Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_024.001
16. Jahrhundert, aber seit dem 13. giebt es daneben eine psc_024.002
prosaische Geschichtschreibung in deutscher Sprache. Die psc_024.003
neuesten Nachrichten wurden im deutschen Mittelalter vielfach psc_024.004
durch Lieder der Spielleute verbreitet. Dieses politische Lied psc_024.005
geht bis ins 17. Jahrhundert; ja noch die politischen psc_024.006
Gedichte der Gegenwart sind Ausläufer dieser Lieder. psc_024.007
Dabei muß man aber nicht bloß an die patriotische Poesie psc_024.008
der Arndt, Körner bis zu den Dichtern des Jahres 1870 psc_024.009
denken, sondern auch an die Zeitgedichte unserer Witzblätter, psc_024.010
z. B. des Kladderadatsch. Daneben haben schon mit dem psc_024.011
Beginn des 16. Jahrhunderts die prosaischen Zeitungen angefangen, psc_024.012
deren Voraussetzung die Buchdruckerkunst ist.

psc_024.013

Der gesammte Journalismus überhaupt, das Extrablatt, psc_024.014
die Flugschrift hat Functionen übernommen, welche früher psc_024.015
der Poesie oblagen.

psc_024.016

Auf verschiedenen Gebieten kann man, namentlich im psc_024.017
15. Jahrhundert, geradezu beobachten, wie die Prosa sich psc_024.018
an Stelle der Poesie setzt, die ungebundene Rede an die psc_024.019
Stelle der gebundenen: Prosa-Auflösung mittelhochdeutscher psc_024.020
Romane -- oder vielmehr Entstehung des Romans, d. h. des psc_024.021
Prosaromans durch Auflösung höfischer Gedichte. Ebenso psc_024.022
bei Novellen; ebenso bei geschichtlichen Gedichten, wie der psc_024.023
Kaiserchronik. Die kleine Erzählung, Märchen, Novelle, psc_024.024
Anekdote wird endlich litterarisch (zum Theil durch Übersetzung, psc_024.025
sodaß wieder Culturübertragung vorliegt).

psc_024.026

Wenn im Mittelalter Freidank ein gereimtes Lehrgedicht psc_024.027
aus Sprichwörtern und Sentenzen zusammensetzte, so stellt psc_024.028
das 16. Jahrhundert die Sprichwörter als Sammlung

psc_024.001
16. Jahrhundert, aber seit dem 13. giebt es daneben eine psc_024.002
prosaische Geschichtschreibung in deutscher Sprache. Die psc_024.003
neuesten Nachrichten wurden im deutschen Mittelalter vielfach psc_024.004
durch Lieder der Spielleute verbreitet. Dieses politische Lied psc_024.005
geht bis ins 17. Jahrhundert; ja noch die politischen psc_024.006
Gedichte der Gegenwart sind Ausläufer dieser Lieder. psc_024.007
Dabei muß man aber nicht bloß an die patriotische Poesie psc_024.008
der Arndt, Körner bis zu den Dichtern des Jahres 1870 psc_024.009
denken, sondern auch an die Zeitgedichte unserer Witzblätter, psc_024.010
z. B. des Kladderadatsch. Daneben haben schon mit dem psc_024.011
Beginn des 16. Jahrhunderts die prosaischen Zeitungen angefangen, psc_024.012
deren Voraussetzung die Buchdruckerkunst ist.

psc_024.013

  Der gesammte Journalismus überhaupt, das Extrablatt, psc_024.014
die Flugschrift hat Functionen übernommen, welche früher psc_024.015
der Poesie oblagen.

psc_024.016

  Auf verschiedenen Gebieten kann man, namentlich im psc_024.017
15. Jahrhundert, geradezu beobachten, wie die Prosa sich psc_024.018
an Stelle der Poesie setzt, die ungebundene Rede an die psc_024.019
Stelle der gebundenen: Prosa-Auflösung mittelhochdeutscher psc_024.020
Romane — oder vielmehr Entstehung des Romans, d. h. des psc_024.021
Prosaromans durch Auflösung höfischer Gedichte. Ebenso psc_024.022
bei Novellen; ebenso bei geschichtlichen Gedichten, wie der psc_024.023
Kaiserchronik. Die kleine Erzählung, Märchen, Novelle, psc_024.024
Anekdote wird endlich litterarisch (zum Theil durch Übersetzung, psc_024.025
sodaß wieder Culturübertragung vorliegt).

psc_024.026

  Wenn im Mittelalter Freidank ein gereimtes Lehrgedicht psc_024.027
aus Sprichwörtern und Sentenzen zusammensetzte, so stellt psc_024.028
das 16. Jahrhundert die Sprichwörter als Sammlung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0040" n="24"/><lb n="psc_024.001"/>
16. Jahrhundert, aber seit dem 13. giebt es daneben eine <lb n="psc_024.002"/>
prosaische Geschichtschreibung in deutscher Sprache. Die <lb n="psc_024.003"/>
neuesten Nachrichten wurden im deutschen Mittelalter vielfach <lb n="psc_024.004"/>
durch Lieder der Spielleute verbreitet. Dieses politische Lied <lb n="psc_024.005"/>
geht bis ins 17. Jahrhundert; ja noch die politischen <lb n="psc_024.006"/>
Gedichte der Gegenwart sind Ausläufer dieser Lieder. <lb n="psc_024.007"/>
Dabei muß man aber nicht bloß an die patriotische Poesie <lb n="psc_024.008"/>
der Arndt, Körner bis zu den Dichtern des Jahres 1870 <lb n="psc_024.009"/>
denken, sondern auch an die Zeitgedichte unserer Witzblätter, <lb n="psc_024.010"/>
z. B. des Kladderadatsch. Daneben haben schon mit dem <lb n="psc_024.011"/>
Beginn des 16. Jahrhunderts die prosaischen Zeitungen angefangen, <lb n="psc_024.012"/>
deren Voraussetzung die Buchdruckerkunst ist.</p>
            <lb n="psc_024.013"/>
            <p>  Der gesammte Journalismus überhaupt, das Extrablatt, <lb n="psc_024.014"/>
die Flugschrift hat Functionen übernommen, welche früher <lb n="psc_024.015"/>
der Poesie oblagen.</p>
            <lb n="psc_024.016"/>
            <p>  Auf verschiedenen Gebieten kann man, namentlich im <lb n="psc_024.017"/>
15. Jahrhundert, geradezu beobachten, wie die Prosa sich <lb n="psc_024.018"/>
an Stelle der Poesie setzt, die ungebundene Rede an die <lb n="psc_024.019"/>
Stelle der gebundenen: Prosa-Auflösung mittelhochdeutscher <lb n="psc_024.020"/>
Romane &#x2014; oder vielmehr Entstehung des Romans, d. h. des <lb n="psc_024.021"/>
Prosaromans durch Auflösung höfischer Gedichte. Ebenso <lb n="psc_024.022"/>
bei Novellen; ebenso bei geschichtlichen Gedichten, wie der <lb n="psc_024.023"/>
Kaiserchronik. Die kleine Erzählung, Märchen, Novelle, <lb n="psc_024.024"/>
Anekdote wird endlich litterarisch (zum Theil durch Übersetzung, <lb n="psc_024.025"/>
sodaß wieder Culturübertragung vorliegt).</p>
            <lb n="psc_024.026"/>
            <p>  Wenn im Mittelalter Freidank ein gereimtes Lehrgedicht <lb n="psc_024.027"/>
aus Sprichwörtern und Sentenzen zusammensetzte, so stellt <lb n="psc_024.028"/>
das 16. Jahrhundert die Sprichwörter als Sammlung
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0040] psc_024.001 16. Jahrhundert, aber seit dem 13. giebt es daneben eine psc_024.002 prosaische Geschichtschreibung in deutscher Sprache. Die psc_024.003 neuesten Nachrichten wurden im deutschen Mittelalter vielfach psc_024.004 durch Lieder der Spielleute verbreitet. Dieses politische Lied psc_024.005 geht bis ins 17. Jahrhundert; ja noch die politischen psc_024.006 Gedichte der Gegenwart sind Ausläufer dieser Lieder. psc_024.007 Dabei muß man aber nicht bloß an die patriotische Poesie psc_024.008 der Arndt, Körner bis zu den Dichtern des Jahres 1870 psc_024.009 denken, sondern auch an die Zeitgedichte unserer Witzblätter, psc_024.010 z. B. des Kladderadatsch. Daneben haben schon mit dem psc_024.011 Beginn des 16. Jahrhunderts die prosaischen Zeitungen angefangen, psc_024.012 deren Voraussetzung die Buchdruckerkunst ist. psc_024.013   Der gesammte Journalismus überhaupt, das Extrablatt, psc_024.014 die Flugschrift hat Functionen übernommen, welche früher psc_024.015 der Poesie oblagen. psc_024.016   Auf verschiedenen Gebieten kann man, namentlich im psc_024.017 15. Jahrhundert, geradezu beobachten, wie die Prosa sich psc_024.018 an Stelle der Poesie setzt, die ungebundene Rede an die psc_024.019 Stelle der gebundenen: Prosa-Auflösung mittelhochdeutscher psc_024.020 Romane — oder vielmehr Entstehung des Romans, d. h. des psc_024.021 Prosaromans durch Auflösung höfischer Gedichte. Ebenso psc_024.022 bei Novellen; ebenso bei geschichtlichen Gedichten, wie der psc_024.023 Kaiserchronik. Die kleine Erzählung, Märchen, Novelle, psc_024.024 Anekdote wird endlich litterarisch (zum Theil durch Übersetzung, psc_024.025 sodaß wieder Culturübertragung vorliegt). psc_024.026   Wenn im Mittelalter Freidank ein gereimtes Lehrgedicht psc_024.027 aus Sprichwörtern und Sentenzen zusammensetzte, so stellt psc_024.028 das 16. Jahrhundert die Sprichwörter als Sammlung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/40
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/40>, abgerufen am 28.03.2024.