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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Tiefen desselben die äußerste Entzweiung hervor. Daß Scheu߬
liche vornämlich ist dasjenige Häßliche, dessen die Kunst gar
nicht entbehren kann, will sie nicht auf die Darstellung des
Bösen verzichten und in einer oberflächlichen und beschränkten
Weltauffassung sich bewegen, deren Ziel nur die angenehme
Unterhaltung wäre. Das Scheußliche ist nun: 1. ideeller
Weise das Abgeschmackte, die Negation der Idee im schlecht¬
hin Sinnlosen; 2. reeller Weise das Ekelhafte, die Negation
aller Schönheit der sinnlichen Erscheinung der Idee: 3. ideel¬
reeller Weise das Böse, die Negation sowohl des Begriffs
der Idee des Wahren und Guten, als auch der Realität
dieses Begriffs in der Schönheit der Erscheinung. Das Böse
ist der Gipfel des Scheußlichen als die positive, absolute
Unidee. Die Kunst darf nicht nur aller dieser Formen des
Häßlichen sich bedienen, sondern sie muß es unter gewissen
Bedingungen. Die allgemeinen Bedingungen sind von uns
in der Einleitung erörtert; es sind diejenigen, ohne welche
die Darstellung des Häßlichen überhaupt nicht zulässig ist.
Das Scheußliche darf also niemals Selbstzweck sein; es darf
nicht isolirt werden; es muß durch die Nothwendigkeit her¬
ausgefordert sein, die Freiheit in ihrer Totalität zu schildern,
und endlich muß es eben so idealisirt werden, wie alle Er¬
scheinung überhaupt. Sehen wir nun aber zu, worin die
besondern Bedingungen seiner ästhetischen Möglichkeit bestehen.

a) Das Abgeschmackte.

Das Scheußliche im Allgemeinen widerstreitet der
Vernunft und Freiheit. Als Abgeschmacktes stellt es diesen
Widerstreit in einer Form dar, die vorzüglich den Verstand
durch die grundlose Negation des Gesetzes der Causalität
und die Phantasie durch die daraus sich ergebende Zusam¬

Tiefen deſſelben die äußerſte Entzweiung hervor. Daß Scheu߬
liche vornämlich iſt dasjenige Häßliche, deſſen die Kunſt gar
nicht entbehren kann, will ſie nicht auf die Darſtellung des
Böſen verzichten und in einer oberflächlichen und beſchränkten
Weltauffaſſung ſich bewegen, deren Ziel nur die angenehme
Unterhaltung wäre. Das Scheußliche iſt nun: 1. ideeller
Weiſe das Abgeſchmackte, die Negation der Idee im ſchlecht¬
hin Sinnloſen; 2. reeller Weiſe das Ekelhafte, die Negation
aller Schönheit der ſinnlichen Erſcheinung der Idee: 3. ideel¬
reeller Weiſe das Böſe, die Negation ſowohl des Begriffs
der Idee des Wahren und Guten, als auch der Realität
dieſes Begriffs in der Schönheit der Erſcheinung. Das Böſe
iſt der Gipfel des Scheußlichen als die poſitive, abſolute
Unidee. Die Kunſt darf nicht nur aller dieſer Formen des
Häßlichen ſich bedienen, ſondern ſie muß es unter gewiſſen
Bedingungen. Die allgemeinen Bedingungen ſind von uns
in der Einleitung erörtert; es ſind diejenigen, ohne welche
die Darſtellung des Häßlichen überhaupt nicht zuläſſig iſt.
Das Scheußliche darf alſo niemals Selbſtzweck ſein; es darf
nicht iſolirt werden; es muß durch die Nothwendigkeit her¬
ausgefordert ſein, die Freiheit in ihrer Totalität zu ſchildern,
und endlich muß es eben ſo idealiſirt werden, wie alle Er¬
ſcheinung überhaupt. Sehen wir nun aber zu, worin die
beſondern Bedingungen ſeiner äſthetiſchen Möglichkeit beſtehen.

a) Das Abgeſchmackte.

Das Scheußliche im Allgemeinen widerſtreitet der
Vernunft und Freiheit. Als Abgeſchmacktes ſtellt es dieſen
Widerſtreit in einer Form dar, die vorzüglich den Verſtand
durch die grundloſe Negation des Geſetzes der Cauſalität
und die Phantaſie durch die daraus ſich ergebende Zuſam¬

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[300/0322] Tiefen deſſelben die äußerſte Entzweiung hervor. Daß Scheu߬ liche vornämlich iſt dasjenige Häßliche, deſſen die Kunſt gar nicht entbehren kann, will ſie nicht auf die Darſtellung des Böſen verzichten und in einer oberflächlichen und beſchränkten Weltauffaſſung ſich bewegen, deren Ziel nur die angenehme Unterhaltung wäre. Das Scheußliche iſt nun: 1. ideeller Weiſe das Abgeſchmackte, die Negation der Idee im ſchlecht¬ hin Sinnloſen; 2. reeller Weiſe das Ekelhafte, die Negation aller Schönheit der ſinnlichen Erſcheinung der Idee: 3. ideel¬ reeller Weiſe das Böſe, die Negation ſowohl des Begriffs der Idee des Wahren und Guten, als auch der Realität dieſes Begriffs in der Schönheit der Erſcheinung. Das Böſe iſt der Gipfel des Scheußlichen als die poſitive, abſolute Unidee. Die Kunſt darf nicht nur aller dieſer Formen des Häßlichen ſich bedienen, ſondern ſie muß es unter gewiſſen Bedingungen. Die allgemeinen Bedingungen ſind von uns in der Einleitung erörtert; es ſind diejenigen, ohne welche die Darſtellung des Häßlichen überhaupt nicht zuläſſig iſt. Das Scheußliche darf alſo niemals Selbſtzweck ſein; es darf nicht iſolirt werden; es muß durch die Nothwendigkeit her¬ ausgefordert ſein, die Freiheit in ihrer Totalität zu ſchildern, und endlich muß es eben ſo idealiſirt werden, wie alle Er¬ ſcheinung überhaupt. Sehen wir nun aber zu, worin die beſondern Bedingungen ſeiner äſthetiſchen Möglichkeit beſtehen. a) Das Abgeſchmackte. Das Scheußliche im Allgemeinen widerſtreitet der Vernunft und Freiheit. Als Abgeſchmacktes ſtellt es dieſen Widerſtreit in einer Form dar, die vorzüglich den Verſtand durch die grundloſe Negation des Geſetzes der Cauſalität und die Phantaſie durch die daraus ſich ergebende Zuſam¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/322>, abgerufen am 28.03.2024.