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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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menheit wahr, daß die Unglückliche zu all ihrem Elend noch obendrein blind geworden! --

Das war eine traurige Hochzeit! Der Vater still in sich gekehrt, die Braut an Thränen reich und arm an Freude, der Bräutigam ernst, wortkarg und leidend mit der Braut, die Zeugen und das Gefolge verstimmt oder schadenfroh. Das Mahl, das der Trauung folgte, verfloß einsilbig, steif und gestört. Die Gäste gingen gern heim in ihre Häuser; der Vater begleitete den Pfarrer, Georg führte Verena in die für beide hergerichtete Stube. Sei getrost, Vreneli, sagte er theilnehmend; ein alter Aberglaube will, daß der ganze Ehestand sei wie der erste Tag desselben. Es ist aber nur ein Aberglaube. Wir weinen zwar heute, aber die lustigen Tage werden nicht ausbleiben. Schau: reiner und fleckenloser als du ist sicherlich noch keine Braut vor dem Altar gestanden! Hoffe darum alles Gute, so wie ich's hoffe. Du bist noch kalt gegen mich, aber die warme Freundschaft, die ich für dich fühle, wird schon mit deiner Kälte ein Abkommen treffen, so Gott will. -- Verena lächelte durch ihre Thränen, indem sie sprach: Du redest ja heute wie ein Buch, Georg. Seit du ein Handelsmann geworden, kennt man den Knecht gar nicht mehr aus dir heraus, -- Hm, 's ist nicht anders. Der Knoten im Kopfe ist mir etwas aufgegangen, und du sollst das Beste thun, mich zu einem andern Menschen zu machen. Das Schlimmste an mir ist mein Jähzorn und meine flinke schlaglustige

menheit wahr, daß die Unglückliche zu all ihrem Elend noch obendrein blind geworden! —

Das war eine traurige Hochzeit! Der Vater still in sich gekehrt, die Braut an Thränen reich und arm an Freude, der Bräutigam ernst, wortkarg und leidend mit der Braut, die Zeugen und das Gefolge verstimmt oder schadenfroh. Das Mahl, das der Trauung folgte, verfloß einsilbig, steif und gestört. Die Gäste gingen gern heim in ihre Häuser; der Vater begleitete den Pfarrer, Georg führte Verena in die für beide hergerichtete Stube. Sei getrost, Vreneli, sagte er theilnehmend; ein alter Aberglaube will, daß der ganze Ehestand sei wie der erste Tag desselben. Es ist aber nur ein Aberglaube. Wir weinen zwar heute, aber die lustigen Tage werden nicht ausbleiben. Schau: reiner und fleckenloser als du ist sicherlich noch keine Braut vor dem Altar gestanden! Hoffe darum alles Gute, so wie ich's hoffe. Du bist noch kalt gegen mich, aber die warme Freundschaft, die ich für dich fühle, wird schon mit deiner Kälte ein Abkommen treffen, so Gott will. — Verena lächelte durch ihre Thränen, indem sie sprach: Du redest ja heute wie ein Buch, Georg. Seit du ein Handelsmann geworden, kennt man den Knecht gar nicht mehr aus dir heraus, — Hm, 's ist nicht anders. Der Knoten im Kopfe ist mir etwas aufgegangen, und du sollst das Beste thun, mich zu einem andern Menschen zu machen. Das Schlimmste an mir ist mein Jähzorn und meine flinke schlaglustige

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/50>, abgerufen am 19.04.2024.