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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.

Früher als er kommt der größere Herden- und Grundbesitzer so weit; die
römische und die englische Grundaristokratie haben, wie uns geistreiche Historiker gezeigt,
wesentlich durch vergrößerte Viehzucht und den Verkauf von Wolle und Vieh ihren
Wohlstand begründet. Auch die mitteleuropäischen Grundherren des Mittelalters, die
Klöster und Bischöfe begannen schon seit den Tagen Karls d. Gr., einzelne Produkte,
an denen sie Überschuß hatten, zu versilbern; aber doch erst in den späteren Zeiten der
Geldwirtschaft wurde der Großgrundbesitzer eigentlicher Korn-, Woll- und Viehproduzent,
mit kaufmännischem, ja teilweise spekulativem Charakter. So die römische Aristokratie
in der letzten Zeit der Republik und den ersten Jahrhunderten des Principats. Es
waren Grundbesitzer, die zugleich Kaufleute, Feldherren, Verwalter von Staatsämtern,
Pächter von Steuern waren, in der Herrschaft über unterworfene Lande zu befehlen und
Geschäfte in großem Stil zu treiben gelernt hatten, die Hunderte und Tausende von
Sklaven besaßen und zwar teilweise technisch hochstehende. Damit waren sie befähigt,
große Unternehmer zu werden, ihren Landbau, ihre Bergwerke, ihre Fabriken und den
Handel unter Anwendung großer Kapitalien und technischer Fortschritte, mit Hülfe
ihrer wohlgegliederten und disciplinierten Sklaven, ihrer familia urbana und rustica
zum höchsten Ertrag und Gewinn zu bringen. In den neueren Zeiten haben die
Europäer in ihren Kolonien mit Sklaven eine ähnliche Plantagen- und Unternehmer-
wirtschaft organisiert. In Europa ist die ältere Grundherrschaft nie zur eigentlichen
Unternehmung geworden; wohl aber haben die Gutsbesitzer Englands, Ostdeutschlands,
Rußlands vom 16. Jahrhundert an solches erstrebt; die englischen gleich mit freien, die
mitteleuropäischen mit erbunterthänigen, teilweise auf erblicher Hufe sitzenden Bauern.
Das Gutsland ist vergrößert, meist aus dem Gemenge gezogen, mit dem Vieh, den
Hand- und Spanndiensten der Bauern wurde eine Art Großbetrieb vom Gutsbesitzer
organisiert, der viel mehr den Markt als die Versorgung der gutsherrlichen Familie
oder die Lokalverwaltung im Auge hat. Knapp sieht deshalb hier den Anfang des
kapitalistischen Betriebes, d. h. der modernen Unternehmung. Nur war diese gutsherr-
liche Unternehmung dadurch gehemmt, daß die oberen Schichten ihrer Arbeiter, die
Hufner, einen eigenen Hof hatten, und daß alle Arbeiter nur innerhalb fester,
gewohnheitsmäßiger oder vom Staate gesetzter Rechtsschranken zu Diensten verpflichtet
waren.

Daher beginnt die eigentliche landwirtschaftliche Unternehmung doch erst da, wo
der größere Besitzer oder Pächter mit freien Arbeitern für den Markt produziert. Die
Familienwirtschaft der Inhaber, oft auch die einiger Beamten und einer Anzahl noch
halb in Naturalien bezahlter Arbeiter bleiben zwar in der Regel auf dem Gute und
mit seinem Betrieb verknüpft; die Arbeiter sinken für den anständigen Landwirt nicht
zu "Händen" herab, sie bleiben mehr als in der Stadt Nachbarn und Gemeindegenossen,
wenn sie nicht bloß für die Ernte- und Bestellzeit aus der Fremde kommen. Nicht leicht
siegen die rein geschäftsmäßigen Gesichtspunkte so wie in der großstädtischen Fabrik.
Aber andererseits ist ein solch' moderner Betrieb doch spekulative Unternehmung geworden:
das Kapital soll sich verzinsen, ein Gewinn erzielt werden; der Buchwert des Grund-
kapitals äußert seine große Bedeutung, er steigt oder fällt und verhält sich demgemäß
günstig oder ungünstig zu der festen Höhe der eingetragenen Hypotheken, der schuldigen
Zinsen, die herausgewirtschaftet werden sollen. Der technische Fortschritt wird in den
Dienst der besseren und billigen Produktion gestellt; die betreffenden Landwirte sind die
Führer und Träger dieses Fortschrittes und deshalb eben dem Bauer überlegen, bis
dieser beginnt, ähnliche Wege zu wandeln. Am deutlichsten tritt dieses hervor bei den
großen Pächtern; sie sind eben als Nichtgrundbesitzer keine Aristokraten mit dem sicheren
Gefühl des Rentenbezuges, sondern ganz Geschäftsleute, die erwerben wollen.

Die kleineren Pächter dagegen produzieren wie die Bauern und Kleinstellenbesitzer
überwiegend für die eigene Wirtschaft; ihre Landwirtschaft bleibt vielfach mehr Anhängsel
der Haus- und Familienwirtschaft als Unternehmung.

139. Das Handwerk. Ist so die Ausbildung landwirtschaftlicher Unter-
nehmungen ein sehr langsam sich vollziehender Prozeß, sind heute noch fast alle land-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.

Früher als er kommt der größere Herden- und Grundbeſitzer ſo weit; die
römiſche und die engliſche Grundariſtokratie haben, wie uns geiſtreiche Hiſtoriker gezeigt,
weſentlich durch vergrößerte Viehzucht und den Verkauf von Wolle und Vieh ihren
Wohlſtand begründet. Auch die mitteleuropäiſchen Grundherren des Mittelalters, die
Klöſter und Biſchöfe begannen ſchon ſeit den Tagen Karls d. Gr., einzelne Produkte,
an denen ſie Überſchuß hatten, zu verſilbern; aber doch erſt in den ſpäteren Zeiten der
Geldwirtſchaft wurde der Großgrundbeſitzer eigentlicher Korn-, Woll- und Viehproduzent,
mit kaufmänniſchem, ja teilweiſe ſpekulativem Charakter. So die römiſche Ariſtokratie
in der letzten Zeit der Republik und den erſten Jahrhunderten des Principats. Es
waren Grundbeſitzer, die zugleich Kaufleute, Feldherren, Verwalter von Staatsämtern,
Pächter von Steuern waren, in der Herrſchaft über unterworfene Lande zu befehlen und
Geſchäfte in großem Stil zu treiben gelernt hatten, die Hunderte und Tauſende von
Sklaven beſaßen und zwar teilweiſe techniſch hochſtehende. Damit waren ſie befähigt,
große Unternehmer zu werden, ihren Landbau, ihre Bergwerke, ihre Fabriken und den
Handel unter Anwendung großer Kapitalien und techniſcher Fortſchritte, mit Hülfe
ihrer wohlgegliederten und disciplinierten Sklaven, ihrer familia urbana und rustica
zum höchſten Ertrag und Gewinn zu bringen. In den neueren Zeiten haben die
Europäer in ihren Kolonien mit Sklaven eine ähnliche Plantagen- und Unternehmer-
wirtſchaft organiſiert. In Europa iſt die ältere Grundherrſchaft nie zur eigentlichen
Unternehmung geworden; wohl aber haben die Gutsbeſitzer Englands, Oſtdeutſchlands,
Rußlands vom 16. Jahrhundert an ſolches erſtrebt; die engliſchen gleich mit freien, die
mitteleuropäiſchen mit erbunterthänigen, teilweiſe auf erblicher Hufe ſitzenden Bauern.
Das Gutsland iſt vergrößert, meiſt aus dem Gemenge gezogen, mit dem Vieh, den
Hand- und Spanndienſten der Bauern wurde eine Art Großbetrieb vom Gutsbeſitzer
organiſiert, der viel mehr den Markt als die Verſorgung der gutsherrlichen Familie
oder die Lokalverwaltung im Auge hat. Knapp ſieht deshalb hier den Anfang des
kapitaliſtiſchen Betriebes, d. h. der modernen Unternehmung. Nur war dieſe gutsherr-
liche Unternehmung dadurch gehemmt, daß die oberen Schichten ihrer Arbeiter, die
Hufner, einen eigenen Hof hatten, und daß alle Arbeiter nur innerhalb feſter,
gewohnheitsmäßiger oder vom Staate geſetzter Rechtsſchranken zu Dienſten verpflichtet
waren.

Daher beginnt die eigentliche landwirtſchaftliche Unternehmung doch erſt da, wo
der größere Beſitzer oder Pächter mit freien Arbeitern für den Markt produziert. Die
Familienwirtſchaft der Inhaber, oft auch die einiger Beamten und einer Anzahl noch
halb in Naturalien bezahlter Arbeiter bleiben zwar in der Regel auf dem Gute und
mit ſeinem Betrieb verknüpft; die Arbeiter ſinken für den anſtändigen Landwirt nicht
zu „Händen“ herab, ſie bleiben mehr als in der Stadt Nachbarn und Gemeindegenoſſen,
wenn ſie nicht bloß für die Ernte- und Beſtellzeit aus der Fremde kommen. Nicht leicht
ſiegen die rein geſchäftsmäßigen Geſichtspunkte ſo wie in der großſtädtiſchen Fabrik.
Aber andererſeits iſt ein ſolch’ moderner Betrieb doch ſpekulative Unternehmung geworden:
das Kapital ſoll ſich verzinſen, ein Gewinn erzielt werden; der Buchwert des Grund-
kapitals äußert ſeine große Bedeutung, er ſteigt oder fällt und verhält ſich demgemäß
günſtig oder ungünſtig zu der feſten Höhe der eingetragenen Hypotheken, der ſchuldigen
Zinſen, die herausgewirtſchaftet werden ſollen. Der techniſche Fortſchritt wird in den
Dienſt der beſſeren und billigen Produktion geſtellt; die betreffenden Landwirte ſind die
Führer und Träger dieſes Fortſchrittes und deshalb eben dem Bauer überlegen, bis
dieſer beginnt, ähnliche Wege zu wandeln. Am deutlichſten tritt dieſes hervor bei den
großen Pächtern; ſie ſind eben als Nichtgrundbeſitzer keine Ariſtokraten mit dem ſicheren
Gefühl des Rentenbezuges, ſondern ganz Geſchäftsleute, die erwerben wollen.

Die kleineren Pächter dagegen produzieren wie die Bauern und Kleinſtellenbeſitzer
überwiegend für die eigene Wirtſchaft; ihre Landwirtſchaft bleibt vielfach mehr Anhängſel
der Haus- und Familienwirtſchaft als Unternehmung.

139. Das Handwerk. Iſt ſo die Ausbildung landwirtſchaftlicher Unter-
nehmungen ein ſehr langſam ſich vollziehender Prozeß, ſind heute noch faſt alle land-

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[418/0434] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Früher als er kommt der größere Herden- und Grundbeſitzer ſo weit; die römiſche und die engliſche Grundariſtokratie haben, wie uns geiſtreiche Hiſtoriker gezeigt, weſentlich durch vergrößerte Viehzucht und den Verkauf von Wolle und Vieh ihren Wohlſtand begründet. Auch die mitteleuropäiſchen Grundherren des Mittelalters, die Klöſter und Biſchöfe begannen ſchon ſeit den Tagen Karls d. Gr., einzelne Produkte, an denen ſie Überſchuß hatten, zu verſilbern; aber doch erſt in den ſpäteren Zeiten der Geldwirtſchaft wurde der Großgrundbeſitzer eigentlicher Korn-, Woll- und Viehproduzent, mit kaufmänniſchem, ja teilweiſe ſpekulativem Charakter. So die römiſche Ariſtokratie in der letzten Zeit der Republik und den erſten Jahrhunderten des Principats. Es waren Grundbeſitzer, die zugleich Kaufleute, Feldherren, Verwalter von Staatsämtern, Pächter von Steuern waren, in der Herrſchaft über unterworfene Lande zu befehlen und Geſchäfte in großem Stil zu treiben gelernt hatten, die Hunderte und Tauſende von Sklaven beſaßen und zwar teilweiſe techniſch hochſtehende. Damit waren ſie befähigt, große Unternehmer zu werden, ihren Landbau, ihre Bergwerke, ihre Fabriken und den Handel unter Anwendung großer Kapitalien und techniſcher Fortſchritte, mit Hülfe ihrer wohlgegliederten und disciplinierten Sklaven, ihrer familia urbana und rustica zum höchſten Ertrag und Gewinn zu bringen. In den neueren Zeiten haben die Europäer in ihren Kolonien mit Sklaven eine ähnliche Plantagen- und Unternehmer- wirtſchaft organiſiert. In Europa iſt die ältere Grundherrſchaft nie zur eigentlichen Unternehmung geworden; wohl aber haben die Gutsbeſitzer Englands, Oſtdeutſchlands, Rußlands vom 16. Jahrhundert an ſolches erſtrebt; die engliſchen gleich mit freien, die mitteleuropäiſchen mit erbunterthänigen, teilweiſe auf erblicher Hufe ſitzenden Bauern. Das Gutsland iſt vergrößert, meiſt aus dem Gemenge gezogen, mit dem Vieh, den Hand- und Spanndienſten der Bauern wurde eine Art Großbetrieb vom Gutsbeſitzer organiſiert, der viel mehr den Markt als die Verſorgung der gutsherrlichen Familie oder die Lokalverwaltung im Auge hat. Knapp ſieht deshalb hier den Anfang des kapitaliſtiſchen Betriebes, d. h. der modernen Unternehmung. Nur war dieſe gutsherr- liche Unternehmung dadurch gehemmt, daß die oberen Schichten ihrer Arbeiter, die Hufner, einen eigenen Hof hatten, und daß alle Arbeiter nur innerhalb feſter, gewohnheitsmäßiger oder vom Staate geſetzter Rechtsſchranken zu Dienſten verpflichtet waren. Daher beginnt die eigentliche landwirtſchaftliche Unternehmung doch erſt da, wo der größere Beſitzer oder Pächter mit freien Arbeitern für den Markt produziert. Die Familienwirtſchaft der Inhaber, oft auch die einiger Beamten und einer Anzahl noch halb in Naturalien bezahlter Arbeiter bleiben zwar in der Regel auf dem Gute und mit ſeinem Betrieb verknüpft; die Arbeiter ſinken für den anſtändigen Landwirt nicht zu „Händen“ herab, ſie bleiben mehr als in der Stadt Nachbarn und Gemeindegenoſſen, wenn ſie nicht bloß für die Ernte- und Beſtellzeit aus der Fremde kommen. Nicht leicht ſiegen die rein geſchäftsmäßigen Geſichtspunkte ſo wie in der großſtädtiſchen Fabrik. Aber andererſeits iſt ein ſolch’ moderner Betrieb doch ſpekulative Unternehmung geworden: das Kapital ſoll ſich verzinſen, ein Gewinn erzielt werden; der Buchwert des Grund- kapitals äußert ſeine große Bedeutung, er ſteigt oder fällt und verhält ſich demgemäß günſtig oder ungünſtig zu der feſten Höhe der eingetragenen Hypotheken, der ſchuldigen Zinſen, die herausgewirtſchaftet werden ſollen. Der techniſche Fortſchritt wird in den Dienſt der beſſeren und billigen Produktion geſtellt; die betreffenden Landwirte ſind die Führer und Träger dieſes Fortſchrittes und deshalb eben dem Bauer überlegen, bis dieſer beginnt, ähnliche Wege zu wandeln. Am deutlichſten tritt dieſes hervor bei den großen Pächtern; ſie ſind eben als Nichtgrundbeſitzer keine Ariſtokraten mit dem ſicheren Gefühl des Rentenbezuges, ſondern ganz Geſchäftsleute, die erwerben wollen. Die kleineren Pächter dagegen produzieren wie die Bauern und Kleinſtellenbeſitzer überwiegend für die eigene Wirtſchaft; ihre Landwirtſchaft bleibt vielfach mehr Anhängſel der Haus- und Familienwirtſchaft als Unternehmung. 139. Das Handwerk. Iſt ſo die Ausbildung landwirtſchaftlicher Unter- nehmungen ein ſehr langſam ſich vollziehender Prozeß, ſind heute noch faſt alle land-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/434>, abgerufen am 25.04.2024.