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Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725.

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verwechselten Ducaten verriegelte, und durchaus nicht mit der Sprache
heraus wolte, wo er ihn bißher verstecken können, da er doch vielmals bereits
überall in seinen an- und mit habenden Kleidern war visitiret worden, so
konnte es doch nicht verborgen bleiben. Ob ers selbst gesaget, oder andere,
in dem sie ihn abermals visitiret hatten, gesaget, daß er einen holen Knopff
an denen anhabenden Hosen gehabt, in welchen er solches Gold hinein thun
und es verstecken können, lassen wir ungesagt.

§. 74.

Dieser Kranichfeld war ein eigener und gar harter Mensch,
daß ich mehrmals gedachte, er wäre nicht von gemeinen gescheuten Sinnen
und Verstande, oder es müste ihn eine grosse Simulation bey seiner so lange
Jahre getriebenen Bettel-Profession, in solche alteram naturam gewandelt ha-
ben, in dem er in einem Momente allerley machen konnte, bald weinen, bald
lachen, bald kläglich thun, bald zürnen und schelten, bald bekennen, bald
leugnen. Und ob er gleich mehrmahls über solche Harlequin-Possen be-
straffet wurde, war doch keine Schaam, zu geschweigen, daß er sich verant-
wortet hätte, sondern es muste also gesaget seyn, wers nicht glauben wolte,
sprach er noch wol dazu, daß es die Warheit und ihm ein rechter Ernst wäre,
möchte es lassen. Wenn man ihme den Vorstand zu lange in dem Gerichte
machete, gab er Hunger vor, da wir doch offt biß lange nach ein Uhr ihn
vorhatten, und doch unverrichteter Sache von einander gehen musten: Wenn
der Hunger keinen Eingang fand, so war ein Zucken und Mundgeziehe über
seine an den Händen erlittene Schnür-Schmertzen, die er schon einige Tage
erlitten, und selbige mit seiner verstockten Ableugnung ihme selbst zugezogen
hatte. Man verhoffte noch immer, der festgesetzte Todes-Tag solte eine
Bewegung und ernstlichere Besorgung seiner Seelen angerichtet haben,
allein da er annoch desselben Tages von einem Prediger besuchet ward, fand
er denselben auf eben der Leyer spielen, vor welchem er noch wol gröbere
Stücke herzumachen wuste, nur daß die Zeit verstreichen möchte, und Kranich-
feld der alte Kranichfeld bliebe, und zu keiner Bekehrung bereitet würde, er aber
auch, wenn er des Predigers von seinem Halse loß ward, Raum erlangen
konnte seinen unnützen Zeit-Vertreib zu haben: Wie ers denn gerne litte,
wenn eine grosse Menge Menschen bey ihme in seinem Gefängniß einsprachen,
die ihme nichts an sein Gewissen redete, wenn sie aber von ihm giengen,
wuste er klägliche Vorstellung zu thun, daß sie ihme zollen und Allmosen
geben musten, das er sammlen und seinem Weibe und Tochter hinterlassen
wolte.

§. 75.

verwechſelten Ducaten verriegelte, und durchaus nicht mit der Sprache
heraus wolte, wo er ihn bißher verſtecken koͤnnen, da er doch vielmals bereits
uͤberall in ſeinen an- und mit habenden Kleidern war viſitiret worden, ſo
konnte es doch nicht verborgen bleiben. Ob ers ſelbſt geſaget, oder andere,
in dem ſie ihn abermals viſitiret hatten, geſaget, daß er einen holen Knopff
an denen anhabenden Hoſen gehabt, in welchen er ſolches Gold hinein thun
und es verſtecken koͤnnen, laſſen wir ungeſagt.

§. 74.

Dieſer Kranichfeld war ein eigener und gar harter Menſch,
daß ich mehrmals gedachte, er waͤre nicht von gemeinen geſcheuten Sinnen
und Verſtande, oder es muͤſte ihn eine groſſe Simulation bey ſeiner ſo lange
Jahre getriebenen Bettel-Profesſion, in ſolche alteram naturam gewandelt ha-
ben, in dem er in einem Momente allerley machen konnte, bald weinen, bald
lachen, bald klaͤglich thun, bald zuͤrnen und ſchelten, bald bekennen, bald
leugnen. Und ob er gleich mehrmahls uͤber ſolche Harlequin-Poſſen be-
ſtraffet wurde, war doch keine Schaam, zu geſchweigen, daß er ſich verant-
wortet haͤtte, ſondern es muſte alſo geſaget ſeyn, wers nicht glauben wolte,
ſprach er noch wol dazu, daß es die Warheit und ihm ein rechter Ernſt waͤre,
moͤchte es laſſen. Wenn man ihme den Vorſtand zu lange in dem Gerichte
machete, gab er Hunger vor, da wir doch offt biß lange nach ein Uhr ihn
vorhatten, und doch unverrichteter Sache von einander gehen muſten: Wenn
der Hunger keinen Eingang fand, ſo war ein Zucken und Mundgeziehe uͤber
ſeine an den Haͤnden erlittene Schnuͤr-Schmertzen, die er ſchon einige Tage
erlitten, und ſelbige mit ſeiner verſtockten Ableugnung ihme ſelbſt zugezogen
hatte. Man verhoffte noch immer, der feſtgeſetzte Todes-Tag ſolte eine
Bewegung und ernſtlichere Beſorgung ſeiner Seelen angerichtet haben,
allein da er annoch deſſelben Tages von einem Prediger beſuchet ward, fand
er denſelben auf eben der Leyer ſpielen, vor welchem er noch wol groͤbere
Stuͤcke herzumachen wuſte, nur daß die Zeit verſtreichen moͤchte, und Kranich-
feld der alte Kranichfeld bliebe, und zu keiner Bekehrung bereitet wuͤrde, er aber
auch, wenn er des Predigers von ſeinem Halſe loß ward, Raum erlangen
konnte ſeinen unnuͤtzen Zeit-Vertreib zu haben: Wie ers denn gerne litte,
wenn eine groſſe Menge Menſchen bey ihme in ſeinem Gefaͤngniß einſprachen,
die ihme nichts an ſein Gewiſſen redete, wenn ſie aber von ihm giengen,
wuſte er klaͤgliche Vorſtellung zu thun, daß ſie ihme zollen und Allmoſen
geben muſten, das er ſammlen und ſeinem Weibe und Tochter hinterlaſſen
wolte.

§. 75.
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Zitationshilfe: Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725, S. 55[53]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_justitzrad_1725/61>, abgerufen am 28.03.2024.