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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.

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Vorrede.
verschlimmernden Selbsttäuschung führen würde, ist
auch jener Gedanke selbst von Grund aus irrig und
verwerflich. Die erwähnte geschichtliche Verbindung
des Römischen Rechts mit dem Rechtsleben eines
großen Theils von Europa ist so wenig ein Uebel
zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte
Wohlthat erkennen müssen. Die Beschäftigung mit
dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei-
fachen Gefahr: durch Theorie sich zu verflüchtigen
in die hohlen Abstractionen eines vermeintlichen
Naturrechts, durch die Praxis herabzusinken zu
einem geistlosen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen
beide Gefahren gewährt das Römische Recht, wenn
wir es recht gebrauchen, ein sicheres Heilmittel.
Es hält uns fest auf dem Boden eines lebens-
kräftigen Daseyns; es knüpft unser juristisches
Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit,
anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder
Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide
Theile gleich heilsamen, Verbindung erhalten werden.

Ein besonders gefährlicher, kaum begreiflicher
Irrthum aber ist es, welcher zu verschiedenen
Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält-
nisses zwischen dem Römischen und Deutschen Recht

Vorrede.
verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt
auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und
verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung
des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines
großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel
zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte
Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit
dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei-
fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen
in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen
Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu
einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen
beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn
wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel.
Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens-
kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches
Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit,
anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder
Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide
Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden.

Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher
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Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält-
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[VIII/0014] Vorrede. verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei- fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel. Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens- kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit, anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden. Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher Irrthum aber iſt es, welcher zu verſchiedenen Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält- niſſes zwiſchen dem Römiſchen und Deutſchen Recht

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/14>, abgerufen am 19.04.2024.