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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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über die Wangen lieffen, wischete ich ihr dieselben
mit einem Tuche sanffte ab, wurde zwar bey die-
ser Arbeit selbsten sehr wehmüthig, wuste aber nicht,
wo ich auf eimahl die Courage her bekam, ihr
einen derben Kuß auf den Mund zu drücken, wo-
rüber sie auffuhr, und sagte: Verwegener! was soll
das bedeuten? Jch war gleich mit der Antwort fer-
tig, und betheurete sehr: daß es nicht aus Geilheit
und Unzucht, sondern vielmehr aus Wehmuth und
reiner Liebe geschehen wäre, könte aber anbey nicht
läugnen, daß, wenn sie ja mit ihrem ersten Manne
nicht wieder vereiniget, sondern von ihm geschieden
werden solte, ich mir auf dieser Welt kein grösser
Vergnügen wünschen wolte, als mit ihr vereheli-
get, und so wohl dem Dostart als allen andern
Manns-Personen vorgezogen zu werden, wie ich
denn schon so viel Mittel zusammen zu bringen ge-
dächte, einen honorablen Dienst, wenn es auch
gleich ausser unserm Vaterlande wäre, zu erlangen
und sie reputirlich zu ernähren. Sie schwieg hie-
rauf eine lange Weile stille, da ich aber endlich ihre
Hand küssete und fragte, ob sie mich denn hierauf
gar keiner Antwort würdigen wolte? ermunterte
sie sich, und gab mir diese: Mons. van Blac, in
meinem itzigen Zustande, da ich mich noch vor
eine Verehligte halten muß, wäre es eine grosse
Leichtfertigkeit von mir, wenn ich mich mit euch
oder jemand anders in verbothene Vertrau-
lichkeit oder zum voraus in ein geheimes Liebes-
Verständnißeinlassen wolte; seyd demnach damit
zufrieden, wenn ich euch so viel verspreche, daß,
woserne ich von meinem ungetreuen Ehe-Manne

nicht

uͤber die Wangen lieffen, wiſchete ich ihr dieſelben
mit einem Tuche ſanffte ab, wurde zwar bey die-
ſer Arbeit ſelbſten ſehr wehmuͤthig, wuſte aber nicht,
wo ich auf eimahl die Courage her bekam, ihr
einen derben Kuß auf den Mund zu druͤcken, wo-
ruͤber ſie auffuhr, und ſagte: Verwegener! was ſoll
das bedeuten? Jch war gleich mit der Antwort fer-
tig, und betheurete ſehr: daß es nicht aus Geilheit
und Unzucht, ſondern vielmehr aus Wehmuth und
reiner Liebe geſchehen waͤre, koͤnte aber anbey nicht
laͤugnen, daß, wenn ſie ja mit ihrem erſten Manne
nicht wieder vereiniget, ſondern von ihm geſchieden
werden ſolte, ich mir auf dieſer Welt kein groͤſſer
Vergnuͤgen wuͤnſchen wolte, als mit ihr vereheli-
get, und ſo wohl dem Doſtart als allen andern
Manns-Perſonen vorgezogen zu werden, wie ich
denn ſchon ſo viel Mittel zuſammen zu bringen ge-
daͤchte, einen honorablen Dienſt, wenn es auch
gleich auſſer unſerm Vaterlande waͤre, zu erlangen
und ſie reputirlich zu ernaͤhren. Sie ſchwieg hie-
rauf eine lange Weile ſtille, da ich aber endlich ihre
Hand kuͤſſete und fragte, ob ſie mich denn hierauf
gar keiner Antwort wuͤrdigen wolte? ermunterte
ſie ſich, und gab mir dieſe: Monſ. van Blac, in
meinem itzigen Zuſtande, da ich mich noch vor
eine Verehligte halten muß, waͤre es eine groſſe
Leichtfertigkeit von mir, wenn ich mich mit euch
oder jemand anders in verbothene Vertrau-
lichkeit oder zum voraus in ein geheimes Liebes-
Verſtaͤndnißeinlaſſen wolte; ſeyd demnach damit
zufrieden, wenn ich euch ſo viel verſpreche, daß,
woſerne ich von meinem ungetreuen Ehe-Manne

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[188/0196] uͤber die Wangen lieffen, wiſchete ich ihr dieſelben mit einem Tuche ſanffte ab, wurde zwar bey die- ſer Arbeit ſelbſten ſehr wehmuͤthig, wuſte aber nicht, wo ich auf eimahl die Courage her bekam, ihr einen derben Kuß auf den Mund zu druͤcken, wo- ruͤber ſie auffuhr, und ſagte: Verwegener! was ſoll das bedeuten? Jch war gleich mit der Antwort fer- tig, und betheurete ſehr: daß es nicht aus Geilheit und Unzucht, ſondern vielmehr aus Wehmuth und reiner Liebe geſchehen waͤre, koͤnte aber anbey nicht laͤugnen, daß, wenn ſie ja mit ihrem erſten Manne nicht wieder vereiniget, ſondern von ihm geſchieden werden ſolte, ich mir auf dieſer Welt kein groͤſſer Vergnuͤgen wuͤnſchen wolte, als mit ihr vereheli- get, und ſo wohl dem Doſtart als allen andern Manns-Perſonen vorgezogen zu werden, wie ich denn ſchon ſo viel Mittel zuſammen zu bringen ge- daͤchte, einen honorablen Dienſt, wenn es auch gleich auſſer unſerm Vaterlande waͤre, zu erlangen und ſie reputirlich zu ernaͤhren. Sie ſchwieg hie- rauf eine lange Weile ſtille, da ich aber endlich ihre Hand kuͤſſete und fragte, ob ſie mich denn hierauf gar keiner Antwort wuͤrdigen wolte? ermunterte ſie ſich, und gab mir dieſe: Monſ. van Blac, in meinem itzigen Zuſtande, da ich mich noch vor eine Verehligte halten muß, waͤre es eine groſſe Leichtfertigkeit von mir, wenn ich mich mit euch oder jemand anders in verbothene Vertrau- lichkeit oder zum voraus in ein geheimes Liebes- Verſtaͤndnißeinlaſſen wolte; ſeyd demnach damit zufrieden, wenn ich euch ſo viel verſpreche, daß, woſerne ich von meinem ungetreuen Ehe-Manne nicht

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/196>, abgerufen am 23.04.2024.