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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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unseren wirklichen Schätzungen, unsrem wirklichen inneren Verhältnis
zu den Dingen nicht überall stimmen. In Wirklichkeit begleiten wir
unsere Wertempfindung gewissen Objekten gegenüber mit der Vor-
stellung oder dem Gefühl, damit eine Beschaffenheit und Bedeutsamkeit
des Objektes selbst nachzuzeichnen, die unabhängig von unserer An-
erkennung ihrer besteht. Das einfachste Beispiel ist der Wert, den
wir der Gesinnung der Menschen zusprechen, der sittlichen, vornehmen,
kraftvollen, schönen. Ob solche inneren Beschaffenheiten sich je in
Thaten äussern, die die Anerkennung ihres Wertes erzwingen oder
ermöglichen, ja ob ihr Träger selbst mit dem Gefühl eigenen Wertes
über sie reflektiert, erscheint uns nicht nur für die Thatsache ihres
Wertes gleichgültig, sondern diese Gleichgültigkeit gegen ihr An-
erkannt- und Bewusstwerden macht grade die bezeichnende Färbung
solcher Werte aus. Noch bei einer ganzen Reihe anderer Objekte
knüpft sich unserer Empfindung nach der Wert an ihre für sich seiende
Wirklichkeit. Die intellektuelle Energie und die Thatsache, dass sie
die geheimsten Kräfte und Ordnungen der Natur in das Licht des
Bewusstseins hebt; die Gewalt und der Rhythmus der Gefühle, die in
dem engen Raum der individuellen Seele doch aller Aussenwelt mit
unendlicher Bedeutsamkeit überlegen sind, selbst wenn die pessimistische
Behauptung von dem Übermass des Leidens richtig ist; dass jenseits
des Menschen die Natur überhaupt sich in der Zuverlässigkeit fester
Normen bewegt, dass die Vielheit ihrer Gestaltungen dennoch einer
tiefen Einheit des Ganzen Raum giebt, dass ihr Mechanismus sich weder
der Deutung nach Ideen entzieht, noch sich weigert, Schönheit und
Anmut zu erzeugen -- auf alles dies hin stellen wir vor: die Welt sei
eben wertvoll, gleichviel ob diese Werte von einem Bewusstsein
empfunden werden oder nicht; wie es für die Gültigkeit des Gravi-
tationsgesetzes gleichviel ist, ob es durch Newton oder tausend Jahre
früher oder später oder etwa überhaupt nicht zu wissenschaftlichem
Erkanntwerden gekommen wäre. So scheinen wir denn in diesen
Wertsetzungen nicht unabhängig zu sein, sondern, indem wir sie voll-
ziehen, nur als Vollstrecker einer in den Dingen selbst gelegenen
Anweisung oder Forderung aufzutreten. Die Kategorie also, die wir
für die Subjektivität des Wertes suchen, muss zugleich für diese Objek-
tivität freien Raum geben; wenn er, jenseits der Dinge selbst, mit
seinem Gefühltwerden durch Subjekte steht und fällt, so enthält also
dieses Gefühl gelegentlich seine eigene Aufhebung: an gewissen Objekten
fühlen wir, dass ihr Wert unserm Fühlen selbständig gegenüber steht
und von diesem gespiegelt, aber nicht geschaffen wird. Es muss also
eine Form geben, die dem Werte diese Doppelstellung ermöglicht, oder

unseren wirklichen Schätzungen, unsrem wirklichen inneren Verhältnis
zu den Dingen nicht überall stimmen. In Wirklichkeit begleiten wir
unsere Wertempfindung gewissen Objekten gegenüber mit der Vor-
stellung oder dem Gefühl, damit eine Beschaffenheit und Bedeutsamkeit
des Objektes selbst nachzuzeichnen, die unabhängig von unserer An-
erkennung ihrer besteht. Das einfachste Beispiel ist der Wert, den
wir der Gesinnung der Menschen zusprechen, der sittlichen, vornehmen,
kraftvollen, schönen. Ob solche inneren Beschaffenheiten sich je in
Thaten äuſsern, die die Anerkennung ihres Wertes erzwingen oder
ermöglichen, ja ob ihr Träger selbst mit dem Gefühl eigenen Wertes
über sie reflektiert, erscheint uns nicht nur für die Thatsache ihres
Wertes gleichgültig, sondern diese Gleichgültigkeit gegen ihr An-
erkannt- und Bewuſstwerden macht grade die bezeichnende Färbung
solcher Werte aus. Noch bei einer ganzen Reihe anderer Objekte
knüpft sich unserer Empfindung nach der Wert an ihre für sich seiende
Wirklichkeit. Die intellektuelle Energie und die Thatsache, daſs sie
die geheimsten Kräfte und Ordnungen der Natur in das Licht des
Bewuſstseins hebt; die Gewalt und der Rhythmus der Gefühle, die in
dem engen Raum der individuellen Seele doch aller Auſsenwelt mit
unendlicher Bedeutsamkeit überlegen sind, selbst wenn die pessimistische
Behauptung von dem Übermaſs des Leidens richtig ist; daſs jenseits
des Menschen die Natur überhaupt sich in der Zuverlässigkeit fester
Normen bewegt, daſs die Vielheit ihrer Gestaltungen dennoch einer
tiefen Einheit des Ganzen Raum giebt, daſs ihr Mechanismus sich weder
der Deutung nach Ideen entzieht, noch sich weigert, Schönheit und
Anmut zu erzeugen — auf alles dies hin stellen wir vor: die Welt sei
eben wertvoll, gleichviel ob diese Werte von einem Bewuſstsein
empfunden werden oder nicht; wie es für die Gültigkeit des Gravi-
tationsgesetzes gleichviel ist, ob es durch Newton oder tausend Jahre
früher oder später oder etwa überhaupt nicht zu wissenschaftlichem
Erkanntwerden gekommen wäre. So scheinen wir denn in diesen
Wertsetzungen nicht unabhängig zu sein, sondern, indem wir sie voll-
ziehen, nur als Vollstrecker einer in den Dingen selbst gelegenen
Anweisung oder Forderung aufzutreten. Die Kategorie also, die wir
für die Subjektivität des Wertes suchen, muſs zugleich für diese Objek-
tivität freien Raum geben; wenn er, jenseits der Dinge selbst, mit
seinem Gefühltwerden durch Subjekte steht und fällt, so enthält also
dieses Gefühl gelegentlich seine eigene Aufhebung: an gewissen Objekten
fühlen wir, daſs ihr Wert unserm Fühlen selbständig gegenüber steht
und von diesem gespiegelt, aber nicht geschaffen wird. Es muſs also
eine Form geben, die dem Werte diese Doppelstellung ermöglicht, oder

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[8/0032] unseren wirklichen Schätzungen, unsrem wirklichen inneren Verhältnis zu den Dingen nicht überall stimmen. In Wirklichkeit begleiten wir unsere Wertempfindung gewissen Objekten gegenüber mit der Vor- stellung oder dem Gefühl, damit eine Beschaffenheit und Bedeutsamkeit des Objektes selbst nachzuzeichnen, die unabhängig von unserer An- erkennung ihrer besteht. Das einfachste Beispiel ist der Wert, den wir der Gesinnung der Menschen zusprechen, der sittlichen, vornehmen, kraftvollen, schönen. Ob solche inneren Beschaffenheiten sich je in Thaten äuſsern, die die Anerkennung ihres Wertes erzwingen oder ermöglichen, ja ob ihr Träger selbst mit dem Gefühl eigenen Wertes über sie reflektiert, erscheint uns nicht nur für die Thatsache ihres Wertes gleichgültig, sondern diese Gleichgültigkeit gegen ihr An- erkannt- und Bewuſstwerden macht grade die bezeichnende Färbung solcher Werte aus. Noch bei einer ganzen Reihe anderer Objekte knüpft sich unserer Empfindung nach der Wert an ihre für sich seiende Wirklichkeit. Die intellektuelle Energie und die Thatsache, daſs sie die geheimsten Kräfte und Ordnungen der Natur in das Licht des Bewuſstseins hebt; die Gewalt und der Rhythmus der Gefühle, die in dem engen Raum der individuellen Seele doch aller Auſsenwelt mit unendlicher Bedeutsamkeit überlegen sind, selbst wenn die pessimistische Behauptung von dem Übermaſs des Leidens richtig ist; daſs jenseits des Menschen die Natur überhaupt sich in der Zuverlässigkeit fester Normen bewegt, daſs die Vielheit ihrer Gestaltungen dennoch einer tiefen Einheit des Ganzen Raum giebt, daſs ihr Mechanismus sich weder der Deutung nach Ideen entzieht, noch sich weigert, Schönheit und Anmut zu erzeugen — auf alles dies hin stellen wir vor: die Welt sei eben wertvoll, gleichviel ob diese Werte von einem Bewuſstsein empfunden werden oder nicht; wie es für die Gültigkeit des Gravi- tationsgesetzes gleichviel ist, ob es durch Newton oder tausend Jahre früher oder später oder etwa überhaupt nicht zu wissenschaftlichem Erkanntwerden gekommen wäre. So scheinen wir denn in diesen Wertsetzungen nicht unabhängig zu sein, sondern, indem wir sie voll- ziehen, nur als Vollstrecker einer in den Dingen selbst gelegenen Anweisung oder Forderung aufzutreten. Die Kategorie also, die wir für die Subjektivität des Wertes suchen, muſs zugleich für diese Objek- tivität freien Raum geben; wenn er, jenseits der Dinge selbst, mit seinem Gefühltwerden durch Subjekte steht und fällt, so enthält also dieses Gefühl gelegentlich seine eigene Aufhebung: an gewissen Objekten fühlen wir, daſs ihr Wert unserm Fühlen selbständig gegenüber steht und von diesem gespiegelt, aber nicht geschaffen wird. Es muſs also eine Form geben, die dem Werte diese Doppelstellung ermöglicht, oder

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/32>, abgerufen am 29.03.2024.