Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Der fünf und siebenzigste Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.

Nachdem ich mir die Mühe genommen hatte, dir
von allen meinen Absichten und Entschliessun-
gen gegen diese Crone aller Geschöpfe ausführliche
Nachricht zu geben; so hätte ich nicht erwartet, daß
du, als ihr Vorsprecher, dergleichen Grillen schreiben
würdest, ehe ich noch einen Versuch an sie gethan
habe: da du doch selbst in einem deiner vorigen Brie-
fe der Meynung bist, daß sie in ihren jetzigen Um-
ständen überwindlich sey.

Die meisten von deinen tiefen Betrachtungen, z.
E. daß das Vergnügen sehr verschieden sey, welches
wir freyen Liebhaber von einem sinnlichen und von ei-
nem recht vernünftigen Frauenzimmer zu erwarten
haben, können besser nachher als zum voraus ange-
stellet werden.

Jch gestehe das, was unser Dichter saget:
daß die Freude schön ist, wenn sie uns sucht,
und sich lächelnd in unsern Busen wirft.
Al-
lein kann man wohl erwarten, daß ein so wohl, ja so
vornehm erzogenes Frauenzimmer sich vor dem
Sturm ergeben wird? Habe ich diese Schöne bisher
auch nur aufgefodert? Jch stelle mir allerdings zum
voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde
ich sie unverhofft überfallen. Hiebey könnte einige
Grausamkeit nöthig seyn. Allein man kann sich einan-
der in dem heftigsten Streit verstehen; man kann Wi-

der-
L l 5


Der fuͤnf und ſiebenzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.

Nachdem ich mir die Muͤhe genommen hatte, dir
von allen meinen Abſichten und Entſchlieſſun-
gen gegen dieſe Crone aller Geſchoͤpfe ausfuͤhrliche
Nachricht zu geben; ſo haͤtte ich nicht erwartet, daß
du, als ihr Vorſprecher, dergleichen Grillen ſchreiben
wuͤrdeſt, ehe ich noch einen Verſuch an ſie gethan
habe: da du doch ſelbſt in einem deiner vorigen Brie-
fe der Meynung biſt, daß ſie in ihren jetzigen Um-
ſtaͤnden uͤberwindlich ſey.

Die meiſten von deinen tiefen Betrachtungen, z.
E. daß das Vergnuͤgen ſehr verſchieden ſey, welches
wir freyen Liebhaber von einem ſinnlichen und von ei-
nem recht vernuͤnftigen Frauenzimmer zu erwarten
haben, koͤnnen beſſer nachher als zum voraus ange-
ſtellet werden.

Jch geſtehe das, was unſer Dichter ſaget:
daß die Freude ſchoͤn iſt, wenn ſie uns ſucht,
und ſich laͤchelnd in unſern Buſen wirft.
Al-
lein kann man wohl erwarten, daß ein ſo wohl, ja ſo
vornehm erzogenes Frauenzimmer ſich vor dem
Sturm ergeben wird? Habe ich dieſe Schoͤne bisher
auch nur aufgefodert? Jch ſtelle mir allerdings zum
voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde
ich ſie unverhofft uͤberfallen. Hiebey koͤnnte einige
Grauſamkeit noͤthig ſeyn. Allein man kann ſich einan-
der in dem heftigſten Streit verſtehen; man kann Wi-

der-
L l 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0551" n="537"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der fu&#x0364;nf und &#x017F;iebenzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Mittewochens den 3ten May.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">N</hi>achdem ich mir die Mu&#x0364;he genommen hatte, dir<lb/>
von allen meinen Ab&#x017F;ichten und Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;un-<lb/>
gen gegen die&#x017F;e Crone aller Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe ausfu&#x0364;hrliche<lb/>
Nachricht zu geben; &#x017F;o ha&#x0364;tte ich nicht erwartet, daß<lb/>
du, als ihr Vor&#x017F;precher, dergleichen Grillen &#x017F;chreiben<lb/>
wu&#x0364;rde&#x017F;t, ehe ich noch einen Ver&#x017F;uch an &#x017F;ie gethan<lb/>
habe: da du doch &#x017F;elb&#x017F;t in einem deiner vorigen Brie-<lb/>
fe der Meynung bi&#x017F;t, daß &#x017F;ie in ihren jetzigen Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden u&#x0364;berwindlich &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Die mei&#x017F;ten von deinen tiefen Betrachtungen, z.<lb/>
E. daß das Vergnu&#x0364;gen &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden &#x017F;ey, welches<lb/>
wir freyen Liebhaber von einem &#x017F;innlichen und von ei-<lb/>
nem recht vernu&#x0364;nftigen Frauenzimmer zu erwarten<lb/>
haben, ko&#x0364;nnen be&#x017F;&#x017F;er nachher als zum voraus ange-<lb/>
&#x017F;tellet werden.</p><lb/>
          <p>Jch ge&#x017F;tehe das, was un&#x017F;er Dichter &#x017F;aget:<lb/><hi rendition="#fr">daß die Freude &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie uns &#x017F;ucht,<lb/>
und &#x017F;ich la&#x0364;chelnd in un&#x017F;ern Bu&#x017F;en wirft.</hi> Al-<lb/>
lein kann man wohl erwarten, daß ein &#x017F;o wohl, ja &#x017F;o<lb/>
vornehm erzogenes Frauenzimmer &#x017F;ich vor dem<lb/>
Sturm ergeben wird? Habe ich die&#x017F;e Scho&#x0364;ne bisher<lb/>
auch nur aufgefodert? Jch &#x017F;telle mir allerdings zum<lb/>
voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde<lb/>
ich &#x017F;ie unverhofft u&#x0364;berfallen. Hiebey ko&#x0364;nnte einige<lb/>
Grau&#x017F;amkeit no&#x0364;thig &#x017F;eyn. Allein man kann &#x017F;ich einan-<lb/>
der in dem heftig&#x017F;ten Streit ver&#x017F;tehen; man kann Wi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l 5</fw><fw place="bottom" type="catch">der-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0551] Der fuͤnf und ſiebenzigſte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Mittewochens den 3ten May. Nachdem ich mir die Muͤhe genommen hatte, dir von allen meinen Abſichten und Entſchlieſſun- gen gegen dieſe Crone aller Geſchoͤpfe ausfuͤhrliche Nachricht zu geben; ſo haͤtte ich nicht erwartet, daß du, als ihr Vorſprecher, dergleichen Grillen ſchreiben wuͤrdeſt, ehe ich noch einen Verſuch an ſie gethan habe: da du doch ſelbſt in einem deiner vorigen Brie- fe der Meynung biſt, daß ſie in ihren jetzigen Um- ſtaͤnden uͤberwindlich ſey. Die meiſten von deinen tiefen Betrachtungen, z. E. daß das Vergnuͤgen ſehr verſchieden ſey, welches wir freyen Liebhaber von einem ſinnlichen und von ei- nem recht vernuͤnftigen Frauenzimmer zu erwarten haben, koͤnnen beſſer nachher als zum voraus ange- ſtellet werden. Jch geſtehe das, was unſer Dichter ſaget: daß die Freude ſchoͤn iſt, wenn ſie uns ſucht, und ſich laͤchelnd in unſern Buſen wirft. Al- lein kann man wohl erwarten, daß ein ſo wohl, ja ſo vornehm erzogenes Frauenzimmer ſich vor dem Sturm ergeben wird? Habe ich dieſe Schoͤne bisher auch nur aufgefodert? Jch ſtelle mir allerdings zum voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde ich ſie unverhofft uͤberfallen. Hiebey koͤnnte einige Grauſamkeit noͤthig ſeyn. Allein man kann ſich einan- der in dem heftigſten Streit verſtehen; man kann Wi- der- L l 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/551
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/551>, abgerufen am 19.04.2024.