere Art auslaſſen. Jch habe Jhnen ſonſt erzaͤhlet, daß dieſes nichts ungewoͤhnliches zwiſchen uns ſey: Sie ſelbſt koͤnnten es nicht wiſſen, wenn Sie es nicht von mir gehoͤrt haͤtten. Denn ſo oft Sie bey uns ge- weſen ſind, haben Sie den Frieden und die Einig- keit zwiſchen uns beyden erhalten, und ich habe mich in der That mehr vor Jhnen als vor meiner Mutter gefuͤrchtet. Allein dieſe Furcht war mit Liebe verknuͤpft. Jhre Verweiſe ſind beſtaͤndig ſanft, und mehr ein Unterricht als ein Verweiß zu nennen: es iſt ſo offenbar, daß ſie zur Beſſerung abzielen, daß ein aufrichtiges Gemuͤth ſich durch ſie beſſern laſſen muß. Allein erinnern Sie ſich, wie meine Mutter zu reden pflegte. Hieß es nicht ſelbſt in Jhrer Gegenwart: Du mußt das thun, meine Toch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/196
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/196>, abgerufen am 29.03.2024.