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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die deutsche Flachsspinnerei vor 1800.
standes, man spann in den Bauern- und Tagelöhner-
hütten; man baute den Flachs selbst, bereitete ihn selbst;
der Verdienst einer spinnenden Person von etwa 21/2
Groschen täglich war ein hübscher Zusatz zu dem Ein-
kommen aus der bäuerlichen Stelle. Daneben waren
aber auch zahlreiche Spinnerkolonien, wie ich vorhin
schon erwähnte, entstanden, welche fast ausschließlich
vom Spinnen lebten; man hatte ihre Zunahme in jeder
Weise begünstigt. Ihre Existenz war immer prekär
gewesen; doch konnte eine Familie, zu 3 -- 4 Köpfen
gerechnet, deren jeder täglich 2 -- 21/2 Groschen ver-
diente, noch behaglich auskommen, so lange die
Lebensmittelpreise niedrig waren, so lange in theuren
Jahren die Friedericianischen großen Getreidemagazine
sich ihrer angenommen hatten. Mit dem außerordent-
lichen Steigen aller Lebensmittelpreise gegen Ende des
Jahrhunderts freilich wurde ihre Lage, trotz der noch
immer dauernden Zunahme der Spinnerei, schon viel
weniger günstiger, kamen Nothzustände schon da und
dort vor.1

Die Spinner, welche den Flachs nicht selbst bereite-
ten, kauften denselben von den Detailhändlern, wie sie
in den Spinnerdörfern vorhanden waren. Das fertige
Garn wurde auf dem Garnmarkt oder an den hausiren-
den Garnsammler verkauft. Die bloße Lohnspinnerei war

1 Vergl. Jacobi, die Arbeitslöhne in Niederschlesien, Zeit-
schrift d. stat. Bür. VIII, S. 330, Anm. und Gemählde des gesell-
schaftlichen Zustandes im Königreich Preußen bis 1806, Berlin
1808, I, 90; es werden daselbst die Folgen der Lebensmittel-
vertheuerung für die Handwerker überhaupt beschrieben.

Die deutſche Flachsſpinnerei vor 1800.
ſtandes, man ſpann in den Bauern- und Tagelöhner-
hütten; man baute den Flachs ſelbſt, bereitete ihn ſelbſt;
der Verdienſt einer ſpinnenden Perſon von etwa 2½
Groſchen täglich war ein hübſcher Zuſatz zu dem Ein-
kommen aus der bäuerlichen Stelle. Daneben waren
aber auch zahlreiche Spinnerkolonien, wie ich vorhin
ſchon erwähnte, entſtanden, welche faſt ausſchließlich
vom Spinnen lebten; man hatte ihre Zunahme in jeder
Weiſe begünſtigt. Ihre Exiſtenz war immer prekär
geweſen; doch konnte eine Familie, zu 3 — 4 Köpfen
gerechnet, deren jeder täglich 2 — 2½ Groſchen ver-
diente, noch behaglich auskommen, ſo lange die
Lebensmittelpreiſe niedrig waren, ſo lange in theuren
Jahren die Friedericianiſchen großen Getreidemagazine
ſich ihrer angenommen hatten. Mit dem außerordent-
lichen Steigen aller Lebensmittelpreiſe gegen Ende des
Jahrhunderts freilich wurde ihre Lage, trotz der noch
immer dauernden Zunahme der Spinnerei, ſchon viel
weniger günſtiger, kamen Nothzuſtände ſchon da und
dort vor.1

Die Spinner, welche den Flachs nicht ſelbſt bereite-
ten, kauften denſelben von den Detailhändlern, wie ſie
in den Spinnerdörfern vorhanden waren. Das fertige
Garn wurde auf dem Garnmarkt oder an den hauſiren-
den Garnſammler verkauft. Die bloße Lohnſpinnerei war

1 Vergl. Jacobi, die Arbeitslöhne in Niederſchleſien, Zeit-
ſchrift d. ſtat. Bür. VIII, S. 330, Anm. und Gemählde des geſell-
ſchaftlichen Zuſtandes im Königreich Preußen bis 1806, Berlin
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vertheuerung für die Handwerker überhaupt beſchrieben.
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[457/0479] Die deutſche Flachsſpinnerei vor 1800. ſtandes, man ſpann in den Bauern- und Tagelöhner- hütten; man baute den Flachs ſelbſt, bereitete ihn ſelbſt; der Verdienſt einer ſpinnenden Perſon von etwa 2½ Groſchen täglich war ein hübſcher Zuſatz zu dem Ein- kommen aus der bäuerlichen Stelle. Daneben waren aber auch zahlreiche Spinnerkolonien, wie ich vorhin ſchon erwähnte, entſtanden, welche faſt ausſchließlich vom Spinnen lebten; man hatte ihre Zunahme in jeder Weiſe begünſtigt. Ihre Exiſtenz war immer prekär geweſen; doch konnte eine Familie, zu 3 — 4 Köpfen gerechnet, deren jeder täglich 2 — 2½ Groſchen ver- diente, noch behaglich auskommen, ſo lange die Lebensmittelpreiſe niedrig waren, ſo lange in theuren Jahren die Friedericianiſchen großen Getreidemagazine ſich ihrer angenommen hatten. Mit dem außerordent- lichen Steigen aller Lebensmittelpreiſe gegen Ende des Jahrhunderts freilich wurde ihre Lage, trotz der noch immer dauernden Zunahme der Spinnerei, ſchon viel weniger günſtiger, kamen Nothzuſtände ſchon da und dort vor. 1 Die Spinner, welche den Flachs nicht ſelbſt bereite- ten, kauften denſelben von den Detailhändlern, wie ſie in den Spinnerdörfern vorhanden waren. Das fertige Garn wurde auf dem Garnmarkt oder an den hauſiren- den Garnſammler verkauft. Die bloße Lohnſpinnerei war 1 Vergl. Jacobi, die Arbeitslöhne in Niederſchleſien, Zeit- ſchrift d. ſtat. Bür. VIII, S. 330, Anm. und Gemählde des geſell- ſchaftlichen Zuſtandes im Königreich Preußen bis 1806, Berlin 1808, I, 90; es werden daſelbſt die Folgen der Lebensmittel- vertheuerung für die Handwerker überhaupt beſchrieben.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/479>, abgerufen am 24.04.2024.