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Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725.

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auch Mitleiden haben kan, deswegen, weil sie zur Erweichung dieses ihren
Vaters nicht wenig contribuiret, da sie ihme zwey Tage zuvor, als er noch
ziemlich ferne von guten war unter die Augen sagete mit kindlichem Respect
und Thränen: Ach Vater, habe ichs nicht lange gesaget, unsre Lebens-Art
werde einmahl solch betrübtes Ende nehmen? Möchte also wol wünschen,
daß diese seine Tochter irgendwo gut angebracht würde, bevorab da man
besorgen muß, sie möchte, in Ermangelung einer Aufsicht die vorige Uhrkun-
den der Mutter finden, und aufs Herumschweifsen sich begeben.

§. 172.

GOtt weiß was man von der Härte der Fixelin halten soll,
die in der Gerichts-Stube mit Hofsmannen das Urthel hörete, auch äus-
serlich geduldig hörete, aber immer bey hartnäckiger Leugnung verblieb.
Jhr Abschied war vor Menschen Augen schlecht: Sie gieng sowol mit
Grimm und Boßheit von ihrem Fixel, als mit Klage über die Gerichte da-
von, bezeugete zu allerletzt noch mit Trotz ihre Unschuld, wie sie leiden wolte,
was ihr das Urthel zuerkandt, aber was wäre es mehr? Hätte doch Christus
auch unschuldig gelitten, so wolte sie mit solcher ihrer Unschuld auch zum
Tode gehen. Hofsmann schien es droben in der Gerichts-Stube wenig
besser zu meinen, jedoch soll er auf den Gassen in der Ausführung ein mehreres
von äusserlicher Devotion beym Vorgebeth derer Hn. Patrum bezeuget haben.

§. 173.

Die Zeit drang hinein, daß wir ausgeführet werden solten.
Jch gieng mit Fixeln wieder zum Gefängniß, und da wir eine Weile uns
gestärcket hatten mit Gebeth und Wort, bath dieser von uns: Weil Kra-
nichfeld GOttes Heiligem Geiste Raum gegeben, und nicht in seiner Ver-
härtung geblieben, wolte er zu ihm hinüber, oder jener solte zu ihm kommen,
sie müsten beyde noch recht bethen und sich im Glauben an Christo JESU
vereinigen, auf daß sie zufammen im Himmel sich fänden.

§. 174.

Solches geschahe sofort, daß Kranichfeld zu uns herüber ins
Gefängniß kam: er fiel dem Fixel um den Halß, küssete ihn hertzlich, und
dieser, ob er gleich jung war, hielt eine senile männliche und bewegliche Rede
an ihn, wie er sich nunmehro so gar sehr freuete, daß er Kranichfeld sich so
gut bequemet hätte, mit ihme zum Tode zu gehen und seelig zu sterben, er-
mahnete ihn zur Beständigkeit im Glauben, GOtt würde ihrer beyder See-
len gnädig seyn, und um Christi Willen zu sich nehmen. Nachdem er seine
Rede vollendet hatte, wurffen wir uns nieder, und betheten zu GOtt auf
den Knien mit ihnen und allen, die im Gefängniß waren, und da auch sol-
ches Gebeth vollbracht war, stunden wir mit Freuden auf, unsre Strasse
zum Gerichte zu gehen.

§. 175.

auch Mitleiden haben kan, deswegen, weil ſie zur Erweichung dieſes ihren
Vaters nicht wenig contribuiret, da ſie ihme zwey Tage zuvor, als er noch
ziemlich ferne von guten war unter die Augen ſagete mit kindlichem Reſpect
und Thraͤnen: Ach Vater, habe ichs nicht lange geſaget, unſre Lebens-Art
werde einmahl ſolch betruͤbtes Ende nehmen? Moͤchte alſo wol wuͤnſchen,
daß dieſe ſeine Tochter irgendwo gut angebracht wuͤrde, bevorab da man
beſorgen muß, ſie moͤchte, in Ermangelung einer Aufſicht die vorige Uhrkun-
den der Mutter finden, und aufs Herumſchweifſen ſich begeben.

§. 172.

GOtt weiß was man von der Haͤrte der Fixelin halten ſoll,
die in der Gerichts-Stube mit Hofſmannen das Urthel hoͤrete, auch aͤuſ-
ſerlich geduldig hoͤrete, aber immer bey hartnaͤckiger Leugnung verblieb.
Jhr Abſchied war vor Menſchen Augen ſchlecht: Sie gieng ſowol mit
Grimm und Boßheit von ihrem Fixel, als mit Klage uͤber die Gerichte da-
von, bezeugete zu allerletzt noch mit Trotz ihre Unſchuld, wie ſie leiden wolte,
was ihr das Urthel zuerkandt, aber was waͤre es mehr? Haͤtte doch Chriſtus
auch unſchuldig gelitten, ſo wolte ſie mit ſolcher ihrer Unſchuld auch zum
Tode gehen. Hofſmann ſchien es droben in der Gerichts-Stube wenig
beſſer zu meinen, jedoch ſoll er auf den Gaſſen in der Ausfuͤhrung ein mehreres
von aͤuſſerlicher Devotion beym Vorgebeth derer Hn. Patrum bezeuget haben.

§. 173.

Die Zeit drang hinein, daß wir ausgefuͤhret werden ſolten.
Jch gieng mit Fixeln wieder zum Gefaͤngniß, und da wir eine Weile uns
geſtaͤrcket hatten mit Gebeth und Wort, bath dieſer von uns: Weil Kra-
nichfeld GOttes Heiligem Geiſte Raum gegeben, und nicht in ſeiner Ver-
haͤrtung geblieben, wolte er zu ihm hinuͤber, oder jener ſolte zu ihm kommen,
ſie muͤſten beyde noch recht bethen und ſich im Glauben an Chriſto JESU
vereinigen, auf daß ſie zufammen im Himmel ſich faͤnden.

§. 174.

Solches geſchahe ſofort, daß Kranichfeld zu uns heruͤber ins
Gefaͤngniß kam: er fiel dem Fixel um den Halß, kuͤſſete ihn hertzlich, und
dieſer, ob er gleich jung war, hielt eine ſenile maͤnnliche und bewegliche Rede
an ihn, wie er ſich nunmehro ſo gar ſehr freuete, daß er Kranichfeld ſich ſo
gut bequemet haͤtte, mit ihme zum Tode zu gehen und ſeelig zu ſterben, er-
mahnete ihn zur Beſtaͤndigkeit im Glauben, GOtt wuͤrde ihrer beyder See-
len gnaͤdig ſeyn, und um Chriſti Willen zu ſich nehmen. Nachdem er ſeine
Rede vollendet hatte, wurffen wir uns nieder, und betheten zu GOtt auf
den Knien mit ihnen und allen, die im Gefaͤngniß waren, und da auch ſol-
ches Gebeth vollbracht war, ſtunden wir mit Freuden auf, unſre Straſſe
zum Gerichte zu gehen.

§. 175.
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Zitationshilfe: Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725, S. 106[104]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_justitzrad_1725/112>, abgerufen am 25.04.2024.