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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Die Rhetorik kann den Zweck haben, durch Bilder zu reden, um sich
anschaulich zu machen, oder um zu täuschen und Leidenschaft zu erwecken.
Die Poesie hat nie einen Zweck außer sich, obgleich sie diejenige Em-
pfindung, die in ihr selbst ist, auch außer sich hervorbringt. Plato
vergleicht die Wirkungen der Dichtkunst mit denen eines Magnets etc.

In der Poesie also ist alles, was zum Schmuck der Rede gehört,
dem höchsten und obersten Princip der Schönheit untergeordnet, es läßt
sich eben deßwegen über Gebrauch der Bilder, Tropen etc. kein allge-
meines Gesetz als eben das dieser Unterordnung aufstellen.

Construktion der einzelnen Dichtarten.

Das Wesen aller Kunst als Darstellung des Absoluten im Beson-
deren ist reine Begrenzung von der einen und ungetheilte Absolutheit
von der andern Seite. Schon in der Naturpoesie müssen die Elemente
sich scheiden, und die vollendet eintretende Kunst ist erst mit der strengen
Scheidung gesetzt. Am strengsten begrenzt in allen Formen ist auch hier
wieder die antike Poesie, ineinanderfließender, mischender die moderne:
daher durch diese eine Menge Mittelgattungen entstanden sind.

Wenn wir in der Abhandlung der verschiedenen Dichtungen der
natürlichen oder historischen Ordnung folgen wollten, so würden wir
von dem Epos als der Identität ausgehen und von da zur lyrischen
und dramatischen Poesie fortgehen müssen. Allein da wir uns hier
ganz nach der wissenschaftlichen Ordnung zu richten haben, und da nach
der bereits vorgezeichneten Stufenfolge der Potenzen die der Besonder-
heit oder Differenz die erste, die der Identität die zweite, und das,
worin Einheit und Differenz, Allgemeines und Besonderes selbst eins
sind, die dritte ist, so werden wir auch hier dieser Stufenfolge getreu
bleiben und machen demnach den Anfang mit der lyrischen Kunst.

Daß die lyrische Poesie unter den drei Dichtarten der realen
Form entspricht, erhellt schon daraus, daß ihre Bezeichnung auf die
Analogie mit der Musik hinweist. Allein noch bestimmter ist dieß auf
folgende Weise darzuthun.

In derjenigen Form, welche der Einbildung des Unendlichen in

Die Rhetorik kann den Zweck haben, durch Bilder zu reden, um ſich
anſchaulich zu machen, oder um zu täuſchen und Leidenſchaft zu erwecken.
Die Poeſie hat nie einen Zweck außer ſich, obgleich ſie diejenige Em-
pfindung, die in ihr ſelbſt iſt, auch außer ſich hervorbringt. Plato
vergleicht die Wirkungen der Dichtkunſt mit denen eines Magnets ꝛc.

In der Poeſie alſo iſt alles, was zum Schmuck der Rede gehört,
dem höchſten und oberſten Princip der Schönheit untergeordnet, es läßt
ſich eben deßwegen über Gebrauch der Bilder, Tropen ꝛc. kein allge-
meines Geſetz als eben das dieſer Unterordnung aufſtellen.

Conſtruktion der einzelnen Dichtarten.

Das Weſen aller Kunſt als Darſtellung des Abſoluten im Beſon-
deren iſt reine Begrenzung von der einen und ungetheilte Abſolutheit
von der andern Seite. Schon in der Naturpoeſie müſſen die Elemente
ſich ſcheiden, und die vollendet eintretende Kunſt iſt erſt mit der ſtrengen
Scheidung geſetzt. Am ſtrengſten begrenzt in allen Formen iſt auch hier
wieder die antike Poeſie, ineinanderfließender, miſchender die moderne:
daher durch dieſe eine Menge Mittelgattungen entſtanden ſind.

Wenn wir in der Abhandlung der verſchiedenen Dichtungen der
natürlichen oder hiſtoriſchen Ordnung folgen wollten, ſo würden wir
von dem Epos als der Identität ausgehen und von da zur lyriſchen
und dramatiſchen Poeſie fortgehen müſſen. Allein da wir uns hier
ganz nach der wiſſenſchaftlichen Ordnung zu richten haben, und da nach
der bereits vorgezeichneten Stufenfolge der Potenzen die der Beſonder-
heit oder Differenz die erſte, die der Identität die zweite, und das,
worin Einheit und Differenz, Allgemeines und Beſonderes ſelbſt eins
ſind, die dritte iſt, ſo werden wir auch hier dieſer Stufenfolge getreu
bleiben und machen demnach den Anfang mit der lyriſchen Kunſt.

Daß die lyriſche Poeſie unter den drei Dichtarten der realen
Form entſpricht, erhellt ſchon daraus, daß ihre Bezeichnung auf die
Analogie mit der Muſik hinweist. Allein noch beſtimmter iſt dieß auf
folgende Weiſe darzuthun.

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[639/0315] Die Rhetorik kann den Zweck haben, durch Bilder zu reden, um ſich anſchaulich zu machen, oder um zu täuſchen und Leidenſchaft zu erwecken. Die Poeſie hat nie einen Zweck außer ſich, obgleich ſie diejenige Em- pfindung, die in ihr ſelbſt iſt, auch außer ſich hervorbringt. Plato vergleicht die Wirkungen der Dichtkunſt mit denen eines Magnets ꝛc. In der Poeſie alſo iſt alles, was zum Schmuck der Rede gehört, dem höchſten und oberſten Princip der Schönheit untergeordnet, es läßt ſich eben deßwegen über Gebrauch der Bilder, Tropen ꝛc. kein allge- meines Geſetz als eben das dieſer Unterordnung aufſtellen. Conſtruktion der einzelnen Dichtarten. Das Weſen aller Kunſt als Darſtellung des Abſoluten im Beſon- deren iſt reine Begrenzung von der einen und ungetheilte Abſolutheit von der andern Seite. Schon in der Naturpoeſie müſſen die Elemente ſich ſcheiden, und die vollendet eintretende Kunſt iſt erſt mit der ſtrengen Scheidung geſetzt. Am ſtrengſten begrenzt in allen Formen iſt auch hier wieder die antike Poeſie, ineinanderfließender, miſchender die moderne: daher durch dieſe eine Menge Mittelgattungen entſtanden ſind. Wenn wir in der Abhandlung der verſchiedenen Dichtungen der natürlichen oder hiſtoriſchen Ordnung folgen wollten, ſo würden wir von dem Epos als der Identität ausgehen und von da zur lyriſchen und dramatiſchen Poeſie fortgehen müſſen. Allein da wir uns hier ganz nach der wiſſenſchaftlichen Ordnung zu richten haben, und da nach der bereits vorgezeichneten Stufenfolge der Potenzen die der Beſonder- heit oder Differenz die erſte, die der Identität die zweite, und das, worin Einheit und Differenz, Allgemeines und Beſonderes ſelbſt eins ſind, die dritte iſt, ſo werden wir auch hier dieſer Stufenfolge getreu bleiben und machen demnach den Anfang mit der lyriſchen Kunſt. Daß die lyriſche Poeſie unter den drei Dichtarten der realen Form entſpricht, erhellt ſchon daraus, daß ihre Bezeichnung auf die Analogie mit der Muſik hinweist. Allein noch beſtimmter iſt dieß auf folgende Weiſe darzuthun. In derjenigen Form, welche der Einbildung des Unendlichen in

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/315>, abgerufen am 28.03.2024.