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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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betrifft wohl selten eine Mutter so plötzlich, so unaufhaltsam. Von reger Einbildungskraft und nicht überflüssig ausgebildetem Verstande, den Gebräuchen ihrer Kirche, der katholischen, sklavisch zugethan, ohne deßhalb den milden, duldenden und versöhnlichen Geist des Christenthums je begriffen zu haben, war Scholastika von Jugend auf nicht geschickt gewesen, den Aufwallungen ihrer Leidenschaften zu gebieten und ihren Kopf im Zaum zu halten. Sie war von Herzen gut, treu ergeben ihrem Manne, eine zärtliche Mutter ihren Kindern. Aber die Macht irgend eines Vorurtheils konnte oft für lange Zeit ihr Herz verstocken; ihre Ergebenheit in die Beschlüsse des Gatten war häufig nur eine knechtische, die da insgeheim mißbilligt und verabscheut, was sie vor der Welt dem Anschein nach mit Freuden vollbringt. Die Reise nach Hagenbach's Geburtsland war ein solcher von seiner Gattin im tiefsten Herzen gehaßter Beschluß gewesen. Für Scholastika hatte freilich die ihr unbekannte Schweiz keine Reize; dagegen hatte sie selber ein Vaterland und Freunde und gewohnte, zum Bedürfniß gewordene Verhältnisse zu verlassen. Sie war nur mit schwerer Bekümmerniß von den Gräbern ihrer Eltern geschieden, und die Trennung vom heimischen Lande galt ihr als ein tödtlicher Streich, den sie dem Urheber nicht vergab. Sie hatte ihren Widerwillen nicht ausgesprochen, aber um so freigebiger genährt. Ihr Verdruß hatte die Liebe und das Vertrauen zu Hagenbach niedergetreten. Die

betrifft wohl selten eine Mutter so plötzlich, so unaufhaltsam. Von reger Einbildungskraft und nicht überflüssig ausgebildetem Verstande, den Gebräuchen ihrer Kirche, der katholischen, sklavisch zugethan, ohne deßhalb den milden, duldenden und versöhnlichen Geist des Christenthums je begriffen zu haben, war Scholastika von Jugend auf nicht geschickt gewesen, den Aufwallungen ihrer Leidenschaften zu gebieten und ihren Kopf im Zaum zu halten. Sie war von Herzen gut, treu ergeben ihrem Manne, eine zärtliche Mutter ihren Kindern. Aber die Macht irgend eines Vorurtheils konnte oft für lange Zeit ihr Herz verstocken; ihre Ergebenheit in die Beschlüsse des Gatten war häufig nur eine knechtische, die da insgeheim mißbilligt und verabscheut, was sie vor der Welt dem Anschein nach mit Freuden vollbringt. Die Reise nach Hagenbach's Geburtsland war ein solcher von seiner Gattin im tiefsten Herzen gehaßter Beschluß gewesen. Für Scholastika hatte freilich die ihr unbekannte Schweiz keine Reize; dagegen hatte sie selber ein Vaterland und Freunde und gewohnte, zum Bedürfniß gewordene Verhältnisse zu verlassen. Sie war nur mit schwerer Bekümmerniß von den Gräbern ihrer Eltern geschieden, und die Trennung vom heimischen Lande galt ihr als ein tödtlicher Streich, den sie dem Urheber nicht vergab. Sie hatte ihren Widerwillen nicht ausgesprochen, aber um so freigebiger genährt. Ihr Verdruß hatte die Liebe und das Vertrauen zu Hagenbach niedergetreten. Die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/15>, abgerufen am 25.04.2024.