Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Papier und die vervielfältigenden Künste.
von Mensch zu Mensch, von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf er-
möglicht war, stellte sich bald das Bedürfnis heraus, auch jemandem,
den man nicht sprechen oder sehen konnte, ohne Vermittlung eines
dritten, Nachrichten zukommen zu lassen. Vielleicht ist es die Sehn-
sucht zweier Liebenden, die durch besondere Umstände am mündlichen
Verkehr verhindert waren, gewesen, die sie zuerst zu dem großen Schritt
führte, Zeichen mit einander zu verabreden, die, in Baumrinde ein-
geritzt oder in weiches Gestein eingehauen, dem einen Kunde vom
andern geben sollten. War so in irgend einer Art die erste Idee ge-
geben, so mußte notwendig im Anschluß daran allmählich der Über-
gang zur vollkommenen Schrift erfolgen, die wir sich in der That bei den
verschiedensten Völkern in den mannigfachsten Formen, aber immer im
Übergange von der Zeichenschrift zur Buchstabenschrift entwickeln sehen.

Neben der zunächst rein praktischen Erfindung der Schrift entstand
aber bald eine künstlerische, die der Skulptur und Malerei. Bei manchen
Völkern hat der diesen Künsten zu Grunde liegende Trieb der Nach-
ahmung der in der Natur vorhandenen Gegenstände sogar gewiß die
Grundlage zur Erfindung der Schrift abgegeben. Mehr und mehr
erstarkt nun das Schönheitsgefühl im Menschen, sodaß Skulptur und
Malerei mit der Zeit unentbehrliche Errungenschaften der Menschheit
werden, die sich bei manchen Völkern in ihren erhabensten Erzeugnissen
zu wunderbarer Vollkommenheit ausbildeten, andererseits aber in un-
geahnter Weise bei jedem, auch dem kleinsten Gebrauchsgegenstand
Verwendung fanden.

War man nun durch die Kunst der Schrift, Bildhauerei und
Malerei in den Stand gesetzt, seine Gedanken, Gefühle, Empfindungen
und Auffassungen seinen Mitmenschen mitzuteilen, so war doch der
Kreis dieser Mitmenschen ein recht beschränkter, solange die Verviel-
fältigung eines solchen Werkes immer noch in der gleichen Weise er-
folgen mußte, wie das Werk zuerst entstanden war. Die notwendige
Folge immer weiteren Kulturfortschritts war das Streben, Methoden
zu erfinden, die eine schnelle und häufige mechanische Vervielfältigung
von Kunst-, und Schriftwerken gestatteten. Der Anfang dazu wurde
in der Kunst durch die Erfindung des Holzschnitts gemacht, aber
auch nur der Anfang, während auf dem Gebiete der Schrift nicht viel
später der große Schritt geschah, aber auch gleich in außerordentlich
vollkommener Form. Die Buchdruckerkunst erblickte das Licht der Welt
in einem methodisch so abgerundeten und vorzüglichen Zustande, wie
selten eine Erfindung. Im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrte sich
die Zahl der vervielfältigenden Künste außerordentlich. Kupferstich,
Stahlstich, Lithographie, Öldruck, Farbendruck, Heliogravüre, Zinko-
graphie etc. wurden Eigentum der ringenden Menschheit.

Gekrönt wurden aber alle solche Bestrebungen durch die Erfindung
der Photographie, die es ermöglichte, ein naturgetreues Abbild eines
Gegenstandes ohne das Zwischenglied eines von Menschenhänden an-

Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.
von Menſch zu Menſch, von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf er-
möglicht war, ſtellte ſich bald das Bedürfnis heraus, auch jemandem,
den man nicht ſprechen oder ſehen konnte, ohne Vermittlung eines
dritten, Nachrichten zukommen zu laſſen. Vielleicht iſt es die Sehn-
ſucht zweier Liebenden, die durch beſondere Umſtände am mündlichen
Verkehr verhindert waren, geweſen, die ſie zuerſt zu dem großen Schritt
führte, Zeichen mit einander zu verabreden, die, in Baumrinde ein-
geritzt oder in weiches Geſtein eingehauen, dem einen Kunde vom
andern geben ſollten. War ſo in irgend einer Art die erſte Idee ge-
geben, ſo mußte notwendig im Anſchluß daran allmählich der Über-
gang zur vollkommenen Schrift erfolgen, die wir ſich in der That bei den
verſchiedenſten Völkern in den mannigfachſten Formen, aber immer im
Übergange von der Zeichenſchrift zur Buchſtabenſchrift entwickeln ſehen.

Neben der zunächſt rein praktiſchen Erfindung der Schrift entſtand
aber bald eine künſtleriſche, die der Skulptur und Malerei. Bei manchen
Völkern hat der dieſen Künſten zu Grunde liegende Trieb der Nach-
ahmung der in der Natur vorhandenen Gegenſtände ſogar gewiß die
Grundlage zur Erfindung der Schrift abgegeben. Mehr und mehr
erſtarkt nun das Schönheitsgefühl im Menſchen, ſodaß Skulptur und
Malerei mit der Zeit unentbehrliche Errungenſchaften der Menſchheit
werden, die ſich bei manchen Völkern in ihren erhabenſten Erzeugniſſen
zu wunderbarer Vollkommenheit ausbildeten, andererſeits aber in un-
geahnter Weiſe bei jedem, auch dem kleinſten Gebrauchsgegenſtand
Verwendung fanden.

War man nun durch die Kunſt der Schrift, Bildhauerei und
Malerei in den Stand geſetzt, ſeine Gedanken, Gefühle, Empfindungen
und Auffaſſungen ſeinen Mitmenſchen mitzuteilen, ſo war doch der
Kreis dieſer Mitmenſchen ein recht beſchränkter, ſolange die Verviel-
fältigung eines ſolchen Werkes immer noch in der gleichen Weiſe er-
folgen mußte, wie das Werk zuerſt entſtanden war. Die notwendige
Folge immer weiteren Kulturfortſchritts war das Streben, Methoden
zu erfinden, die eine ſchnelle und häufige mechaniſche Vervielfältigung
von Kunſt-, und Schriftwerken geſtatteten. Der Anfang dazu wurde
in der Kunſt durch die Erfindung des Holzſchnitts gemacht, aber
auch nur der Anfang, während auf dem Gebiete der Schrift nicht viel
ſpäter der große Schritt geſchah, aber auch gleich in außerordentlich
vollkommener Form. Die Buchdruckerkunſt erblickte das Licht der Welt
in einem methodiſch ſo abgerundeten und vorzüglichen Zuſtande, wie
ſelten eine Erfindung. Im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrte ſich
die Zahl der vervielfältigenden Künſte außerordentlich. Kupferſtich,
Stahlſtich, Lithographie, Öldruck, Farbendruck, Heliogravüre, Zinko-
graphie ꝛc. wurden Eigentum der ringenden Menſchheit.

Gekrönt wurden aber alle ſolche Beſtrebungen durch die Erfindung
der Photographie, die es ermöglichte, ein naturgetreues Abbild eines
Gegenſtandes ohne das Zwiſchenglied eines von Menſchenhänden an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0952" n="934"/><fw place="top" type="header">Das Papier und die vervielfältigenden Kün&#x017F;te.</fw><lb/>
von Men&#x017F;ch zu Men&#x017F;ch, von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf er-<lb/>
möglicht war, &#x017F;tellte &#x017F;ich bald das Bedürfnis heraus, auch jemandem,<lb/>
den man nicht &#x017F;prechen oder &#x017F;ehen konnte, ohne Vermittlung eines<lb/>
dritten, Nachrichten zukommen zu la&#x017F;&#x017F;en. Vielleicht i&#x017F;t es die Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht zweier Liebenden, die durch be&#x017F;ondere Um&#x017F;tände am mündlichen<lb/>
Verkehr verhindert waren, gewe&#x017F;en, die &#x017F;ie zuer&#x017F;t zu dem großen Schritt<lb/>
führte, Zeichen mit einander zu verabreden, die, in Baumrinde ein-<lb/>
geritzt oder in weiches Ge&#x017F;tein eingehauen, dem einen Kunde vom<lb/>
andern geben &#x017F;ollten. War &#x017F;o in irgend einer Art die er&#x017F;te Idee ge-<lb/>
geben, &#x017F;o mußte notwendig im An&#x017F;chluß daran allmählich der Über-<lb/>
gang zur vollkommenen Schrift erfolgen, die wir &#x017F;ich in der That bei den<lb/>
ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Völkern in den mannigfach&#x017F;ten Formen, aber immer im<lb/>
Übergange von der Zeichen&#x017F;chrift zur Buch&#x017F;taben&#x017F;chrift entwickeln &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Neben der zunäch&#x017F;t rein prakti&#x017F;chen Erfindung der Schrift ent&#x017F;tand<lb/>
aber bald eine kün&#x017F;tleri&#x017F;che, die der Skulptur und Malerei. Bei manchen<lb/>
Völkern hat der die&#x017F;en Kün&#x017F;ten zu Grunde liegende Trieb der Nach-<lb/>
ahmung der in der Natur vorhandenen Gegen&#x017F;tände &#x017F;ogar gewiß die<lb/>
Grundlage zur Erfindung der Schrift abgegeben. Mehr und mehr<lb/>
er&#x017F;tarkt nun das Schönheitsgefühl im Men&#x017F;chen, &#x017F;odaß Skulptur und<lb/>
Malerei mit der Zeit unentbehrliche Errungen&#x017F;chaften der Men&#x017F;chheit<lb/>
werden, die &#x017F;ich bei manchen Völkern in ihren erhaben&#x017F;ten Erzeugni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu wunderbarer Vollkommenheit ausbildeten, anderer&#x017F;eits aber in un-<lb/>
geahnter Wei&#x017F;e bei jedem, auch dem klein&#x017F;ten Gebrauchsgegen&#x017F;tand<lb/>
Verwendung fanden.</p><lb/>
          <p>War man nun durch die Kun&#x017F;t der Schrift, Bildhauerei und<lb/>
Malerei in den Stand ge&#x017F;etzt, &#x017F;eine Gedanken, Gefühle, Empfindungen<lb/>
und Auffa&#x017F;&#x017F;ungen &#x017F;einen Mitmen&#x017F;chen mitzuteilen, &#x017F;o war doch der<lb/>
Kreis die&#x017F;er Mitmen&#x017F;chen ein recht be&#x017F;chränkter, &#x017F;olange die Verviel-<lb/>
fältigung eines &#x017F;olchen Werkes immer noch in der gleichen Wei&#x017F;e er-<lb/>
folgen mußte, wie das Werk zuer&#x017F;t ent&#x017F;tanden war. Die notwendige<lb/>
Folge immer weiteren Kulturfort&#x017F;chritts war das Streben, Methoden<lb/>
zu erfinden, die eine &#x017F;chnelle und häufige mechani&#x017F;che Vervielfältigung<lb/>
von Kun&#x017F;t-, und Schriftwerken ge&#x017F;tatteten. Der Anfang dazu wurde<lb/>
in der Kun&#x017F;t durch die Erfindung des Holz&#x017F;chnitts gemacht, aber<lb/>
auch nur der Anfang, während auf dem Gebiete der Schrift nicht viel<lb/>
&#x017F;päter der große Schritt ge&#x017F;chah, aber auch gleich in außerordentlich<lb/>
vollkommener Form. Die Buchdruckerkun&#x017F;t erblickte das Licht der Welt<lb/>
in einem methodi&#x017F;ch &#x017F;o abgerundeten und vorzüglichen Zu&#x017F;tande, wie<lb/>
&#x017F;elten eine Erfindung. Im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrte &#x017F;ich<lb/>
die Zahl der vervielfältigenden Kün&#x017F;te außerordentlich. Kupfer&#x017F;tich,<lb/>
Stahl&#x017F;tich, Lithographie, Öldruck, Farbendruck, Heliogravüre, Zinko-<lb/>
graphie &#xA75B;c. wurden Eigentum der ringenden Men&#x017F;chheit.</p><lb/>
          <p>Gekrönt wurden aber alle &#x017F;olche Be&#x017F;trebungen durch die Erfindung<lb/>
der Photographie, die es ermöglichte, ein naturgetreues Abbild eines<lb/>
Gegen&#x017F;tandes ohne das Zwi&#x017F;chenglied eines von Men&#x017F;chenhänden an-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[934/0952] Das Papier und die vervielfältigenden Künſte. von Menſch zu Menſch, von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf er- möglicht war, ſtellte ſich bald das Bedürfnis heraus, auch jemandem, den man nicht ſprechen oder ſehen konnte, ohne Vermittlung eines dritten, Nachrichten zukommen zu laſſen. Vielleicht iſt es die Sehn- ſucht zweier Liebenden, die durch beſondere Umſtände am mündlichen Verkehr verhindert waren, geweſen, die ſie zuerſt zu dem großen Schritt führte, Zeichen mit einander zu verabreden, die, in Baumrinde ein- geritzt oder in weiches Geſtein eingehauen, dem einen Kunde vom andern geben ſollten. War ſo in irgend einer Art die erſte Idee ge- geben, ſo mußte notwendig im Anſchluß daran allmählich der Über- gang zur vollkommenen Schrift erfolgen, die wir ſich in der That bei den verſchiedenſten Völkern in den mannigfachſten Formen, aber immer im Übergange von der Zeichenſchrift zur Buchſtabenſchrift entwickeln ſehen. Neben der zunächſt rein praktiſchen Erfindung der Schrift entſtand aber bald eine künſtleriſche, die der Skulptur und Malerei. Bei manchen Völkern hat der dieſen Künſten zu Grunde liegende Trieb der Nach- ahmung der in der Natur vorhandenen Gegenſtände ſogar gewiß die Grundlage zur Erfindung der Schrift abgegeben. Mehr und mehr erſtarkt nun das Schönheitsgefühl im Menſchen, ſodaß Skulptur und Malerei mit der Zeit unentbehrliche Errungenſchaften der Menſchheit werden, die ſich bei manchen Völkern in ihren erhabenſten Erzeugniſſen zu wunderbarer Vollkommenheit ausbildeten, andererſeits aber in un- geahnter Weiſe bei jedem, auch dem kleinſten Gebrauchsgegenſtand Verwendung fanden. War man nun durch die Kunſt der Schrift, Bildhauerei und Malerei in den Stand geſetzt, ſeine Gedanken, Gefühle, Empfindungen und Auffaſſungen ſeinen Mitmenſchen mitzuteilen, ſo war doch der Kreis dieſer Mitmenſchen ein recht beſchränkter, ſolange die Verviel- fältigung eines ſolchen Werkes immer noch in der gleichen Weiſe er- folgen mußte, wie das Werk zuerſt entſtanden war. Die notwendige Folge immer weiteren Kulturfortſchritts war das Streben, Methoden zu erfinden, die eine ſchnelle und häufige mechaniſche Vervielfältigung von Kunſt-, und Schriftwerken geſtatteten. Der Anfang dazu wurde in der Kunſt durch die Erfindung des Holzſchnitts gemacht, aber auch nur der Anfang, während auf dem Gebiete der Schrift nicht viel ſpäter der große Schritt geſchah, aber auch gleich in außerordentlich vollkommener Form. Die Buchdruckerkunſt erblickte das Licht der Welt in einem methodiſch ſo abgerundeten und vorzüglichen Zuſtande, wie ſelten eine Erfindung. Im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrte ſich die Zahl der vervielfältigenden Künſte außerordentlich. Kupferſtich, Stahlſtich, Lithographie, Öldruck, Farbendruck, Heliogravüre, Zinko- graphie ꝛc. wurden Eigentum der ringenden Menſchheit. Gekrönt wurden aber alle ſolche Beſtrebungen durch die Erfindung der Photographie, die es ermöglichte, ein naturgetreues Abbild eines Gegenſtandes ohne das Zwiſchenglied eines von Menſchenhänden an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/952
Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 934. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/952>, abgerufen am 28.03.2024.