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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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durch eine alte Magd -- da Verena dazu nicht stark genug war und mit der Mutter hülfloser Kindheit zu viel zu thun hatte -- ging nicht allzu fein. Die Landwirthschaft, des regen hausväterlichen Fleißes und der besonnenen Ordnung der Hausmutter entbehrend, gedieh nicht; Viehsterben und Futtermangel kam hin und wieder dazu. Die Vettern, die ihren Blutsverwandten bei seiner Heimkunft als einen Bettler von sich gewiesen, entblödeten sich jetzo nicht, selbst gleich Bettlern an der Habe des sogenannt reichen Hagenbach zu saugen und zu rupfen. Sein Wohlstand verminderte sich daher von Jahr zu Jahr, und gar oft ruhten seine Blicke voll ängstlicher Sorge aus der herangeblühten Tochter, die von des Vaters Bedrängnissen nichts wußte und ihren Pflichten nach Kräften oblag. Die wenige Zeit, die ihrer Mutter Besorgung der Verena übrig ließ, vertrieb sie sich mit der Arbeit, die von den St. Galler Fabrikanten in das Appenzeller Land gebracht worden war. Verena hatte auf Mousseline sticken gelernt und sich eine große Fertigkeit in dieser Kunst eigen gemacht.

Einst saß sie emsig schaffend an dem Tambour, da nahte sich ihr der Vater unversehens und sagte nach kurzer Einleitung zu ihr: Vreneli, willst du nicht heirathen? -- Ihr erschreckt mich, Vater. Das ist wohl nicht Euer Ernst. -- Warum denn nicht? Bist alt genug dazu. -- Ich will noch nicht, Vater. Ich will niemals heirathen. -- Wie das? Warum das? -- Die

durch eine alte Magd — da Verena dazu nicht stark genug war und mit der Mutter hülfloser Kindheit zu viel zu thun hatte — ging nicht allzu fein. Die Landwirthschaft, des regen hausväterlichen Fleißes und der besonnenen Ordnung der Hausmutter entbehrend, gedieh nicht; Viehsterben und Futtermangel kam hin und wieder dazu. Die Vettern, die ihren Blutsverwandten bei seiner Heimkunft als einen Bettler von sich gewiesen, entblödeten sich jetzo nicht, selbst gleich Bettlern an der Habe des sogenannt reichen Hagenbach zu saugen und zu rupfen. Sein Wohlstand verminderte sich daher von Jahr zu Jahr, und gar oft ruhten seine Blicke voll ängstlicher Sorge aus der herangeblühten Tochter, die von des Vaters Bedrängnissen nichts wußte und ihren Pflichten nach Kräften oblag. Die wenige Zeit, die ihrer Mutter Besorgung der Verena übrig ließ, vertrieb sie sich mit der Arbeit, die von den St. Galler Fabrikanten in das Appenzeller Land gebracht worden war. Verena hatte auf Mousseline sticken gelernt und sich eine große Fertigkeit in dieser Kunst eigen gemacht.

Einst saß sie emsig schaffend an dem Tambour, da nahte sich ihr der Vater unversehens und sagte nach kurzer Einleitung zu ihr: Vreneli, willst du nicht heirathen? — Ihr erschreckt mich, Vater. Das ist wohl nicht Euer Ernst. — Warum denn nicht? Bist alt genug dazu. — Ich will noch nicht, Vater. Ich will niemals heirathen. — Wie das? Warum das? — Die

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/23>, abgerufen am 19.04.2024.