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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Verdienste; nur Schade, dass der arme Gott hier so
wenig von seinem Elemente hat, dass er wohl kaum
den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu
trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses
ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht
sehr demüthig in einem sehr spiessbürgerlichen Auf¬
zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬
feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in grossen
Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬
gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner
in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil
man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬
wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬
tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt
so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬
gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da
Ruffi
, und fand es für eine so kleine Unternehmung
allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute
bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen
Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten
können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬
schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬
lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert
wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf
Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬
leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die
Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war
für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬
spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur
ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück

Verdienste; nur Schade, daſs der arme Gott hier so
wenig von seinem Elemente hat, daſs er wohl kaum
den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu
trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses
ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht
sehr demüthig in einem sehr spieſsbürgerlichen Auf¬
zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬
feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in groſsen
Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬
gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner
in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil
man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬
wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬
tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt
so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬
gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da
Ruffi
, und fand es für eine so kleine Unternehmung
allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute
bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen
Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten
können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬
schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬
lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert
wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf
Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬
leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die
Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war
für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬
spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur
ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück

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[117/0143] Verdienste; nur Schade, daſs der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat, daſs er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr demüthig in einem sehr spieſsbürgerlichen Auf¬ zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬ feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in groſsen Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬ gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte. Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬ wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬ tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬ gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da Ruffi, und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬ schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬ lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬ leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬ spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/143>, abgerufen am 28.03.2024.