Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ster ging gleichfalls auf den Graben, und wenn beide Nachbarn zu ihren Fenstern hinaussprachen, so konnten sie sich recht gut unterhalten, doch ohne einander zu sehen, und Niemand, außer den Fröschen, belauschte ihr Zwiegespräch.

Auf ganz eigene Art hatte dieser Verkehr begonnen. Jörg erhielt nämlich die erste Kunde von seiner Nachbarin, indem er sie laut beten hörte. Es war kein weiches, demüthiges Beten, sondern heftig, fast stürmisch, als ob die Alte eher Befehle als Bitten an unsern Herrgott zu schicken habe. Jörg hatte nie beten gelernt, weder laut noch leise, und anfangs däuchte ihm die Andacht der Alten sehr wunderlich; allmählich aber imponirte es ihm, daß ein altes Weib so nachdrücklich mit Gott zu sprechen sich getraue, und er meinte, die da neben müsse wohl baumstark sein und zehn Männer im Zaum halten können.

Er gab übrigens seinerseits nicht das erste Wort zum Gespräch, sondern wartete, bis die Nachbarin seine Anwesenheit erlauschte und ihn anredete. Auch heroische Weiber plaudern gern. So brachte eine Rede die andere, und bald waren die beiden Leidensgenossen recht vertraut mit einander, ohne daß sie sich jemals gesehen hatten. Das Ohr mußte zugleich Auge sein. Anfangs warf Jörg der Nachbarin manchen trotzigen und spöttischen Satz in die freundliche Ansprache; allein die Alte antwortete immer so mild und doch so überlegen, daß Jörg's Uebermuth bald gezähmt war.

ster ging gleichfalls auf den Graben, und wenn beide Nachbarn zu ihren Fenstern hinaussprachen, so konnten sie sich recht gut unterhalten, doch ohne einander zu sehen, und Niemand, außer den Fröschen, belauschte ihr Zwiegespräch.

Auf ganz eigene Art hatte dieser Verkehr begonnen. Jörg erhielt nämlich die erste Kunde von seiner Nachbarin, indem er sie laut beten hörte. Es war kein weiches, demüthiges Beten, sondern heftig, fast stürmisch, als ob die Alte eher Befehle als Bitten an unsern Herrgott zu schicken habe. Jörg hatte nie beten gelernt, weder laut noch leise, und anfangs däuchte ihm die Andacht der Alten sehr wunderlich; allmählich aber imponirte es ihm, daß ein altes Weib so nachdrücklich mit Gott zu sprechen sich getraue, und er meinte, die da neben müsse wohl baumstark sein und zehn Männer im Zaum halten können.

Er gab übrigens seinerseits nicht das erste Wort zum Gespräch, sondern wartete, bis die Nachbarin seine Anwesenheit erlauschte und ihn anredete. Auch heroische Weiber plaudern gern. So brachte eine Rede die andere, und bald waren die beiden Leidensgenossen recht vertraut mit einander, ohne daß sie sich jemals gesehen hatten. Das Ohr mußte zugleich Auge sein. Anfangs warf Jörg der Nachbarin manchen trotzigen und spöttischen Satz in die freundliche Ansprache; allein die Alte antwortete immer so mild und doch so überlegen, daß Jörg's Uebermuth bald gezähmt war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0013"/>
ster ging gleichfalls                auf den Graben, und wenn beide Nachbarn zu ihren Fenstern hinaussprachen, so konnten                sie sich recht gut unterhalten, doch ohne einander zu sehen, und Niemand, außer den                Fröschen, belauschte ihr Zwiegespräch.</p><lb/>
        <p>Auf ganz eigene Art hatte dieser Verkehr begonnen. Jörg erhielt nämlich die erste                Kunde von seiner Nachbarin, indem er sie laut beten hörte. Es war kein weiches,                demüthiges Beten, sondern heftig, fast stürmisch, als ob die Alte eher Befehle als                Bitten an unsern Herrgott zu schicken habe. Jörg hatte nie beten gelernt, weder laut                noch leise, und anfangs däuchte ihm die Andacht der Alten sehr wunderlich; allmählich                aber imponirte es ihm, daß ein altes Weib so nachdrücklich mit Gott zu sprechen sich                getraue, und er meinte, die da neben müsse wohl baumstark sein und zehn Männer im                Zaum halten können.</p><lb/>
        <p>Er gab übrigens seinerseits nicht das erste Wort zum Gespräch, sondern wartete, bis                die Nachbarin seine Anwesenheit erlauschte und ihn anredete. Auch heroische Weiber                plaudern gern. So brachte eine Rede die andere, und bald waren die beiden                Leidensgenossen recht vertraut mit einander, ohne daß sie sich jemals gesehen hatten.                Das Ohr mußte zugleich Auge sein. Anfangs warf Jörg der Nachbarin manchen trotzigen                und spöttischen Satz in die freundliche Ansprache; allein die Alte antwortete immer                so mild und doch so überlegen, daß Jörg's Uebermuth bald gezähmt war.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] ster ging gleichfalls auf den Graben, und wenn beide Nachbarn zu ihren Fenstern hinaussprachen, so konnten sie sich recht gut unterhalten, doch ohne einander zu sehen, und Niemand, außer den Fröschen, belauschte ihr Zwiegespräch. Auf ganz eigene Art hatte dieser Verkehr begonnen. Jörg erhielt nämlich die erste Kunde von seiner Nachbarin, indem er sie laut beten hörte. Es war kein weiches, demüthiges Beten, sondern heftig, fast stürmisch, als ob die Alte eher Befehle als Bitten an unsern Herrgott zu schicken habe. Jörg hatte nie beten gelernt, weder laut noch leise, und anfangs däuchte ihm die Andacht der Alten sehr wunderlich; allmählich aber imponirte es ihm, daß ein altes Weib so nachdrücklich mit Gott zu sprechen sich getraue, und er meinte, die da neben müsse wohl baumstark sein und zehn Männer im Zaum halten können. Er gab übrigens seinerseits nicht das erste Wort zum Gespräch, sondern wartete, bis die Nachbarin seine Anwesenheit erlauschte und ihn anredete. Auch heroische Weiber plaudern gern. So brachte eine Rede die andere, und bald waren die beiden Leidensgenossen recht vertraut mit einander, ohne daß sie sich jemals gesehen hatten. Das Ohr mußte zugleich Auge sein. Anfangs warf Jörg der Nachbarin manchen trotzigen und spöttischen Satz in die freundliche Ansprache; allein die Alte antwortete immer so mild und doch so überlegen, daß Jörg's Uebermuth bald gezähmt war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:09:41Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/13
Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/13>, abgerufen am 28.03.2024.