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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Aus dieser Ortsbestimmung der Philosophie im allgemeinen fliessen
die Rechte, die sie an den einzelnen Gegenständen besitzt. Wenn
es eine Philosophie des Geldes geben soll, so kann sie nur dies-
seits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen:
sie kann einerseits die Voraussetzungen darstellen, die, in der seelischen
Verfassung, in den sozialen Beziehungen, in der logischen Struktur
der Wirklichkeiten und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn
und seine praktische Stellung anweisen. Das ist nicht die Frage nach
der Entstehung des Geldes: denn diese gehört in die Geschichte, nicht
in die Philosophie. Und so hoch wir den Gewinn achten, den das
Verständnis einer Erscheinung aus ihrem historischen Werden zieht,
so ruht der inhaltliche Sinn und Bedeutung der gewordenen doch oft
auf Zusammenhängen begrifflicher, psychologischer, ethischer Natur, die
nicht zeitlich sondern rein sachlich sind, die von den geschichtlichen
Mächten wohl realisiert werden, aber sich in der Zufälligkeit derselben
nicht erschöpfen. Die Bedeutsamkeit, die Würde, der Gehalt des Rechts
etwa oder der Religion oder der Erkenntnis steht ganz jenseits der Frage
nach den Wegen ihrer historischen Verwirklichung. Der erste Teil dieses
Buches wird so das Geld aus denjenigen Bedingungen entwickeln, die
sein Wesen und den Sinn seines Daseins tragen.

Die geschichtliche Erscheinung des Geldes, deren Idee und Struktur
ich so aus den Wertgefühlen, der Praxis den Dingen gegenüber und
den Gegenseitigkeitsverhältnissen der Menschen als ihren Voraussetzungen
zu entfalten suche, verfolgt nun der zweite synthetische Teil in ihren
Wirkungen auf die innere Welt: auf das Lebensgefühl der Individuen,
auf die Verkettung ihrer Schicksale, auf die allgemeine Kultur. Hier
handelt es sich also einerseits um Zusammenhänge, die ihrem Wesen
nach exakt und im einzelnen erforschbar wären, aber es bei dem augen-
blicklichen Stande des Wissens nicht sind und deshalb nur nach dem
philosophischen Typus: im allgemeinen Überschlag, in der Vertretung
der Einzelvorgänge durch die Verhältnisse abstrakter Begriffe, zu be-
handeln sind andrerseits um seelische Verursachungen, die für alle
Zeiten Sache hypothetischer Deutung und einer künstlerischen, von
individueller Färbung nie ganz lösbaren Nachbildung sein werden.
Diese Verzweigung des Geldprinzips mit den Entwicklungen und
Wertungen des Innenlebens steht also ebensoweit hinter der ökono-
mischen Wissenschaft vom Gelde, wie das Problemgebiet des ersten
Teiles vor ihr gestanden hatte. Der eine soll das Wesen des Geldes

Aus dieser Ortsbestimmung der Philosophie im allgemeinen flieſsen
die Rechte, die sie an den einzelnen Gegenständen besitzt. Wenn
es eine Philosophie des Geldes geben soll, so kann sie nur dies-
seits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen:
sie kann einerseits die Voraussetzungen darstellen, die, in der seelischen
Verfassung, in den sozialen Beziehungen, in der logischen Struktur
der Wirklichkeiten und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn
und seine praktische Stellung anweisen. Das ist nicht die Frage nach
der Entstehung des Geldes: denn diese gehört in die Geschichte, nicht
in die Philosophie. Und so hoch wir den Gewinn achten, den das
Verständnis einer Erscheinung aus ihrem historischen Werden zieht,
so ruht der inhaltliche Sinn und Bedeutung der gewordenen doch oft
auf Zusammenhängen begrifflicher, psychologischer, ethischer Natur, die
nicht zeitlich sondern rein sachlich sind, die von den geschichtlichen
Mächten wohl realisiert werden, aber sich in der Zufälligkeit derselben
nicht erschöpfen. Die Bedeutsamkeit, die Würde, der Gehalt des Rechts
etwa oder der Religion oder der Erkenntnis steht ganz jenseits der Frage
nach den Wegen ihrer historischen Verwirklichung. Der erste Teil dieses
Buches wird so das Geld aus denjenigen Bedingungen entwickeln, die
sein Wesen und den Sinn seines Daseins tragen.

Die geschichtliche Erscheinung des Geldes, deren Idee und Struktur
ich so aus den Wertgefühlen, der Praxis den Dingen gegenüber und
den Gegenseitigkeitsverhältnissen der Menschen als ihren Voraussetzungen
zu entfalten suche, verfolgt nun der zweite synthetische Teil in ihren
Wirkungen auf die innere Welt: auf das Lebensgefühl der Individuen,
auf die Verkettung ihrer Schicksale, auf die allgemeine Kultur. Hier
handelt es sich also einerseits um Zusammenhänge, die ihrem Wesen
nach exakt und im einzelnen erforschbar wären, aber es bei dem augen-
blicklichen Stande des Wissens nicht sind und deshalb nur nach dem
philosophischen Typus: im allgemeinen Überschlag, in der Vertretung
der Einzelvorgänge durch die Verhältnisse abstrakter Begriffe, zu be-
handeln sind andrerseits um seelische Verursachungen, die für alle
Zeiten Sache hypothetischer Deutung und einer künstlerischen, von
individueller Färbung nie ganz lösbaren Nachbildung sein werden.
Diese Verzweigung des Geldprinzips mit den Entwicklungen und
Wertungen des Innenlebens steht also ebensoweit hinter der ökono-
mischen Wissenschaft vom Gelde, wie das Problemgebiet des ersten
Teiles vor ihr gestanden hatte. Der eine soll das Wesen des Geldes

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[VIII/0016] Aus dieser Ortsbestimmung der Philosophie im allgemeinen flieſsen die Rechte, die sie an den einzelnen Gegenständen besitzt. Wenn es eine Philosophie des Geldes geben soll, so kann sie nur dies- seits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen: sie kann einerseits die Voraussetzungen darstellen, die, in der seelischen Verfassung, in den sozialen Beziehungen, in der logischen Struktur der Wirklichkeiten und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn und seine praktische Stellung anweisen. Das ist nicht die Frage nach der Entstehung des Geldes: denn diese gehört in die Geschichte, nicht in die Philosophie. Und so hoch wir den Gewinn achten, den das Verständnis einer Erscheinung aus ihrem historischen Werden zieht, so ruht der inhaltliche Sinn und Bedeutung der gewordenen doch oft auf Zusammenhängen begrifflicher, psychologischer, ethischer Natur, die nicht zeitlich sondern rein sachlich sind, die von den geschichtlichen Mächten wohl realisiert werden, aber sich in der Zufälligkeit derselben nicht erschöpfen. Die Bedeutsamkeit, die Würde, der Gehalt des Rechts etwa oder der Religion oder der Erkenntnis steht ganz jenseits der Frage nach den Wegen ihrer historischen Verwirklichung. Der erste Teil dieses Buches wird so das Geld aus denjenigen Bedingungen entwickeln, die sein Wesen und den Sinn seines Daseins tragen. Die geschichtliche Erscheinung des Geldes, deren Idee und Struktur ich so aus den Wertgefühlen, der Praxis den Dingen gegenüber und den Gegenseitigkeitsverhältnissen der Menschen als ihren Voraussetzungen zu entfalten suche, verfolgt nun der zweite synthetische Teil in ihren Wirkungen auf die innere Welt: auf das Lebensgefühl der Individuen, auf die Verkettung ihrer Schicksale, auf die allgemeine Kultur. Hier handelt es sich also einerseits um Zusammenhänge, die ihrem Wesen nach exakt und im einzelnen erforschbar wären, aber es bei dem augen- blicklichen Stande des Wissens nicht sind und deshalb nur nach dem philosophischen Typus: im allgemeinen Überschlag, in der Vertretung der Einzelvorgänge durch die Verhältnisse abstrakter Begriffe, zu be- handeln sind andrerseits um seelische Verursachungen, die für alle Zeiten Sache hypothetischer Deutung und einer künstlerischen, von individueller Färbung nie ganz lösbaren Nachbildung sein werden. Diese Verzweigung des Geldprinzips mit den Entwicklungen und Wertungen des Innenlebens steht also ebensoweit hinter der ökono- mischen Wissenschaft vom Gelde, wie das Problemgebiet des ersten Teiles vor ihr gestanden hatte. Der eine soll das Wesen des Geldes

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/16>, abgerufen am 18.04.2024.