Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Scheingründe für den Selbstmord.
ferinn derselben) zu gehen angefangen, bey
seinem rechten Namen zu nennen.

Wer Mensch ist, und die Würde
fühlt, Mensch zu seyn, dankt es der Stern-
kunde, daß sie uns den kühnen Gedanken
verschaft: So viele Fixsterne, so viele
Sonnen; so viele Sonnen, so viele Wel-
ten Gottes.
Allein, wenn dieser Gedan-
ke den Menschen über die kleine Erde erhebt,
und ihm den Begriff von Gottes Allmacht
erweitert: so drückt uns ein zweyter Gedan-
ke, der von einigen Denkern, oder Nachbe-
tern als gleich richtig angenommen, und mit
Geräusch gepredigt wird, tief in den Erde-
staub herunter. Der Gedanke heißt: Wie
wenig, wie gering, wie nichts ist der
Mensch gegen das Universum?
Dieser
Gedanke ist falsch, ist menschenwürdeschän-
dend, ist Unphilosophie.

Er ist falsch. Denn es mag die
Schöpfung noch so viele, unzähliche Wel-
ten in sich begreifen: so bleibt es doch im-
mer wahr, daß der Erdbewohner, der Mensch
heißt, Bild Gottes ist -- und also alle

tausend-

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
ferinn derſelben) zu gehen angefangen, bey
ſeinem rechten Namen zu nennen.

Wer Menſch iſt, und die Wuͤrde
fuͤhlt, Menſch zu ſeyn, dankt es der Stern-
kunde, daß ſie uns den kuͤhnen Gedanken
verſchaft: So viele Fixſterne, ſo viele
Sonnen; ſo viele Sonnen, ſo viele Wel-
ten Gottes.
Allein, wenn dieſer Gedan-
ke den Menſchen uͤber die kleine Erde erhebt,
und ihm den Begriff von Gottes Allmacht
erweitert: ſo druͤckt uns ein zweyter Gedan-
ke, der von einigen Denkern, oder Nachbe-
tern als gleich richtig angenommen, und mit
Geraͤuſch gepredigt wird, tief in den Erde-
ſtaub herunter. Der Gedanke heißt: Wie
wenig, wie gering, wie nichts iſt der
Menſch gegen das Univerſum?
Dieſer
Gedanke iſt falſch, iſt menſchenwuͤrdeſchaͤn-
dend, iſt Unphiloſophie.

Er iſt falſch. Denn es mag die
Schoͤpfung noch ſo viele, unzaͤhliche Wel-
ten in ſich begreifen: ſo bleibt es doch im-
mer wahr, daß der Erdbewohner, der Menſch
heißt, Bild Gottes iſt — und alſo alle

tauſend-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="111"/><fw place="top" type="header">Scheingru&#x0364;nde fu&#x0364;r den Selb&#x017F;tmord.</fw><lb/>
ferinn der&#x017F;elben) zu gehen angefangen, bey<lb/>
&#x017F;einem rechten Namen zu nennen.</p><lb/>
          <p>Wer Men&#x017F;ch i&#x017F;t, und die Wu&#x0364;rde<lb/>
fu&#x0364;hlt, Men&#x017F;ch zu &#x017F;eyn, dankt es der Stern-<lb/>
kunde, daß &#x017F;ie uns den ku&#x0364;hnen Gedanken<lb/>
ver&#x017F;chaft: <hi rendition="#fr">So viele Fix&#x017F;terne, &#x017F;o viele<lb/>
Sonnen; &#x017F;o viele Sonnen, &#x017F;o viele Wel-<lb/>
ten Gottes.</hi> Allein, wenn die&#x017F;er Gedan-<lb/>
ke den Men&#x017F;chen u&#x0364;ber die kleine Erde erhebt,<lb/>
und ihm den Begriff von Gottes Allmacht<lb/>
erweitert: &#x017F;o dru&#x0364;ckt uns ein zweyter Gedan-<lb/>
ke, der von einigen Denkern, oder Nachbe-<lb/>
tern als gleich richtig angenommen, und mit<lb/>
Gera&#x0364;u&#x017F;ch gepredigt wird, tief in den Erde-<lb/>
&#x017F;taub herunter. Der Gedanke heißt: <hi rendition="#fr">Wie<lb/>
wenig, wie gering, wie nichts i&#x017F;t der<lb/>
Men&#x017F;ch gegen das Univer&#x017F;um?</hi> Die&#x017F;er<lb/>
Gedanke i&#x017F;t fal&#x017F;ch, i&#x017F;t men&#x017F;chenwu&#x0364;rde&#x017F;cha&#x0364;n-<lb/>
dend, i&#x017F;t Unphilo&#x017F;ophie.</p><lb/>
          <p>Er i&#x017F;t fal&#x017F;ch. Denn es mag die<lb/>
Scho&#x0364;pfung noch &#x017F;o viele, unza&#x0364;hliche Wel-<lb/>
ten in &#x017F;ich begreifen: &#x017F;o bleibt es doch im-<lb/>
mer wahr, daß der Erdbewohner, der Men&#x017F;ch<lb/>
heißt, <hi rendition="#fr">Bild Gottes</hi> i&#x017F;t &#x2014; und al&#x017F;o alle<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tau&#x017F;end-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0123] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. ferinn derſelben) zu gehen angefangen, bey ſeinem rechten Namen zu nennen. Wer Menſch iſt, und die Wuͤrde fuͤhlt, Menſch zu ſeyn, dankt es der Stern- kunde, daß ſie uns den kuͤhnen Gedanken verſchaft: So viele Fixſterne, ſo viele Sonnen; ſo viele Sonnen, ſo viele Wel- ten Gottes. Allein, wenn dieſer Gedan- ke den Menſchen uͤber die kleine Erde erhebt, und ihm den Begriff von Gottes Allmacht erweitert: ſo druͤckt uns ein zweyter Gedan- ke, der von einigen Denkern, oder Nachbe- tern als gleich richtig angenommen, und mit Geraͤuſch gepredigt wird, tief in den Erde- ſtaub herunter. Der Gedanke heißt: Wie wenig, wie gering, wie nichts iſt der Menſch gegen das Univerſum? Dieſer Gedanke iſt falſch, iſt menſchenwuͤrdeſchaͤn- dend, iſt Unphiloſophie. Er iſt falſch. Denn es mag die Schoͤpfung noch ſo viele, unzaͤhliche Wel- ten in ſich begreifen: ſo bleibt es doch im- mer wahr, daß der Erdbewohner, der Menſch heißt, Bild Gottes iſt — und alſo alle tauſend-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/123
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/123>, abgerufen am 29.03.2024.